DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Tilman Knabe                                                                  Foto: Martina Pipprich

 

INTERVIEW MIT TILMAN KNABE

Er inszenierte am Nationaltheater Mannheim die Rarität "LA WALLY" von Alfredo Catalani. 

OF: Lieber Herr Knabe, wir befinden uns hier im Nationaltheater Mannheim, an dem sie jüngst mit Catalanis Oper „La Wally“ eine echte Rarität in Szene setzten. Die Aufführung hat einen ganz gewaltigen Eindruck hinterlassen. Was macht das Besondere dieses Komponisten aus?

K: Seine Musik ist einfach großartig. Er orientiert sich nicht nur an der italienischen Oper, sondern auch an den Musikstilen anderer Länder. So spürt man bei der „Wally“ auch stark den Einfluss deutscher Komponisten wie Weber und Wagner. Beispielsweise hört man zu Beginn des vierten Aktes deutliche Anklänge an Wagners Einleitung zum dritten Akt des „Tristan“. Auch Anklänge an „Tannhäuser“ sind erkennbar. Die Motivik ist sehr ähnlich. Auch bei Weber macht Catalani Anleihen. Ebenfalls unüberhörbar ist der Einfluss der Franzosen auf das Werk. Darüber hinaus finde ich es sehr interessant, dass Catalani hier bereits mit Überblendungen und Simultanszenen arbeitet.

OF: Catalani konnte mit dem zu seinen Lebzeiten auf der italienischen Opernbühne vorherrschenden Verismo nichts anfangen, Als Anti-Verist zog es ihn nachhaltig zur Romantik zurück. Wie äußert sich das in „La Wally“?

K: Seine Klangsprache gleicht fast schon einer Seelenmusik. Insbesondere die Vorspiele zum dritten und vierten Akt wirken auf mich wie eine psychologische Durchleuchtung der Titelfigur, was sicherlich für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich war. Ebenfalls bemerkenswert ist der Tanz im Finale des zweiten Aktes, wo Catalani es mit den Mitteln seiner Musik schafft, die beiden Protagonisten immer wieder - wie bei Zoomfahrten im Medium des Films - herauszuschälen und das andere Geschehen in den Hintergrund verschwinden zu lassen. Und ganz großartig ist zu guter Letzt auch noch der vierte Akt, der wie ein einsamer innerer Monolog einer verlorenen Frau konzipiert ist. Spekulativ gesagt: Wenn Catalani noch länger gelebt und noch mehr so starke Werke wie „La Wally“ geschrieben hätte, wäre die Entwicklung der italienischen Oper sicher anders verlaufen.

Ludmila Slepneva (Wally)

OF: Catalani wurde oft als Wagnerianer bezeichnet, was angesichts der merkbaren Ansätze einer Leitmotivtechnik und der von Ihnen eben bereits erwähnten Anklänge an „Tristan“ und „Tannhäuser“ in der „Wally“ durchaus nachvollziehbar ist. Trifft diese Titulierung zu?

K: Jedenfalls war Wagner für Catalani ein ganz wichtiges Vorbild. Es ist anzunehmen, dass er sich bei der Komposition der „Wally“ in gewisser Weise an die Technik Wagners angelehnt hat. Eine gewisse Verwandtschaft zu dessen musikalischer Sprache ist deutlich spürbar. Trotz allem ist er ein italienischer Komponist, der über Grenzen hinaus gedacht und komponiert hat. Dabei sind eigenwillige Musiktheaterwerke entstanden.

OF: Wenn Catalani ein so grandioser Komponist gewesen ist, wie konnte er dann so schnell in Vergessenheit geraten?

