DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Landestheater Niederbayern:

Landshut / Passau / Straubing

Theater Landshut                                              landestheater-niederbayern.de/

 

Bis das Stadttheater Landshut im Bernlochner komplett saniert ist, spielt das Landestheater Niederbayern in Landshut im Theaterzelt auf dem Messegelände.

landestheater-niederbayern.de /theaterzelt         Foto: Landestheater Niederbayern

 

 

TRISTAN UND ISOLDE

Besuchte Aufführung: 5.5.2015

Premiere in Landshut: 8.4.2016

Isoldes Vision von einem Happy End

Mit Standing Ovations endete im Opernzelt Landshut die Neuproduktion von Wagners „Tristan und Isolde“. Diese hatten durchaus ihre Berechtigung. Was einem an diesem Abend geboten wurde, war außergewöhnlich. Schon für große Häuser stellt dieses schwierige Werk eine echte Herausforderung dar, weswegen man es einem kleinen Theater nicht unbedingt zutrauen würde. Jetzt wurde man aber eines Besseren belehrt. Das kleine Landestheater Niederbayern ist das Wagnis einer Aufführung des „Tristan“ wagemutig und beherzt eingegangen und vermochte dann auch in jeder Beziehung einen phänomenalen Sieg für sich zu verbuchen. Wieder einmal hat sich mein Wahlspruch „Verachtet mir die kleinen Häuser nicht“ voll und ganz erfüllt. Leider gab es im zweiten Aufzug den Tag-und-Nacht-Strich, eine immer wieder schmerzliche Kürzung.

Ensemble

Die Niederbayerische Philharmonie besteht in der Regel aus ungefähr vierzig Musikern. Für „Tristan und Isolde“ ist das Orchester auf cirka 65 Instrumentalisten aufgestockt worden, sodass es im Graben recht eng zuging. Das hinderte die Musiker indes nicht, unter der versierten Leitung von GMD Basil H. E. Coleman auf geradezu exzellentem Niveau zu musizieren. Mit ihrer klangschönen, hoch konzentrierten und sehr disziplinierten Spielweise fiel es ihnen leicht, an die Leistung größerer Klangkörper anzuknüpfen. Fast schien es, als hätten die Instrumentalisten nie etwas anderes gespielt, so prachtvoll und routiniert bewältigten sie ihre schwierige Aufgabe. Coleman erwies sich dabei als ausgezeichneter Theaterdirigent, der Wagners Handlung in drei Aufzügen mit großem Esprit, in insgesamt raschen Tempi vorwärtsdrängend, emotional und mit einer reichhaltigen Farbpalette ausdeutete. Dabei behielt er ständig den großen Zusammenhang im Auge und spannte über das Ganze einen lang ausgedehnten Spannungsbogen. Zwar gingen die Sänger in den enormen Orchesterfluten manchmal ein wenig unter, insgesamt erwies sich der Dirigent aber als ausgesprochen sängerfreundlich. Er ging auf die Bedürfnisse der Solisten durchaus ein.

Annette Seiltgen (Isolde), Hans-Georg Wimmer (Tristan)

Sehr überzeugend war die moderne Herangehensweise von Regisseur Stefan Tilch an das Stück. Zusammen mit Bühnenbildner Karlheinz Beer und der für die gelungenen Kostüme verantwortlichen Ursula Beutler hat er das Geschehen in ein Museum verlegt. Der junge Seemann und Markes Gefolgschaft gehören zu dessen Mitarbeitern. Dieser Ansatz ist im Folgenden dann auch bestens aufgegangen. Den Rahmen des Ganzen bildet die von Tristan initiierte Staatsausstellung „Wie Held Tristan Isolde für König Marke gewann“. Dominiert wird der Bühnenraum von einem riesigen Bett, in dem Isolde am Ende des ersten Aufzuges in ihrem ausladenden Hochzeitskleid selbst zum Museumsstück Nr. 1 wird. Es gibt aber noch andere Exponate in dieser Ausstellung, die alle auf die Vorgeschichte - dieser kommt in Tilchs Interpretation zentrale Relevanz zu - Bezug nehmen wie beispielsweise Tristans Schwert, die Schwertsplitter sowie der Kahn, in dem sich der schwer verwundete Tristan zu Isolde hat bringen lassen, ferner Morolds eingetüteter Kopf, den Kurwenal höhnisch Brangäne präsentiert. Die ausgestellten Exponate sind den Privatsammlungen Tristans und König Markes entnommen. Bilder u. a. eines wilhelminischen Herrschers und von Adam und Eva sowie einige zeitgenössische Photomotive von Personen des öffentlichen Lebens hängen an der Wand und zu Beginn stehen verschiedene Multi-Box-Kisten herum, in denen die Ausstellungsstücke angeliefert wurden. Im zweiten Aufzug sind die Bilder mit Tüchern abgedeckt. Bei der Entdeckung des Liebespaares werden sie von Museumsangestellten wieder enthüllt. Das Liebesduett, bei dem Tee getrunken wird, findet auf einem roten Sofa statt. Im dritten Aufzug schließlich ist der Museumsraum zerstört, die Ausstellungsexponate sind verschwunden, nur noch ein Rahmen hängt von der Wand. Links vorne steht nun ein Grammophon mit einer alten Schallplatte, von der im Schlussakt die traurige Hirtenweise erklingt. Später führt der Hirt eine Platte mit lustigen Weisen der Bretagne mit sich.

Annette Seiltgen (Isolde), Anne-Theresa Moller (Brangäne)

Zu Beginn sieht man ein Tristan-Double tödlich verwundert im Kahn liegen. Eine EKG-Linie zeichnet seine Herzfrequenz auf. Isolde sitzt auf einem Stuhl und erinnert sich an die Vergangenheit. Der Regisseur liest die ganze Geschichte als „ein spirituelles Erwachen in drei (Auf-) Zügen“ (vgl. Programmheft). Dabei bildet er nicht nur reale Geschehnisse ab. Die vielfältigen, von Florian Rödl verantworteten Videoprojektionen spielen sich teils in der Wirklichkeit, teils aber auch nur in den Köpfen von Tristan und Isolde ab. So sind das Meer, die kornische Küste, Tristans ehemaliges Kinderzimmer, eine Intensivstation und die romanische Burg König Markes mit Garten und Feuerbränden realer Natur. Die Sonnenfinsternis, die Eislandschaft und der für die allumfassende Macht der Liebe stehende Erdball u. a. sind dagegen nur irrealer Natur. Auf diese Weise erfährt der Raum beeindruckende Variationen und Schauplatzwechsel, die den Zuschauer immer wieder am Seelenleben der Titelfiguren teilhaben lassen. Eines Trankes bedarf es bei Tilch nicht. Schließlich hätten Tristan und Isolde gemäß Thomas Manns berühmtem Postulat genauso gut Wasser trinken können. Hier kommen die beiden an der betreffenden Stelle an die Rampe und bleiben mit seitlich ausgestreckten Armen stehen, während hinten der Sprung der beiden in einen Abgrund projiziert wird - ein gelungenes Bild, das die Loslösung des sich dem Tode nahe glaubenden Paares von der Vorgeschichte symbolisiert. Hier wird eine kurze mentale Reise versinnbildlicht, die ganz woanders endet, als es Tristan und Isolde angenommen haben. Insgesamt wird in dieser Inszenierung Psychologie und Symbolik groß geschrieben. Auch Markes Klage wird davon geprägt: Als der schließlich verzweifelt zu Boden sinkende, glatzköpfige und dunkel gekleidete König schmerzvoll seinen Oberkörper entblößt, sieht man, dass dieser Wunden aufweist. Der starken inneren Blessur korrespondiert eine nicht minder schwere äußere.

Luca Tilch (Tristan als Kind), Annette Seiltgen (Isolde), Hans-Georg Wimmer (Tristan), Peter Tilch (Kurwenal)

Mehr auf die innere als die äußere Handlung legt Stefan Tilch im dritten Aufzug den Schwerpunkt. Hier stellt er Tristan ein kindliches Alter Ego an die Seite. Die Kindheit stellt die „Urebene seines Schmerzes dar“ (vgl. Programmheft), zu der Tristan zurückkehren muss, um die jüngste Vergangenheit bewältigen zu können. Er muss sich ihr stellen, was aber nicht sofort gelingt. Immer wieder entzieht sich der Knabe ihm. Erst später kommt es zu einer Vereinigung von erwachsenem und jungem Tristan. Der einsam durch den Raum wandernde alte Tristan visualisiert immer wieder Isolde, teils als Projektion, einmal aber auch körperlich. Es gehört zu den Höhepunkten der Produktion, wenn im dritten Aufzug während eines von Tristans Fieberausbrüchen in trefflicher Anwendung eines Tschechow’schen Elementes plötzlich Isolde auftritt, zu dem kleinen Tristan tritt, ihn umarmt und sich von ihm daraufhin von der Bühne führen lässt. Das Ende wird vom Regisseur auf beeindruckende Art und Weise umgedeutet. Gleich seinem großen Regiekollegen Peter Konwitschny begreift er Isoldes Liebestod positiv und lässt demgemäß nicht nur Tristan am Leben, sondern auch alle anderen im Kampf um Kareol umgekommenen Handlungsträger sich wieder erheben. Die Sektparty der nun gänzlich weiß gekleideten Schicky-Micky- Gesellschaft kann beginnen. Da am rechten Rand der Bühne aber immer noch das Tristan-Double sterbend im Kahn am Elektrokardiogramm liegt, ist nicht allzu schwer zu erraten, dass auch dieses glückliche Bild nur Isoldes Innerem entspringt. Es ist ihre Vision von einem Happy End, das man hier sieht - ein starkes Ende, das seine Wirkung nicht verfehlte. Insgesamt haben wir es hier mit einer rundum gelungenen, wirkungsmächtigen Neudeutung zu tun, die einen gewaltigen Eindruck hinterließ.

