DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
Dies ist das OPERNFREUND-Archiv
Alle neuen Kritiken erscheinen ab sofort auf unserer neuen Website
Startseite
Unser Team
Impressum/Copyright
---
Alle Premieren 22/23
Kontrapunkt
Die OF-Schnuppe :-(
Der OF-Stern * :-)
OF Filmseite
Silberscheiben
CDs DVDs
OF-Bücherecke
Oper DVDs Vergleich
Musical
Genderschwachsinn
Oper im TV
Nachruf R.i.P.
Et Cetera
-----
Aachen
Aarhus
Abu Dhabi
Bad Aibling
Altenburg Thüringen
Altenburg Österreich
Amsterdam DNO
Amsterdam Th. Carré
Amst. Concertgebouw
Andechs
Annaberg Buchholz
Ansbach
Antwerpen
Arnheim
Aschaffenburg
Athen
Athen Onassis Cultur
Augsburg
Avignon
Bad Hersfeld
Bad Ischl
Bad Kissingen
Bad Lauchstädt
Bad Reichenhall
Bad Staffelstein
Baden bei Wien
Baden-Baden
Badenweiler
Baku
Bamberg
Barcelona
Basel Musiktheater
Basel Sprechtheater
Basel Ballett
Bayreuth Festspiele
Bayreuth Markgräfl.
Pionteks Bayreuth
Belogradchik
Bergamo
Berlin Livestreams
Berlin Deutsche Oper
Berlin DO WA
Berlin Staatsoper
Berlin Staatsoper WA
Berlin Kom. Oper
Berlin Kom. Oper WA
Berlin Neuköllner Op
Berlin Konzerte
Berlin Sonstiges
Berlin Ballett
Bern
Bern Sprechtheater
Biel
Bielefeld
Bochum Ruhrtriennale
Bochum Konzerte
Bochum Sonstiges
Bologna
Bonn
Ära Weise 2003-2013
Bonn Sonstiges
Bordeaux
Bozen
Brasilien
Bratislava
Braunschweig
Braunschweig Konzert
Braunschweig openair
Bregenz Festspiele
Bregenz Sonstiges
Bremen
Bremen Musikfest
Bremerhaven
Breslau
Briosco
Britz Sommeroper
Brixen
Brühl
Brünn Janacek Theate
Brünn Mahen -Theater
Brüssel
Brüssel Sonstige
Budapest
Budap. Erkel Theater
Budapest Sonstiges
Buenos Aires
Bukarest
Burgsteinfurt
Bytom Katovice
Caen
Cagliari
Casciana
Chemnitz
Chicago Lyric Opera
Chicago CIBC Theatre
Coburg
Coburg Joh. Strauss
Coesfeld
Colmar
La Coruna
Cottbus
Crevoladossola
Daegu Südkorea
Darmstadt
Dehnberg
Den Haag
Dessau
Dessau Weill Fest
Detmold
Dijon
Döbeln
Dornach
Dortmund Ballett
Dortm. Konzerthaus
Dortmund Sonstiges
Dresden Semperoper
Dresden Operette
Dresden Sonstiges
Dresden Konzert
Duisburg
Duisburg Sonstiges
MusicalhausMarientor
Düsseldorf Oper
Rheinoper Ballett
Düsseldorf Tonhalle
Düsseldorf Sonstiges
Schumann Hochschule
Ebenthal
Eggenfelden
Ehrenbreitstein
Eisenach
Ekaterinburg
Enschede
Erfurt
Erl
Erlangen
Essen Aalto Oper
Essen Aalto Ballett
Essen Aalto WA
Essen Phil 2
Essen Phil 1
Essen Folkwang
Essen Sonstiges
Eutin
Fano
Fermo
Flensburg
Florenz
Frankfurt
Frankfurt WA
Bockenheimer Depot
Frankfurt Sonstiges
Frankfurt Alte Oper
Frankfurt Oder
Freiberg
Freiburg
Füssen
Fürth
Fulda
Sankt Gallen
Gelsenkirchen MiR
Genova
MiR Ballett
Genf
Gent
Gera
Gießen
Glyndebourne
Görlitz
Göteborg
Gohrisch
Gotha Ekhof-Festsp.
Graz
Graz Styriarte
Graz Konzerte NEU
Graz Sonstiges
Gstaad
Gütersloh
Hagen
Halberstadt
Halle
Halle Händelfestsp.
Hamburg StOp
Hamburg StOp Wa
Hamburg Konzert
Hamburg Sonstige
Hamm
Hanau Congress Park
Hannover
Hannover Sonstiges
Heidelberg
Heidenheim Festsp.
Heilbronn
Heldritt
Helgoland
Helsinki
Hildesheim TfN
Hof
Hohenems
Gut Immling
Ingolstadt
Innsbruck Landesth.
Innsbruck Festwochen
Jekaterinburg
Jennersdorf
Kaiserslautern
Karlsruhe
Karlsruhe Händel
Opera Europa Bericht
Kassel
Kawasaki (Japan)
Kiel
Kiew
Klagenfurt
Klosterneuburg
Koblenz
