DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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LEIPZIG BALLETT

Interview mit Ballettdirektor Mario Schröder

(c) Ida Zenna

 

 

Dreiklang beim Leipziger Ballett

Soto/Scholz/Schröder heißt der neue dreiteilige Abend beim Leipziger Ballett, der mit den unterschiedlichen Handschriften dreier Choreografen die Vielseitigkeit der Compagnie eindrucksvoll beweist. Eigentlich müsste der Titel des Programms Scholz/Soto/Schröder lauten, denn in dieser Reihenfolge werden die Arbeiten gezeigt. Zu Beginn also Uwe Scholz mit seiner Choreografie zu Robert Schumanns Zweiter Sinfonie, die bereits in Monte-Carlo, Wien, Düsseldorf, Berlin und Dresden zu sehen war – 1998 auch schon in Leipzig. Seine Umsetzung der Musik in den Tanz erwies sich auch an diesem Abend als klassisch und zeitlos gültig. Zwei Solo- und zehn Gruppenpaare stellt Scholz in vielfältigen Formationen auf. Madoka Ishikawa und Marcos Vinicius da Silva sowie Diana Sandu und Carl van Godtsenhoven können sich hier eindrucksvoll profilieren, vor allem mit der gefühlvollen Interpretation des visionär-entrückten 3. Satzes Adagio espressivo. In starkem Kontrast dazu die Körperspiralen und -kreisel im 4. Satz Allegro molto vivace. Am Ende bleiben die beiden Solotänzerinnen zurück, die die Choreografie wie ein Zwillingspaar mit synchronen Figuren eröffnet hatten. Das Gewandhausorchester Leipzig hat Tradition mit dieser Komposition Schumanns, denn hier wurde sie 1846 uraufgeführt. Davon profitierte auch die Wiedergabe bei der Premiere dieses Ballettabends am 14. 5. 2022 unter Matthias Foremny mit gleichermaßen empfindsamer Lyrik wie rhythmischer Impulsivität. Wie zumeist zeichnete Scholz auch für die Ausstattung und das Licht verantwortlich. Vor weißen, farbig umrandeten Bildtafeln kommen die Tänzer in blauen Trikots zu effektvoller Wirkung. Es ist verdienstvoll, dass Ballettdirektor Mario Schröder das künstlerische Erbe des einstigen Chefchoreografen kontinuierlich pflegt und dessen Arbeiten immer wieder ins Repertoire der Compagnie aufnimmt.

Nicht weniger wichtig ist es, junge, unbekannte Choreografen vorzustellen. Davon zeugt der Mittelteil des Programms mit einer Arbeit des spanischen Choreografen Cayetano Soto, betitelt Uneven.

Die musikalische Folie bildet eine minimalistische, doch monotone Komposition für Cello und Audioplayback von David Lang mit dem Titel „World to come“. Nicolas Defranoux spielt sie live auf der leeren Bühne, deren Boden der Choreograf weiß ausgekleidet hat. Ein Ärgernis aber ist das Licht von Seah Johnson, der blendende Scheinwerfer ins Publikum richtet, was die vier Tänzerpaare in diffuses Halbdunkel versetzt. Sie agieren mit exzentrischen Bewegungen, doch ohne erkennbare choreografische Handschrift.

Beim letzten Teil des Abends, einer choreografischern Uraufführung von Mario Schröder mit dem Titel Cocoon, kommt das Gewandhausorchester wieder zum Einsatz. Aaron Coplands Konzert für Klarinette spielt Andres Lehnert als Solist; Bühne und Kostüme entwarf Paul Zoller. Die Optik ist asiatisch inspiriert, vor allem bei den Tänzern in roten Overalls mit Fledermausärmeln. Die Choreografie ist ebenso verrätselt wie die Videos auf der Rückwand. Mit Schmetterlingen, Insekten und Pflanzen bringen sie anfangs eine exotische Stimmung ein, lösen sich allmählich in ein geometrisches Raster auf und gehen dann in eine nächtliche Großstadtszenerie mit Wolkenkratzern über. Möglicherweise soll hier die Zerstörung der Natur durch die Technik angesprochen werden. Tänzerisch bleibt vor allem das Solo von Fang-Yi Liu in Erinnerung, die damit ihren letzten Auftritt bei der Compagnie absolviert. Im plissierten blauen Seidenanzug trippelt sie zu Beginn in fremdartiger Manier und wird gedoubelt von Jeanne Baudrier im Hintergrund. Mit ihrer reichen Erfahrung gelingt es ihr, fernöstliches Vokabular mit europäischem Tanzempfinden zu verbinden. Dennoch hinterlässt auch am Ende des Abends die Arbeit von Uwe Scholz den stärksten Eindruck.

