SEMPEROPER BALLETT


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Der neue Abend des Semperoper Ballett
A Collection of Short Stories
Klassisch und modern
21.10.21
Eine große stilistische Vielfalt präsentiert das Semperoper Ballett in seinem neuen Programm mit dem Titel A Collection of Short Stories. Dieser bezieht sich auf das letzte (gleichnamige) Stück, welches nach der Pause uraufgeführt wurde. Die Choreografie des Amerikaners Nicholas Palmquist auf die gefällige Musik der kanadischen Komponistin Alexandra Stréliski ordnet die dreizehn Tänzer in teils sportiven, teils festlichen Kostümen von Palmquist selbst zu verschiedenen Formationen. Wenn einzelne Solisten im Zentrum vitale, aber auch lässige Auftritte haben, schauen die übrigen am Rand sitzend zu. Palmquist erdachte auch das Bühnenbild, eine schwarz/rot bemalte Wand im Hintergrund, und gemeinsam mit Fabio Antoci das Lichtdesign. Dieses erwies sich als Ärgernis, tauchte es doch die Tänzer in ein diffuses Halbdunkel, was ihnen einen Großteil der Wirkung nahm. Am Ende gibt es wandernde Spots und zur Musik der Berceuse einen sanften Abgesang des gesamten Ensembles.
Der erste Teil des Abends am 21. 10. 2021 bestand aus fünf Beiträgen, beginnend mit The Vertiginous Thrill of Exactitude von William Forsythe. Der Choreograf ist der Dresdner Company seit Jahren verbunden. Die fünf Tänzer zeigten sich dann auch seinem neoklassischen, von Balanchine beeinflussten Stil souverän gewachsen, imponierten mit Brillanz und synchronem Ablauf.
Für den Mittelteil hatte Ballettdirektor Aaron S. Watkin zwei Ausschnitte aus berühmten klassischen Balletten ausgewählt – zunächst den Pas de deux „Weißer Schwan“ aus seiner Version des Schwanensee, die er 2009 für das Dresdner Ensemble kreiert hatte. Sangeun Lee war eine aristokratisch kühle Odette, Gareth Haw ein Prinz Siegfried von verhaltener Aura. Watkin hatte auch den Pas de trois „Odalisques“ aus Le Corsaire bearbeitet und sich dabei auf die Originalchoreografie von Petipa gestützt. Gina Scott, Anna Nevzorova und Madison Whiteley als drei Haremsdamen brillierten in diesem Divertissement mit Tempo und Virtuosität.
Auf Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ in seiner Fassung für zwei Klaviere schuf David Dawson das Duett FAUN(E), das 2009 in London zur Premiere kam und von zwei Tänzerinnen oder zwei Tänzern interpretiert werden kann. In Dresden sorgten Jón Vallejo und Alejandro Martinez in raffinierten Wickelrock-Kostümen von Yumiko Takeshima mit ihrer kraftvollen wie sinnlichen Präsenz für einen reizvollen Auftritt. Höhepunkt vor der Pause war das Solo Still of King des finnischen Choreografen Jorma Elo auf Musik aus Haydns Sinfonie Nr. 100 in G-Dur, das er 2011 für Marcelo Gomes kreiert hatte. Der Erste Solist des Semperoper Ballett war auch an diesem Abend zu sehen und faszinierte in dieser Arbeit mit ihrer eigenwilligen Bewegungssprache. Erzählt wird eine Lebensgeschichte von der Jugend bis zum Tod, die in ihrem Stil zwischen Klassik und Moderne pendelt und damit das Thema des ganzen Abends widerspiegelt.
Bernd Hoppe, 28.10.2021
Pina Bauschs Tanzoper Iphigenie auf Tauris
5. Dezember 2019
Eine 45-Jahre alte Inszenierung überzeugt noch heute