Köln OperStaatenhaus
Wa Oper Köln
Köln Konzerte
Köln Musical Dome
Köln Sonstiges
Konstanz Kammeroper
Kopenhagen
Kosice
Krummau a.d. Moldau
Krefeld
Krefelder Star Wars
Kriebstein
Landshut
Langenlois
Bad Lauchstädt
Lech
Leipzig Oper
Leipzig Mus. Komödie
Leipzig Ballett
Leipzig Konzert
Leipzig Sonstiges
Lemberg (Ukraine)
Leoben
Leverkusen
Lille
Linz/Donau
Linz Sonstiges
Ljubljana/Laibach
Loeben
London ENO
London ROH
London Holland Park
Lucca
Ludwigshafen
Luisenburg
Lübeck
Lübeck Konzerte
Lübecker Sommer
Lüneburg
Lüttich/Liège
Liege Philharmonie
Luxemburg
Luzern
Luzern Sprechtheater
Luzern Sonstiges
Lyon
Maastricht
Macerata
Madrid
Magdeburg
Mahon (Menorca)
Mailand
Mainz
Malmö
Malta
Mannheim
Mannheim WA
Mannheim Konzert
Maribor/Marburg
Marseille
Martina Franca
Massa Marittima
Meiningen
Melbourne
Meran
Metz
Minden
Mikulov
Minsk
Miskolc
Modena
Mönchengladbach
Mörbisch
Monte Carlo
Montevideo
Montpellier
Montréal
Moritzburg
Moskau Bolschoi N St
Moskau Sonstige
München NT
München Cuvilliés
MünchenPrinzregenten
München Gärtnerplatz
München Ballett
München Sonstige
Münster
Münster Konzerte
Muscat (Oman)
Nancy
Nantes
Neapel
Neapel Sonstiges
Neuburger Kammeroper
Neuburg/Donau
Neustrelitz
Neuss RLT
New York MET
Nizhny Novgorod
Nordhausen
Novara
Nürnberg
Nürnberg Konzerte
Oberammergau
Oberhausen
Odense Dänemark
Oesede
Oldenburg
Ölbronn
Oesede (Kloster)
OperKlosterNeuburg
Oslo
Osnabrück
Ostrau
Palermo
Palma de Mallorca
Paraguay
Paris Bastille
Paris Comique
Paris Garnier
P. Champs-Elysées
Théâtre du Châtelet
Paris Ballett
Paris Philharmonie
Paris Versailles
Paris Sonstiges
Paris Streaming
Parma
Passau
Pesaro
Pfäffikon
Piacenza
Pisa
Pforzheim
Plauen
Posen
Potsdam
Prag Staatsoper
Prag Nationaltheater
Prag Ständetheater
Radebeul
Raiding
Rathen Felsenbühne
Recklinghausen
Regensburg
Reggio Emila
Reichenau
Remscheid
Rendsburg
Rheinsberg
Rheinberg
Riga
Riehen
Rosenheim
Rouen
Rudolstadt
Ruhrtriennale
Saarbrücken
Saint Etienne
Salzburg Festspiele
Salzburg LT
Salzburg Osterfestsp
Salzburg Sonstiges
San Francisco
San Marino
Sankt Margarethen
Sankt Petersburg
Sarzana
Sassari
Savonlinna
Oper Schenkenberg
Schloss Greinberg
Schwarzenberg
Schweinfurt
Schwerin
Schwetzingen
Sevilla
Singapur
Sofia
Solingen
Spielberg
Spoleto
Staatz
Stockholm
Stralsund
Straßburg
Stuttgart
Stuttgart Ballett
Sydney
Szeged (Ungarn)
Tampere (Finnland)
Tecklenburg
Tel Aviv
Teneriffa
Toggenburg
Tokyo
Toulon
Toulouse
Tours
Trapani
Trier
Triest
Tulln
Turin
Ulm
Utting
Valencia
Valle d´Itria
Venedig Malibran
Venedig La Fenice
Verona Arena
teatro filarmonico
Versailles
Waidhofen
Weimar
Wels
Wernigeröder Festsp.
Wexford
Wien Staatsoper
Wien TadW
Wien Volksoper
Wien Kammeroper
Wien Konzerte
Wien Ballett
Wien Sonstiges
Wiesbaden
Wiesbaden Wa
Wiesbaden Konzert
Bad Wildbad
Winterthur
Wolfenbüttel
Wolfsburg
Wunsiedel
Wuppertal
Würzburg
Zürich
Zürich WA
Zürich Ballett
Zürich Konzert
Zwickau
---
INTERVIEWS A - F
INTERVIEWS G - K
INTERVIEWS L - P
INTERVIEWS Q - Y
---
DIVERSITA:
YOUTUBE Schatzkiste
HUMOR & Musikerwitze
Opernschlaf
Facebook
Havergal Brian
Korngold
Verbrannte Noten
Walter Felsenstein
Unbekannte Oper
Nationalhymnen
Unsere Nationalhymne
Essays diverse
P. Bilsing Diverse
Bil´s Memoiren
Bilsing in Gefahr

