DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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BETTINA LELL

„Mich interessieren die Opernbösewichte“

(Foto (c): privat)

OF: Liebe Frau Lell, Sie sind seit 2008 stellvertretende Operndirektorin und Hausregisseurin am Theater Pforzheim. Wie sind Sie zu diesen ehrenvollen Ämtern gekommen?

LELL: Wolf Widder und ich kennen uns schon über vierzehn Jahre. Ich war lange Zeit bei ihm Regieassistentin. Als er im Jahre 2008 in Pforzheim Operndirektor wurde, hat er mich angerufen und gefragt, ob ich seine Stellvertretung übernehmen würde. Da habe ich Ja gesagt.

OF: Wie bringen Sie Ihre vielfältigen Aufgaben unter einen Hut? Wie sehen diese konkret aus?

LELL: Ich inszeniere hier pro Spielzeit drei Werke des Musiktheaters, bin an der Gestaltung des Spielplans beteiligt sowie in der Beratung tätig. Wenn Herr Widder nicht da ist, fungiere ich als seine Stellvertreterin. Außerdem habe ich auch Direktionsdienste und Sitzungen zu machen. Vorrangig sind aber die Produktionen.

OF: Darüber hinaus sind Sie auch noch Leiterin der Jungen Oper am Pforzheimer Theater. Wie wichtig ist es Ihnen, Kinder und Jugendliche an die Oper heranzuführen?

LELL: Das ist natürlich ein ganz toller zweiter Beruf für mich. Ich finde, dass Musiktheater für Kinder bisher immer etwas stiefmütterlich behandelt wurde und immer noch wird. Es macht mir sehr viel Spaß, Projekte zu erarbeiten, nicht nur Kinderopern, von denen wir alle zwei Jahre eine machen, sondern auch Patenschulprojekte mit zu betreuen. Auf diese Weise versuche ich Jugendliche an die klassische Musik heranzuführen, die sie von zu Hause aus oft nicht kennen. Mir ist wichtig, dass jedes Kind in Pforzheim und im Enzkreis wenigstens einmal eine Oper gesehen hat, um dann selbst entscheiden zu können, ob das eine Musik ist, die ihm gefällt.

OF: Großen Anteil daran, junge Leute für das Musiktheater zu begeistern, hatte sicher auch das Projekt der Theaterleitung, Schulklassen pro Saison jeweils eine Opernproduktion von der Konzeption bis zur Premiere begleiten zu lassen - so in den letzten Jahren bei „Scherz, Satire…“ und „Wozzeck“. Wie ist diese Kooperation mit den Pforzheimer Schulen zustande gekommen? Wie hat sie sich entwickelt und was für Erfahrungen hat das Theater damit gemacht?

LELL: An dem Projekt nehmen nicht nur Schulklassen teil. Jedes Jahr begleitet uns eine ganze Schule bei der Erarbeitung des modernen Repertoires, also der vierten Oper. Die Idee dazu hatte Wolf Widder. Diese haben wir dann zunächst einer der örtlichen Schulen angetragen. Diese waren über dieses große Vorhaben zunächst erst einmal ein wenig geschockt. Wir haben sie dann aber nach und nach mit ins Boot geholt und dann wurde das eine ganz tolle Produktion. Dieses Patenschulprojekt dauert immer ein ganzes Jahr. Wir arbeiten zuerst mit den Lehrern in Workshops und später cirka zwei Monate lang auch mit den Schülern bis hin zum Besuch von verschiedenen Bühnenproben und einer eigenen Präsentation der Schule zu dem Thema der jeweiligen Oper auf der Bühne des Großen Hauses. Das macht uns viel Spaß und auch die Schüler haben wenig Angst vor diesen Inhalten. Sie gingen an „Scherz, Satire…“ und „Wozzeck“ genauso locker ran als wären das ein „Don Giovanni“ oder eine „Zauberflöte“.

OF: Wenn man heute in Pforzheim in die Oper geht, sieht man hier unter den Besuchern des Musiktheaters nicht gerade viele junge Gesichter. Haben Sie den Eindruck, dass das Pforzheimer Opernpublikum überaltert ist?

