DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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KONINKLIJKE MUNTSCHOUWBURG / THÉÂTRE ROYAL DE LA MONNAIE

www.lamonnaie.be/

 

 

 

Mozart

Da Ponte Trilogie

Von der Gleichzeitigkeit der Ereignisse

18.02.; 20.02. und 03.03.2020

 

3 TRAILER

 

Da ist ja ganz schön etwas los, in diesem Gebäude in der Rue de la République, Nr. 13, in Brüssel! Ein alter Notar wird, nachdem er seine Tochter als Sexsklavin des im Kellergeschoss befindlichen Privatclubs erkannt hat, auf Grund eines Herzschlags tot aufgefunden; ein Botschafter, bereits früher auffällig geworden und deswegen von seinem Posten abberufen, sucht seinen sexuellen Hunger bei einer Mitarbeiterin zu stillen; zwei junge Youtuberinnen, voll von Lebenslust und Neugierde, geraten, von ihren Verlobten auf die Probe gestellt, bezüglich der gesellschaftlich an sie heran getragenen Treuevorstellungen ins Wanken. Manches mag sich auch wieder gerade biegen; Vieles zum Guten wenden, an Ende jedoch wird der Inhaber des Sexclubs sein Treiben in einem fulminanten Finale mit seinem Leben bezahlen.

Die Inszenierung von Jean-Philippe Clarac und Olivier Deloeuil des Mozart/da Ponte-Projektes zeigt die drei Stücke Le nozze di Figaro, Così fan tutte und Don Giovanni im heutigen Brüssel im Jahr 2020. Alle Ereignisse finden innerhalb von 24 Stunden an einem gemeinsamen Ort, besagtem Gebäude mit der genannten fiktiven Adresse statt. Wie in jeder urbanen Metropole finden unzählige Ereignisse in großer räumlicher Nähe gleichzeitig statt, ohne dass sie miteinander in direkter Beziehung stehen, wobei sie sich indirekt dann doch wieder gegenseitig bedingen. Die Wege der Personen kreuzen sich und jeder wechselt bzgl. seines Gegenübers in unterschiedliche Rollen und Funktionen. Gerade noch selbstverantwortlich in der Gestaltung des eigenen Lebens, ist man wenig später Kunde, Untergebener, Zeuge von Geschehnissen und Opfer von Machenschaften Anderer. Dreimal hintereinander werden uns die Ereignisse dieses einen Tages aus drei sehr unterschiedlichen Blickwinkeln gezeigt. Über Bildschirme und Projektionen werden wir Zeuge weiterer Abläufe, so dass jeder einzelne Zuschauer aus der Flut der angebotenen Informationen seinen persönlichen Eindruck gewinnen muss, der sich zwangsläufig von den Wahrnehmungen seines Sitznachbarn deutlich unterscheiden wird.

Alles Dargebotene ist wunderschön, sehr interessant und hochkomplex. Und zwar so komplex, dass sich niemand ohne entsprechende Verständnishinweise in der Vielzahl von Handlungssträngen zurecht finden könnte. Einen Schlüssel zum Verständnis finden wir in drei Farben, eine Farbe für jedes Stück, die uns verraten, wo die entsprechende Szene einzuordnen ist. Das adelige Blau repräsentiert die Welt der Almavivas; Gelb, die Farbe des Neides und der Lüge steht für Lügen- und Inriegenspiels Cosi fan tuttes; Sex und Crime, die Welt des Don Giovanni, erleben wir in Rot. Dabei erkennen wir an der farblichen Grundstimmung der Bühne und der Kostüme, welches Stück wir gerade sehen, wie wir auch an der farblichen Gestaltung der einzelnen Räume des Gebäudes und der in diesem Moment zur Nebenfigur der Kernhandlung gewordenen Sängerdarsteller die Überschneidungen der Handlungsverläufe zuordnen können. Räume mit mehrfacher Zuordnung erscheinen gestreift; die alles verbindende, alles erkennende und alles durchschauende Concierge trägt ein blaues Kleid, rote Schürze und gelbe Schuhe und Gummihandschuhe.