 

EIN WALZERTRAUM

Premiere: 21.8. 2019. Besuchte Vorstellung: 26.8. 2019

 

„Einmal noch leben, eh es vorbei“, singt der Leutnant Niki, als er sich ins Wiener Damenkapellengewuhrl stürzt. Gleiches mag sich Heinz Hellberg gedacht haben, als er nach nunmehr 20 Jahren zum letzten Mal mit einer Produktion der Operettenbühne Wien auf die Bretter der Luisenburg trat. Operettenweisheiten sind eben erstaunlich oft - Weisheiten.

Gespielt wird eine der Meisteroperetten der sog. Silbernen Ära. Silbern? Straus' „Walzertraum“ ist nicht weniger genial als die „Lustige Witwe“, die seinerzeit vom 1907 uraufgeführten Werk – bezogen auf die Aufführungszahlen – schon bald überholt wurde. Heute steht sie im Schatten der „Witwe“, wenn sie auch die selben musikalischen Meriten aufweist wie das Werk um die Frau, deren Millionen geheiratet werden sollen: jede Menge einprägsame Melodien, feine Instrumentation, Sentiment und Humor. Bei Straus wird eine Frau geheiratet, die sich ihren Mann erst erobern muss. Sie tut es mit Hilfe der Musik und dessen, was man seinerzeit und wohl noch heute (und nicht völlig zu Unrecht) als „wienerisch“ empfinden mag: mit Charme, Luftigkeit und Erotik. Was die Wienerische Musik betrifft, so hat die Operettenbühne allerdings zuviel des sog. Guten getan. Nicht weniger als 6,1 Stücke, die am Nachmittag zu Gehör gebracht werden, stammen nämlich nicht aus dem „Walzertraum“, sondern wurden von Ralph Benatzky (das Mehlspeislied aus dem „Kleinen Café“), Paul Abraham (das Schwipslied aus der „Blume von Hawai“) und anderen komponiert.

