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2015

 

 

Ausdrucksgespannte Klangreden

Auf 68 Bachjahre kann das mittelfränkische Ansbach in diesem Jahr zurückblicken. Das mit 37 Konzerten reich bestückte Angebot lockt mit Aufführungen in allen Schattierungen „moderner“ wie auch „historisierender“ Aufführungspraxis. An frischen Impulsen dürfte wohl kein Mangel bestehen, zumal das vielschichtige Programm „wohltemperierten“ Spuren mit unterschiedlichen Instrumenten und einer Auswahl hochkarätiger Instrumentalisten folgte. Evgeni Koroliov interpretierte 24 Präludien und Fugen (Band 1). Eine hochkonzentrierte fabelhaft strukturierte Wiedergabe, die sich keine Mätzchen erlaubte und sensibler Anschlagskunst demonstrierte. Wohltemperiert war die Stimmung aber auch in St.Gumbertus als der Milanese Lorenzo Ghielmi auf der Wiegleb-Orgel, Ragna Schirmer auf dem Blüthner-Flügel von 1856 und Jörg Halubek (Cembalo) die Finger auf harmonische Kühnheiten der Fugen und Präludien aus dem zweiten Band des „Wohltemperierten Klaviers“ legten. Bild unten: St. Gumbertus:


(c) Presse Bachwoche Ansbach

Ein Stelldichein gaben sich auch junge Künstlerprofile. Im Kammerkonzert der Orangerie spielte Arabella Steinbacher sperrige Werke von J.S.Bach. Die Sonata I g-Moll (BWV 1001) verlangt spieltechnische Perfektion und ein Höchstmaß an Gestaltungskraft. Das gilt auch für die Partita III E-Dur BWV 1006. Steinbacher achtete auf Transparenz in den polyphonen Strukturen. So öffnete sich ein Spannungsgeld zwischen den einzelnen Satzcharakteren. Sechzehntel Notenwerte rollten ohne maschinelle Starrheit ab, selbst wenn die Geigerin sie auf die Hochgeschwindigkeitsstrecke jagte. Immer wurden der kurze Strich, die skandierende Akzentuierung so eingesetzt, dass nichts als asketische Trockenkost empfunden wird. So geriet die Partita III in E-Dur BWV 1006 mit dem Gerüst von französischen Suitensätzen nebst umrahmendem Präludium und Gigue zu einem energiegeladenen Bachspiel von virtuoser Perfektion. Imponierend die Frische und Spontaneität des Musizierens.

In einem ungewöhnlichen Spätwerk, Sergej Prokofievs D-Dur Sonate op. 115 für Violine solo ließ der leicht aufgeraute Klang tänzerisch rhythmische Energien vibrieren. Schlussendlich faszinierte, wie der Belgier Eugène Ysaye der zweiten Solosonate (aus 6 Sonaten für Violine solo op. 27), die dem Geiger Jacques Thibaud gewidmet war, todnahe Gedanken verpasste und das exzentrische Stück haushoch über alle vordergründige billige Effekthascherei hob.

Steinbacher übersprang souverän die Hürden in einem halsbrecherischen Bogen- und Saiten-Parcours.

Einen Kronschatz kammermusikalischer Transkriptionskunst präsentierte das Streichtrio Pekka Kuusisto, Lily Francis und Nicolas Altstaedt mit „Goldberg-Variationen“ in der Fassung für Streichtrio von Dmitri Sitkovetsky. Mit dem Zyklus „Ansbachisches Konzert“ erfährt die kompositorische Adäquanz zu Bach auch 2015 eine zielgerichtete Fortschreibung. Den zeitgenössischen Kontrapunkt setzte diesmal Reinhard Febel mit „Studien über Bachs ‚Kunst der Fuge‘ für zwei Klaviere“, die das Spitzenduo Yaara Tal und Andreas Groethysen mit beispielgebender Differenzierung aus der Taufe hob. Mit vibrierenden klanglichen Farben und effektreichen Einsprengseln wird das Bachsche Fugenmaterial auf fantasiereiche Weise umspielt, erweitert, gespiegelt und so zu einem suggestiv erfahrbaren Erlebnis geformt, das bei den Zuhören positive Resonanz auslöste. Das an der Weltspitze rangierende Klavierduo Yaara Tal & Andreas Groethuysen erweiterte das Programm noch mit Schuberts „Unvollendeter Sinfonie“m, bearbeitet für Klavier zu vier Händen von Carl Reinecke. Den Schlussakzent setzte Max Regers kontrapunktisch mit allen Raffinessen ausstaffierte „Variationen und Fuge über ein Thema von Beethoven“ op. 86 für zwei Klaviere.