 

Und dann wäre da ja auch noch die Musik Mozarts - insgesamt 10 Stunden - die uns in die unterschiedlichen musikalischen Welten führt. Nur an wenigen Stellen wird der musikalische Handlungsverlauf durch Zitate der jeweils anderen Opern angereichert, um die verschiedenen Verstrickungen auch akustisch erlebbar zu machen. Wobei das Musik- und Gesangserlebnis durch den optischen Trubel der Vielzahl von durchgehend auf der Bühne befindlichen Personen deutlich leidet. Das Sehen fordert so viel Aufmerksamkeit, dass das Hören geradezu schwer fällt. Eine von einer Person begonnene Arie wird von einer weiteren fortgeführt. Die Figuren, die wir auf der Bühne erleben, begegnen uns - in den selben Kostümen, jedoch an sehr unterschiedlichen Orten der Stadt, dargestellt von den selben Sängern, die wir hören können - gleichzeitig auch in Filmsequenzen. Nur Robert Gleadow, für die Partien des Figaro und des Leporello vorgesehen, konnte unfallbedingt die Aufführungen nicht singen. Für ihn erleben wir den italienischen Bariton Alessio Arduini auf der Bühne. In den vorproduzierten Filmen sehen wir noch Gleadow, in den Life-Übertragungen vom Hintergrund dann Arduini. Das kann etwas verwirren, jedoch wurden wir im Vorfeld entsprechend informiert.

Peter de Caluwe, der Intendant des La Monnaie und initiierender Kopf dieses Projektes, plant den Umbau der Mutschauburg von einem Stagione-Betrieb zu einem Repertoire-Theater. Das bedeutet einen kaum überschaubaren Wechsel der Betriebsabläufe. Wie dieses aktuelle ehrgeizige Inszenierungsprojekt in den nächsten Jahren dann aber wirken wird, wenn das dreizehnköpfige Solistenensemble - zahlreiche Haus- und Rollendebuts sind dabei - sich anderweitig etabliert hat und dementsprechend für diese Aufführungen nicht mehr zur Verfügung stehen, bleibt abzuarten. Die Gefahr besteht, dass die große Komplexität der Anlage dann zur vollkommenden Beliebigkeit verfällt, wenn die einzelnen Figuren und Sänger nur noch an Kleidungsaccessoires zuzuordnen sind. Das ist dann von keinem Betrachter mehr zu leisten. Jetzt allerdings ist das Ganze noch spannend und geschlossen. Der packende Bilderrausch wird nur einmal unterbrochen, wenn die Gräfin Almaviva ihr berühmtes „Dove sono i bei momenti“ singt. Für einen Moment scheint die Zeit still zu stehen; das Umtriebige der Handlung weicht der tiefen musikalischen Emotion.

Der 13-köpfige Cast ist großartig, wobei die Männer noch etwas stärker sind, als die Frauen: Björn Bürger, Simona Saturova, Sophia Burgos, Alessio Arduini, Ginger Costa-Jackson, Lenneke Ruiten, Iurii Samoilov, Juan Francisco Gatell, Alexander Roslavets, Caterina di Tonno, Riccardo Novaro, Rinat Shaham und Yves Saelens stemmen die 25 Rollen der drei Opern, dirigiert von Antonello Manacorda.