Auch die gesanglichen Leistungen bewegten sich größtenteils auf hohem Niveau. Es ist schon erstaunlich, was für phänomenale Kräfte das kleine Theater Niederbayern für die Hauptrollen aufzubieten hatte: Hans-Georg Wimmer hielt die kräftezehrende Partie des Tristan nicht nur routiniert durch, sondern hat ihr mit seinem sauber fokussierten, ausdruckstarken und differenziert eingesetzten Tenor auch vokal bestens entsprochen. Eine stattliche jugendliche Erscheinung war Annette Seiltgen als Isolde, die ihrem Part sowohl stimmlich wie auch darstellerisch in gleicher Weise hervorragend gerecht wurde. Ein intensives Spiel und eine makellose, gut gestützte und farbenreiche Tongebung mit sicheren Spitzentönen fügten sich zu einer trefflichen Einheit zusammen, die sch tief in das Gedächtnis einprägte. Mit in der Mittellage warmem und gefühlvollem Mezzosopran, der in der Höhe eine enorme Dramatik an den Tag legte, sang Anne-Theresa Moller eine auch schauspielerisch treffliche Brangäne. Ein prägnant intonierender Kurwenal war Peter Tilch. Sehr für sich einzunehmen vermochte der noch junge Stephan Bootz, der mit wunderbar leicht und elegant dahinströmendem, dabei warmem und sonorem Bass einen wunderbaren König Marke sang. Das war die beste Leistung des Abends! Etwas zu hoch verankert war der Tenor vom Albertus Engelbrecht in der Doppelrolle von Melot und des jungen Seemanns. Stimmstark, aber ebenfalls etwas maskig klang der Hirt von Christos Kechris. Einen soliden Steuermann gab Kyung Chun Kim. Als Kind Tristan gefiel Luca Tilch. Solide präsentierte sich am Ende des ersten Aufzuges der Herrenchor.

Fazit: Eine in jeder Beziehung gelungene, fulminante und preisverdächtige Aufführung, die dem Landestheater Niederbayern und allen Beteiligten zu großer Ehre gereicht. Bravo!

Ludwig Steinbach, 8.5.2016

Die Bilder stammen von Peter Litvai

 

 

WIENER BLUT

Besuchte Aufführung: 21.2.2016

Premiere in Landshut: 18.8.2015

Heiteres Versteckspiel auf der Toilette

Sicherlich handelt es sich bei „Wiener Blut“ um eine der gelungensten Operetten von Johann Strauß. Nun wird so mancher einwenden, dass eine Operette mit diesem Titel von dem Walzerkönig doch niemals geschrieben wurde. Das mag stimmen, der Widerspruch löst sich indes rasch auf, wenn man die Entstehungsgeschichte des Werkes einmal näher unter die Lupe nimmt. Im Jahre 1899 stand es um Strauß’ Gesundheit nicht mehr zum Besten. Er war zu müde und gebrechlich, um nach all seinen anderen Kompositionen noch eine weitere abendfüllende Operette zu schreiben. Aus diesem Grund lehnte er das diesbezügliche Ansinnen von Franz Jauner, des Leiters des vom Bankrott bedrohten Wiener Carl-Theaters ab. Jauner gab aber nicht auf.

Ensemble

Schließlich einigte man sich auf folgenden Kompromiss: Die Librettisten Victor Léon und Leo Stein, von denen auch das Libretto zu Lehars „Die lustige Witwe“ stammt, schufen eine sog. Pasticcio-Operette, indem sie bereits vorhandene Walzer von Johann Strauß mit Texten ausstatteten, das Ganze zu einer einheitlichen Handlung zusammenfügten und daraus letzten Endes die Partitur erstellten. Dieses Potpourri aus den bekanntesten Strauß-Walzern wie beispielsweise das titelgebende „Wiener Blut“, „An der schönen blauen Donau“, „Geschichten aus dem Wienerwald“ und „Wein, Weib und Gesang“ ist sehr ansprechend. Dennoch fiel das Stück bei seiner Uraufführung am 26. Oktober 1899, die Strauß selbst nicht mehr miterleben konnte, bei Publikum und Presse durch. Jauner beging Selbstmord. Der Erfolg trat erst sechs Jahre später mit einer Neuproduktion am Theater an der Wien ein. Danach war der Siegeszug des Werkes nicht mehr aufzuhalten. Seitdem ist das „Wiener Blut“ an zahlreichen Bühnen zu sehen gewesen.

Kathryn J. Brown (Gräfin Zedlau), Emily Fultz (Franziska Cagliari), Kyung Chun Kim (Fürst von Ypsheim-Gindelbach)

So auch jetzt am Landestheater Niederbayern mit seinen Spielstätten Passau, Landshut und Straubing. Die hier zu besprechende Aufführung fand im Opernzelt in Landshut statt. Zumindest in szenischer Hinsicht geriet der Nachmittag zu einer recht beachtlichen Angelegenheit. Konventionen wurden von Regisseur Markus Bartl nicht gepflegt. Seine Herangehensweise an die fulminante Operette war durchaus moderner Natur und reichlich ungewöhnlich. Er hat zwischen den Ereignissen aus der Zeit des Wiener Kongresses, in dem die Handlung sich ursprünglich abspielt und solchen der Gegenwart mannigfaltige Parallelen entdeckt und aus dieser Erkenntnis heraus das Ganze in einem heutigen Rahmen angesiedelt. Der Wiener Kongress spielt keine Rolle mehr, die amourösen Abenteuer eines jungen Lebemannes, der sich gleichzeitig auf drei Damen einlässt, sehr wohl. Dieses Thema ist durchaus zeitloser Natur und kann sich in den unterschiedlichsten Ären abspielen. In ihm sieht der Regisseur das Bindeglied zu unserer heutigen Gesellschaft.

Maria Pitsch (Pepi Pleininger), Peter Tilch (Josef)

Zusammen mit Bühnen- und Kostümbildner Philipp Kiefer wählt er einen auf den ersten Blick extravagant anmutenden Weg, der indes im Lauf der Aufführung voll aufging. Der Fokus liegt auf den Personen, deren Lebensgefühl sich von unserem heutigen nicht sonderlich unterscheidet. Mit Blick darauf, dass der Adel in der Gegenwart keine sonderliche Rolle mehr spielt, hat das Regieteam die amüsante Handlung dann auch kurzerhand in ein eher bürgerliches Ambiente transferiert. Im ersten Akt sind die Handlungsträger gänzlich auf die Vorderbühne verbannt. Eine im Stil der 1890er Jahre gehaltene kachelartige Wand trennt sie vom restlichen Teil des Raumes ab. Der beengte Rahmen tut der an den Tag gelegten immensen Spielfreude der Protagonisten indes keinen Abbruch. Auf- und Abgänge erfolgen durch sechs Türen in der Wand. Als die im Trenchcoat auftretende Gräfin Zedlau sie bei ihrem ersten Auftritt nacheinander öffnet, erblickt man hinter ihnen verschiedene moderne Einrichtungsgegenstände sowie eine Bibliothek.

Chor des Landestheaters Niederbayern

Am Ende des ersten Aktes fährt die Wand in den Hintergrund und gibt dann im zweiten Aufzug den Blick auf einen Ballsaal frei, der von einem Podest und zwei riesigen Pflanzentrögen gesäumt wird. Hier wendet der Regisseur gekonnt die Filmtechnik des Zoomens an. Später darf das Wandmuster auch mal seine Konturen verlieren und verschwimmen. Den Höhepunkt dieses Bildes bildet der von Pepi angeführte Tanz der Comtessen. Ihr männliches, uniformiertes Erscheinungsbild samt Bärten à la Fidel Castro geben dieser Szene eine äußerst amüsante Note. Wenn die Uniformen der Damen schließlich fallen, kommen darunter ansehnliche Tanzkleider zum Vorschein. Die Bärte werden allerdings nicht abgelegt. Das lässt sich als Zeichen einer Entdifferenzierung der Geschlechter deuten. Den Höhepunkt erreicht Bartls kurzweilige Regiearbeit dann im dritten Aufzug, den er völlig überraschend in eine Toilettenanlage verlegt. Das muntere Versteckspiel zwischen den Beteiligten spielt sich in deren Kabinen ab und eine Anzahl von Klofrauen wartet mit einer munteren liedhaften Einlage zu Akkordeon, Gitarre und Cello auf. Das war ein in gleichem Maße neuer wie erheiternder Einfall, der dem heiteren Geschen noch zusätzlich eine feine ironische Note verlieh. Von sanfter Ironisierung war auch die muntere Personenführung geprägt. Operettenseligkeit wich in diesem Ambiente anspruchsvollem Musiktheater. Insgesamt hat die Regie das Stück durchaus ernst genommen. Bartl und Kiefer haben alles auf eine imposante Gratwanderung gesetzt und auf der ganzen Linie den Sieg davon getragen.

