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DIE BERNAUERIN

8. August 2021

Mitreißendes Bairisches Welttheater!

Zu Ehren von Carl Orff, der im nahen Dießen am Südende des oberbayerischen Ammersees lebte und in der barocken Klosterkirche von Andechs auf den Höhen des Ostufers beigesetzt ist, wurde vor einigen Jahren das Orff-Festival ins Leben gerufen, welches alljährlich vor allem im Florian-Stadl unterhalb des Klosters Andechs vor allem Orffsche Werke spielt. Dieses Jahr hatte man neben einem Beethoven-Schwerpunkt auch wieder eine Oper von Carl Orff im Programm, „Die Bernauerin“. Sie gehört zu seiner Bühnenwerkgruppe mit dem Übertitel „Bairisches Welttheater“. Prof. Wilfried Hiller, ein Orff-Schüler, sowie Florian Zwipf-Zaharia, der Festival-Intendant, konzipierten eigens für das diesjährige Festival eine szenische Aufführung in der Regie von Angela Hundsdorfer in einer an die Corona-Bedingungen angepassten neu geschriebenen Kammerorchesterfassung.

 

In dem Stück geht es um die nicht standesgemäße Heirat des Thronfolgers im Herzogtum Baiern und der Baderstochter Agnes Bernauer im Jahre 1432 nach vier Jahren des mehr oder weniger heimlichen Zusammenseins. Politische und gesellschaftliche Umstände und Zwänge lassen diese Ehe nicht zu. Schließlich wird Agnes von Herzog Ernst, dem Vater von Albrecht, auch unter dem Druck der Kirche zur Hexe erklärt und in der Donau ertränkt. Das Stück bedient sich einer „altbairischen Kunstsprache“, wie die Regisseurin im Programmheft erläutert. Es gibt einen ständigen Spannungseffekt zwischen Musik und Sprache, wobei die Musik die Basis ist, Räume bildet und den Sinn der Sprache, die aufgrund des für Nicht-Bayern oft unverständlichen bairischen Dialekts häufig unverständlich bleibt. Das Schlagwerk mit beizeiten großer Wucht und Schärfe spielt im Kammerorchester eine große Rolle und verstärkt enorm die dramaturgische Aussage. Letztlich geht es um die leider auch heute noch relevante Frage, wie Gesellschaften mit der Störung der Ordnung umgehen, was mit Frauen geschieht, die sich emanzipieren oder gar Machtansprüche stellen wollen, und wie manipulierbar das unaufgeklärte Volk durch Demagogen ist. All das ist ja allzu aktuell, und zwar weltweit.

 

Angela Hundsdorfer hat dieses Thema eindrucksvoll mit begrenzten szenischen Mitteln im Bühnenbild von Thomas Bruner und im Licht von Sebastian Sieber mit intensiv geführten Protagonisten mitreißend und zeitweise erschütternd in Szene gesetzt. Auf beiden Seiten des Orchesters ist eine große quadratische Projektionsfläche aufgestellt, vor der die Protagonisten agieren und auf denen es interessante Schattenwürfe gibt. Wenn sie hinter diesen Flächen auftreten, ergeben sich ausdrucksstarke Scherenschnitte. Die wechselnden Örtlichkeiten, also zunächst das Badehaus und später die Kneipe mit den zechenden Dorfältesten et al. werden durch wenige grafische Züge auf diese Flächen projiziert, sodass man sich plastische Aufbauten spart. Umso intensiver ist der Eindruck der oft bewegten Bilder. Für die stets passenden mittelalterlichen Kostüme zeichnet Tatjana Sanftenberg und für das Maskenbild Katinka Wischnewski verantwortlich.

 

Anna Maria Sturm spielt eine sehr überzeugende Bernauerin, von ihrer ursprünglichen Naivität, mit der sie Albrecht zum ersten Mal im Badehaus trifft, bis zu ihrer Verurteilung als Hexe und dem folgenden Untergang. Pirmin Sedlmeir ist ein zu ihr bestens passender junger und unorthodoxer Herzog in Baiern, der die ganze Tragik der Ablehnung seiner Liaison durch das Bürgertum und die fatale Entscheidung des Vaters einnehmend über die Rampe bringt. Einen beklemmenden Eindruck geben auch die mit grässlichen Masken (Masken und Grafiken: Nicola von Thurn) agierenden „Hexen“, die das Schicksal von Agnes metaphorisch für das Volk in immer unkontrollierteren sprachlichen Steigerungen ins Publikum hämmern. Hier spielen engagiert Jürgen Fischer, Michael A. Grimm, Thomas J. Heim, Pia Kolb, Max Pfnür und Peter Weiß, die alle auch andere Nebenrollen bekleiden. Magnus Dietrich ist ein welscher Spielmann, und die kurze Weise der Sopranstimme kommt von Anna-Lena Ebert. Karl Zepnik leitet das Mendelssohn Vocalensemble.