Dass Hellberg das „Fiakerlied“ als Hommage auf das eigene Leben und als Abschiedslied von der Luisenburg singt, mag menschlich verständlich sein – als Showstopper tut er dem Stück keinen Gefallen. Kommen hinzu die Tritsch-Tratsch-Polka (immerhin eine Gelegenheit fürs Ballett, die Beine zu schwingen), das einst von Hans Moser gesungene Wiener Lied „Mein Herz, das ist ein Bilderbuch“ - als Einlage für den ausgesprochen guten Bass Viktor Schilowsky, der sonst kaum was zu singen hätte -, ein kleines Duett als zusätzliche 3. Akt-Einlage für die Frau des regieführenden Intendanten, deren Rolle die Tschinellen-Fifi, neben der Kammerfrau Friederike als zweite komische Figur aufgewertet wurde, und eine radikale Kurzversion des Donauwalzers. Dafür hat man die Chorintroduktionen des ersten, zweiten und dritten Akts gestrichen bzw. ans Orchester delegiert, denn auf der Bühne stehen lediglich ein paar Statisten, sodass schon der erste Dialog des ersten Akts unsinnig wird. Die Andeutung einer Rahmenhandlung – ein junger betrunkener Mann träumt sich, in einem Ikea-Bett schlafend, in die Handlung hinein – ist dramaturgisch so überflüssig wie die meisten Einlagen.

Künstlerische Freiheit? Nein – diese Aufführung bietet den prekären Fall einer schlampigen Werkbehandlung. Zugegeben: die Aufführung würde ohne die 6,1 Einlagen nur 90 Minuten dauern – aber sie würden völlig genügen, um dem „Walzertraum“ Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Der Rest ist ein touristisches Bilderbuch aus dem neuen Wien, oder: Wie der kleine Moritz sich eine Wiener Operette vorstellt. Wenn so die Tradition aussieht, von der Hellberg spricht („Die Operette ist keine Plattform für die Moderne“), dann hat Hellberg, der Autor dieser Bühnenfassung, irgend etwas missverstanden.

Als ob die Substanz von Straus' Meisterstück nicht für eine gute Aufführung ausreichen würde.

„Besser gut erstorben als schlecht modernisiert“, sagt Hellberg auch. Und also sehen wir wieder auf die typischen Dekore im Stil der Operette einer vergangenen Nachkriegszeit: mit kräftigen Farben, denen sich die polnisch anmutenden Pastelltöne der Kostüme hinzugesellen. Drei hellstblaue Damen (die vermutlich unterbezahlten Damen vom kleinen Ballett) tanzen um den Prinzen herum, die schöne Prinzessin Helene trägt am Ende ein schulterfreies Ding in einer Art Créme, die Leutnant tragen preußischblau mit roten Krägen.

Der Preuße, der hier auf den Namen Graf Lothar hört, darf sich in weiß fortbewegen und dabei lustig steptanzen, bevor sich Helene zwischen zwei Spiegeln zärtlich hin- und herwiegt: „Ich hab einen Mann...“