Bei den antiken Griechen ging es, wenn man den Dramen des Tragiker Euripides (etwa 480 v. Chr. bis etwa 407 v. Chr.) folgt, ordentlich zur Sache. So opferte der Feldherr Agamemnon bedenkenlos seine Tochter Iphigenie, um einen Fluch der Jagdgöttin Diana, der wegen einer flapsigen Bemerkung des Heerführers erfolgt war, zu lösen und so den Trojanischen Krieg zu ermöglichen. Als der siegreiche Agamemnon nach zehnjähriger Abwesenheit nach Hause zurückkommt, wird er von seiner Gattin Klytämnestra wegen dieses Opfers der gemeinsamen Tochter ermordet. Klytämnestra hatte aber einen weiteren Antrieb zum Gattenmord: sie hatte sich inzwischen mit einem anderen Ehemann getröstet. Das wiederum war für Orest, den Bruder der Iphigenie, Anlass, die gemeinsame Mutter inclusive des Stiefvaters umzubringen.

Die Göttin der Jagd hatte aber das Opfer „Iphigenie“ nicht angenommenund die Geopfertein das Land der Tauren,auf die Halbinsel Krim „entrückt“, um dort als Oberpriesterin die Menschenopfer der dortigen Untertanen des Königs Thoas zu überwachen. Religionsgeschichtlich ist interessant, dass die vom Euripides im Amphitheater vorgeführten Götter gegen die Menschenopfer des Vor-Skythischen Volksstammes zu Felde ziehen. Im Verlaufe Euripides-Dramas „Iphigenie bei den Tauriern“ fühlt sich Diana von dem an ihrem aus Griechenland geraubten Altar vergossenem Menschenblut kompromittiert. So schafft sie im Handlungsverlauf zivilisierte Verhältnisse: Orest und sein Gefährte Pylades sind nach Tauris geschickt, um den Altar der Jagdgöttin nach Hause zu holen. Dank des direkten Eingreifens der Göttin wird Thoas, der König der Taurer,gehindert die beiden Ankömmlinge zu opfern. Iphigenie, der vom Muttermord entsühnte Orest und Pylades konnten mit dem Diana-Altarnebst den in Taurus Versklavten nach Griechenland zurückkehren. Iphigenie wird Ober-Priesterin der Jagdgöttin in Athen.

Neben einer Vielzahl weiterer Nachschöpfungen komponierte Christoph Willibald Gluck (1714-1787) mit einem nach Euripides geschriebenen Libretto von Nicolas Franҫois Guillard (1752-1814) eine wunderbare Oper.
Die hochkreative Choreographin Pina Bausch (1940-2009) hat 1974 mit ihrem Wuppertaler Tanztheater, aus Glucks Operein Ballett-Oratorium „Iphigenie auf Tauris“ gestaltet. Dank einer Kooperation des „Semperoper Balletts“ und der „Pina Bausch Foundation“ in Zusammenarbeit mit dem „Tanztheater Wuppertal Pina Bausch“ erlebte ihre „Tanzoper in vier Akten nach der gleichnamigen Oper von Christoph Willibald Gluck“ am 5. Dezember 2019 ihre Dresdener Premiere.
Die Choreographin hatte ein außergewöhnliches Talent für das Erzählen von schweren konfliktbeladenen Mythen und Geschichten ohne deren Frische und Essenz zu gefährden. Durch vitalen und ausdrucksstarken Tanz konnte sie die Grenzen zwischen Musik und den dramatischen Elementen der griechischen Tragödie auflösen. Die anmutigen Tanzszenen mit der Minimalität von Szene und Einfachheit der Kostüme entführen gemeinsam mit der erhabenen Kraft der der Musik Glucks das Publikum auf eine moderne Reise der Gefühle.

Sänger und Tänzer wirkten zusammen, aber von verschiedenen Orten aus, um jeder mit seiner Kunst den Figuren der Geschichte Leben einzuhauchen. Die Tänzer des Semperoper-Balletts beanspruchen die Bühne, die Sänger kommentierten von beiden Seiten aus den Proszeniumslogen die Tanzszene. Der Staatsopernchor war gemeinsam mit den Musikern der Staatskapelle in den Graben verbannt.
Die musikalische Leitung hatte der englische Dirigent Jonathan Darlington übernommen, der schon mehrfach im Graben des Hauses Gast gewesen war. Der 1958 Geborene beeindruckte am Premierenabend mit seinem Gespür für Tempo und Dramatik. Einfühlsam gelang es ihm, mit den hervorragend aufgelegten Musikern der Staatskapelle, die Tänzer und Sänger zusammen zu führen, sowie den Chor trotz der schwierigen räumlichen Verhältnisse zu integrieren.
Die promivierte Schweizer Sopranistin Gabriela Scherer verkörperte die Stimme der Iphigenie mit einem wunderbar warmen, ebenem Sopran und sicherer Intonation. In Erinnerung bleibt als besonders beeindruckend ihre große Arie im zweiten Akt, wenn sie den Untergang ihrer Familie beklagt.