Schon das Duo Mozart/Da Ponte habe ein weibliches Rollenbild auf die Bühne gebracht, das weit über das seinerzeit übliche hinaus ging: So sind es in allen Stücken die Frauen, die den Männern in allen Punkten um eine Nasenlänge voraus sind. Sie nehmen die Dinge selbst in die Hand und stellen Treue und Liebe offen in Frage, wogegen das Verhalten eines nihilistischen Machos äußerst schwerwiegende Folgen hat. Daher greift das Produktionsteam inhaltlich die Fragen nach Geschlechtlichkeit, Gender und sexueller Macht auf, und setzt sie in engen Bezug zur Handlung. Außer einer Bebilderung aktueller gesellschaftlicher Diskurse führt dieser Ansatz jedoch zu keiner wirklichen Tiefe. Die Inhalte bleiben austauschbar, wirken in ihrer gewollten Schrillheit teilweise ermüdend und kommen vereinzelt nicht über ein Klischee-Zitat hinaus. „Männer fallen von ihrem Podest, Frauen triumphieren!, was uns als Spektakel angekündigt wird, schockiert uns heute ebensowenig, wie Frauen, die Hosen tragen. Ist das Produktionsteam an diesem Punkt an seiner eigenen Gestrigkeit gescheitert?

Einem Herrn hat die Premiere von Le Nozze di Figaro so gar nicht gefallen, dass er sich mit nicht enden wollenden Buh-Rufen Luft machen musste. Übertönt wurde er jedoch von dem ansonsten durchgehend begeisterten restlichen Publikum. Langanhaltender Applaus für Sänger, Chor, Dirigat und Orchester. Ovationen für das Produktionsteam. An den weiteren Abenden waren keine weiteren Widerspruchsäußerungen festzustellen. Ob der Herr sich inzwischen mit dem Ganzen angefreundet hatte, oder ob er direkt zuhause geblieben war, ließ sich nicht feststellen.

Insgesamt ein spannendes Projekt, das sowohl in der kommenden Spielzeit wieder aufgenommen werden soll, wie uns auch jetzt schon ein neues Großprojekt ähnlicher Art für das nächste Jahr angekündigt worden ist.

Für alle, die für Mozart nicht mehr bereit sind, auch nur einen Meter zu fahren, gibt es die entsprechenden Aufzeichnungen der Stücke demnächst vom 19.03. bis 18.09.2020 bei operavision.eu.

 

Ingo Hamacher, 4.3.2020

(c) Segers

 

Weitere Aufführungen

Le Nozze die Figaro: 05.03., 17.03. und 21.03.2020

Cosi fan Tutte: 08.03., 10.03., 19.03. und 26.03.2020

Don Giovanni: 12.03., 15.03., 24.03. und 28.03.2020

 

 

 

 

 

MACBETH-UNDERWORLD

 

Uraufführung von Pascal Dusapin  26.9.2019

Als Start einer innovativ-neuen „Spielplanarchitektur“ eine fantastisch gut gelungene Uraufführung.

Wie sieht die Oper von morgen aus? In allen Symposien und Diskussionsrunden hören wir seit 25 Jahren: „Uraufführungen von neuen Werken“. Denn es macht inzwischen wenig Sinn, um die bekannten Werke statt „werktreu“ immer wieder neu interpretieren/inszenieren zu wollen, indem man inzwischen schon „neuartig“ in die Handlung eingreift und andere Musik hinzufügt. Doch wenn man auf die Spielpläne der großen Opernhäuser guckt, sind Uraufführungen immer noch eine Seltenheit, außer in Amsterdam, wo Pierre Audi in seiner 30-jährigen Amtszeit einen Weltrekord von szenischen Uraufführungen aufgebaut hat. Peter de Caluwe, langjähriger Mitarbeiter von Pierre Audi in Amsterdam und seit 2007 Intendant der Oper in Brüssel, stellt nun zum Beginn seiner dritten Amtszeit eine völlig neue „Spielplanarchitektur“ vor. Er erläutert diese in einem Manifest-Buch „Opéra, Passion(s) et controverse(s)“, niedergeschrieben durch den Journalisten Stéphane Renard, das wohl ins Niederländische aber leider nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Denn es zeigt, wie anders man das Thema Oper angehen kann, als wie (noch) im deutschen Sprachraum üblich. Peter de Caluwe erklärt darin u.a., warum er in den nächsten sechs Jahren jede Spielzeit mit nicht nur einer sondern sogar zwei Uraufführungen eröffnen wird.