LELL: Nein. Es ist tatsächlich so, dass unser Jugend-Abo, das bis 27 Jahre geht, eines der größten ist. Ich habe eher  das Gefühl, dass die Altersstufen zwischen 35 und 55 bei uns nicht so stark vertreten sind. Junge und ältere Besucher haben wir genug, aber die Mitte fehlt. Das mag daran liegen, dass die Leute in diesem Alter gerade Familienprojekte planen und Kinder bekommen. Diese Altersklasse hätte ich gerne mehr in unserem Theater.

(c) SabineHaymann

OF: Sie siedeln Ihre Produktionen meistens in einem konventionellen Rahmen an. Tun Sie das aus einer inneren Überzeugung heraus oder wollen Sie damit dem Geschmack des zum großen Teil ja nicht mehr ganz jungen Auditoriums, das moderne Inszenierungen oft ablehnt, Rechnung tragen?

LELL: Den Begriff „konventionell“ müsste man zuerst einmal definieren. Modernes Musiktheater ist für mich keine Bildersprache, sondern die direkte Arbeit mit den Sängern. Und in dieser Hinsicht sind wir für das Moderne sehr offen. Das Konventionelle kann man bei uns vielleicht noch im Bühnenbild erkennen, wesentlich ist für mich aber die Personenregie. Und diese halte ich, zumindest was meine Arbeiten angeht, für extrem modernes Musiktheater.

OF: Jedenfalls glaube ich, dass die Pforzheimer Zuschauer zeitgenössische Produktionen nicht zu schätzen wissen, so gut diese im Einzelfall auch ausfallen mögen. Ich kann mich noch sehr gut an die Premiere von Gounods „Margarete“ in der letzten Saison erinnern, bei der die mit einem durchaus interessanten modernen Konzept aufwartende Regisseurin Mascha Pörzgen heftig ausgebuht wurde. Denken Sie, dass die Besucherzahlen zurückgehen würden, wenn das Theater Pforzheim dem modernen Regietheater huldigen würde?

LELL: Das von Ihnen erwähnte Beispiel war schon extremer Natur. Es mögen ganz unterschiedliche Gründe gewesen sein, dass die „Margarete“ beim Publikum nicht so gut ankam. Das lag wohl auch gar nicht an dem zeitgenössischen und wirklich spannenden Regiekonzept, das ich sehr mochte. Allgemein bin ich der Ansicht, dass man auch das Pforzheimer Publikum vorsichtig und Schritt für Schritt an das moderne Regietheater heranführen sollte.

OF: Nun ist es so, dass es gerade solche umstrittenen und stark angefeindeten Inszenierungen sind, die überregionale Aufmerksamkeit erregen und zahlreiche interessierte Besucher von nah und fern anlocken. Hatte der Buhorkan bei der „Margarete“ einen derartigen positiven Nebeneffekt?

LELL: O ja. Wir bekamen nach der Aufführung Mails von überall her. Wir sind natürlich ein Stadttheater, das in erster Linie die Region zu bedienen hat. Aber wir haben selbstverständlich auch immer wieder Besucher von den verschiedensten Seiten. Und das ist der tolle Effekt, dass gerade solche Konzepte wie das von Frau Pörzgen auch noch Leute aus den entferntesten Winkeln Deutschlands in unser kleines Pforzheim locken.

OF: Ich finde, dass es für ein Opernhaus ungemein wichtig ist, auch einmal in eine szenische Kontroverse zu geraten. Ist es nicht so, dass weithin Aufsehen erregende, protestierende Buhrufe gegen eine Regiearbeit für ein Theater längerfristig gesehen viel vorteilhafter sind als zwar freundlicher, letztlich aber belangloser und nicht lange in Erinnerung bleibender Schlussapplaus?

LELL: Auf jeden Fall. Ich bin da so ein bisschen hin und her gerissen, weil unser Haus in erster Linie von den Abonnenten lebt. Und diese muss man, wie ich ja bereits sagte, etwas sanfter mit in die Moderne nehmen. Im Gegensatz zu unseren Nachbarhäusern Karlsruhe und Stuttgart, die auch mit kontroversen Produktionen viele Besucher anlocken, sind wir relativ unbekannt. Was diese beiden Staatsopern können, ist uns leider verwehrt. Es wäre schon schön, wenn dem nicht so wäre.