 

Joseph Bastian, der als junger Dirigent schon einige bedeutende Auftritte hatte, dirigiert die Münchner Symphoniker mit viel Sinn für die spezifische Orffsche Klangwelt mit ihren charakteristischen Holz- und Blechbläserklängen und der besonderen Rhythmik der Komposition. Es gelingt ein perfektes Zusammenspiel einerseits und eine große Komplementarität andererseits zwischen dem Kammerorchester und den Schauspielern. Eine großartige Dernière des diesjährigen Orff-Festivals mit lang anhaltendem begeistertem Applaus im ausverkauften Florian-Stadl. In einer Biennale 2023 will das Festival einen weiteren Blick auf das große Werk Carl Orffs werfen.                                     

 

Fotos: marcgilsdorf

 

Klaus Billand/3.9.2021

www.klaus-billand.com

 

 

 

Ein kleines Welttheater

NI 18.7.2015

Auf dass der Mond allen leuchte!

Die mittlerweile schon relativ traditionsreichen Carl Orff Festspiele auf dem „Heiligen Berg“ bei Kloster Andechs, in dessen Barockkirche der Komponist auch beigesetzt ist, warteten dieses Jahr mit einer Neuinszenierung von „Der Mond“ auf, neben „Astutuli“ und einigen Konzerten. Der unterhalb des Berges liegende Florianistadl bietet mit seiner exzellenten Akustik einen idealen und der Atmosphäre des Ortes angepassten Rahmen für die Aufführungen.

 Carl Orff nahm die Erzählung, die er in den von den Gebrüder Grimm gesammelten und herausgegebenen „Kinder- und Hausmärchen“ fand, zur Vorlage für seine erste Oper „Der Mond“, die 1939 unter Carl Krauss in München ihre Uraufführung erlebte. Orff wollte damit ein nachdenkliches Gleichnis von der Vergeblichkeit menschlichen Bemühens, die Weltordnung zu stören, und gleichzeitig eine Parabel vom Geborgensein in eben dieser Weltordnung geben. Im Kern des Stückes wollte er jedoch auch einen Diebstahl und seine Folgen zeigen, wie Regisseur Marcus Everding im Programmheft meint.

Aus einem Land, in dem es immer dunkel war, zogen einmal vier Burschen auf Wanderschaft und kamen in ein Reich, in dem der Mond von einer alten Eiche herab die Nächte erhellte. Sie stahlen ihn kurzerhand und hängten ihn in ihrem Land auf, wo er von nun an allen sein mildes Licht spendete und sie damit signifikante Einnahmen erzielten, die sie ausschließlich zu ihrem Wohlergehen verwandten. Als sie alt geworden waren und der Tod bevorstand, verlangten sie, dass jedem ein Viertel des Mondes mit ins Grab gelegt werde, worauf es wieder dunkel wurde in ihrem Reich. Dafür erwachten nun durch das Licht die Toten und fingen an, in großer Gereiztheit aufeinander loszugehen, sich zu verprügeln und kaum noch Ruhe zu geben – nicht einmal als die Burschen versuchten, ihre leuchtenden Viertel des Mondes zu löschen. Daraufhin stieg Petrus herab und brachte mit einer beruhigenden Rede und Respekt gebietender Stimme die Toten wieder zur Ruhe, die damit in ihre Gräber zurück kehrten. So konnte Petrus den Mond mitnehmen und ihn am Himmel aufhängen, wo er fortan der ganzen Welt sein warmes Licht spendete.