Bemerkenswert war, dass sich von den Sängern/innen keine(r) in den Vordergrund drängte. Vielmehr stand der Ensemblegedanke voll und ganz im Vordergrund; es wurde durchweg ein homogenes Zusammenspiel gepflegt. Von der darstellerischen Warte aus gab es bei sämtlichen Beteiligten nicht das Geringste auszusetzen. Die gesanglichen Leistungen waren indes durchwachsen. Stefan Reichmann gab mit gut gestütztem, hellem Tenor einen soliden Grafen Zedlau. Eine sehr volkstümlich gezeichnete, überdrehte Pepi Pleininger war Maria Pitsch, die ihren Part mit bestens fokussiertem, kraftvollem Sopran auch ausgezeichnet sang. Neben ihr fielen die dünn und kopfig intonierenden Kathryn J. Brown als Gräfin Zedlau und Emily Fultz in der Partie der Franziska Cagliari ab. Peter Tilch war ein sehr wienerischer Kammerdiener Josef, wobei der Dialekt einen etwas variablen Sitz seines eigentlich angenehmen Baritons nach sich zog. Sonor und ausdrucksstark sang Kyung Chun Kim den Fürsten von Ypsheim-Gindelbach. Als ausgemacht köstlicher Karl-Lagerfeld-Verschnitt präsentierte sich der ebenfalls starken Wiener Dialekt pflegende Schauspieler Reinhard Peer als Kagler. Den Grafen Bitowski, der ständig allen Damen die Hände küsst, gab überzeugend Hanse Gastinger. Aufgrund einer reichlich schrillen Stimmführerin bei den Damen blieben bei dem von Christine Strubel einstudierten Chor des Landestheaters Niederbayern Wünsche offen.

Am Pult pflegte Kai Röhrig einen lockeren und flüssigen Dirigierstil in insgesamt zügigen Tempi. Die gut aufspielende Niederbayerische Philharmonie animierte er zudem zu einer recht transparenten Tongebung.

Fazit: Ein Nachmittag, der sich insbesondere wegen der gelungenen Inszenierung gelohnt hat.

Ludwig Steinbach, 23.2.2016

Die Bilder stammen von Peter Litvai

 

 

CARMEN

Besuchte Aufführung: 20.6.2015

(Premiere in Landshut: 22.5.2015)

Plädoyer für Flüchtlinge und Vertriebene

Sehr überzeugend präsentierte sich die Neuproduktion der „Carmen“ im Theaterzelt Landshut. Um es vorwegzunehmen: Bei dieser rundum gelungenen Inszenierung handelt es sich um ein wahres Schmuckstück in Sachen hochkarätigen modernen Musiktheaters und einen echten Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte des Werkes. Hier ist dem schon oft bewährten Landestheater Niederbayern wieder einmal ein großer szenischer Wurf gelungen, der vollauf zu begeistern wusste und meinen Wahlspruch „Verachtet mir die kleinen Häuser nicht“ erneut bestätigt hat.

Hatte man von dem berühmten Münchner Choreographen Jonathan Lunn eine vom Tanz geprägte Inszenierung erwartet, sah man sich getäuscht. Auch verzichtete er Gott sei Dank auf jede Art von altbackenem Folklore-, Kastagnetten- und Stierkampfklischee, das in der Vergangenheit mit dem Werk oft verbunden wurde. Darüber, dass derartiger überflüssiger Kitsch Bizets Oper in unserer heutigen Zeit nicht gut bekommen würde, war sich der Regisseur im Klaren und wählte demzufolge einen zeitgemäßen Ansatz - und hat damit voll ins Schwarze getroffen. Die Art und Weise, wie er die „Carmen“ auf die Bühne gebracht hat, atmete hohe Aktualität und begeisterte auf der ganzen Linie. Dabei hat er gekonnt auch Brecht’sche Elemente in seine Deutung einbezogen, so wenn er Carmen aus dem hell erleuchteten Zuschauerraum auftreten und die erste Strophe der Habanera im Publikum singen lässt - ein genialer Einfall!

Es war nicht von ungefähr, dass die Theaterleitung gerade für den am 20. Juni stattfindenden ersten Gedenktag an Flüchtlinge und Vertriebene eine Aufführung dieser Produktion angesetzt hat. Denn genau bei dieser Thematik setzt Lunn mit seiner Konzeption an. Er verlegt das Stück von Sevilla in den Mittelmeerraum und lässt das Ganze in einem von Huntley Muir - von ihm stammen auch die gelungenen Kostüme - geschaffenen umzäumten und von gelangweilten Soldaten bewachten Flüchtlingslager spielen, das auch Assoziationen an einen Käfig oder ein Ghetto hervorruft. Eindringlich beschwört der Regisseur das ganze Elend der Flüchtlinge und Vertriebenen herauf, zeigt ihre Abhängigkeit von Schlepperbanden und ihre Ohnmacht gegenüber den Angriffen ausländerfeindlicher, schwarz gekleideter Terroristen mit Strumpfmasken, die ganz und gar Ausfluss der mafiösen Strukturen sind, die heutzutage im Mittelmeerraum vorherrschen. Der in einem schicken schwarzen Anzug auftretende Escamillo ist hier kein traditioneller Torero, sondern der Chef dieser anrüchigen Gesellschaft. Gleichzeitig hat er aber auch etwas von einem Show-Star an sich, der ganz genau weiß, wie man das Volk glücklich machen und von den gravierenden politischen Problemen des Alltags ablenken kann.

Martha O’Hara (Micaela)

Genau auf diese will Lunn aber hinweisen und bedient sich dazu gekonnt der Opernbühne. Sein Ziel ist klar: Mitleid zu erregen mit all den Flüchtlingen und Vertriebenen, die in der letzten Zeit mit Booten von Afrika über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind, und sie barmherzig aufzunehmen. Mit seinem flammenden Plädoyer gegen Ausgrenzung und Zurückweisung von auf der Flucht befindlichen Personen tritt er voll und ganz in das Fahrwasser von Präsident Gauck, der vergleichbaren Gruppen ja schon eine nicht unerhebliche Rolle beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg bescheinigt hat und ihren gegenwärtigen Schicksalsgenossen bei allen Unterschieden in Herkunft und Mentalität eine menschliche und wirtschaftliche Bereicherung der EU attestiert. Wie Gauck setzt sich auch Jonathan Lunn für Offenheit und Akzeptanz gegenüber den heutigen Flüchtlingen ein, die für unsere Gesellschaft ein Gewinn sein können, und fordert nachdrücklich dazu auf, ihnen eine sichere Zukunft zu geben. Dass es eine moralische Pflicht ist, Bootsflüchtlinge vor dem Tod im Mittelmeer zu retten, darin sind sich Bundespräsident und Regisseur einig.

Young Kwon (Escamillo)

In diesen Kontext fügt sich Carmen nur schwer ein. Auch ihr lässt der Regisseur eine gänzlich unkonventionelle Deutung zukommen und zeichnet sie als starke, selbstbewusste moderne Frau, die ihren eigenen Willen hat und im Kastagnetten-Lied des zweiten Aktes mit einem Ring den Takt dazu schlägt. Stolz und freiheitsliebend lässt sie sich weder der Gesellschaft noch den Flüchtlingen und Vertriebenen eindeutig zuordnen. Sie schwankt zwischen beiden Kollektiven hin und her und ist unfähig, sich für eine Seite zu entscheiden. Nicht Politik bestimmt ihr Dasein, sondern Freiheit und Liebe. Diese Begriffe sind im dritten Akt in verschiedenen Sprachen auf eine Rückwand geschrieben. Ihre Unfähigkeit, Farbe zu bekennen, lässt sie zunehmend zwischen die Stühle geraten. Aus diesem Dilemma kann ihr der von der Regie bewusst kühl und sachlich vorgeführte Don José auch nicht helfen. Sie gibt ihm im ersten Akt keine Blume, sondern ihr Oberteil, das sie zuvor ausgezogen hat. Die Vielschichtigkeit seiner Beziehung zu Carmen offenbart sich zudem in zwei kindlichen Alter Egos, die Lunn in trefflicher Anwendung der Lehren Sigmund Freuds den beiden zur Seite stellt. Diese ergehen sich ebenfalls in den unterschiedlichsten Befindlichkeiten. Mal helfen sie sich gegenseitig, mal streiten sie sich so stark um ein Plüschtier, dass dieses fast dabei zerstört wird. Am Ende kann das Mädchen den Kampf für sich entscheiden. In der eigentlichen Opernhandlung ist es umgekehrt, da behält Don José die Oberhand und Carmen muss untergehen. Entgegen der Tradition ersticht er sie hier nicht, sondern erwürgt sie mit bloßen Händen. Das war alles sehr gut durchdacht und mit Hilfe einer stringenten Personenregie auch hervorragend umgesetzt. Mit dieser grandiosen, atmosphärisch dichten, eine beklemmende Aktualität aufweisenden und geradezu preisverdächtigen Inszenierung hat Lunn ganz den Nerv der Zeit getroffen. Bizets Oper und die Wirklichkeit sind hier eine ganz vorzügliche, in hohem Maße aussagekräftige Symbiose von enormer Eindringlichkeit eingegangen, deren ausgesprochen humaner Anspruch zeitlose Gültigkeit beansprucht. Bravo!

Ensemble

Bereits bei den ersten Takten der Ouvertüre stand fest, dass das auch in musikalischer Hinsicht ein außergewöhnlicher Abend werden würde. GMD Basil H. E. Coleman und die bestens disponierte Niederbayerische Philharmonie zeigten sich voll in ihrem Element. So rasend schnell, so rasant und hitzig hat man die Einleitung sonst nur noch von Carlos Kleiber und Dan Ettinger gehört. Das ging wahrlich unter die Haut. Auch im Folgenden dirigierte Coleman mit feurigem, vorwärtsdrängendem und spannungsgeladenem Impetus. Sehr markant gerieten die mit ausgeprägter Wucht ausgeführten Orchesterschläge. Insgesamt wirkten die Akzente sehr prägnant, schwer und unheilschwanger. Dabei war das Klangbild durchweg sehr rationaler und kräftiger Natur. Zu Recht ernteten Dirigent und Orchester am Ende großen Applaus seitens des begeisterten Publikums.