K: Dass lag einmal an seinem frühen Tod. Er erlag am 7.8.1893, nur etwas über anderthalb Jahre nach der am 20.1.1892 erfolgten Mailänder Uraufführung von „La Wally“, im Alter von erst 39 Jahren einem Lungenleiden. Ein weiterer Grund war, dass das Werk fast nie nachgespielt wurde, obwohl schon damals viele berühmte Musiker von ihm begeistert waren. Gustav Mahler hielt sie für eine der besten italienischen Opern überhaupt. Und Toscanini nannte seine Tochter Wally. Verdi und sein Verleger Ricordi hatten indes großes Interesse daran, dass Catalani und auch andere italienische Komponisten dieser Zeit nicht aufgeführt wurden. Nur Puccini wollte Ricordi unbedingt durchsetzen. Deshalb ist die „Wally“ damals durchgefallen, was sehr schade ist - nicht zuletzt deshalb, weil sie auch dramaturgisch sehr interessant ist.

OF: Inwiefern?

K: Wenn man sich die vier Aufzüge der Oper näher betrachtet, fällt einem auf, dass sie sehr in sich geschlossen sind. Sie wirken fast wie Einakter. Oder anders gesagt wie vier Lebensabschnitte eines Menschen, nämlich Wallys. Es war Catalani und seinem Textdichter Luigi Illica zudem wichtig, das Stück in dem Kontext der damaligen Zeit zu sehen.

Ludmila Slepneva (Wally), Jorge Lagunes (Gellner)

OF: Worin bestand dieser?

K: Die Oper beruht auf dem Buch „Die Geierwally“ von Wilhelmine von Hillern, einer sehr emanzipierten Autorin. Das war damals ein sehr erfolgreicher (Heimat-) Roman, der auf Karl Gutzkow zurückging. Dieser hatte im Jahre 1835 einen Roman „Wally, die Zweiflerin“ geschrieben, in dem es um die Selbstbestimmung der Frau und um ihre sexuelle wie politische Mobilität ging. Bei ihm scheitert die Titelfigur am Ende und wählt den Freitod. Gutzkows Roman wurde von der Zensur damals verboten, weil es darin um Menschen ging, die nachhaltig eine Demokratisierung befürworteten und eine neue Zeit repräsentierten. Der Staat war aber überhaupt nicht daran interessiert, dass diese Bewegung sich in der Gesellschaft ausbreitet. Das Verbot des Buches artete damals zu einem Schauprozess aus und meinte stellvertretend das „Junge Deutschland“. Eine zweite Quelle für Frau von Hillern war Anna Stainer-Knittel. Das war eine Dame, die sich mit 17 Jahren in einen Adlerhorst abseilen ließ, die Jungen aus dem Nest holte und mitnahm, nachdem sie vorher noch die Jahreszahl auf den Felsen geschrieben hatte. Die Jungen hat man zur damaligen Zeit getötet, damit die erwachsenen Adler nicht die Schafe reißen. Traditionell wurde diese Aufgabe von Männern ausgeführt, doch durch ein tödliches Verunglücken eines Mannes im Vorjahr hatte sich diesmal kein Mann gefunden, der bereit war, dieses lebensgefährliche Wagnis einzugehen. Daraufhin hat sich die junge Frau Stainer-Knittel bereit erklärt, diese gefährliche Aufgabe selbst zu erledigen. Dadurch wurde sie zu einem „Star“, der in der Boulevardpresse hoch gelobt und gefeiert wurde und die man seitdem die Brunhild vom Lechtal nannte. Frau von Hillern hat Anna Stainer-Knittel später kennengerlernt und sich die Geschichte von ihr erzählen lassen. In ihrem Roman „Die Geierwally“ machte sie aus dem Adler dann aber einen Geier, was vom dramaturgischen Standpunkt aus sehr interessant ist. Denn dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er überhaupt nicht zu zähmen ist, was bei einem Adler eher möglich ist. Zudem gilt der Geier in der ägyptologischen Mythologie als das Zeichen für das Matriarchat. Indem Frau von Hillern in ihrem Buch einige Dinge ganz bewusst geändert hat, unternahm sie den Versuch, Wally als emanzipatorische Frau zu zeigen, scheiterte mit dieser Intention letztlich aber an dem Genre des Heimatromans.