In den traditionellen Orchesterkonzerten hörte man den italienischen Violinvirtuosen Giuliano Carmignola mit Concerto Köln. Mit rhythmisch moussierenden Impulsen wurden Bachs Violinkonzerte a-Moll BWV 1041 und E-Dur BVW 1042 belebt, während im d-Moll Konzert BMV 1043 der Part der Sekundgeige von der Konzertmeisterin betreut wurde. In der Tat beherrscht Carmignola das historisierende Spiel auf der Barockgeige bis in die letzten Feinheiten. Und er weiß, wie mit Bachs Konzerten umzugehen ist, dass sich keinerlei Gleichförmigkeit und Manieriertheit einstellt. Mitreißende Spielfreude signalisierte auch das vierte Brandenburgische mit zwei edel geblasenen Blockflöten. Mit Charles Avison kommt ein seltener Gast aus Englands barocker Komponistengilde zu Ehren. Der Komponist gilt in England als produktiver Schöpfer von Konzerten für Streicher. Aus seiner kompositorischen Feder flossen auch vollständige Partituren, die aus der Transkription von 12 Cembalo-Sonaten von Domenico Scarlatti stammen.

Im zweiten Orchesterkonzert in der Orangerie machten die aus Georgien stammenden Klavierschwestern Khatia und Gvantsa Buniatishvili ihre Aufwartung.

 

Buniatishvili,Khatia_©Esther-Haase_Sony-Classical

So harmonisch gut aufeinander abgestimmt ihr Spiel auch immer anmutet – spieltechnisch wohl ohne Tadel –kammermusikalisch subtil austarierte Töne vermochten sie aus ihren Tasteninstrumenten, den beiden Steinways, weniger zu zaubern. Weder aus den rasant abgespulten Ecksätzen der umgearbeiteten Konzerte BWV 1062 und BWV 1060, noch aus den langsamen Sätzen mit den Tempoangaben „Largo ovvero Adagio“ aus BWV 1060 und „Dante e piano“ des Konzertes BWV 1062. Gerade hier wurde die melodisch fließende Führung der Linien mit einer pathetischen Aufdringlichkeit gedehnt, dass man fast um den guten Geschmack der beiden Klaviergeister bangen musste. Beide Konzerte ließen sich viel kontrastreicher, leuchtender in den Klangfarben, behutsamer in der dynamischen Abstufung, auch im Begleitservice durch die Basler Virtuosen transparenter, klangschlanker denken.

Mit einem musikalischen Exportartikel, einem gemäßigt modernen Kontrapunkt, ließen sich die Basler Kammervirtuosen mit Arthur Honegger, dem Mitbegründer einer Neuen Musik in der Schweiz hören. Dass er als moderner Kontrapunktiker J.S.Bach al seinen größten Lehrmeister verehrte, dafür steht auch seine seltener zu hörende B-A-C-H-Hommage –eine Kreation mit den Sätzen „Prélude, Arioso et Fughette“. Das homogen aufspielende Basler Team brachte den Verlauf der Stimmen akkurat und transparent zu eindrücklicher Wirkung. Den Schlussakzent setzte Mendelssohns Oktett op.20. Der überquellende Melodienstrom kam hier mit federndem Elan zur Geltung.