Den König der Taurer Thoas sang der seit Saisonbeginn dem Ensemble angehörige und inzwischen viel beschäftigte Bassbariton Lawson Anderson. Mit seiner kraftvoll, dunkel gefärbten Stimme und seiner differenzierten Phrasierung bot der noch junge Amerikaner etwas Besonderes.
Der Bassbariton Sebastian Wartig, 1989 in Dresden geboren, bis 2008 im Kreuzchor beheimatet, ist über das Junge Ensemble zum Hausensemble gekommen. Mit seiner gut geführten, schön timbrierten Artikulation gab er dem Orest mit Präzision und Beweglichkeit eine Stimme.
Mit seinem geschmeidigen klangschönen, aber leider etwas schmalen Tenor verkörperte der Texaner Joseph Dennis aus dem Ensemble den Pylades. Die seit 1989 dem Ensemble angehörende Koloratur-Sopranistin Roxana Incontrera brachte engagiert und pointiert mit musikalischer Präzision die Stimme der Diana von der Loge. Der von Gerd Amelung vorbereitete Chor flehte, klagte und beeindruckte vor allem mit dem Schlusschor.
Für die Tanzdarbietungen waren vom Tanztheater Wuppertal Clémentine Deluy und Dominique Mercy als künstlerische Leitung engagiert worden und außerdem mit der Einstudierung der Hauptpartien beauftragt. Den Tänzer des Thoas hatte Andrey Berezin vorbereitet. Die Gruppen hatten Fernando Suels Mendoza und Barbara Kaufmann sowie Thusnelda Mercy trainiert.
Insbesondere den Solisten des Semperoper Balletts gelang es wieder einmal, mit dem Niveau ihrer tänzerischen Leistungen zu überzeugen. An der Spitze die Darstellerin der Iphigenie Sangeun Lee. Die aus Seoul stammende Tänzerin, 2010 zum Ensemble gekommen, ist seit 2016 Erste Solistin. Die technischen Voraussetzungen der anspruchsvollen Partie zu bewältigen, ist die eine Sache. Ihr aber auch Persönlichkeit zu verleihen, die andere. Beides war ihr aber in hohem Masse gelungen.