OF: Mithin stellt Catalanis Wally eine Symbiose aus zwei Romanfiguren dar. Von wem hat sie mehr: von Frau von Hillern oder Gutzkow?

K: Zweifellos ist sie mehr ein Kind Gutzkows. Er stellte im Gegensatz zu Frau von Hillern ihre Tragödie in den Vordergrund, legte den Focus gekonnt auf ihr Streben nach gesellschaftlicher Unabhängigkeit und billigte ihr am Ende sogar den Freitod zu. Diesen Schluss fanden Catalani und Illica logischerweise viel interessanter als das biedere Happy End im Buch von Wilhelmine von Hillern. Hier geht Wally mit Hagenbach die bürgerliche Ehe ein, wird gleichsam durch das Patriarchat gezähmt und in die Gesellschaft eingegliedert. Ganz klar, dass Catalani und Illica sich für diesen alles andere als bühnenwirksamen Schluss nicht erwärmen konnten und stattdessen auf den dramatischen Schluss - dem selbstbestimmten Handeln der Protagonistin - von Gutzkow zurückgriffen.

OF: Der Name Wally geht, wie gesagt, auf Gutzkow zurück. Bei Wilhelmine von Hillern hieß die Hauptperson zuerst als Reverenz an Frau Stainer-Knittel noch Anna. Erst später änderte sie den Vornamen der Heldin in Wally. Kann man das als Hommage an den großen Schriftsteller-Kollegen verstehen?

K: Sicherlich.

Ludmila Slepneva (Wally), Sung Ha (Stromminger), Jorge Lagunes (Gellner)

OF: Weist der Roman von Frau von Hillern auch autobiographische Züge auf?

Gewiss. Frau von Hillern arbeitete ja als Schauspielerin, bevor sie geheiratet hat, und erwies sich damit ebenfalls als sehr eigenständig. Später wurde sie dann eine berühmte Schriftstellerin, die mit der „Geierwally“ ihren größten Erfolg feiern konnte. Es war ihr ein großes Anliegen, mit der Hauptfigur einen emanzipatorischen Charakter vorzuführen. Aber sie scheiterte - heute würde man sagen an dem Format des Heimatromans. Am Ende des Buches gibt es indes einen Zusatz, der nicht unwesentlich ist. Da ist zu lesen: „Wally und Joseph sind früh gestorben, die Stürme, die an ihnen gerüttelt, hatten die Wurzeln ihres Lebens gelockert“. Hier, wo der Kitsch für einen kurzen Augenblick gebrochen wird, setzen Catalani und sein Librettist an.

OF: Wo liegen die wesentlichen Unterschiede zwischen der Oper und den beiden Romanvorlagen?

K: In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal aufschlussreich, dass Wilhelmine von Hillern diesen Abweichungen nicht nur zugestimmt, sondern sie sogar ausdrücklich befürwortet hat. Der essentielle Unterschied zwischen ihrem Buch und der Oper liegt darin - das sagte ich ja bereits -, dass Catalani und Illica in Anlehnung an Gutzkow Wally wieder ihren Freitod und damit auch das Recht zur Selbstbestimmung zurückgeben. Eine weitere wesentliche Änderung ist darin zu sehen, dass Frau von Hillern Wallys abgeschiedenes Leben auf dem Berg im ersten Drittel ihres Buches schildert, also direkt nachdem Wally mit ihrem Vater gebrochen hat. Catalani und Illica lassen dagegen zwischen dem ersten und dem zweiten Akt bewusst viel Zeit vergehen und bringen Wallys Isolation und die Beschreibung ihrer Einsamkeit auf dem Berg erst im vierten Aufzug.