Von den Sängern/innen ist an erster Stelle Franziska Rabl zu nennen, die sich als Idealbesetzung für die Carmen erwies. Darstellerisch gab sie sich sehr resolut und aufgeweckt. Gesungen hat sie mit glutvollem, sinnlich eingefärbtem Mezzosopran, der über vielfältige Farben und Nuancen verfügt, derart feurig und intensiv, dass es eine Freude war, ihr zuzuhören. Gänzlich ungewohnt erschien Martha O’ Hara als Micaela mit Kurzhaarschnitt, in Cordhosen und mit blauer Reisetasche. Schon darstellerisch recht intensiv, vermochte sie auch gesanglich mit ihrem eine solide Fokussierung aufweisenden, warm und gefühlvoll geführten Sopran voll zu überzeugen. Ein eleganter, charismatischer Escamillo war Young Kwon, der seiner Rolle mit klangschönem, sonorem und ausdrucksstarkem Bariton auch vokal gut entsprach. Indes war nicht zu überhören, dass Französisch nicht seine Muttersprache ist. Gegenüber seinen Mitstreitern in den Hauptpartien hatte der zwar schauspielerisch überzeugende, aber nur mit flachem, einer soliden tiefen Stütze seines Gesangsapparates abholdem Tenormaterial ausgestattete Don José von Joska Lehtinen einen schweren Stand. Famos schnitt der den Zuniga profund und obertonreich singende Kyung-Chun Kim - auch Co-Besetzung für Escamillo - ab. Kräftig und mit solider Verankerung ihres Soprans legte sich Emily Fultz als Frasquita ins Zeug, während Mandie de Villiers’ Mercedes etwas dünn klang. Ein solider Morales war Peter Tilch, der auch den Dancairo gab. Flachstimmig sang Albertus Engelbrecht den Remendado. Als kleine Doppelgänger von Carmen und Don José gefielen Alexandra Tilch und Peter Jarzombek. Bei dem von Christine Strubel einstudierten Chor des Landestheaters Niederbayern schnitten die Damen besser ab als die Herren, das gilt  insbesondere für die Tenöre.

Ludwig Steinbach, 22.6.2015

Die Bilder stammen von Peter Litvai

 

 

 

 

Störungen im Opernzelt

ALCINA

Premiere: 3. 10. 2014

Star Trek in der Oper

Sie gehört zu den meistgespielten Werken Georg Friedrich Händels: „Alcina“, die jetzt am Theater Landshut ihre gelungene Premiere feierte. Barock-Opern haben am Landestheater Niederbayern eine lange Tradition. Jedes Jahr steht eine auf dem Spielplan. In den letzten Spielzeiten machten insbesondere der Monteverdi-Zyklus und die Ausgrabung von Conradis „Schöner und getreuer Ariadne“ auf sich aufmerksam. Mit der „Alcina“ ist dieser Barock-Reigen jetzt fortgesetzt worden. Leider kam es kurz vor dem Ende zu einer Störung. Von einer im Gebäude neben dem Theaterzelt stattfindenden türkischen Hochzeit ging ein nicht enden wollendes, strapazierendes, nervtötendes Klopfen aus. Die Vorstellung musste deshalb kurz vor Schluss für einige Zeit unterbrochen werden. Nach ca zwanzig Minuten hatte der Lärm dann endlich ein Ende und die Vorstellung konnte zu Ende gebracht werden.

Gesche Geier (Alcina)

Die am 16. April 1735 im Londoner Covent Garden Theatre aus der Taufe gehobene, auf dem sechsten und siebten Gesang von Ludovico Ariostos im Jahre 1516 entstandenen Epos „Orlando furioso“ beruhende „Alcina“ stellt einen der größten Erfolge Händels dar. Von vielen Musikkennern wird sie für seine beste Oper gehalten, was durchaus nachzuvollziehen ist. Vergleicht man die „Alcina“ mit den anderen in dieser Zeit entstandenen Werken der Opernliteratur, wird offenkundig, wie sehr der Haller Komponist hier die herkömmliche Opera Seria weiterentwickelt hat. Die trocken anmutenden Secco-Rezitative hat er auf ein Minimum reduziert und die einzelnen Musiknummern nicht nur einmal unmittelbar aufeinander folgen lassen. Daraus resultiert eine stärkere Geschlossenheit des Werkes. Die traditionelle da-capo-Arie mit ihrer A-B-A-Form ist vielfältigen Variationen unterworfen. Schon aus dem Grund wirkt sie hier viel interessanter als in den Opern anderer Tondichter des 18. Jahrhunderts, weil sie oft nicht der Selbstreflexion der singenden Person dient, sondern sich direkt an einen anderen Beteiligten richtet, dessen Präsenz in der Arie vorausgesetzt wird.

Die Wiederholung des A-Teils weist häufig eine andere Einfärbung auf, gleich ob situativer oder emotionaler Art, als bei seinem ersten Erklingen. Das Ganze mutiert zu einer Aktionsarie, wie man sie aus späteren Zeitaltern der Musikgeschichte kennt. Daneben gibt es - auch das war im Jahre 1735 neu - zahlreiche Duette, Terzette und Quartette, in denen das Geschehen in gleicher Weise vorangetrieben wird wie in den herkömmlichen Secco-Rezitativen. Das stellte damals eine ganz grundlegende Neuerung dar. Händel hat hier wegweisend ein neues Terrain betreten und sich ebenso wie Gluck als Reformator der Oper betätigt. Er begann, die Formenstarrheit der Opera Seria zu durchbrechen und ihr den Weg in eine neue musikalische Ära zu ebnen. Die Musik der „Alcina“ ist vielschichtig und abwechslungsreich, zeitweilig markant, an anderen Stellen aber auch sehr emotional gehalten. Es mag erstaunen, dass der Komponist Alcina ungemein gefühlvolle und sanfte Töne zubilligt, die von Ruggiero ihretwegen verlassene Bradamante dagegen vokal ausgesprochen dramatisch und furios zeichnet. Man merkt, dass die Zauberin letztlich doch eine liebende Frau und Bradamante eine harte Kämpferin ist. Den Männern kommt in diesem Stück lediglich eine untergeordnete Funktion zu. Die Frauen sind es, die hier nachhaltig den Ton angeben.

Emily Fultz (Morgana) 

Hans Huyssen am Pult und die bestens disponierte Niederbayerische Philharmonie haben Händels Musik sehr tiefgründig und differenziert umgesetzt. Feurigen, dramatischen Tönen korrespondierten vielfältige weiche und emotionale Klangflächen, die das Seelenleben der Handlungsträger einfühlsam unterstrichen haben. Das gilt insbesondere für die sich hauptsächlich in Moll-Tonarten ergehende Titelfigur, die auf diese Weise vom Dirigenten durchaus nicht nur als böse Zauberin, sondern auch als Mensch gedeutet wurde, auch wenn er ihr zeitweilig eine ganz furiose Orchesterbegleitung zukommen ließ. Die dabei von den Musikern an den Tag gelegte Ausdrucksintensität war sehr beeindruckend, ebenso die Prägnanz ihres genau aufeinander abgestimmten, äußerst präzisen Zusammenspiels. Das war Händel vom Feinsten.

Susanne Drexl (Bradamante), Sabine Noack (Ruggiero), Gesche Geier (Alcina)

Einen ausgezeichneten Eindruck hinterließ auch die Inszenierung von Kobie van Rensburg, der sich nach seiner inzwischen beendeten Sängerkarriere ebenso erfolgreich der Regie zugewandt hat. Sein Ansatz ist weder konventioneller noch moderner Natur, sondern futuristisch geprägt. Er verlegt die Handlung aus der Zeit der Kreuzzüge in das Jahr 2267 und in die „unendlichen Weiten des Weltraumes, in dem das Raumschiff Enterprise unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen, und dabei viele Lichtjahre von der Erde entfernt in Galaxien vordringt, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat“. Die von ihm vorgenommene Transformation der mittelalterlichen Handlung in das Ambiente von Star Trek ist genauso neu wie originell - ein gelungener Einfall, mit dem der Regisseur dann auch auf Anhieb das zahlreich erschienene Publikum auf seiner Seite hatte, das ihn dann beim Schlussapplaus auch zu Recht heftig beklatschte.

Van Rensburgs Konzept ist voll aufgegangen. Einfühlsam macht er aus der ursprünglichen Kreuzrittergesellschaft Angehörige der Sternenflotte. Die Föderation befindet sich in seiner Deutung im Krieg mit den Klingonen. Ruggiero ist der Captain der Enterprise, der zu einem Viertel Klingone ist und deshalb als Vermittler in dem Konflikt besonders prädestiniert erscheint. Doch ist er auf der Suche nach dem vermissten Admiral Astolfo und dessen Sohn Oberto ebenfalls verschollen. Lieutenant Bradamante, seine Verlobte, macht sich in der Maske ihres Zwillingsbruders Ricciardo auf die Suche nach ihm. Begleitet wird sie von Admiral a. D. Melusso, dem ehemaligen Dozenten Ruggieros auf der Sternenflottenakademie, dessen Lieblingswort „Faszinierend“ und seine Ohren ihn als Bruder von Mr. Spock ausweisen. Fündig werden die beiden schließlich auf dem von einem dichten Asteroiden-Gürtel umgebenen, unzugänglichen Planeten XY007-669669, auf dem Alcina herrscht, die über ungewöhnliche Kräfte verfügt. Mit der Visualisierung ihrer vielfältigen Zaubertricks sind van Rensburg, der auch für die Videos verantwortlich zeigte, phantastische visuelle Impressionen von enormer Wirkungskraft gelungen. Einen gewaltigen Eindruck hinterließen insbesondere die Projektionen von Alcinas Opfern in Form von düsteren, verschwommenen Skeletten.