Das „Kleine Welttheater“, das Carl Orff mit seinem „Mond“ vorschwebte, bestand idealerweise in der Dreiteilung der Schauplätze Unterwelt, Welt und Himmel. Dabei denkt man sogleich an das „große Welttheater“ der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner, in dem ebenfalls diese drei Ebenen bestehen und vom Zwerg Mime in der Wissenswette mit dem Wanderer im „Siegfried“ detailliert beschrieben werden… So spielte in Orffs Anspruch an ein Bühnenbild zum „Mond“ das Visuelle eine entscheidende Rolle. Er schrieb selbst, dass der szenische Entwurf, der den Rahmen für das ganze Stück zu bilden habe, vor Text und Musik kommen sollte. Allerdings war mit den damaligen Mitteln der Theatertechnik eine solche Dreiteilung der Bühne kaum zu erreichen und ließ selbst Orff zu dem Schluss kommen, dass er, von der „Grundidee des Welttheaters beherrscht, von einer im Grunde genommen kaum realisierbaren Bühnenvision“ ausging.

Regisseur Everding mit seinen Videodesignern Raphael Kurig und Thomas Mahnecke, dem Listgestalter Gerd Boeshenz und der Kostümbildnerin Christine Gebhardt ist es in Andechs jedoch eindrucksvoll gelungen, diese drei Spielebenen zu realisieren. Sie schufen eine schwebende Bildwelt anstatt fester Bühnenkonstruktionen und zeigten die unterschiedlichen Welten des Mondes in ihrer ursprünglichen Dreidimensionalität auf der Bühne. Alle Bilder, die auch die Seitenflügel des Florianistadl miteinbezogen – so am eindrucksvollsten die düsteren Gewölbe der Unterwelt – waren von beeindruckender Intensität. Dabei wurde auch mit subtilen Farben agiert – das Licht schuf stimmungsgerechte Szenen und Wechsel. Die Kostüme waren bestens darauf abgestimmt und zeigten die vier Burschen in dunklen Farbtönen im Sinne ihrer Wanderschaft, naheliegenderweise hellblau für Petrus, und die wiederauferstandenen Toten erschienen in tristem Grau.

Das Sängerensemble war durchgehend gut besetzt. Der Erzähler Manual König konnte mit seinem klanvollen hellen Tenor bei bester Diktion überzeugen. Die vier Burschen, Michael Schlenger, Adrian Brunner, Benedikt Eder und Thilo Dahlmann sangen ihre Rollen akzentuiert mit viel Ausdruck. Das darstellerische Moment stand bei ihnen, wie bei den meisten Akteuren in diesem Stück, allerdings stets im Vordergrund. Die einzige längere Gesangsleistung ist dem Petrus vorbehalten, in dieser Aufführung Tobias Pfülb, neben Franz Hawlata an den fünf anderen Abenden. Pfülb war mit seinem wohlklingenden Bass überzeugend in der Lage, wieder Ruhe im Totenreich zu schaffen. In dieser Szene erreichte auch der Andechser Festspielchor seine großen Momente. Es war beeindruckend wie die sich langsame aufpeitschende Stimmung der Toten hier mit kräftigen Stimmen und großer Wortdeutlichkeit vonstatten ging. Nicht zu vergessen ist auch der Kinderchor der Carl Orff-Volksschule Andechs. Beide Chöre wurden von Christian Meister einstudiert.

Musikalisch erinnert die Rhythmik, die gleich zu Beginn vorherrscht, aber immer wieder die Komposition kennzeichnet, sowie die Volkstümlichkeit und die rustikale Derbheit mancher Szenen an die „Carmina Burana“, wozu auch der häufige Sprechgesang beiträgt. Immer wieder klingen Elemente des Orffschen Schulwerks an. Das musikalische Gewebe ist in hohem Maße mit der Handlung verflochten, in typisch Orffscher Manier. Christian von Gehren leitete das Orchester der Andechser ORFF-Akademie des Münchner Rundfunkorchesters mit großer Umsichtigkeit und Sängerfreundlichkeit, aber auch mit beherzter Emphase in den großen Chorszenen der Unterwelt. Ein hier musikalisch besonders einfühlsam musizierter Ruhepol war der Auftritt des Petrus mit seinem Monolog. Orff nannte die Partitur seinen Abschied von der Romantik. Das war an diesem Abend zu bemerken.

Bedauerlicherweise kursierte am Rande dieser Aufführung das Gerücht, dass die Carl Orff Festspiele im kommenden Jahr aus finanziellen Gründen nicht weiter geführt werden können. Das wäre ein herber Verlust, nicht nur für die Region um den schönen Ammersee und das Münchner Umland. 