Die erste dieses Jahr ist „Macbeth-Underworld“ von Pascal Dusapin (1955 in Nancy geboren), den man in Brüssel nicht mehr vorzustellen braucht, denn er debütierte hier 1992 als Opernkomponist mit „Medeamaterial“ von Heiner Müller (1990). Von seinen inzwischen 8 Opern wurden 5 an der Monnaie/Munt (ur)aufgeführt. Dusapin verarbeitet darin meistens tragisches Material auf eine eigene, oft neuartige Weise. Auch hier, wo er das Drama von Shakespeare mit seinem Librettisten Frédéric Boyer quasi aus dem Rückblick neu beleuchtet. Macbeth und seine Lady blicken aus der „Unterwelt“ (halb Hölle, halb Schlupfwinkel für Kriminelle) zurück auf ihre Missetaten, die sie chronologisch/thematisch noch einmal in acht Alptraum-Szenen wieder-erleben & -spielen und überdenken. Der Leitfaden ist origineller weise ihr Kind, das bei Shakespeare kaum erwähnt wird und das mir in den vielen mir bekannten „Macbeth“-Bearbeitungen noch nie begegnet ist. Bei Shakespeare wissen wir nur, dass Lady Macbeth einst ein Kind an ihre Brust gehalten hat (ohne Erwähnung des Vaters) und dass Macbeth sich beklagt: „Upon my head they placed an unfruitful crown, (…) no son of my succeeding“. Bei Dusapin erfahren wir, wer dieser Sohn vielleicht gewesen ist und wie das glückliche Familienleben vielleicht einmal ausgesehen hat. Bis ganz am Ende, in der Schlacht von Dunsinane, Macbeth nicht Macduff und dem bewegenden Wald von Birnham gegenübersteht, sondern seinem Kind, das er nicht töten kann und will, weil es wie ein Racheengel vom Himmel zu ihm in die Unterwelt kommt, wo alle Tyrannen früher oder später bestraft werden. Also mehr „das Gespenst eines Stückes“ als ein Bühnenwerk und dementsprechend nicht leicht zu inszenieren…

 

Nach einem Regisseur wurde offenkundig lange gesucht, bis wahrscheinlich die beiden Koproduzenten, die Opéra Comique in Paris und die Opera de Rouen-Normandie, den jungen französischen Regisseur Thomas Jolly vorschlugen, der dort vor zwei Jahren einen sehr gelungenen „Fantasio“ von Offenbach inszeniert hat und als Sprech-Theaterregisseur ein ausgewiesener Shakespeare-Kenner ist. Und als solcher hat er maßgebend zum Erfolg des Abends beigetragen. Denn solche Uraufführungen werden heute meist folgendermaßen inszeniert : im französischen Sprachraum in einem elegant-abstrakten Bühnenbild („wie die Musik“), in dem die Hauptprotagonisten vorne in einem Bett liegen (Krankenhaus oder Irrenanstalt) und hinter ihnen – „sie träumen ja nur“ - die Handlung ebenso abstrahiert per Film oder Tanzt abläuft (viele Opern von Dusapin wurden an Choreografen vergeben). Im deutschen Sprachraum wird eher alles überbordend bebildert und kommentiert („wie der Text“), also „aktualisiert“ mit Bezügen aus den Tagesnachrichten zu Gewalt, Blut, Sexualität, Waldsterben etc. Thomas Jolly und sein Team ließen jedoch diese Verlegenheitslösungen links liegen und inszenierten das Stück aus seiner ursprünglichen Materie, aus Shakespeares Welt. Nicht nur „Macbeth“, denn es gab (wenn ich mich nicht irre) auch Fragmente aus „King Lear“ und den „Sonnetten“. Sie erfanden aus dem Nichts eine Drehbühne mit einem Wald von umgestürzten Bäumen – in quasi jedem Stück von Shakespeare gibt es einen Sturm, bei dem die Welt aus ihren Fugen gerät – mit einem Schlosstor & Turm und eine Serie von Treppen, die Handlungsabläufe ermöglichten. Das ist eine großartige künstlerische Leistung und selten habe ich einem jungen Regisseur ein solches Kompliment gemacht: er und sein Team haben kongenial mehr aus dem Stück gemacht als in der Vorlage stand. Ein großes Lob also für das bildschöne und intelligente Bühnenbild von Bruno De Lavenère, die dazu passenden Shakespeare-Kostüme von Sylvette Dequest und die fantastisch atmosphärische Beleuchtung von Antoine Travert . Und noch ein Extra-Lob an Thomas Jolly und seinen künstlerischen Mitarbeiter (ursprünglich Schauspieler)