Leigh Michelow (Oberto), Peter Tilch (Melisso), susanne Drexl (Bradamante), Sabine Noack (Ruggiero)

Lutz Kemper und Dorothee Schumacher, die auch die prächtigen Kostüme kreierten, haben ihm einen Einheitsraum auf die Bühne gestellt, der im Lauf des Stückes immer wieder Wandlungen unterworfen ist. Mal wird er von stilisierten Felsen geprägt, mal von einem naturalistischen Wald. Das Bild desjenigen, der in diesem Ambiente um Landeerlaubnis bittet, wird zuerst einmal zusammen mit dem schriftlich fixierten Grund seines Begehrens auf die Hinterwand projiziert, wie es bei Bradamante/Ricciardo der Fall ist. Bei ihr haben die Maskenbildner so hervorragende Arbeit geleistet, dass sich die in einer offenen Beziehung mit dem schwarz gekleideten Soldaten Oronte lebende Morgana auch gleich in ihn verliebt. Im Folgenden ist es für Bradamante nicht gerade einfach, den Annäherungsversuchen der attraktiven und zuerst reichlich knapp bekleideten kleinen Schwester Alcinas - die einzige Bewohnerin des Planeten, die man im Universum aufgrund ALL-Net-Flat und zahlreicher „Spacebook“-Posts kennt und die sich ständig auf Männerjagd befindet - zu entziehen. Da wartet van Rensburg dann auch mit sehr amüsanten und erheiternden Situationen auf. Sein Handwerk versteht er trefflich. Er hat das Geschehen mit Hilfe einer logischen, flüssigen Personenregie versiert umgesetzt und auch vor den gut durchinszenierten da-capo-Arien nicht kapituliert. Und insbesondere letzteres ist schon eine nicht hoch genug zu schätzende Kunst. Darüber hinaus hat er im zweiten Teil in Brecht’scher Manier auch einmal den Zuschauerraum in seine Interpretation mit einbezogen. Und wenn er Oronte mit einem Lichtschwert hantieren lässt, outet er sich zudem als Star-Wars-Fan. Etwas deplaziert wirkte lediglich der Löwe, in den Alcina Admiral Astolfo verwandelt hat. In das Star-Trek-Umfeld hätte ein imaginäres Fabelraubtier von unbekannten Planeten besser gepasst. Insgesamt haben wir es hier mit einer hoch gelungenen, sehr unterhaltsamen und stringent umgesetzten Inszenierung zu tun, die van Rensburg alle Ehre macht und die für die Rezeptionsgeschichte der Oper wichtig ist.

Leigh Michelow (Oberto), Gesche Geier (Alcina)

Bleibt noch die gesangliche Komponente der Aufführung. Und hier stand es leider nicht zum Besten. Es ist schon erstaunlich, dass das Landestheater Niederbayern beispielsweise für Verdi-Opern über ganz ausgezeichnete, in hohem Maße karriereverdächtige Gesangssolisten/innen verfügt, für die Werke des Barock aber nicht in gleichem Maße hervorragende Kräfte aufbieten kann. Schön im Körper und mit einem ansprechenden appoggiare la voce, wie es der Italiener bevorzugt, sangen an diesem Nachmittag nur die beiden Mezzo-Sopranistinnen Sabine Noack als vollbärtiger Ruggiero und Susanne Drexl, die die Bradamante zudem sehr impulsiv spielte und für deren gelungenes männliches Äußere den Maskenbildern hohes Lob auszusprechen ist. Von diesen beiden tollen Sängerinnen wird man sicher in Zukunft noch viel hören. Sie haben das Zeug für größere Bühnen. Ihnen gegenüber fielen die übrigen Sänger/innen ab. Gesche Geier hat als äußerlich etwas unterkühlte, blonde Alcina die Intentionen des Regisseurs mit effektivem Spiel ansprechend umgesetzt, konnte mit ihrem stark in der Maske sitzenden, spröden Sopran aber nicht überzeugen. Ziemlich kopfig und dünn sang Emily Fultz die Morgana, der sie darstellerisch aber voll und ganz entsprach. Nur über einen Hauch von Stimme verfügte Leigh Michelow als Oberto. Ein tief verankertes Fundament seines flexiblen Tenors ging auch dem flach intonierenden Oronte Albertus Engelbrechts ab. Der Melisso von Peter Tilch sang manchmal ohne jegliche stimmliche Anlehnung seines Basses ziemlich im Hals, was eine trockene Tongebung zur Folge hatte. 

Fazit: Eine von der Inszenierung und der Leistung von Dirigent und Orchester her empfehlenswerte Aufführung, die ab dem 21. 10. auch in Straubing und ab dem 25. 10. zudem in Passau zu sehen sein wird. 

Ludwig Steinbach, 6. 10. 2014                Die Bilder stammen von Peter Litvai

 

 

 

Mitreißende Verdi-Premiere im Opernzelt

LA TRAVIATA

Premiere: 19. 6. 2014

Rückschau einer Todgeweihten

Die meisten deutschen Opernhäuser widmen einem Jubilar lediglich eine Neuproduktion in der betreffenden Saison. Eine rühmliche Ausnahme von diesem Regelfall stellt das Landestheater Niederbayern dar, das nach seinem gelungenen „Rigoletto“ im vergangenen Herbst die Spielzeit nun mit einem weiteren Werk Verdis, dessen Geburtstag sich 2013 zum 200. Male jährte, beschloss und damit in jeder Beziehung einen großen Erfolg für sich verbuchen konnte. Bereits am 14. 6. in Passau aus der Taufe gehoben, war die Neuinszenierung der „Traviata“  nun auch in Landshut zu sehen. Die dortige Premiere am 19. 6. war in jeder Beziehung mitreißend. Die klug durchdachte Inszenierung formierte sich mit den hervorragenden musikalischen und gesanglichen Leistungen zu einer eindrucksvollen, stimmigen Symbiose von großem Glanz. Als Spielstätte diente das Opernzelt, das man noch aus Heidelberg in bester Erinnerung hat, und das nun in Landshut steht, solange das dortige Theater renoviert wird. 

Tine Schmidt (Tänzerin), Anna Sohn (Violetta), Pim Veulings (Tänzer)

Einen modernen Zuschnitt wies die Inszenierung von Gastregisseur Amir Hosseinpour auf, der auch für die gelungene Choreographie verantwortlich zeigte. Er hat Verdis Oper  zusammen mit seiner Bühnen- und Kostümbildnerin Andrea Hölzl in ein überzeugendes zeitgenössisches Gewand gekleidet. Frau Hölzl hat sich bei der Gestaltung des Raumes augenscheinlich von Damien Hirsts Kunstwerk „In this terrible moment“ inspirieren lassen. Wenn das Publikum den Zuschauerraum betritt, ist der Vorhang bereits geöffnet. Man erblickt eine riesige Apotheke mit integrierter Intensivstation, deren Wände von Regalen mit mannigfaltigen Medikamenten gesäumt sind. Letztere werden später auf dem ganzen Boden verteilt. Wenn sich im Lauf des Aktes die Hinterwand öffnet, erschließt sich dem Blick das Pixel-Bild eines weiblichen Gesichtes mit einem überdimensionalen Mund in kräftigem Pink. Dieses dem ältesten Gewerbe der Welt entsprechende Sinnbild sündigen Begehrens steht im Gegensatz zu einer echten, tief gefühlten Liebe. All die hier aufgereihten Arzneien vermögen indes das Leben der auf einer nüchtern anmutenden Krankenliege ihrem nahen Ende entgegensehenden Violetta nicht mehr zu retten. Sie befindet sich bereits an der Schwelle zum Tode. Dr. Grenvil und eine an ihrem Bett wachende Ärztin können nichts mehr für sie tun. Die Sinuskurve auf dem EKG-Gerät, an das Traviata angeschlossen ist, ist nur noch schwach. Sie liegt in den letzten Zügen und erlebt das Ganze als Rückschau. Alles spielt sich aus ihrer Perspektive ab. Sie erhebt sich vom Krankenbett und durchläuft mit ihren letzten Geisteskräften noch einmal ihre Vergangenheit. 