Klaus Billand 7.9.15

Fotos: Stefan A. Schuhbauer v. Jena

                                                                                       

 

 

DIE BERNAUERIN

Ein bairisches Stück    

Vorstellung am 26.07.12       (Premiere 19.07.2012)

Eindringliches Musiktheater vor historischer Kulisse

Carl Orff hat seine letzten Jahre in Dießen am Ammersee verbracht und liegt in Andechs begraben. Grund genug, dass dort seit 1992 Carl-Orff-Festspiele stattfinden, die vom Kloster Andechs veranstaltet werden. Veranstaltungsort für das Musiktheater ist der „Florian-Stadl“, eine riesige Scheune. Die Festspiele laufen während der beiden Monate Juni und Juli und bieten neben dem Schwerpunkt Musiktheater auch Konzerte. Auf der Opernbühne gab es in diesem Sommer die Wiederaufnahme von „Die Kluge“ sowie eine Neuproduktion von „Die Bernauerin“, von der man sagt, sie gehöre zu Andechs wie der „Jedermann“ zu Salzburg. Beide Inszenierungen sind von Marcus Everding, seit 2008 künstlerischer Leiter der Festspiele.  Es herrscht eine sehr lockere Atmosphäre rings um den Aufführungsort vor der Sil- houette des Benediktinerklosters; das Personal ist so freundlich und zuvorkommend, dass man sich nur als Besucher, sondern auch als Gast fühlt. Dass die Aufführungsstätte inmitten des Klosters am „Heiligen Berg“ liegt, wird auch durch die Anwesenden von patres und fratres deutlich, von denen der eine oder andere auch auf der Liste der Mitwirkenden zu finden ist. Klostergasthof und Braustüberl sorgen für das leibliche Wohl der Gäste.

Der Stoff der Bernauerin beruht auf einer historischen Begebenheit des 15. Jhdts im Herzogtum Baiern. Herzog Albrecht III hatte in einer Augsburger Badstube die Badertochter Agnes Bernauer kennengelernt, sich in sie verliebt, sie geehelicht und sich mit ihr aufs Schloss Vohburg zurück- gezogen. Sein Vater, der die nicht standesgemäße Verbindung nicht billigte, ließ die Bernauerin diffamieren, in Kollusion mit der Kirche als Hexe verurteilen und in Straubing in der Donau ertränken. Der Stoff wanderte mit fliegenden Blättern und Bildgeschichten in die bayerische Folklore ein, wurde zum Thema einer Volksballade und diente Friedrich Hebbel als Vorlage für sein Drama Agnes Bernauer. Carl Orff wurde auf den Stoff aufmerksam, als seine Tochter Godela 1942 am Staatsschauspiel in München mit 21 Jahren in Hebbels Drama mit der Rolle der Agnes betraut wurde. Orff fasst den Stoff neu für ein „bairisches Stück“, wozu er in Teilen eine Sprache ver- wandte, wie er sich Bayerisch im 15. Jhdt. vorstellte. Die Bernauerin ist keine Oper im überkommenen Sinne, sondern Musiktheater, in welchem die Handlung mit Orchesterbegleitung und Chorgesang gesprochen wird. Das Stück wurde 1947 in Stuttgart uraufgeführt; die Titelrolle spielte wieder Godela Orff, der das Stück auch zugedacht war.