Bernd Hoppe, 21.5.22

 

 

Faust als Tanzdrama

Es war eine glänzende Idee des Ballettdirektors Mario Schröder, den slowenischen Choreografen vom Nationaltheater

Maribor, Edward Clug, für eine Produktion nach Leipzig zu verpflichten. Die Wahl fiel auf Faust nach Goethes Dichtung mit der Musik von Milko Lazar. Die Bühne mit Himmelsprojektionen und einer transparenten Box baute Marko Japeli, die Kostüme im biedermeierlichen bis modischen Stil entwarf Leo Kulas.

Die Eingangsszene führt in Fausts Studierzimmer mit dem Gelehrten im Rollstuhl; seine düsteren Gedanken werden durch dunkle Engel, die auf dem Boden mit den Flügeln schlagen oder zittern, personifiziert. Seine Absicht, sich das Leben zu nehmen, wird von einer himmlischen Gestalt im weißen Trikot, einer Sybil (Soojeong Choi), vereitelt. Mit dem Auftritt der grölenden Studenten in blauen kurzen Hosen kommt Leben in das Geschehen. Mit ihren Bierflaschen stampfen sie ausgelassen, unter ihnen Mephisto, erkennbar an seinen roten Schuhen. Andrea Carino mit seiner charismatischen Aura und sinnlichen Körperlichkeit ist eine stimmige Besetzung. Als schwarzer Pudel in Form eines Luftballons verschafft er sich Zugang zu Fausts Zimmer. In der Box, wo zuvor anlässlich des Osterfestes eine Auferstehungsprozession gezeigt wird (mit David Iglesias Gonzales als Jesus), erfolgt die Unterzeichnung des Vertrages zwischen dem nunmehr verjüngten Faust und Mephisto. Beide finden sich danach zu einem übermütigen Tanz zusammen. Gretchen, die mit einem Bierkasten auftritt und die leeren Flaschen einsammelt, ist in Gestalt von Natasa Dudar ein heutiger Typ. Ihre erste Begegnung mit Faust ist eine originelle choreografische Lösung, denn auch Mephisto und Marthe (streng und exzentrisch: Ester Ferrini) treffen sich und die beiden Paare werden in ihrem Bewegungsduktus absolut synchron geführt. Bei der Rückkehr von Gretchens Bruder Valentin (viril: Carl van Godtsenhoven) aus dem Krieg wandelt sich die Musik von gefälligen in martialisch-dissonante und schmerzende Klänge. Die Szenen zwischen den Geschwistern sowie zwischen Valentin und Faust sind packend und gehören zu den stärksten der Choreografie.

Deren unbestrittener Höhepunkt aber ist die Walpurgisnacht im Zweiten Teil. In bizarren Kostümen sitzen Fabelwesen an einer Tafel, darunter Schweine mit monströsen Ohren, Motten, Schnecken und goldene Göttinnen auf Kothurnen. Hauptfigur ist ein Satyr, den Marcos Vinicius Da Silva in extravagantem Gestus gibt. Nach dem Mord an ihrem Kind, das sie im Kinderwagen ertränkt, findet sich Gretchen in der Box wieder, umgeben von mehreren Doubles. Nach der 4. Vorstellung am 1. 4. 2022 feierte das Publikum alle Interpreten begeistert, auch den Dirigenten Matthias Foremny, der mit dem Gewandhausorchester Lazars Musik differenziert und klangvoll zum Erklingen brachte,