OF: Die Oper weist eine sehr sequenzartige Dramaturgie auf, von der Sie sich ja auch in Ihrer Inszenierung leiten lassen. Das Stück beginnt im Jahre 1968, dann folgt ein Zeitsprung von 20 Jahren, dann einer von 15 Jahren, bis man im vierten Akt nach einem weiteren Zeitsprung von 9 Jahren schließlich in der Gegenwart angelangt ist. Man erlebt Wally von ihrer Jugend bis ins Alter. Was hat es mit dieser Fixierung auf einzelne Stationen ihres Lebens auf sich?

K: Es ist doch so, dass nach Wallys bekannter Arie im ersten Aufzug „Ne andrò lontana“ ein Abschnitt in ihrem Leben vorbei ist. Sie verabschiedet sich und geht an einen anderen Ort, macht mithin einen Neuanfang. Hier ergibt sich die Legitimation für den großen Zeitsprung zwischen dem ersten und dem zweiten Aufzug. Jeder dieser vier in sich geschlossenen Akte stellt, wie Sie ganz richtig sagen, eine Sequenz dar. Sie wirken auf mich wie Einakter, die vier verschiedene Lebensphasen eines Menschen zeigen. Dabei ist auch der Charakter Wallys Änderungen unterworfen. Im ersten Akt plädiert sie gegenüber Hagenbach in geradezu pazifistischer Weise noch dafür, der Vätergeneration zu verzeihen. Im zweiten Aufzug erleben wir hingegen einen Menschen, der sich total verändert hat. Wally orientiert sich inzwischen viel stärker an dem patriarchalischen Verhalten ihres Vaters und setzt auf Macht und Hierarchien. Wie viele der Alt-68er, die damals noch auf die Straße gegangen sind, ist Wally 20 Jahre später ganz anders geworden. Sie hat sich in das Fahrwasser der New Economy begeben, war erfolgreich und ist auf diese Weise sehr reich geworden.

OF: Wally erteilt dem streng patriarchalischen System, in dem sie im ersten Akt lebt und das sie gnadenlos zur Ware und damit zum puren Objekt degradiert, eine strikte Absage und strebt nachhaltig nach Unabhängigkeit. Kann man sie als Prototyp einer emanzipierten Frau bezeichnen?

K: Ja. Das kann und soll man sogar. Es geht aber noch viel weiter, nämlich um das Scheitern dieser Emanzipation. Und genau das ist es ja auch, was das Stück so spannend macht.

Ludmila Slepneva (Wally)

OF: Wally kommt in Ihrer Inszenierung die Funktion einer Stellvertreterin der allgemeinen Frauenbewegung zu, die sich bekanntermaßen in drei Teile gliedert. Sie setzen mit Ihrer Interpretation bei der zweiten Welle an, die aus einem allgemeinen gesellschaftlichen Umbruch und Wertewandel nach dem Golden Age of Marriage der 1950er und -60er Jahre heraus entstand. Inwieweit ist Wally ein Kind dieser Zeit?

K: Entscheidend für mich war gerade im ersten Akt die Art und Weise, wie der Vater Stromminger beschrieben wird. In der Tat geht er mit seiner Tochter um wie mit einer Ware. Sie wird von ihm gleichsam verkauft und damit objektiviert. Das haben Sie ebenfalls trefflich beschrieben. Dieses patriarchalische System erinnert mich stark an den Mief der 1950er und -60er Jahre, in denen die Kindergeneration nachhaltig gegen den Muff von 1000 Jahren opponierte. Die Situation im ersten Akt, in dem Wally sich gegen ihren Vater auflehnt, erschien mir deckungsgleich mit dieser Zeit. Deswegen habe ich den Beginn der Oper hier verortet. 

OF: Wallys Selbstverwirklichungsversuch scheitert am Ende auf der ganzen Linie. Bedeutet das dann auch das Aus für die moderne Frauenbewegung?