Was das engagiert aufspielende Team „Ensemble Resonance“ nebst „Artist in Residence“, der Bratschenvirtuosin Tabea Zimmermann, aufs Parkett legte, machte das dritte Orchesterkonzert in der Orangerie zum Hörvergnügen. Alles wurde exzeptionell dargeboten, bestach durch bassbetonten Klang. Farbe gewann auch das dunkel eingefärbte mit zwei Violen, zwei Violen da gamba, Cello, Bass und Cembalo besetzte sechste Brandenburgische Konzert, das im charakteristischen Synkopenrhythmus elegant abfederte und subtil austariert erschien. Tabea Zimmermann adelte den trauernden Gestus in Paul Hindemiths, dem verstorbenen englischen König George V. gewidmeter „Trauermusik“ für Viola und Streicher (1936), mit ihrer fein ausbalancierten Bratschensonorität.

Zimmermann,Tabea_©JimAlbright

Anton Bruckners einziges Kammermusikwerk, das Streichquintett F-Dur, stand an Ende des Konzertes. Gespielt wurde die Fassung von Hans Stadelmair ganz im Sinne einer „verkappten Sinfonie“. Man vernahm die für den Komponisten typischen Blöcke, die weiträumig angelegten Steigerungsstrecken und lyrisch strömende Themen. Akribisch leuchtete das Team in den diffizilen Kontrapunkt und brachte den breit schwingenden Gesang im Ges-Dur Adagio zum Blühen – eine Krone echt romantischer Kammermusik. Im harmonisch reichen Gefüge des kantabel strömenden Satzes gewann die Bratsche von Tabea Zimmermann in den solistischen Abschnitten fast überprononcierte Bedeutung. Geradezu hymnisch fügte sich das Finale zur sinfonischen Gesamtheit. Gewiss wird vom Ensemble Resonance die klangliche Palette gut ausdifferenziert wiedergegeben. Doch bei allem Respekt für den instrumentalen Feinschliff: Wirkt ein im Original intim komponiertes Quintett nicht mit vollmundigen kammerorchestralen Tutti-Üppigkeiten überfrachtet? 

Nachgedacht über das grandiose rätselhafte Testament, die katholische Messe des Protestanten J.S.Bach in h-Moll BWV 242, wurde ja schon lange. Nachdem Uwe Wolf vom Leipziger Bach-Archiv den Urtext der Neuen Bach-Ausgabe nach dem Stand neuer wissenschaftlicher Forschungen revidierte, lässt sich die bisher aufgrund älterer Recherchen (Bach-Ausgabe l956) vertretene Meinung nicht länger aufrecht erhalten, Bachs opus summum sei nur zufällig im Laufe der l730er Jahre aus verschiedenen unabhängigen Kirchenmusikwerken zur Missa total zusammengefügt worden. Richtig ist vielmehr, dass Bach gezielt bereits bestehende Teile zu einer vollständigen Messe vereint hat. Was hat sich für die Interpreten konkret geändert? Da heißt es wohl Abschied nehmen von liebgewonnenen dynamischen Vorschriften, auch von einzelnen Noten oder Artikulationszeichen – dies immer unter dem Aspekt, dass dies den wieder hergestellten „Urzustand“ von J.S. Bach widerspiegelt.

Peter Dijkstra bestritt das Endspiel der diesjährigen Bachwoche in St. Gumbertus: J.S. Bachs auftragsloses „Vermächtniswerk“, präsentiert mit handverlesenen Solisten, dem Chor des Bayerischen Rundfunks nebst historisch besetztem „Concerto Köln“. Obwohl spannungsgeladen und transparent interpretiert, steht hier nicht die Frage nach der „historischen Richtigkeit“ im Vordergrund. Denn authentische Aufführungsgepflogenheiten gewährleisten noch kein stilvolles Musizieren genauso wenig wie das Spiel im modernen Klanggewand einem Fehlgriff gleichkommen muss. Vielmehr überragt der Stil alles was an kompositorischen Regeln die Interpretation prägt. Dem bald scheidenden Dirigenten gelang eine überzeugende Synthese von sprechender Effektivität und struktureller Durchhörbarkeit. Der Chor wirkte mitunter massiv, in der großen Besetzung ausladend füllig, so dass man bei dynamischen Stärkegraden Bach auf der Bühne einer geistlichen Oper wähnte. Man spürte eindrücklich des Meisters Riesenkraft.