OF: Letztlich kommt es immer auf gute Regieeinfälle an. Und in dieser Beziehung hatte ich bei Ihnen noch nie Grund zur Klage. Wie gehen Sie an ein Werk heran, das Sie auf die Bühne zu bringen haben?

LELL: In erster Linie interessieren mich die Personen. Ich frage mich, was sie in dieser Geschichte erleben. Ganz wichtig ist für mich herauszufinden, was für eine Entwicklung die Figuren durchmachen, an welcher Stelle sie starten und wo sie am Schluss stehen. Ganz zentral ist für mich die Frage, ob es in ihren Erlebnissen etwas gibt, was uns heute immer noch angeht. Ich versuche demgemäß herauszufiltern, was die Handlung uns heute noch zu sagen hat und wo ich diese Bezüge in meinem eigenen Leben wiederfinde. Und das ist in jedem Stück möglich. Damit sind die Handlungsträger keine weit von mir entfernten Opernfiguren mehr, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die uns auf der Bühne etwas erzählen wollen, was auch für uns relevant ist.

(c) SabineHägele

OF: Sie gehören zu den Regisseuren/innen, die oft noch den schwärzesten Charakteren menschliche Seiten abzugewinnen suchen. Bestes Beispiel dafür ist wohl der Kaspar in Ihrer Pforzheimer „Freischütz“-Produktion von 2008, den Sie ganz unkonventionell sehr sympathisch anlegten und ihn sich auch stark der aufrichtigen Zuneigung Ännchens erfreuen ließen. Sie stand ihm dann auch im Sterben bei anstatt sich um Agathe zu kümmern. Auch der Sparafucile in Ihrer Pforzheimer Inszenierung des „Rigoletto“ von 2010 hatte sich noch einen letzten Rest an Menschlichkeit bewahrt. Er zeigt Skrupel, die ihm nicht als verkleideter Mann, sondern ganz als Frau entgegentretende Gilda zu ermorden. Maddalena stößt das Mädchen schließlich von hinten in das Messer ihres Bruders, das dieser daraufhin entsetzt fallen lässt. Sind diese beiden meistens als pure Bösewichter vorgeführten Gestalten wirklich so abgrundtief schlecht? Oder haben sie auch gute Seiten?

LELL: Sie sind einfach nur Menschen. Keiner ist nur schlecht oder nur gut. Jeder hat gute und böse Momente bedingt durch die Situationen, in die er gerät. Und genau das ist es, was ich aus den Figuren extrahieren will. Ich betrachte mir diese Charaktere von den verschiedensten Seiten. Für mich gibt es den klassischen Opernbösewicht nicht mehr, sondern nur noch einen Menschen, der aus irgendeinem Grund böse handelt. Das kann er aber nicht die ganze Oper hindurch. Mich interessiert in erster Linie, warum er gerade dies oder das tut. Und dem versuche ich auf den Grund zu gehen. Und dabei kann man dann durchaus auf Menschliches, Ehrliches oder Sympathisches stoßen - genau wie bei Sparafucile, der ja nur aus einem Berufsethos und um seine Familie durchzubringen zum Auftragsmörder wird. Das tut er aber nicht aus Böswilligkeit, Wut, Eifersucht oder wie viele sonstige Massenmörder aufgrund psychischer Probleme. Solche Opernfiguren, die bisher immer nur als Bösewicht abgekanzelt geworden sind, finde ich sehr spannend. Sie interessieren mich. Bei ihnen versuche ich immer die anderen Seiten offenzulegen.

OF: Apropos andere Seite: Da gibt es im „Freischütz“ auch noch den sonst ach so lauteren Helden Max, der bei Ihnen aber ziemlich schlecht weggekommen ist.

LELL: Genau. Die nur Guten gibt es in meinen Inszenierungen genauso wenig wie die nur Bösen. Wenn man das Stück liest und sich die Musik anhört, kann man sich viele Fragen stellen, z. B. wieso Max gerade auf diese Weise handelt und sich derart verführen lässt. Niemand ist nur Opfer. Vielmehr hat jeder einen Grund, warum er sich in diese Funktion drängen lässt. Und diesen Fakt hinterfrage ich genauso wie die Beweggründe der sog. Bösewichter.