Der Kanadier Casey Ouzounis war 2014 über das Elevenprogramm der Palucca-Hochschule zum Ensemble gekommen und ist seit 2017 Coryphée. Mit einer vielschichtigen Bewegungssprache tanzte er den Finsterling Thoas. Auch der aus Italien stammende und in Mailand ausgebildete Francesco Pio Ricci, seit 2011 im Semperoper-Ballett und seit 2018 Solist, konnte als Orest mit seiner Bildsprache und Ästhetik überzeugen. Vom Ballettdirektor Watkin in New York entdeckt und 2013 nach Dresden geholt, hat sich inzwischen Julian Amir Lacey zum Sujet der Company entwickelt. Mit seiner Pylades-Interpretation verkörpert er glaubwürdig die Emotionen dieser Figur.
Die Gruppentänze begeisterten mit ihrem klaren Ausdruck und zeugten in ihren Formationen von der Professionalität der Dresdener Truppe.
Das faszinierende am Abend bleibt, dass nicht nur der über 2500-Jahre alte Stoff des Euripides noch immer lebendig geblieben ist, aber vor allem, dass die inzwischen vor 45 Jahren entstandene Arbeit der Künstler um Pina Bausch mit ihrer Ausdruckskraft, ihrem charakteristischem Stil noch immer modern daherkommen und die Freunde des klassischen Balletts mit seiner humanistischen Aussage mitreißen kann.
Die Ovationen des von der Anspannung etwas erschöpften Publikums begannen etwas zäh, steigerten sich dann aber im Verlauf der folgenden gefühlten fünfzehn Minuten stürmisch bis zu stehenden Ovationen.
Autor der Bilder: Ian_Whalen
Thomas Thielemann 6.12.2019
Glanzvoller Schwanensee beim Semperoper Ballett
24. 5. 2019
Aufführungen mit gastierenden Startänzern sind für Ballettomanen stets eine willkommene Gelegenheit, auch bereits mehrfach gesehene Produktionen nochmals zu besuchen. So am 24. 5., als in Aaron S. Watkins Schwanensee aus dem Jahre 2009 der brasilianische Super-Ballerino Marcelo Gomes erstmals in Dresden auftrat. Zwanzig Jahre tanzte er beim ABT New York – eine erste Adresse in der Ballettwelt – und ist Träger höchster internationaler Auszeichnungen, wie dem Prix de Lausanne oder dem Benois de la Danse. Mit 39 Jahren ist Gomes mittlerweile ein reifer Tänzer, doch sein Prinz Siegfried war noch immer erfüllt von jugendlichem Charisma, blendender Erscheinung und beachtlichem technischem Vermögen. Neben ihm behauptete sich die Italienerin Alice Mariani, Ensemblemitglied und seit 2017 Solistin, in der Doppelrolle der Odette/Odile. Nach einer eleganten und sicher absolvierten Variation zelebrierte sie mit ihrem Partner den Pas de deux im Weißen Bild in aristokratischer Manier und den Auftritt beim Fest, der hier zum Pas de trois mit dem Zauberer Rotbart (von bedrohlicher Aura: Gareth Haw) erweitert ist, mit stupenden technischen Finessen und tückisch-höhnischem Ausdruck. Gomes gefiel in dieser Nummer mit einer leichtfüßigen Variation und emphatischer Hingabe an seine Partnerin. Benno von Sommerstein, der beste Freund des Prinzen, ist in dieser Fassung eine sehr virtuos angelegte Rolle und Alejandro Martínez erfüllt diesen hohen Anspruch imponierend. Schon im Pas de sept des 1. Bildes (eine selten zu sehende Variante) fiel er mit seinen munteren Sprüngen auf und glänzte dann nochmals in der Mazurka mit flinken Schrittkombinationen. Wirkungsvolle Nationaltänze bereicherten diese Szene. Das hohe Niveau des Corps de ballet verlieh den Weißen Bildern Noblesse und Magie. Für die Formationen der 24 Schwäne fand Watkin interessante neue Lösungen.
Die gediegene Ausstattung von Arne Walther mit gotischem Märchenschloss und einem See mit dornigem Geäst sowie den prachtvollen historischen Kostümen von Erik Västhed gibt der Aufführung den gebührenden Rahmen. Bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden saß nicht jeder Ton am richtigen Platz, aber der straffe Zugriff des amerikanischen Dirigenten Nathan Fifield überzeugte. Er hielt stets die Balance zwischen pompösen Klängen, lyrischer Zartheit und dramatisch packenden Passagen.
Bern Hoppe 28.5.2019
Bilder folgen
COW
Premiere: 12. März 2016
Wiederaufnahme am 3. April 2019
Wenn ihr nicht werdet wie die Kühe…

Eine Kuh, die stundenlang genussvoll das im Magen fermentierte Raufutter wiederkäut und wie nebenbei ihre sonstigen Grundbedürfnisse befriedigt, ist ein Symbol der inneren Ruhe. Dabei wird eiweißarmes Futter in hochwertiges Fleisch und fettreiche Milch umgewandelt.
Mit der Intensivtierhaltung, unabhängig ob zur Mast oder zur Milcherzeugung, verweigert der Mensch den Rindern diese Grundbedürfnisse. Damit die Tiere nicht die Einstreu fressen, werden sie auf Gummimatten gehalten. Mit Hochenergie-Futter wird den Tieren sogar das Wiederkäuen zunehmend abgewöhnt.
Diese Dramatik einer Nutztiergattung ist für mich der eigentliche Hintergrund des Ballettabends „Cow“ in der Semperoper. Vier Kreative, an der Spitze der schwedische Choreograf Alexander Ekman hatten mit elf Szenen den betrachtenden Charakter dieser Lebewesen, wie „ ein Symbol des Seins“ auf die Bühne gebracht.