 

Anna Sohn (Violetta

 

Dass Violetta hier von Anfang an dem Tode geweiht ist, ergibt sich schon aus Verdis Musik - genauer aus dem Vorspiel, das die Einleitung zum unheilschwangeren dritten Akt vorausnimmt. Da hat Hosseinpour genau hingehört. Auch im Folgenden inszeniert er stark aus der Musik heraus, ohne dabei seine ansprechende Grundkonzeption aus den Augen zu verlieren. Eine von der Regie in die Gegenwart verlegte Handlung, die dennoch in gänzlichem Einklang mit der Partitur steht: das ist heutzutage eher eine Seltenheit und legt beredtes Zeugnis von den hohen Fähigkeiten des Regisseurs ab. Auch äußerlich lässt er keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Protagonistin ihrer Tuberkuloseerkrankung erliegen wird, wenn er und Frau Hölzl alle anderen Beteiligten in schwarze Gewänder hüllen und den aus den geöffneten Apothekenregalen hervorlugenden Chor obendrein mit dunkel geschminkten Gesichtern vorführen. Diese unheimlichen Boten des Todes machen einen recht makabren Eindruck und rücken das Ganze an die Schwelle zur Surrealität. Auf ihrem Sterbeweg begleitet wird Violetta von einem Tänzer und einer Tänzerin, durch die das Geschehen gekonnt auf eine allegorische Ebene gehoben wird. Der Mann, gleich den Choristen schwarz geschminkt, repräsentiert die Masse der gesichtlosen, anonymen Freier der Titelfigur, die Frau ist zum Einen als ihr Alter Ego aufzufassen - beide tragen manchmal dasselbe lila Kleid -, erscheint zum anderen aber auch häufig als Jungfrau Maria. Traviata hat ein ganz inniges Verhältnis zur Mutter Gottes und tut es damit ihrem historischen Vorbild Marie Duplessis gleich, mit dem sie bei Hosseinpour gleichsam zu einer Einheit verschmilzt. Die beiden Tänzer sind zwar nicht durchweg präsent, erscheinen im Laufe der Aufführung aber immer wieder als Antipoden und versuchen jeweils Violetta auf ihre Seite zu ziehen. Er lockt sehr weltlich mit Schmuck, sie mit dem Kreuz als Verheißung von Himmelsglück. Es ist der ständige Kampf Gut gegen Böse, der hier auf einem metaphorischen Terrain ausgetragen wird. 

Anna Sohn (Violetta), Chor

Darüber hinaus wartet Hosseinpour auch mit einem gehörigen Schuss Gesellschaftskritik auf. Nachdrücklich stellt er das Verhalten eines fragwürdigen Kollektivs an den Pranger, das nur dem Starrummel lebt und dem in einem Gala-Heft abgebildeten, das Brindisi des Anfangs in ein Mikrophon singenden Pop-Star Violetta keine Ruhe lässt. Selbst im Sterben wird ihr von ihren Fans keine Privatsphäre zugestanden. Das einzige Mitglied dieser Gemeinschaft, das eine positive Entwicklung durchläuft, ist der einen eleganten schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine Krawatte tragende sowie mit einem Aktenkoffer auftretende Geschäftsmann Germont, der Traviata im zweiten Akt zur Untermauerung seiner Forderung auf einem Flachbildschirm eine Photo-CD vorführt, die seine Tochter in verschiedenen Lebensaltern, als Kind mit Pony, am Klavier und schließlich als Studentin zeigt - ein eindringliches Bild. Violetta kontert verzweifelt mit Babykleidern, die sie und Alfredo sich vorsorglich schon einmal angeschafft haben. Der Kinderwunsch als Ausdruck eines ihrer todbringenden Krankheit entgegengesetzten Lebensoptimismus: ein hervorragender Einfall, der tief in ihr Seelenlieben blicken lässt. In dieselbe Richtung geht im dritten Akt die Szene, in der sie mit Hilfe der beiden Tänzer ihre Hochzeit mit Alfredo imaginiert und dabei ständig ihr Double zu vertreiben sucht. Neben solchen psychologischen versteht sich der Regisseur auch auf Tschechowsche Elemente: Im dritten Akt sieht man Germont denselben Brief schreiben und vorlesen, den Violetta gerade von ihm erhalten hat und dessen Inhalt sie mit stummen Lippenbewegungen ebenfalls formt. Das „È strano“ singt sie nicht als Monolog, sondern als Bitte um Rat an die Ärztin. Manchmal gönnt Hosseinpour den Handlungsträgern Auftritte an Stellen, wo diese von Verdi gar nicht vorgesehen sind, was die szenische Spannung immens steigert. Ein echter Coup de Théatre gelingt ihm am Ende, an dem er Traviata einen symbolischen Tod sterben lässt: Die Jungfrau Maria erscheint, nimmt sie sacht an der Hand und führt sie von der Bühne - derjenigen des Lebens. Das EKG zeigt jetzt eine Nulllinie. Auch das ein  starkes Bild, das seinen Eindruck nicht verfehlte. 

Anna Sohn (Violetta), Pim Veulings (Tänzer)

Vorzüglich waren die musikalischen Leistungen. Dazu dürfte der Fakt, dass die prachtvoll und gut gelaunt aufspielende Niederbayerische Philharmonie nicht in den engen Orchestergraben des Landshuter Theaters gezwängt war, sondern in dem ungleich größeren des Theaterzeltes ihren Platz gefunden hatte, erheblich beigetragen haben. Die Akustik dort ist nach wie vor phantastisch - daran hat sich seit Heidelberg nichts geändert -, was den Klang sich frei und ungehindert über den ganzen Raum ausbreiten ließ. Der Eindruck war enorm. Da konnte sich das Können von GMD Basil H. E. Coleman voll und ganz entfalten. Er animierte die Instrumentalisten zu einem intensiven, emotional eingefärbten und differenzierten Klang und erzeugte zudem eine abwechslungsreiche Farbpalette. Oft nahm er das Orchester in bedächtiger Art und Weise zurück, verstand es aber insbesondere bei den Ensembleszenen ebenso gut, es gehörig aufzudrehen. 

Kyung Chun Kim (Germont), Anna Sohn (Violetta)

Auf hohem Niveau bewegten sich auch die gesanglichen Leistungen. Wieder einmal wurde offensichtlich, dass an den kleinen Opernhäusern wahre vokale Schätze schlummern. Das an diesem mehr als gelungenen Nachmittag aufgebotene Ensemble erwies sich fast durch die Bank größerer Bühnen würdig. Das begann schon bei der jungen koreanischen Sopranistin Anna Sohn, die eine absolut erstklassige Violetta war. Darstellerisch legte sie ihre Rolle etwas sensibel und verletzlich an und bewies dabei eine ausgeprägte schauspielerische Ader. Gesanglich vermochte sie in erster Linie mit den vorbildlich italienisch fokussierten, prägnanten Koloraturen und der Höhensicherheit des wunderbar und mit großer Sicherheit gesungenen „Sempre libera“ wie auch durch die große Gefühlsbetontheit ihres Vortrags zu begeistern. Neben ihr gab Jeffrey Nardone einen von der Regie etwas kühl angelegten Alfredo, für den er sich mit perfekt sitzendem, kraftvollem Tenor stimmlich als gute Wahl erwies. Einen wunderbaren, frischen und sonoren Bariton bester italienischer Schulung mit hohem Ausrucksspektrum brachte der ebenfalls noch junge Kyung Chun Kim für den Germont mit, dem er auch darstellerisch ein glaubhaftes Profil verlieh. In der Doppelrolle der Flora und der Annina bewährte sich mit angenehmem Mezzosopran Kara Harris. Von Michael Wagners voll und rund singendem Dr. Grenvil hätte man gerne mehr gehört. Heimar Ostermeier brachte für den Gastone und den Giuseppe kräftigeres Stimmmaterial mit, als man es von Vertretern dieser kleinen Rollen sonst gewohnt ist. Oscar Imhoff war ein solider Baron Duophol. Diese Bass-Rolle sollte aber nicht mit einem Tenor besetzt werden. Da stimmte der Klangeindruck ganz und gar nicht. In der Mittellage ordentlich, zur Höhe hin etwas dünn präsentierte sich Michael Kohlhäufl in der kleinen Partie des Marquis d’ Obigny. Da wirkte Franziskus Rohmert als Bote und Diener Floras vokal etwas profunder. Ein Extralob gebührt den beiden Tänzern Tine Schmidt und Pim Veulings, die Herrn Hosseinpours ausgefeilte Choreographie einfach grandios umgesetzt haben. Auch der von Christine Strubel einstudierte Chor des Landestheaters Niederbayern zeigte sich in guter Verfassung.

Fazit: Wieder einmal hat sich der Wahlspruch „Verachtet mir die kleinen Häuser nicht“ voll und ganz bestätigt. Auf diese phänomenale, geradezu preisverdächtige „Traviata“ des Landestheaters Niederbayern, deren Besuch jedem Opernfreund dringendst ans Herz gelegt wird, können sogar große Opernhäuser neidisch werden.

Ludwig Steinbach, 21. 6. 2014               Die Bilder stammen von Peter Litvai.

 

 

 

 Eine echte Rarität:               Johann Georg Conradi (1645-1699)

DIE SCHÖNE UND GETREUE ARIADNE

Premiere am  25. 4. 2014 in Landshut  (am 12.04. in Passau)

Im Labyrinth des Ichs

Er könnte heute vielleicht als einer der ersten Komponisten der Musikgeschichte gelten, falls sein Gesamtwerk überlebt hätte: Johann Georg Conradi (1645-1699), der als Kapellmeister zuerst an den Höfen von Ansbach und Römhild wirkte, bevor er schließlich 1690 das Amt des musikalischen Direktors an der Hamburger Oper am Gänsemarkt übernahm. An diesem schon damals berühmten Haus, an dem später ja auch Keiser, Händel, Matheson, Graupner und Telemann wirkten, führte er zahlreiche französische und italienische Bühnenwerke auf. Als Opernkomponist trat er ebenfalls weiter in Erscheinung. Eine seiner für Hamburg geschriebenen deutschen Barock-Opern war „Die schöne und getreue Ariadne“, die auf einem Libretto von Christian Heinrich Postel beruhend 1691 am Theater am Gänsemarkt erfolgreich aus der Taufe gehoben wurde, aber seit 1740 mit all den anderen zahlreichen Opern Conradis als verschollen galt. 