Und wie wird gesungen? Stefan Reichmann singt einen baritonalen Niki, der nur im Duett mit dem Montschi des Alexander M. Helmer nicht gut zusammenkommt: weder in der Höhe noch im Rhythmus. Ella Tyran ist eine gute Helene, deren Stärken eher in der vokalen Mitte als in der stark vibrierenden, dabei doch starken Höhe liegen; einen rundum guten Eindruck macht Elisabeth Hillinger als Damenkapellenleiterin Franzi Steingruber. Elfie Gubitzer ist eine an F.F. Jenkins erinnernde Friederike, Viktor Schilowsky – siehe oben. Jan Reimitz spielt mit deutlichem Witz den preußisch anmutenden Graf Lothar (früher hieß er „Wendelin“), und die Prinzipalin Susanne Hellberg darf mit ein paar Extras als Tschinellen-Fifi die große Trommel schlagen: zum Vergnügen des Publikums, das am Ende auch das Orchester, das unter Laszlo Gyüker einen fast „wienerischen“ „Walzertraum“ spielt, beklatscht.

Wobei der Operettenfreund natürlich – es ist so ungerecht wie unvermeidbar – an die Referenzaufnahme des Werks denkt, mit der verglichen diese Bühnenfassung zwar nicht den Charme des Stücks, aber dessen dramaturgische Geradlinigkeit verfehlt hat.

 

Unüberholt: die wunderbare Einspielung des Walzertraums aus dem Jahre 1970: mit der Traumbesetzung Nicolai Gedda, Anneliese Rothenberger, Edda Moser, Brigitte Fassbaender, Wolfgang Anheisser, Willi Brokmeier und dem Chor der Bayerischen Staatsoper, idiomatisch begleitet vom Symphonie-Orchester Graunke.

 

Frank Piontek, 27.8. 2019

Fotos: ©Claudius Schutte und Frank Piontek

 

 

DIE ZIRKUSPRINZESSIN

Gastspiel der Operettenbühne Wien.

Premiere: 15.8. 2014. Besuchte Vorstellung: 17.8. 2014

Zwei Märchenaugen – eine grundehrliche Produktion

Was braucht man für eine gutgemachte Operette? Eine ganze Menge: Ausgezeichnete Sänger (denn Operette ist bekanntlich nicht leichter zu singen als Oper – schon gar nicht vor 2000 Zuhörern), die auch ein bisschen tanzen können und im Übertreiben authentisch „rüberkommen“, komisch begabte Schauspielsänger, einen hervorragenden Dritte-Akt-Komiker, ein gutes Orchester unter einem stilsicheren Dirigenten, eine gute Ausstattung (auf dies es nur bedingt ankommt), einen vortrefflichen Chor und eine ehrliche Regie, die das Werk Ernst nimmt. Meistens mangelt es an mindestens einem Teil: die Regie zerschreddert das Werk, weil es klüger sein will als seine Autoren (wobei die Ausnahmen – siehe Konwitschnys kongeniale Dresdner „Csárdásfürstin, die der Rezensent an einem unvergesslichen Silvesterabend miterleben durfte). Bisweilen scheitern die Sänger an den hohen Ansprüchen der Partie, manchmal singen sie ausgezeichnet, können sich aber nicht bewegen – und wer kann schon elegant über die Bühne tanzen?

Unglaublich, aber wahr: wer 2014 in die großdimensionierte Luisenburg fährt, wo seit vielen Jahrzehnten Sommerfestspiele vor dem unvergleichlichen oberfränkischen Felsenlabyrinth veranstaltet werden, erlebt eine bewegende, weil grundehrliche „Zirkusprinzessin“, die über all das verfügt, was eine „normale“ Operetten-Aufführung verlangt. Die Operettenbühne Wien gastiert nun schon seit 15 Jahren unter ihrem Leiter und Regisseur Heinz Hellberg oben im Fichtelgebirge bei Wunsiedel, wo sich nicht Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, sondern vor einem begeisterungsfähigen Publikum in der freien Natur das Beste vom Besten auf die Holzbühne vor den Felsformationen kommt. Akustisch werden die Sänger übrigens begünstigt: denn die Zuschauer sitzen auf den Tribünen unter einem Zeltdach, das nur dann unangenehm wird, wenn der Regen darauf trommelt. Ansonsten trägt hier jeder Ton – und trotzdem ist es eine außerordentliche Leistung: die Töne bis in die oberste Reihe zu tragen, dass noch die letzte, gelegentlich auch etwas schwächere Pointen mit einer unheimlich anmutenden Präzision ihre Ziele erreichen.