Bernd Hoppe, 11.4.22

 

 

LAMENTO

Choreografie: Mario Schröder 

Musikalische Leitung: Christoph Gedschold

Premiere: 8. Februar 2020

GEGEN DAS VERGESSEN 

Die Zukunft gehört denen, die an die Wahrhaftigkeit ihrer Träume glauben (Eleanor Roosevelt)

 

Liebe, Trauer, Abschied und die Sehnsucht nach Freiheit – um diese Themen kreist der zweiteilige Abend von Mario Schröder, Ballettdirektor und Chefchoreograf der Oper Leipzig.

Im ersten Teil, >Blühende Landschaft<, (UA 2013) entwirft der Choreograf Schröder einen imaginären Sehnsuchtsort der Tänzerinnen und Tänzer des Leipziger Balletts. Viele der Kompaniemitglieder kommen aus Ländern, die von Unfreiheit und Konflikten bestimmt werden. Das Motiv der Flucht, des Abschieds aus der Heimat, der Ankunft in der neuen Heimat, der Orientierung und Integrierung ist heute, und nicht nur heute, eine hochpolitische Frage.

Die Choreografie Mario Schröders beruht auf den Gegensätzen zwischen der eher ruhigen tänzerischen Darstellung des klassischen Balletts und des dynamischen bewegungsorientierten modernen Tanztheaters. Wobei für Schröder Tanztheater Ballett und Ballett Tanztheater, Tanz ganz allgemein als Bewegung, bedeutet. (Interview Februar 2020).

 

Die fünf Teile tragen die Überschrift:

ANKUNFT 

Johann Sebastian Bach: Cantata BWV 21, Sinfonia: Ich hatte viel Bekümmernis, Udo Zimmermann: Lieder von einer Insel 1: Ich hab im Traume geweinet (Heinrich Heine)

REFLEXION

Udo Zimmermann: Lieder von einer Insel 2: Reflexion (>Lieder von eine Insel, Ingeborg Bachmann<), Johann Sebastian Bach: Doppelkonzert BWV 1060, 1. Satz

VERSÖHNUNG

Udo Zimmermann: Lieder von einer Insel 3: Versöhnung (>Versöhnung, Else Laske Schüler<), Johann Sebastian Bach sein Doppelkonzert BWV 1060 für Violine + Oboe
3.Satz (>Indulgeam ubi est culpa<, Lass mich verzeihen, wo Schuld ist, Franz von Assisi)

AUFBRUCH

Udo Zimmermann: Lieder von einer Insel 4: Aufbruch, (>Hyperions Schicksalslied<, Friedrich Hölderlin), Johann Sebastian Bach: BWV 156, >Ich steh mit einem Fuss im Grabe<

ERINNERUNG

Udo Zimmermann: Lieder von einer Insel 5: Erinnerung,
Johann Sebastian Bach: Konzert für Oboe d’Amore, BWV 1055, 2. Satz

Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Christoph Gedschold interpretierte die sehr unterschiedliche Musik der beiden Komponisten gekonnt mit viel Empathie und professioneller Präzision.

Die Solistinnen und Solisten im Orchester: Veronika Wilhelm, Violoncello, Yun-Jin Cho, Violine, Henrik Wahlgren, Oboe und Oboe D’Amore, Andres Otin Montaner, Oboe und Marianne Salmona, Continuo.

Die Solotänzerinnen und Solotänzer auf der Bühne: Marcos Vinicius da Silva, Laura Costa Chaud, Luke Francis, Oliver Preiss, Urania Lobo Garcia und Lou Thabart. Dazu die ganze Ballett Compagnie Leipziger Ballett.

Der tänzerische Ausdruck in diesem ersten Teil des Abends kann nicht genug hervorgehoben werden. Dies gilt nicht nur für die Solotänzerinnen und Solotänzer, sondern für jedes einzelne Mitglied des Leipziger Balletts.