Roland Schneider (Evanthes/Bacchus), Mandie de Villiers-Schutte (Ariadne)

Das Wiederauftauchen der „Ariadne“-Partitur gleicht einem kleinen Abenteuerroman. Der bereits vor einigen Jahren verstorbene Bostoner Musikwissenschaftler George Buelow hat sie im Jahre 1970 an keinem geringeren Ort als der Library of Congress in Washington D. C. wiederentdeckt - schleierhaft ist, wie sie den Weg von Deutschland nach Amerika gefunden hatte - und war auf Anhieb von ihr begeistert. Im Folgenden setzte er alles daran, die „schöne und getreue Ariadne“ wieder auf die Bühne zu bringen. Seine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Zu einer ersten konzertanten Aufführung in den USA kam es zu Beginn dieses Jahrhunderts in Boston. Jetzt ist auch das Landestheater Niederbayern auf dieses hoch interessante Stück aufmerksam geworden und hat ihm eine beachtliche Neuproduktion gewidmet. Nach der Premiere in Passau am 12. 4. wurde die „Ariadne“ nun auch dem Landshuter Publikum erstmals präsentiert und ist bei diesem auf große Zustimmung gestoßen. 

Emily Fultz (Phädra), Mandie de Villiers-Schutte (Ariadne), Albertus Engelbrecht (Theseus)

Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Conradis Musik ist sehr ansprechend. Sie schließt eine bisher aus Mangel an Material nur wenig erforschte Lücke in der Operngeschichte zwischen Monteverdi und Händel. Insoweit ist diese Wiederentdeckung auch von enormer historischer Relevanz. Man kann gut verstehen, dass die Oper damals beim Hamburger Publikum begeistert aufgenommen wurde. In einer Zeit, als am Gänsemarkt in erster Linie französische Opern das Repertoire dominierten, muss die in der „Ariadne“ verwendete Stilmischung für großes Aufsehen in der Musikwelt gesorgt haben. Conradi kombiniert mit großem Geschick italienische, französische und deutsche Elemente. Mit der Vielzahl an kleinen bis kleinsten Arien und Ariosi knüpft er gekonnt an die italienische Tradition an. Bei der Ouvertüre und den vielfältigen Tänzen (Chaconne, Passacaglia) werden nachhaltig französische Einflüsse hörbar. Und insbesondere das Geplapper des komischen Dieners Pamphilius in seiner volksliedhaften Scherenschleifer-Arie ist eindeutig deutscher Natur. In die Richtung von Letzterem gehen auch die bemerkenswerten accompagniato-Rezitative, in denen man schon Bach vorausahnen kann. Es ist ein eindrucksvolles Potpourri verschiedener Stile, das Conradi hier gelungen ist. Die Musik ist kraftvoll und emotional angehaucht. Ein Novum stellte damals die vielfältige Verwendung von kleinen Ensembles, Duetten und Terzetten dar. Auch heute macht dieser für Barockopern eher seltene Fakt die „Ariadne“-Partitur interessant. Reichlich willkürlich mutet indes Conradis Behandlung der Tonarten an, die er tüchtig und konzeptionslos durcheinander wirbelt. Auch von einer „Kunst des Übergangs“, wie es Wagner, dessen Geburtstag und Conradis Todestag auf dasselbe Datum, den 22. Mai, fallen, später so trefflich formulierte, scheint Conradi noch keine große Ahnung gehabt zu haben. Augenscheinlich war die Harmonielehre damals noch nicht weit fortgeschritten. Den hohen Gehalt des Werkes insgesamt vermögen diese kleinen Einschränkungen aber nicht zu beeinträchtigen. Und bei Kai Röhrig und der Niederbayerischen Philharmonie war das Werk in besten Händen. Der von ihnen erzeugte barocke Klangteppich zeichnete sich durch große Intensität und eine ausgeprägte Farbenpalette aus. 

Oscar Imhoff (Pamphilius), Roland Schneider (Evanthes/Bacchus), Wolfgang Frisch (Pirithous), Albertus Engelbrecht (Theseus)

Die Handlung knüpft an die griechische Mythologie an: König Minos von Kreta und seine Frau Pasiphae beabsichtigen, ihre Tochter Ariadne mit dem sie liebenden Prinzen Evanthes zu verheiraten, unter dessen Maske sich der Gott Bacchus verbirgt. Die kretische Prinzessin interessiert sich aber viel mehr für den Athener Theseus, der es wiederum auf ihre Schwester Phädra abgesehen hat und für den Ariadne lediglich Mittel zum Zweck ist, den Minotaurus zu töten. Zusammen mit seinen Begleitern Pirithous und Pamphilius gelingt ihm dieses Vorhaben. Mit Ariadnes sprichwörtlichem Faden finden die Gefährten wieder aus dem Labyrinth heraus. Von Dank kann indes keine Rede sein. Theseus lässt Ariadne einfach sitzen und sucht mit Phädra das Weite. Nun hat Evanthes freie Bahn. Er gibt sich der trauernden Prinzessin als Bacchus zu erkennen, die nun ihre Liebe zu ihm entdeckt und von ihrem Schmerz Erlösung findet. Venus gibt dem Paar ihren Segen. 

Roland Schneider (Evanthes/Bacchus), Albertus Engelbrecht (Theseus)

Regisseur und Choreograph Jonathan Lunn nähert sich dem Stoff erfreulicherweise von einem modernen Ansatzpunkt aus. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er kein altbackenes, verstaubtes Barock-Ambiente auf die Bühne bringt, sondern dem Ganzen gekonnt einen zeitgenössischen Rahmen verpasst. Alexandra Burgstaller, von der auch die gelungenen Kostüme stammen, hat ihm einen kargen, nüchtern und steril anmutenden weißen Einheitsraum auf die Bühne gestellt, der von Wänden, Türen und einem riesigen Kastenschrank eingenommen wird. Mit Hilfe der Drehbühne sind schnelle Ortswechsel möglich. Das hier angewandte Baukastenprinzip ist durchaus überzeugend. In diesem visuellen Umfeld agieren die Handlungsträger in zeitgemäßen Klamotten wie Jeans, Pulli, schwarzem Lack und Leder. Die langen, fließenden Kleider der Damen haben einen recht erotischen Zuschnitt. Lunn gelingt eine treffliche Herausarbeitung der zwischenmenschlichen Beziehungen und Konflikte. Dabei wendet er auch Brecht’sche Elemente an. Der elegante Anzugträger Minos und sein Hofstaat betreten durch den Zuschauerraum die Bühne. Der Auftritt von König und Königin wird zu einem spektakulären Medienereignis, das von Kameras auf Bildschirme und Monitore übertragen wird. Auch sonst setzt der Regisseur vielfach ansprechende Filmprojektionen ein. Als Waffen dienen nicht altmodische Schwerter, sondern Pistolen. Die choreographischen Einlagen waren von modernem Ausdruckstanz geprägt. Überzeugend geriet auch der geistig-innovative Gehalt, den Lunn seiner Interpretation angedeihen ließ: Er deutet die Handlung als Selbstfindungstrip Ariadnes, als Reise in ihr verflochtenes Inneres, die schließlich ein neues Ich in ihr hervorbringt. Der Ariadne-Faden ist in Anlehnung an Sigmund Freud als Nabelschnur zu verstehen, den die Kretische Königstochter symbolisch durchtrennt, um am Ende mit Bacchus ein neues Leben beginnen zu können. Das alles war gut durchdacht und überzeugend umgesetzt. 

Gesche Geier (Pasiphae), Peter Tilch (Minos), Statisterie

Bleibt noch die gesangliche Seite. Und hier stand es nicht gerade zum Besten. Von allen Sängern/innen vermochte lediglich der kraftvoll und mit guter Stütze seines Tenors singende Albertus Engelbrecht in der Rolle des Theseus zu gefallen. Er ließ alle seine Partner/innen weit hinter sich. Mandie de Villiers-Schutte vermochte als Ariadne rein darstellerisch mit impulsivem Spiel durchaus zu gefallen. Indes hätte ihr Sopran erheblich besser im Körper sitzen können. Nicht nur bei ihr, sondern auch bei Emily Fultz’ Phädra stellten sich aus diesem Grund in der Höhe manchmal einige recht grelle Töne ein. Auch der Sopran von Gesche Geiers Pasiphae mangelte es an sonorer Fülle und Rundung der Stimme. Eine solide italienische Technik gingen dem oft halsig intonierenden Minos Peter Tilchs und dem sehr dünnstimmigen Pirithous von Wolfgang Frisch ebenfalls ab. Oscar Imhoff sprach als rein äußerlich köstlicher Pamphilius mehr als dass er sang. Schauspielerisch ein wahres Kabinettstückchen machte der Countertenor Roland Schneider aus dem sympathischen Brillenträger Evanthes, der am Schluss seine etwas bübchenhafte Seite ablegt und zum kraftvollen Gott des Weines mutiert. Wohl aus praktischen, ensembletechnischen Gründen wurden die kleinen Partien von Venus, Grazie, Satyr und Bacchant von den Damen und Herren Geier, Fultz, Tilch und Frisch übernommen. Insgesamt waren die vokalen Leistungen an diesem Abend unzureichend, was man nach den insgesamt toll gesungenen „Pirata“ und „Rigoletto“ nicht erwartet hätte. Aus dem Tanzensemble gefielen Gareth Mole, Bernadette Leitner und Anja-Carina Maisenbacher. 

Fazit: Diese Oper ist eine echte Rarität. Sie hat es verdient, wieder bekannt zu werden und sollte von anderen Häusern unbedingt nachgespielt werden.