OF: Wenn man sich vergegenwärtigt, wie Sie selbst in den größten Opern-Schurken immer noch das Gute suchen, liegt es nahe, Sie als Humanistin unter den Regisseuren/innen zu titulieren. Würde diese Bezeichnung zutreffen?

LELL: Das sind große Worte, die sehr schön sind. Das müssen Sie von außen beurteilen. Mich interessieren die menschlichen Charaktere, was sicher eine humanistische Denkweise ist. Von dieser Warte aus betrachtet haben Sie vielleicht recht.

OF: Sie verstehen es ausgezeichnet, Figuren in ihrer komplexen Vielschichtigkeit nachzuzeichnen und den mannigfaltigen psychologischen Aspekten nachzuspüren. Ich nehme an, dass Sigmund Freud und C. G. Jung an Ihren Arbeiten ihre helle Freude gehabt hätten. Macht es eine Produktion spannender, wenn man die einzelnen Figuren durch eine psychoanalytische Brille betrachtet?

LELL: Auf jeden Fall. So etwas habe ich schon immer gerne gemacht. Auch im Privaten habe ich oft zugeschaut, wie Menschen reagieren und mir dabei überlegt, warum sie das gerade so tun. Für mich ist die psychologische Komponente das Interessanteste am Regieführen.

(c) SabineHaymann

OF: Sie bringen Ihre Konzepte immer sehr lebendig und spannend auf die Bühne. Wer hat Ihnen diese tolle Inszenierungstechnik vermittelt? Wo haben Sie studiert?

LELL: Wie ich bereits sagte, war ich Schülerin von unserem Operndirektor Wolf Widder. Darüber hinaus habe ich auch sehr viel assistiert, so bei Gabriele Rech, bei der ich die weibliche Hand des Regieführens  und das Nachdenken über die Werke gelernt habe. Bei ihr habe ich acht oder neun Assistenzen gemacht. Ich würde sagen, dass ich damals in der großen Gelsenkirchener Schule gelernt habe.

OF: Sie haben auch einen Abschluss in Bühnengesang. Ist es vorteilhaft, wenn Sie bei der Erteilung von Regieanweisungen wissen, wie der Gesangsapparat funktioniert? Wird die Arbeit mit den Sängern dadurch leichter?

LELL: Ganz gewiss! Unsere Opernsänger schätzen mich als ehemalige Sopranistin. Wenn man Gesang studiert hat, hat man gleichsam auch ein Musikstudium absolviert, weswegen man sich sehr gut in die Musik hinein versetzen kann und von ihr demzufolge eine Ahnung hat. Deshalb weiß ich auch, was ich von den Gesangssolisten verlangen kann. Ich kann sie manchmal sogar etwas weiter treiben als das Kollegen von mir machen, die nicht wissen, zu was Sänger in der Lage sind. Ich weiß, dass sie während sie singen zu viel mehr fähig sind und dass ihnen das oft sogar gut tut.

OF: Von 2009-2010 hatten Sie zusätzlich zu Ihren Pforzheimer Verpflichtungen noch einen Lehrauftrag für musikdramatischen Unterricht an der Musikhochschule Trossingen. Was für ein Gefühl war es für Sie zu unterrichten? Könnten Sie eine Hochschulprofessur auch für die Zukunft vorstellen?

LELL: Auf jeden Fall hat mir das Unterrichten, die Weitergabe meiner Erfahrungen an junge Sänger, unheimlichen Spaß gemacht. Trossingen konnte aber leider nicht weitergehen, weil ich dieses Stipendium vom Mathilde-Planck-Institut hatte und dieses dann auslief. Ich bin aber sehr daran interessiert, zusätzlich zu meiner normalen Arbeit auch noch weiter zu unterrichten, weil mir das großes Vergnügen bereitet.

OF: Vielen Dank für das Interview.

Ludwig Steinbach, 5. 2. 2014

 

 

 

 

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