Paul Zoller war für die Bühne, die Kostüme und die dramaturgisch hervorragend eingesetzten Videoeinspielungen in beiden Teilen des Abends verantwortlich. Ganz speziell erwähnenswertauch die Lichtführung, entworfen von Michael Röger. Das Licht-Design unterstützte optimal die zu tanzenden Emotionen und darzustellenden Gefühlswelten.

Im zweiten Teil des Abends, inszeniert Mario Schröder mit dem Ballett Leipzig die choreografische Uraufführung >Sinfonie der Klagelieder<.

Die Musik dazu: Henryk Mikolaj Gorecki > Sinfonie der Klagelieder, Op. 36<.

Der polnische Komponist verarbeitete darin im ersten Satz ein Klagelied Marias aus dem 15. Jahrhundert, im zweiten Satz ein Gebet aus der Zelle des Gestapo-Hauptquartiers  und als Abschluss im dritten Satz ein Volkslied, in welchem eine Mutter ihren toten Sohn beklagt.

Die Solistinnen und Solisten im zweiten Teil des Ballettabends: Lou Thabart, Urania Lobo Garcia, Fang Yi Liu, Carl van Godtsenhoven, Anna Jo, Marcos Vinicius da Silva und Madoka Ishikawa.

Das gesamte Ballett Leipzig tanzt mit einer Hingabe an das Werk, welche tief berührt.

Die Choreografie Schröders und die Mantra-artigen Cluster der Komposition erlauben den Zuschauerinnen und Zuschauern ein starkes Erlebnis, ein sich Zurückbesinnen auf die eigene Befindlichkeit.

Nicht zu unterschätzen ist auch die herausragende Interpretation der Texte durch die Sopranistin Lenka Pavlovič, welche dank ihrer Intonation, Diktion und emotionalen Tiefe den Eindruck des Tanzes verstärken.

Die Stabführung von Christoph Gedschold lässt das Gewandhausorchester zu einer Glanzleistung der nicht einfach zu interpretierenden Komposition auflaufen.

Die drei Sätze von Góreckis Sinfonie:

1. LENTO

Sostenuto tranquillo ma cantabile >Klagelied aus dem Heiligkreuz Kloster aus den „Liedern aus Łysa góra“, Zweite Hälfte 15. Jahrhundert<

2. LENTO E LARGO

Tranquillissimo – cantabillissimo – dolcissimo – legatissimo >Gebet, an die Wand Nr. 3 der Zelle 3 im Keller des >Palace<, dem Gestapo-Hauptquartier in Zakopane; es trägt die Unterschrift:> Helena Wanda Błażusiakówna, 18 Jahre alt, in Haft seit dem 25. September 1944<

3. LENTO

Cantabile– semplice >Volkslied im schlesischen Dialekt der Gegend um Oppeln<

Die Choreografie von Mario Schröder bescherte dem zahlreich erschienenen Leipziger Publikum ein unvergessliches Erlebnis >GEGEN DAS VERGESSEN<

Dieses Publikum belohnte das gesamte Team auf und hinter der Bühne sowie das Gewandhausorchester und seinem Dirigenten mit einer lang anhaltenden Standing Ovation. Und dieser Applaus war mehr als verdient.

 

Peter Heuberger, Basel

Fotos © Ida Zenna

 

 

 

SCHWANENSEE

04.10.2019

 

Der unverwüstliche Ballettklassiker SCHWANENSEE ohne Prinzen? Geht das überhaupt? Ja, es geht – und wie! Der Leipziger Ballettchef Mario Schröder stellt eine moderne Prinzessin anstelle eines mehr oder minder psychisch angeschlagenen Prinzen ins Zentrum seiner am 6. Mai 2018 uraufgeführten Version von Tschaikowskis Meisterwerk. Eine junge Frau auf der Suche nach ihrem wahren Ich, gefangen in einem Rokoko-Palast, dessen Wände aus ganz eigenartiger Perspektive nach oben weisen, zugleich beängstigend sind und doch einen Fluchtweg aus dem goldenen Käfig aufzeigen, in welchem die junge Frau gefangen ist. Denn ihre familiäre und gesellschaftliche Umgebung hat kein Verständnis für die Sehnsüchte und Leidenschaften der Prinzessin. Sie soll einen standesgemäßen Mann ehelichen. Ihr Stiefvater ist Rotbart (mit starker Bühnenpräsenz und kraftvoll-geschmeidiger Attitüde: Marcos Vinicius da Silva), ein selbstbewusster und tyrannischer Macho, der zudem seiner Stieftochter gnadenlos nachstellt, sie sexuell bedrängt.