 Fast ein wenig gehetzt muteten die Tempi an – zugespitzt lebendig in den dramatischen Abschnitten. Dagegen tauchte Dijkstra die depressiven Abgründe in den dreiteiligen Kyrie-Sätzen in ein weich konturiertes mystisches Halbdunkel, das kontemplative Züge ausstrahlt und schlichten Ausdruck verrät. Intime Kantabilität trugen das „Qui tollis“ und „Crucifixus.“ Nach dem bei langsamen Tempi nahezu zum Stillstand gebrachtem, mit Trauerrand wiedergegebenem „Et incarnatus est“ schreckte man förmlich hoch, wie vehement die Chorfuge im „Et resurrexit“ auf die Hochgeschwindigkeitsstrecke gejagt wird. Da mutierte das sakrale Geschehen förmlich zum „Dramma per musica“, nahm theatralische Züge an, die der fabelhaft eingestellte Chor mit subtil abgestuften Registern und respektgebietender Beweglichkeit in der Fuge „Cum Sancto Spiritu“ adelte.

 Auch die vier Solisten passten sich in das Konzept trefflich ein. So wird Anke Vondung (Alt) zum vokalen Ereignis. Verinnerlicht im Ausdruck gab sie ihr Agnus Dei – bestrickend in der Harmonie durch die Interaktion zwischen Oboe und Alt-Solo. Erwärmend im Timbre gaben  Anke Vondung und Christina Landshamer (Sopran) das „Et in unum Dominum“. Man hörte herrlich ausgeformte Begleitstimmen zu den Arien, wie die einschmeichelnde Oboe d’amore-Begleitung zum Bass-Solo von Andreas Wolf im „Spiritu sanctum“ und die ausdrucksvolle Flöte im Benedictus, das Maximilian Schmitt (Tenor) geschmeidig formte. Ein wenig glücklos sekundierte das Horn, schwer gebeutelt in der Hitzeschlacht, in der steif gesungenen Bass-Arie „Quoniam tu solus sanctus“. Umso mehr schmetterten die Blechbläser in ihren kleinen Partien, vor allem im pathetischen Prunk des Sanctus. Der Glaube der Interpreten an die Universalität Bachs bescherte den Zuhörern in der ausverkauften Kirche ein außergewöhnliches Konzert. Jubelnder Beifall überschüttere die Interpreten.

20.000 Besucher und eine Auslastung von 85 Prozent registrieren die Veranstalter. Zahlreiche Mitschnitte vom Rundfunk und Video-Streams im Internet sorgten für eine respektgebietende Verbreitung der Bachwoche. Die musikalischen Resultate können sich sehen lassen. Das gilt vor allem für die programmatisch spannungsreich strukturierten Orchesterkonzerte.   Die nächste  Bachwoche geht vom 28.Juli bis 6. August 2017 über die Runden. Im Jubiläumsjahr „500 Jahre Reformation“ gilt es auch, „70 Jahre Bachwoche“ zu feiern. Zudem ist Ansbach Gastgeber des 92. Bachfestes der Neuen Bachgesellschaft.

Ein wenig muss man sich schon wundern, weswegen man Jürgen Fitschen, den Ex-Vorstand der von Krisen gebeutelten Deutschen Bank, in das Spitzengremiem des „Vereins der Bachfreunde“ gewählt hat. Geht es da um musikalische Hintergründe? Wohl kaum. Doch können bankwirtschaftliche Connections durchaus nutzbringend sein.

Egon Bezold 12.8.15

 

 

 

 

 

 

 

 

   

 

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