K: Gewiss ist die Emanzipation der Frau gescheitert. Man wundert sich schon sehr über Leute wie die Journalistin Eva Herman, die postuliert, dass die Frau wieder an den Herd zurück solle. Diese Tendenz ist aber nun mal unbestreitbar da. Und dass der deutsche Staat immer noch ein großes Problem hat, wird offenkundig, wenn bei öffentlichen Ausschreibungen immer noch regelmäßig der Zusatz beigefügt wird, dass Frauen und Behinderte bei gleicher Eignung bevorzugt würden. Das stellt ja letzten Endes sowohl für die Frauen als auch für die Behinderten auch eine Art von Diskriminierung dar, was erschreckend ist. Zudem haben wir immer noch unterschiedliche Gehälter bei Männern und Frauen. An dem männerdominierten Bewusstsein vieler Frauen - siehe u. a. Frau Hermann - kann ich nur verzweifeln. Dass wir von Gleichberechtigung sprechen können, halte ich für ein Gerücht.

OF: Der Teenager Wally hat ein Bild von Che Guevera bei sich an der Wand hängen. Was findet sie an ihm?

K: Er ist ein Vorbild für sie, genau wie auch für andere junge Menschen der 68er Generation.

OF: Wally erfährt in Ihrer Deutung eine ausgesprochen negative Zeichnung. Im zweiten Akt, der 1988 spielt, erscheint sie als harter, reaktionärer Maggie-Thatcher-Verschnitt der New Economy, als skrupellose Geschäftsfrau, die zunehmend in den Sumpf des Verbrechens abgleitet und schließlich auch vor Anstiftung zum Mord nicht zurückschreckt. Ist sie von Anfang an ein böser Mensch - immerhin attackiert sie im ersten Akt sogar einmal brutal den eigenen Vater - oder wandelt sich ihr Charakter erst aufgrund der äußeren Umstände zum Negativen hin?

K: Sie ist nicht von Anfang an ein „böser“ Mensch. Aber sie macht jedenfalls charakterlich eine Entwicklung durch, was von Catalani und Illica ja auch gewollt ist. Selbstverständlich ist ihr Verhalten im zweiten Akt moralisch verwerflich. Widerlich ist bereits die hochmütige Art und Weise, wie sie ihre Untergebenen behandelt. Und Anstiftung zum Mord ist auf alle Fälle ein schlimmes Verbrechen. Interessant ist aber doch der Kontrast zwischen der jungen Wally des ersten Aktes, die noch ganz andere Ideale hat und sich von der Elterngeneration emanzipieren will, und der Wally des zweiten Aktes, die genau dasselbe herrische Verhalten an den Tag legt wie ihr Vater. Und genau das ist es, was ich so bemerkenswert finde. Derartige Verhaltensweisen sind in unserer Gesellschaft nämlich immer noch anzutreffen. Da steht Wally nicht alleine da. Es gibt immer noch einige Leute, die 1968 begeistert mitgelaufen sind, sich in den 1980er Jahren aber zum skrupellosen Machtmenschen entwickelt haben.

OF: Eine Richtung in der Philosophie des Bösen sieht das Maliziöse als notwendiges Gegengewicht zum Guten an, denn nur mit seiner Hilfe könne der Mensch seine Freiheit erreichen. Und genau darum geht es ja hier. Muss Wally erst einmal böse werden, um sich erfolgreich emanzipieren zu können?

K: Bezogen auf das Stück kann man diese Frage mit Ja beantworten. Auch wenn sie sich nicht erfolgreich emanzipiert, sondern kläglich scheitert. Und das ist es auch, was sie bemitleidenswert macht.

Tamara Banjesevic (Walter), Ludmila Slepneva (Wally), Jorge Lagunes (Gellner)

OF: Im dritten Akt verlassen Sie den Boden der Realität und rücken das Geschehen auf eine surreale Ebene. Nichts scheint mehr Wirklichkeit zu sein und Wally nur noch zu träumen. Wo ziehen Sie die Grenzlinie zwischen Realität und Fiktion?