Die Mutter (großartig getanzt von Fany-Yi Lu, mit wunderbar biegsamen und fließenden Bewegungen) ist eiskalt und distanziert, weiß um die Übergriffe ihres Mannes – und tut nichts, sondern schaut weg, lässt ihre Tochter in ihrer Qual allein. Die Aufwertung dieser Figur, weg vom rein pantomimischen anderer SCHWANENSEE Aufführungen stellt einen der vielen Pluspunkte dieser Choreografie dar. Die Prinzessin wird von Urania Lobo Garcia grandios verkörpert. Sie zeigt die Verunsicherung des Mädchens an der Schwelle zum Erwachsenwerden, ihre Träume, Wünsche, Fantasien, aber auch ihre Verletzlichkeit auf berührende Art und Weise, mit fantastischer tänzerischer Kraft. Immer wieder fällt sie quasi in sich zusammen, blüht dann aber wieder auf (in den beiden „weissen“ Akten), wenn sie sich in ihre Traumwelten flüchtet. Diese Welten werden ihr von ihrem Lehrer Benno (ausdrucksstark in seinen Facetten, und doch nie aufdringlich: Lou Thabart) geöffnet, einem kunstsinnigen Menschen, der auch die Ambiguität der Geschlechter verkörpert, ein Mann mit vielen weiblichen Seiten. Diese Mehrdeutigkeit der Geschlechterrollen setzt Mario Schröder in seiner stupenden Choreografie in den weissen Akten II und IV konsequent um, indem er das Corps der Schwäne mit Frauen UND Männern besetzt – was auch tänzerisch ganz wunderbar funktioniert.

Genial ist in diesen beiden Akten die Bühnen- und Videogestaltung von Paul Zoller: Er lässt die Rokokowände hochfahren und senkt eine gigantische Spiegelwand auf der Bühnenhinterseite schräg gestellt ein. Diese Spiegelung (trifft für einmal nicht das Publikum) ermöglicht den Zuschauern im Saal nicht nur in die Fantasy-Atmosphäre der Schwanen-Akte einzutauchen, sondern ermöglicht Blickwinkel auf die Choreografie quasi von oben, so dass man die Formationen und Soli nicht nur von vorne, sondern eben auch aus anderer Perspektive genießen kann. Atemberaubend, was sich hier – unterstützt von Wellen und Federn als Videos – abspielt, wunderbare stimmige und sinnige Konstellationen, Spiralen, Kreise, Gruppenformationen u.v.a.m. aus Körpern. Hier trifft die Prinzessin auch auf den weissen Schwan (Anna Jo, fragil und kraftvoll zugleich, bezaubernd und sicher getanzt). Immer stärker identifiziert sich die Prinzessin mit dem weissen Schwan – die Pas de deux der beiden Frauen sind wunderschön und berührend. Die Prinzessin scheint zu sich selbst zu finden, blüht auf; das ist sinnlich und poetisch zugleich umgesetzt. Doch der Albtraum des Alltagslebens am Hof kehrt zurück, schwarze Figuren werfen die Schwäne um, die Rokoko-Saalwand mit den Gemälden von zwei sterbenden Schwänen senkt sich herab. Nur kurz wird der Zauber nochmals lebendig, mit dem Tanz der kleinen Schwäne, die hier in witzig-grotesken Strampelbewegungen vor der Spiegelwand agieren – herrlich! Doch schnell ist auch dieser Zauber weg, die Prinzessin findet sich erneut im Saal, bricht verzweifelt zusammen. Denn nun soll sie sich einen Gemahl auswählen: Zur Auswahl stehen ein neureicher Russe (wunderbar: Oliver Preiß), der sich mit „billigen“ weiblichen Schönheiten umgibt und viel Wodka trinkt, ein unerträgliches Bachelor-Gehabe an den Tag legt, von dem die Prinzessin zu Recht abgestoßen ist.