Alexandre Dain für die exzellent durchdachten theaterwirksamen Handlungsabläufe und Personenführung. 

 

Kongenial war auch das Dirigat von Alain Altinoglu, Musikdirektor der Monnaie/Munt, den man in Wien seit „Les Troyens“ wohl nicht mehr vorzustellen braucht. Er ist auch ein Dusapin-Kenner, denn er hat schon 4 seiner Opern (ur)aufgeführt. Und diese sind weiß Gott nicht einfach für einen Dirigenten. Denn Dusapin ist hochbegabt, schöpft aus dem Vollen und tritt manchmal in manches Fettnäpfchen, weil er einfach alles kann. Die Oper beginnt mit einem hollywoodartigen Orgelklang, der erst massiv ausgearbeitet wird und dann durch kleine Schottische Volkslieder unterbrochen wird, die a capella durch eine „Archilaute“ aus Shakespeares Zeiten gespielt werden.

Auf den quasi hauchdünn gehauchten Hexenchor des exzellenten Frauenchors folgt ein „Requiem“ mit Verdi-Allüren etc. Und in manchen Szenen komponiert Dusapin quasi gegen seinen eigenen Text, um das Unbehagen der Situation noch zu verstärken. Damit macht er es seinen Interpreten und auch dem Publikum oft nicht leicht. Doch Alain Altinoglu schaffte es, dies alles unter einen Hut zu bringen, spannte große Bögen und dirigierte zu gleich so subtil, dass er mit dem exzellenten Symphonieorchester der Monnaie/Munt (mit dem es sich offensichtlich sehr gut versteht) alle Hürden der Partitur musikalisch elegant mühelos nehmen konnte. Auch er holte vielleicht noch mehr aus dem Stück als in den Noten stand.

Die Sänger wurden sehr gefordert, von extrem tief bis extrem hoch, von sehr jung (10 Jahre) bis sehr alt (77 Jahre). Doch alle meisterten ihre fordernden Rollen souverän. Der in zwischen 77-jährige Tenor Graham Clark eröffnete den Abend als Hexenmutter Hecate, bevor die Three Weird Sisters (es wurde auf Englisch gesungen von tiefen G bis zum hohen F der Königin der Nacht) Ekaterina Lekhina, Lilly Jorstad, Christel Loetzsch das Ruder übernahmen. Der Bariton Georg Nigl war ein starker Macbeth, doch auch er stand – wie die Figur es nun einmal will - im Schatten seiner ehrgeizigen Frau. Magdalena Kožená beherrschte den Abend als schillernde Lady Macbeth, hier mehr junges Mädchen und trauernde Mutter als machtgierige Königin. Dusapin hatte ihr die Rolle offensichtlich in die Kehle geschrieben und sie konnte als Einzige mit ihren vielen Arien ein wirklich persönliches Rollenprofil aufbauen. Uns hat der Wagner-Sänger Kristinn Sigmundsson als Ghost besonders gefallen und vor allem Elyne Maillard als Child. Das kaum zehnjährige Mädchen aus dem Brüsseler Kinderopernchor, das quasi in jeder Szene auftrat, sang sicher und berührend, dass bei dem Schlussapplaus der Komponist und der Dirigent sie spontan in ihre Mitte nahmen. Das wirkte wie symbolisch und man braucht keine Hexe zu sein, um diesen „Macbeth“ in der Oper von morgen eine Königs-Krone vorherzusagen.