Wenn zudem noch mit der Ungarin Judit Bellai (die eine Russin zu spielen hat) und ihrem Kollegen Csaba Fazekas zwei Sänger auf der Bühne stehen, die vokal und schauspielerisch, optisch und sensitiv wunderbar eingespielt sind, wenn zudem noch die Höhe der Operettendiva rund und schmeichelnd und die Tiefe angenehm „mällodrramattisch“ rollt, und wenn der Tenor mit einer schwingenden Höhe und einer flexiblen Festigkeit gesegnet ist: dann ist das Operettenglück schon perfekt. Zwei Märchenaugen – und -stimmen... Sie singen gut, sie spielen gut, sie schauen blendend und aus, sie besitzen eine jugendliche Ausstrahlung, nur geigen kann er nicht – aber wer agiert schon wie Hubert Marischka, der 1926 in seinem Theater an der Wien die Rolle des zum Zirkusreiter herabgefallenen Fedja, der Jahre später seine geliebte „Lustige Witwe“ Fedora wiedertrifft? Fazekas ist und hat nicht nur eine bühnenwirksame Erscheinung, von dem jeder Operettentenor träumen mag. Er erfüllt seinen lyrisch-dramatischen Part auch mit einer Intensität und einer Stimmschönheit, die an den konfliktreichen Höhepunkten der Handlung ins Dramatische wächst. Der Sänger stand jahrelang im Chor der Bayreuther Festspiele – was Drama ist, muss man ihm nicht erklären.

Und gut sehen sie beide aus: Lucya Kerschbaumer hat der Diva einige schöne Kostüme auf den Leib geschneidert. Der Schauwert der Dekoration mag – das sind so die Bedingungen der Freilichtbühne – geringer sein als der einer Produktion in einem „ordentlichen“ Haus: die Kostüme der Sopranistin machen alles wett. Ein blutrotes und ein goldglänzendes Gewand, ein blütenweißes, doch schlichtschönes Hochzeitskleid (für den zweiten Akt mit seinem „tragischen Finale“), schließlich ein edles Teil in Violett: das sind so die Prächtigkeiten, über die die Ausstattung am richtigen Platz verfügt. Ganz zu schweigen vom kleinen, aber mit sechs Profis vollkommen besetzten Operettenballett: die Trikotmädels (mit denen Kálmán seine berühmteren Mädis vom Chantan parodierte) tragen zuerst Haarbekrönungen wie aus Bonbonpapier, bevor sie im dritten Akt, dem Hotel-Akt, sehr reizend als Kellnerinnen und Serviermädel paradieren.

Und die Choristinnen, die weder an die Uraufführungskleidung der 20er noch an die Spielzeit von 1912 erinnern, sondern sich noch ein bisschen im glänzenden Fin de Siècle tummeln (übrigens mit einem hauchzart-charmanten Anklang an die Wiener Moderne), tun ihr Bestes, um zusammen mit den „schneidigen“ Offizieren und Husaren (berühmter Marschchor!) den Geist der Operettenwelt von anno 1900 auf die rohe Bühne zu holen. Den Rest erledigen die zwei zurückhaltend und poetisch erscheinenden Weißclowns, die auf mit ihren Pantomimen das Glück und das Unglück des Operettenpaares geschmackvoll akzentuieren.