Nicht viel besser ist es um den Spanier (Luke Francis, tuntig-virtuos) bestellt – Macho-Gehabe pur. Er kreuzt gar mit vier Begleitern auf. Auch der Neapolitaner (herrlich verspielter Latino: Alessandro Repellini) mit seinen drei sonnenbebrillten Begleiterinnen vermag die Prinzessin nicht zu verführen – im Gegenteil, sie ist von allen dreien zu Recht abgestoßen, was wiederum den Zorn des Stiefvaters entfacht. Doch dann taucht der schwarze Schwan auf, mit einem selbstbewussten Tanz vermag er (eigentlich sie, denn es ist eine schwarze Schwänin) die Prinzessin zu faszinieren und zu bannen. Und siehe da, die goldenen Wände des Rokoko-Käfigs gehen wieder hoch, die Prinzessin tanzt in tiefer Verbundenheit mit der schwarzen Schwänin. Laura Costa Chaud tanzt diese schwarze Schwänin mit selbstbewusster Kraft und Sinnlichkeit – verführerisch und virtuos. Doch die Mutter und Rotbart trennen die beiden brutal, der Hofstaat kreist auf beweglichen Sofas um den Saal, der eigentlich mit Fusstritten im ersten Akt vom Hof verbannte Benno muss hilflos zusehen. Die schwarze Schwänin wird von Rotbart ebenso getreten und gepeinigt. Im letzten Akt liegen die Schwäne in fleischfarbenen Trikots quasi nackt und schutzlos auf der Bühne, im Zentrum der weisse und der schwarze Schwan. Aus der Spirale der Schwäne bilden sich Paare, Gruppenformationen mit unglaublich starken Spiegeleffekten sind zu bewundern, überhaupt zeichnet sich Schröders Bewegungsrepertoire durch eine großartige Vielschichtigkeit aus. Nachdem die Prinzessin zunächst mit ihren beiden Vorbildern alleine auf der Bühne verbleibt, erscheint erneut das grandios und wunderbar präzise tanzende Corps des Leipziger Balletts und die drei Frauen werden in einer Art Apotheose gefeiert. Bald schon kristallisiert sich heraus, dass die Prinzessin ihre beiden Identifikationsfiguren nicht mehr braucht, sie rennt sich quasi frei -frei von allen gesellschaftlichen Zwängen – ist eigenständig und findet zu sich selbst, untermalt von Harfenklängen, Streichern und Hörnerklang. Diese wunderbare Musik steuert das herausragend spielende Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung von Timo Handschuh bei. Es ist ein Gesamtklang von fantastischer Transparenz, nie dicklich oder schmalzig, sondern von federnder Plastizität geprägt, weich und doch, wo gefordert mit packender Dramatik auftrumpfend.

Fazit: Eine Lesart dieses Klassikers, die überzeugt (auch wenn man als Mann darin keine Identifikationsfigur findet – doch man vermisst den melancholischen Prinzen erstaunlicherweise keinen Moment). Optisch und musikalisch ein Ereignis

 

(c) Ida Zenna

Kaspar Sannemann 6.10.2019

 

 

Magnificat

Uraufführung am 9. 2. 2019

Das Leipziger Ballett mit kühner Mixtur

 