Ludwig Steinbach, 28. 4. 2014           Die Bilder stammen von Peter Litvai.

 

 

 

 

RIGOLETTO

Lesen Sie unsere Kritik von der Vorstellung am 14.02.14 im Theater Passau

 

 

IL PIRATA

Lesen Sie unsere Kritik von der Vorstellung am 17.01.14 im Theater Passau

 

 

IL RITORNO D'ULISSE IN PATRIA

Premiere am 01.03.2012

(Premieren in Passau am 11. 02. 2012, in Straubing am 08.02.2012)

Witz, Spiellaune und musikalisch vom Feinsten: Barockszenen aus Niederbayern

Das Landestheater Niederbayern (früher: südostbayerisches Städtetheater) bespielt die Musiktheater in Passau, Straubing und Landshut. Die Neuproduktion des „Ritorno“ hatte an den Spielstätten in Straubing und Passau jeweils schon im Februar Premiere. Zur Realisierung des Projekts verpflichtete man erfahrene Spezialisten: Wolfgang Katschner, ECHO-Preisträger und Leiter der Berliner Lautten Compagney für die Musik und für die Regie den Südafrikaner Kobie van Rensburg, der schon als Sänger von Barockmusik eine internationale Karriere hinter sich hat und sich vor etwa zehn Jahren auch der Regie zugewandt hat. Was dabei herausgekommen ist, das sei vorweggenommen, kann sich nicht nur sehen lassen, sondern kann für kleine Bühnen mit einfachen szenischen Möglichleiten geradezu als maßstabsetzend bezeichnet werden. Selbst einem Publikum, dem das 'recitar cantando' und die wenig opulente Partitur vielleicht etwas spröde vorkommen, wird hier allein durch den Witz der Inszenierung und die schauspielerische Leistung ein Abend geboten, der nachhaltig beeindruckt.

Die Geschichte ist allgemein bekannt; sie behandelt den zweiten Teil der Odyssee, in der Odysseus (Ulisse) nach zehn Jahren inkognito in sein altes Reich zurückkehrt, mit List und Kraft und im Widerstreit der Götter die Freier Penelopes austrickst und letztere schließlich davon überzeugen kann, dass er es tatsächlich ist. Nicht umsonst ist auch der Ritorno eine Karnevalsoper gewesen: Van Rensburg legt eine spritzige, unterhaltsame, aber nie flache Regiearbeit vor, für die er auch in teils drastischer, aber nie vulgärer Populärsprache von vorgestern die deutschen Übertitel erstellt hat („Scheißgefühl, wenn man Ulisse zum Feind hat“, sagt Antinoo, einer der Freier.) Er inszeniert die lineare Dramaturgie des Stoffes flüssig und nahe am Libretto. Wirkliche Verwicklungen sind nicht vorhanden, aber etliche lockernde Überraschungen, die jeweils witzig und originell auf die Bühne gebracht werden, die kongenial von Dorothee Schumacher und Lutz Kemper erstellt wurde. Die zeichnen auch für die überaus einfallsreichen schönen Kostüme verantwortlich. Das einfache Bühnenbild besteht im Wesentlichen nur aus verschiebbaren weißen Wandelementen, die in verschiedenen Bühnenhorizonten quer eingebaut sind und auf welche wegen der vielen schnellen Szenenwechsel des Werks jeweils zur Handlung passende Standbilder projiziert werden. So gibt es keine Video-Flimmerei, sondern immer nur handlungstragende oder –verdoppelnde Projektionen, die der Regisseur selbst entworfen hat. Als Requisiten dienen lediglich Bündel von senkrechten prismatischen Strukturen, aus denen sich Felsen am Strand von Ithaka oder z.B. auch der Thron der Penelope zusammensetzen lassen. Da die Elemente aus Leuchtschirmen gebaut sind, können auf ihnen Lichteffekte realisiert werden. Zum zweiten Teil der Oper kommen im Hintergrund lediglich zwei Säulen dazu, die den Palast der Penelope suggerieren.

Van Rensburg lässt die Götter auf bis zu 30 cm hohen Kothurnen und ihren „Zunftstangen“ auftreten, wodurch sie wie auf Stelzen herumlaufen, was nicht besonders zu ihrer Seriosität und Solidität beiträgt. Im Prolog werden die allegorischen Figuren Amor, Fortuna und Tempo wie die Götter ausstaffiert und mit der Umana Fragilità konfrontiert, die die Nichtsnutzigkeit der Götter beklagt. Ähnlichkeiten mit dem Umgang des rheinischen Karnevals mit unseren Herrscherfiguren sind rein zufällig… Es geht aber auch um Erbauung, Erziehung und Moral; mit schmunzelnd erhobenem Zeigefinger wird klargemacht: gewisse Dinge stehen bloß den Oberen zu. Köstlich die Konfrontation des karnivoren Vielfraßes Iro mit dem bescheidenen Vegetarier Eumete (Hirte). Super die Szene des Nettuno, der von Giove die Erlaubnis erhalten hatte, die Phäaken im Meer zu versenken. Denn diese hatten sich erfrecht, Ulisse in seine Heimat zu bringen. Ihre Galeere, von Statisten mit übergeworfenen Decken lebhaft schwankend dargestellt, wird leider von einem weißen Hai versenkt. Köstlich die drei Freier der Penelope: Pisandro, Anfinomo und Antinoo, die kostümmäßig besonders hervorgehoben sind und in ihrer persiflierten Werbung um die Königin wie eine Vorschau auf die drei Freier der Arabella wirken. Zugleich wurden sie von sechs „Boxenludern“ umschwärmt. Schließlich Penelope, die wohl am liebsten ihre Rolle als getreue keusche Hinterbliebene noch weiter gespielt hätte, als an der Identität des zurückgekehrten Odysseus kein Zweifel mehr bestand. Denn er hatte ja die Beschaffenheit der Decke von beider Ehebett, die gerade als riesiges rotes Tuch vom Bühnenhimmel flatterte, genau beschreiben können.  Die Oper wurde auf gut zweieinhalb Stunden reine Spielzeit eingekürzt und hatte somit auch eine gut verdauliche Länge. Bühneneffekte, stete Bewegung im Personal und viele sehenswerte Einfälle sorgten für Kurzweil . Nur wenn die Darsteller wichtige Botschaften zu verkünden hatten, stellte die Regie sie dozierend an die Rampe.

Es spielten Musiker der niederbayerischen Philharmonie ergänzt um etliche Musiker mit Originalinstrumenten: Cembali, Orgel, Theorben, Harfe, Laute, ein schnarrendes Regal (zur Begleitung des tiefen Basses von Nettuno), Blockflöten und auch Zinken. Hier und da hatten die Instrumentalisten zwar Mühe mit ihren Instrumenten, aber dem Dirigenten Wolfgang Katschner gelang durchgängig ein nuancenreicher leichter Monteverdi-„Swing“ mit seinem feinen Klangbild. Vierzehn überwiegend sehr junge Sänger gaben die neunzehn Rollen, dazu noch ein Vokalensemble für die drei Phäaker. Allen Protagonisten war eine sehr gute schauspielerische Einstellung zu bescheinigen.  Die leichten, beweglichen Stimmen passten sehr gut in den kleinen historischen Theaterraum mit seinen knapp 400 Plätzen und sorgten für beste Textverständlichkeit beim überwiegenden recitar cantando. Nur die Penelope hat ein größeres Maß an kantablen Ariosi; Sabine Noack sang sie mit weichem ausdrucksstarkem Mezzo und höchst ansprechender Noblesse. Albertus Engelbrecht brachte mit feinem dunklem Tenor einen facettenreichen Ulisse, Emily Fultz mit gut geführtem koloratursichern Sopran die beiden Rollen der Giunone und des schwarz glitzernden Amore mit kleiner schwarzer Armbrust. L’Umana fragilità im Prolog sang mit gefälligem Counter Roland Schneider ebenso wie den Freier Pisandro, der witzigerweise beim Scheitern seines Versuchs, Ulisses Bogen zu spannen, vor Schreck in sein Naturregister verfiel. Besonders fiel unter den Freiern noch der Bassbariton Michael Wagner mit großer Spielfreude auf, der sich auch stimmlich in dieser Rolle als Macho und Freier-Chef spürbar wohlfühlte. Anna Janiszewski überzeugt mit schönem schlanken Mezzo als Ericlea. Oscar Imhoffs Tenorbuffo gefiel in der dankbaren Rolle des Iro ebenso wie Dávid Szigetvári mit feinem beweglichem Tenor als Telemaco. Mandie de Villiers-Schutte überzeugte mit schimmerndem Sopran als Melanto und gab zum Schluss auch noch die kleine Rolle der Minerva. Wolfgang Frisch leicht und stilsicher sowohl als schwärmerischer Liebhaber Eurimaco wie auch als Giove.  Der tiefe kernige Bass von Nikolaus Beer eignete sich prächtig für den Nettuno. Etwas schwächer die Fortuna der Elizabeth Immelmann.

Die letzte der drei Premieren des Ritorno fand in Landshut ein volles Haus vor, das Sängern, Dirigenten und Regisseur verdientermaßen einhellig und anhaltend zujubelte. Die Heimkehr des Odysseus wird in Landshut noch am 11. und 31. März sowie am 1. April gegeben und in Passau noch am 10. und 30. März. Diese Städte in Niederbayern sind zudem sowieso immer eine Reise wert.

Manfred Langer, 06.03.2012

Fotos: Peter Litvai

 

 

 

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