Der Komponist Mikael Karlsson steuerte eine Musik bei, die vom Bundes- Jugendorchester eingespielt, elektronisch verfremdet und neu gemischt wurde. Eine mehrere Minuten dauernde Abfolge von „Kuh-Mooings“ erzeugt dabei eine Atmosphäre, die den Tänzern ihre Einsätze und welche Rhythmen sie halten sollen vorgeben. Die Tänzer ergänzen die Musik, indem sie sprechen, schreien und Skyler Maxey-Wert, begleitet von Caroline Beach, am Ende sogar ein Lied „Nothing Moves a Cow“ zu Gehör bringt.
Die Kostüme hat der skandinavische Modedesigner Henrik Vibskov von bizarr bis elegant den Szenen angepasst. Da sind hautfarbene enge Kostüme, schwarze Anzüge und weite weiße Röcke, ergänzt durch verrückte Hüte, bunt gemischt.
Ekmans dritter Partner war der amerikanische Multimedia-Experte TMRives. Er dokumentierte zunächst die Entstehung des Balletts, wie die Protagonisten auf der Weide und in Kuhställen Milieustudien machten, der Tänzer Christian Bauch sich auf allen Vieren mit scheinbar stumpfsinnigen Gesichtsausdruck durch Betriebsräume des Semperbaus oder Bereiche der Dresdner Innenstadt bewegt.

Der Einsatz von lebenden Kühen auf der Bühne war Ekman abgelehnt worden, da die Gefahr unkontrollierten Laufens und die Absonderung von Kuhpasteten höchst wahrscheinlich geworden wären, so dass lebendgroße Plastikkühe zum Einsatz kommen. Dafür hat Ekman der Hydraulik der Bühnentechnik ordentlich zu tun gegeben.
Der Ballettabend „COW“ besteht aus elf Szenen, in denen Solos, Pas de Deux und Gruppentänze abwechseln oder auch nur mit bewegten Tüchern bunt gemischt sind. Dabei werden menschliche Verhaltensformen in vielfältiger Weise tänzerisch dargestellt und von Plastik-Kühen, eine hängt ständig über der Szene, oder dem Christian Bauch auf allen Vieren, kommentiert. Da ist viel Gesellschaftskritik im Spiel, wenn Gruppenzwang, Gruppeninstinkt, das Verhalten gegenüber Individualisten und Außenseitern, das Helfen bei individuellen Schwächen sowie das Aufgehen von Paarbeziehungen in der Gruppe kommentiert werden. In der Szene „Stampede“ wird das Verhalten von Menschen unter den Bedingungen einer Kuhstall-Unterbringung thematisiert. Die Szene „Hufe“, bei der den Tänzern Holzklötze unter den Schuhen zur Erzeugung von Knallgeräuschen angebracht sind, glaube ich als Militär-Persiflage erkannt zu haben.

Die beiden Eckszenen haben einen gewissen Schlüsselcharakter, wenn am Beginn als „Regel“ die gesellschaftliche Tretmühle im Broterwerb, den Familienbeziehungen, den alltäglichen Abläufen bis fortlaufendes Anrennen an eine Wand dargestellt und nahtlos in eine Gruppe weidender Kühe überführt wird.
In der abschließenden Szene „Räume“ wird mit der Aufteilung der Bühnenfläche in Parzellen und deren Ausgestaltung mit Hausrat, Gartengerät und Picknick in spießige Bereiche gesellschaftliches Umfeld persifliert. Der zunächst als „Kuh“ das Geschehen beobachtende Christian Bauch richtet sich auf und verlässt aufrecht die Bühne.
Getanzt wird auf einem hohen Niveau. Die Tänzer des Staatsopernballetts zeigen wieder einmal, was sie drauf haben.
Wir haben seit dem Premierenabend am 12.März 2016 den immer etwas weiter entwickelten Ballett-Abend zum dritten Mal erlebt, dabei jedes Mal neue Details entdecken dürfen und waren auch immer wieder fasziniert.