K: Man merkt plötzlich, wie sich in dem Stück die Ebenen verschieben - ähnlich wie es z. B. bei Bunuels bekanntem Film „La belle de jour“ mit Catherine Deneuve der Fall ist. Da weiß man irgendwann auch nicht mehr. ob das, was man sieht, Realität ist oder ob die Protagonistin in Tagträume fällt. Ein derartiger Ansatz war zur Zeit der Uraufführung der „Wally“ sehr ungewöhnlich, da eine derartige Dramaturgie im Jahre 1892 noch gar nicht existierte. Und genau darin liegt auch für mich die Faszination dieser Oper. Mir wurde bei der Auseinandersetzung mit dem Werk  immer klarer, dass die Realität des Erzählten in dem Stück schließlich parallel zu Wallys Wahn bzw. ihres Traumas verläuft.

OF: Ist der Mord an Hagenbach unter diesen Voraussetzungen real oder Imagination?

K: Beides. Der Mord vervielfältigt sich am Ende des zweiten Aktes. Viele Wallys töten viele Hagenbachs. Er steht für die Befreiung Wallys, aber auch stellvertretend für den Versuch der Rettung der Frauen von den ausbeutenden und herrschenden Männern. Ob er tatsächlich stattgefunden hat, bleibt in meiner Inszenierung offen.

OF: Ihr schlechtes Gewissen löst bei Wally im vierten Akt eine Psychose aus, der sie nicht Herr werden kann. Die aus dem Off ertönenden Worte Hagenbachs entspringen nurmehr ihrem Inneren, sind Ausfluss ihrer übermächtigen Schuldgefühle. Tut sie noch etwas, um dieser psychischen und physischen Misere zu entkommen oder akzeptiert sie ihr Schicksal?

K: Sie entschließt sich unmissverständlich, aus dem Leben zu scheiden und wählt den Freitod. Dieser auf Selbstbestimmung beruhende Entschluss ist alles, was sie noch zu leisten imstande ist.

OF: Jedenfalls erweist sie sich als ideales Studienobjekt für Sigmund Freud. Haben Sie bei der Konzeption an den großen Psychoanalytiker gedacht?

K: Nicht konkret. Die psychologischen Aspekte des Werkes, die mir beim Lesen der Partitur aufgefallen sind, sind unabhängig von Freud entstanden.

OF: Wally ist am Ende ganz allein und einsam. Würde der Tod für sie eine Erlösung bedeuten?

K: Sicher, aber sie schafft es in unserer Inszenierung nicht. In dem Augenblick, in dem sie zum Selbstmord ansetzt, erscheint eine Horde von Männern und verhindert, dass sie sich selbst tötet, indem sie sie in die Zwangsjacke steckt und damit zum nicht gewollten Leben verdammt. Auch hier setzt sich das Patriarchat durch und lässt ihr nicht einmal ihren selbstbestimmten Freitod. Man kann hier sicherlich von einem inszenatorischen Kommentar sprechen. Das Patriarchat hat den Sieg davongetragen.

Ludmila Slepneva (Wally)

OF: Wie würden Sie die Quintessenz Ihrer Interpretation definieren?

K: Als Zustandsbeschreibung. Das Ganze ist - verkürzt gesprochen - eine Schilderung des Scheiterns der Frauenemanzipation sowie das Aufzeigen, wieviel bzgl. der angestrebten Gleichberechtigung der Geschlechter von der Gesellschaft - Männern und Frauen - noch hier und jetzt zu tun ist.

OF: Vielen Dank für das Interview.

 

Ludwig Steinbach, 24.11.2014

 

Meinen Dank für die Produktionsfotos "La Wally" aus Mannheim an Hans Jörg Michel und das Nationaltheater

 

 

 

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