Marcus Everding bringt das Stück mit einem einfachen, aber wandlungsfähigen Bühnenbild von Thomas Pekny auf die Bühne, der auch die Kostüme geschaffen hat. Das Bühnenbild reicht mit kleinen Plattformen und Laufstegen bis in die eindrucksvolle Dachkonstruktion des Stadls mit seinen weit spannenden Bindern hinein. Auf dem Spielboden, einer kreis-runden leicht nach hinten ansteigende Fläche vor einem senkrecht verbretterten halbrunden Hintergrund,  steht als Bühnenausstattung nur ein großer, mehrfach teilbarer Bretterkasten, der in verschiedene Positionen gedreht werden kann und letztlich die Spielorte der zwölf Szenen ganz ordentlich beglaubigen kann. In der ersten  Szene (Badstube in Augsburg) sitzen die Badegäste in Bademulden der Kiste unter geöffneten Klappen. Herzog Ernst steigt da nicht hinein: er himmelt seine Agnes an (und kauft sie dem Vater ab). In der dritten Szene wird die Kiste längs gedreht; sie stellt nun einen großen Wirtshaustisch dar, an welchem sich die Münchner Bürger über den Herzog Albrecht und seine Bernauerin sorgen. Diese Kiste dient auch als Tisch in der Staatskanzlei; in der Hexenszene strecken die bizarren weiß geschminkten Figuren ihre Köpfe unter den Deckeln heraus und informieren das Publikum über die Fortschritte bei der Hinrichtung der Agnes. Die tote Bernauerin in weißem Unschuldskleid ersteigt zum Schluss der Oper, in welchem Der Herzog nach München zum Nachfolger seines Vaters bestellt wird, ein hohes Podest: vom dem Himmel herunter beobachtet sie die irdischen Vorgänge.

Wenn auch einige der Szenen etwas spannungslos bleiben und ein Gefühl von Länge erzeugen, so es gelingt dem Regisseur doch, die Unheil-stimmung, die über dem Stück liegt, von Anfang bis zum Ende als großen Bogen zu inszenieren und sehr eindringliche Bilder zu erzeugen. Spannend sind die Darstellung der wankelmütigen Bürger, die Hetze des Mönchs, das kalte Vorgehen des Kanzlers und natürlich die grausige zentrale Hexenszene. Ausdrucksvolle Kostüme charakterisieren die verschiedenen Bevölkerungs-schichten. Die Personenführung stellt teilweise hohe Anforderungen an die Darsteller. Wirkungsvoll wurden die Szenen durch die klare Lichtgestaltung von Georg Boeshenz abgegrenzt.

Es musizierte das „Orchester der Andechser ORFF®-Akademie des Münchner Rundfunkorchesters unter der Leitung von Christian von Gehren. Das Orchester war überwiegend unter der Bühne untergebracht; zweifellos bildete das orchestrale Geschehen für Musikfreunde die Speckseite des Abends dar. Dem großen Schlagwerk standen große Streicher- und Bläsergruppen gegenüber, die die für Orff charakteristischen harten Schlagzeug-Ostinati mit weichem runden Klang grundierend abfingen. Der Chor begleitete mit stark rhythmisch betontem Gesang, teilweise nur auf einer Tonhöhe. Die eindrucksvolle Musik wurde vom Orchester mit großer Präzision gebracht. Beim Andechser Festspielchor bestand indes sowohl bezüglich des Klangs der Frauenstimmen als in der Präzision noch Verbesserungspotential.

Florian Fisch war wie bei der letzten Produktion als überzeugender Herzog Albrecht besetzt und spielte ihn mit jugendlichem Schwung und großem Körpereinsatz. Seine Textverständlichkeit hätte besser sein können und war es auch bei seiner kleinen Gesangseinlage im deklamatorischen Singen. Auch Katharina Kram als Agnes Bernauer hatte schon in der letzten Produktion in dieser Rolle mitgewirkt und gefiel durch ihr eindringliches Spiel. Ihr Prachtkostüm als „Duchessa“ täuschte nicht über ihr zerbrechliches Wesen hinweg. In einer dritten Hauptrolle agierte Sebastian Goller als Kanzler mit wuchtigem bestimmtem Auftreten. Dass es ihm nicht ganz wohl in seiner Haut war, brachte er gut rüber. An Gesang gab es die Vokalisen des Tenors Manuel König, mit denen die Visionsszene vom Einzug des Paars in München in der Wirkung verstärkt werden. Der Gesang vom Rang aus klang verstärkt. Am Schluss noch ein kleines Sopransolo, mit schlanker Stimme von Bele Kumberger gesungen.

Auch aufgrund der verwendeten Sprache war eine volle Textverständlichkeit nicht immer gegeben. An dieser Stelle muss der sehr instruktive Einfüh-rungsvortrag von Marianne Lauser erwähnt werden, nach welchem man sich dennoch während der Vorstellung immer im Bilde fühlte.

Das Publikum im fast ausverkauften Stadl bedankte sich für den gelungenen Abend mit lang anhaltendem herzlichem Beifall.

Manfred Langer, 04.08.2012

Fotos: Carl Orff Festspiele Andechs

 

 

 

 

 

 

 

 

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