Wie John Neumeier in Hamburg scheint es auch dem Chefchoreografen des Leipziger Balletts Mario Schröder ein Anliegen zu sein, sich mit dem Werk Johann Sebastian Bachs künstlerisch auseinanderzusetzen. Nach der Johannes-Passion folgt nun das Magnificat BWV 243 in einer tänzerischen Deutung, die am 9. 2. 2019 ihre gefeierte Uraufführung im Opernhaus erlebte. Bekanntermaßen bietet das Werk keine Klangfolie für ein Abend füllendes Ballett, so dass Mario Schröder Giovanni Battista Pergolesis Stabat mater als ergänzende Musik auswählte und die beiden Werke miteinander verwob. Das erscheint schlüssig, denn Bach und Pergolesi sind Vertreter des Barock und zudem Zeitgenossen. Die Entscheidung hatte aber auch dramaturgische Gründe, steht das Magnificat doch für Jubel und Freude, das Stabat mater dagegen für Trauer und Schmerz – Emotionen, die unser Leben bestimmen. Überraschend und irritierend dagegen ist die Einbeziehung von klassischer indischer Musik, welche von Ravi Srinivasan und seiner Formation Indigo Masala live interpretiert wurde. Die drei Musiker spielen Tabla, Pfeifen, Sitar, Percussion und sogar Akkordeon, äußern darüber hinaus fremdartige Sprechlaute. Diese Musik könnte für Temperament und Vitalität stehen, wirkte gleichwohl fremd und bizarr im Kontext zum Barock.

Ausstatter Paul Zoller hat die von Michael Röger in leuchtende Sonnentöne getauchte Bühne mit käfigartigen Gestängen von gelber Farbe eingefasst, welche zunächst von Stoffwänden bedeckt sind, die dann nach unten sinken. Das Zentrum im Hintergrund bildet ein Rhönrad, das auch das buddhistische Dharma-Rad sein könnte, in welchem mehrfach Tänzer agieren. Zu Beginn sitzen die Mitglieder des Leipziger Balletts auf dem Boden in weißen Hosen und orangefarbenen Überwürfen – dem verhaltenen Entrée folgt bald eine lebhafte Gruppenszene zum „Magnificat anima mea“. Zu sehen sind dann unterschiedliche Formationen, Laufbewegungen, viel Armarbeit, Breakdance-Anmutungen, Szenen von aufgeregtem Duktus, feierliches Schreiten, Körperskulpturen, Spiralen, Reihen, wirbelnde Gruppen, Aktionen in slow motion und sogar Figuren, die an Eiskunstlauf erinnern. Die Choreografie ist in ihrem Vokabular ungemein vielfältig, entgeht aber nicht immer der Gefahr, dass sich manche Formationen wiederholen. Zuweilen entbehrt sie auch nicht des Profanen, wenn Tänzer die hölzernen Käfige hin und her schieben und drehen, dass sie tanzenden Bambusstäben ähneln.

Starke Momente gibt es in einigen Soli von heiterer Stimmung sowie empfindsamen Pas de deux, vor allem mit Laura Costa Chaud/Urania Lobo Garcia und Lou Thabart. Faszinierend ist der Auftritt in animalischem Duktus von Fang-Yi Liu zu Masalas „Pipit“. Die Tänzerin hüpft, schleicht, flattert und windet sich mit der Leichtigkeit eines Vogels. Aber auch den anderen Tänzern sind agile Körperlichkeit und stupende Gewandtheit zu attestieren. Den musikalischen Jubel im letzten Satz der Musikfolge, Bachs „Gloria“, bricht der Choreograf, denn da gibt es nach dem kraftvollen Auftakt auch Momente des Verharrens und am Ende einen fragenden Blick der Tänzer ins Publikum.

Das Gewandhausorchester musiziert unter der Leitung von Christoph Gedschold stilistisch versiert, während der Chor der Oper Leipzig (Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint) mitunter verwaschene Koloraturen hören lässt. Kompetent besetzt ist das Solistenquintett mit den klaren Sopranen von Steffi Lehmann und Susanne Krumbiegel, der Altistin Marie Henriette Reinhold, dem versierten Tenor Martin Petzold und dem Bassisten Dirk Schmidt.

 

Bernd Hoppe 13.2.2019

Bilder (c) Ida Zenna

 

 

 

 

 

 

 

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