Das Anliegen des Ballettabends ist einfach zu erfassen, aber die Folgerung, “so wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in das Himmelreich“ (frei nach Friedrich Nietzsche) wird beim Publikum kaum durchschlagen. Da ist für die Gesellschaft eher die Parallele zur Massentierhaltung wahrscheinlich.
Begeisterter Jubel der überwiegend jungen Besucher im fast ausverkauften Semperbau.
Übrigens: Der Choreograf Alexander Ekman wurde für seine mit dem Semper-Ballett erarbeitete Choreographie „COW“ mit dem deutschen Theaterpreis „Faust“ 2016 ausgezeichnet.
Thomas Thielemann 4.4.2019
Bilder (c) T.M. Rives
LABYRINTH
am 2.11.2018
Vielschichtiger Ballettabend

70 Jahre Tanzgeschichte umspannt der neue Abend beim Semperoper Ballett, der mit Labyrinth überschrieben ist. Auf dem Papier war das eine reizvolle Konzeption, aber die Premiere am 3. 11. 2018 zündete nicht und fiel in der Spannung gegen Ende sogar noch ab. Das vierteilige Programm begann mit George Balanchines 1946 in New York uraufgeführter Choreografie Die vier Temperamente auf die gleichnamige Komposition von Paul Hindemith. In der streng reduzierten Ausstattung tanzten die Solisten in Trikots – nichts lenkte ab von der neoklassischen Schöpfung mit ihren ausgezirkelten Formationen, die von den Tänzern mit Leichtigkeit und eleganter Attitüde ausgeführt wurden. Aber die durchaus solide und exakte Wiedergabe wirkte insgesamt doch recht brav.

Nur ein Jahr später entstand Martha Grahams Ballett Errand into the Maze, das auf dem Ariadne-Mythos fußt. Gian Carlo Menotti schrieb dafür die Musik, die von der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Nathan Fifield mit gebotener Schärfe musiziert wurde. Das Orchester spielte verdienstvollerweise alle vier Teile der Programmfolge live und erwies sich als souverän in den unterschiedlichen Musikstilen. Isamu Noguchis Bühne erinnert in ihrer Ornamentik an Mirò. Die Kostüme entwarf die Grand Dame des Modern Dance selbst – für Ariadne, die sie in der New Yorker Uraufführung kreierte, ein weißes Gewand, für den Minotaurus, der das Gespenst der Angst symbolisiert, ein schwarzes Trikot. Duosi Zhu absolvierte den weiblichen Part des Stückes in seiner statuarischen Strenge zuverlässig, ohne in ihrer Aura das nötige Maß an Faszination zu erzielen. Auch Christian Bauch als Minotaurus blieb unauffällig.

Zähflüssig begann Ohad Naharins Choreografie Black Milk auf Paul Smadbecks sphärische Musik für zwei Marimbafon-Spieler. Später entwickelt sich der Tanz zu sportlich-vitalen Passagen, zeigt auch erotische Partnerbeziehungen unter den fünf männlichen Solisten, aus denen Jón Vallejo mit kraftvoller Energie herausragt. Überraschend ist das abrupte Ende dieser Arbeit.
Eine Uraufführung markierte den Schluss des Abends – Joseph Hernandez’ Songs for a Siren, wofür Barret Anspach als Auftragskomposition der Sächsischen Staatsoper Dresden die Musik gleichen Titels fertigte. Sie bietet mit viel Schlagwerk lärmende, klopfende, peitschende Geräusche, dann wieder softe Passagen, fällt aber immer wieder in einen nervösen Klangduktus zurück.

Die Ausstatter Yannick Cosso und Jordan Pallagès entwarfen eine Arena-artige Bühne, welche die Solisten einschließt. Neben choreografischem Stillstand sah man derbe, aggressive Momente, welche Angst und Verzweiflung symbolisieren, dann wieder solche von aufkeimender Hoffnung. Svetlana Gileva war die geheimnisvolle Lady in Green; Sangeun Lee und Christian Bauch gaben mit bizarrer Körpersprache Two figures in Black.
Bilder (c) Ballett Dresden
Bernd Hoppe 6.11.2018