Musikalisch aber ist das Werk so tief in den Zwanzigern angesiedelt, sodass das Wort von der angeblich verstaubten Operette fehl am Platz ist. Schlager mit Unsinnstexten – ein Spezialfach der Operettenbuchfabrik Brammer und Grünwald -, ein ungarischer Shimmy, Foxtrottrhythmen: da ist vor allem das „niedere“ Paar zuhause, das auch a bissl „obszöner“ agieren kann - also ganz im leicht „frivolen“ Geist der modernen Kálmán-Operette (für die auch ein offensives Hinternschwenken der Dame einsteht. Der Szenenapplaus sollte nicht mit der politisch korrekten Lupe betrachtet werden). Für die herzbewegenden Sentimentalitäten, die tiefen Gefühle im Takt eines schön gemachten, getanzten und gesungenen Walzerduetts ist ja traditionell das „hohe Paar“ zuständig. Susanne Hellberg aber ist eine ganz entzückende Wiener Soubrette, die zusammen mit David Hojsak als Toni (dem pseudoadligen Sohn des „Erzherzog Karl“) einfach ideal agiert. Wunderbar, mit welcher Leichtigkeit die beiden akrobatisch begabten Sänger den immer noch zündenden Witz der „niederen“ Gesellschaftsklassen bringen, den die Librettisten ihren Rollenvertretern einschichtig-lustvoll auf den beweglichen Leib und in die frechen Kehlen schrieben.

Bleiben zu loben: Viktor Schilowsky, der mit ausgesprochen authentischer Aussprache den komisch aufgeregten Fürsten Sergius Vladimir macht, der sich, ein bisschen wie der Oberst Ollendorf im „Bettelstudenten“, für die Schmach der Zurückweisung durch die Operettendiva rächt. Sehr komisch, weil sehr trocken, agiert der Komiker, also der Oberkellner Johann Pelikan: Peter Erdelyi lässt die (mögliche) Erinnerung an den Uraufführungs-Pelikan Hans Moser erst gar nicht aufkommen. Sylvia Denk ist eine wunderbar wienerische, halb raunzende, halb sentimentale Clara Schlumberger, die das Liebesglückerl ihres Sohnes schließlich mit einer sentimentalen Erinnerung legitimiert: ist doch die Frau ihres Sohnes rein zufälligerweise die Tochter des Mannes, den sie einst geliebt hat. Ui jöh...

Auch die Operette ist ein Genre, das man lieben muss, wenn Werke wie „Die Zirkusprinzessin“ gut gemacht werden. Letzten Endes muss auch die Operettenbühne Wien nicht auf ein authentisch spielendes Orchester verzichten: Dorian Molhov sieht mit Dinnerjackett und Sonnenbrille zwar nicht aus wie ein „typischer“ Dirigent – aber er hat das gar nicht so kleine Orchester gut unter Kontrolle: samt ungarischer Klarinette, Roaring-twenties-Schlagwerk und Altwiener Geigen. Ein Stück Wien, exportiert in die Tiefen des Fichtelgebirges – auch so kann ein Werk, das einst im „Bayreuth der Operette“ uraufgeführt wurde, in der Nähe der Festspielstadt seine bezwingende Lebendigkeit beweisen: mit einem äußerst harmonischen Ensemble von Sängern, Musikern, Tänzern und einem Regisseur, der sein Handwerk versteht.

Wer angesichts der relativ sparsamen Dekoration und der überzeugenden Sänger und Spieler den „Glanz“ vermisste, hat einfach nicht hingehört. Mehr ist für Kálmáns schönes Stück (an das die Librettisten selbst aufgrund der dramaturgischen Verwandtschaft zur vorangegangenen „Mariza“ nicht ganz geglaubt haben) vielleicht nicht zu machen.

Frank Piontek 18.8.14

Fotos: Hannes Bessermann (Luisenburg-Festspiele) und Claudius Schutte. Die Fotos zeigen nicht durchgehend die Hauptrollensänger der besuchten und besprochenen Vorstellung. Nicht abgebildet werden konnte Csaba Fazekas als Mr. X.

                                                                                                              

DER OPERNFREUND  | opera@e.mail.de