 

Fotos (c) Matthias Baus

Waldemar Kamer 2.10.2019

Dank an unseren Kooperatipnspartner MERKER-online

 

 

 

 

TRISTAN UND ISOLDE

am 19. Mai 2019

Musikalische Leidenschaft trifft auf szenische Aseptik

La Monnaie, oder in gut Flandrisch das De Munt, brachte im Mai eine neue „Tristan“-Produktion heraus, die in verschiedenen Besetzungen der Hauptrollen immerhin - das Munt ist ein erstklassiges Stagione-Theater - zehn Mal in Serie gespielt wurde. GMD Alain Altinoglu stand am Pult des Orchestre Symphonique de la Monnaie und lieferte eine außergewöhnlich dynamische, ja im wahrsten Sinne des Wortes leidenschaftliche musikalische Interpretation des opus summum Richard Wagners. Man hatte fast den Eindruck, als wollte er für den Mangel an Emotion und Empathie auf der Bühne musikalisch entschädigen. Denn was man zu sehen bekam, war eine nahezu aseptische, an Bewegungsarmut bzw. deren genauester Dosierung nur so strotzende Inszenierung von Ralf Pfleger, die Heiner Müllers „Tristan“ in Bayreuth und zuletzt in Linz in den Schatten stellte und selbst dem Pantomimen-Papst Robert Wilson sehr nahe kam. In den Bühnenbildern von Alexander Polzin, und der ebenso ungewöhnlichen Lichtregie von John Torres sowie einer phantasievollen Choreographie von Fernando Melo war die visuelle Ästhetik jedoch durchaus interessant und ansprechend, wenn man von der eigentlich in diesem Musikdrama angesagten erotischen Leidenschaft einer mit der sprichwörtlichen „Sitte“ konfrontativen und damit unmöglichen Liebe zu abstrahieren bereit und in der Lage war. Was man aus dem Graben hörte, hatte eben mit dem, was auf der Bühne geschah, recht wenig zu tun.

Es beginnt gleich nach dem leidenschaftlich musizierten Vorspiel mit einer Agglomeration von stalaktitenartigen Gebilden aus Stoff, die von der Bühnendecke hängen wie Eiszapfen in einer Karsthöhle. Es sollte wohl das eisige Verhältnis zwischen Tristan und Isolde zu Beginn der Geschichte symbolisiert werden. Wenn dann der Liebestrank - freilich nur gedanklich - stattgefunden hat, leuchten diese Eiszapfen warm auf. Man hat sachte zu sich gefunden - es hat sich was getan! Die Bühne ist hinten mit einem riesigen Spiegel umstellt, hinter dem man die Köpfe der Chorsänger schemenhaft erkennt, der aber auch all die langsamen, fast pantomimenhaften Bewegungen, die Isolde und Brangäne trotz der doch einigermaßen klar werdenden Aufregung Isoldes um ihre story mit Tristan vollziehen. Dabei kommen besonders die ebenso extravaganten wie geschmackvollen Kostüme von Wojciech Diedrich zur Geltung, die mit dem Hirten im 3. Aufzug in Form eines umgekehrten Trapezes ohne jede Bewegungsmöglichkeit, aber auch in einer blutroten römischen Toga für den siechen Tristan und blattgoldbelegtem Gesicht ihre ultimative Steigerung erfahren.

Der 2. Aufzug wird vor schwarzem Hintergrund von einer riesigen hellgrauen Koralle beherrscht. Nur ganz langsam erkannt man, dass sie voller gleichfarbiger Tänzer und Tänzerinnen steckt, die sich langsam lösen und ein Eigenleben in der Koralle entwickeln. Das st durchaus anmutig anzuschauen, aber was hat es mit Tristan und Isolde zu tun?! Allenfalls könnte man diese geschlechtsneutralen Graumenschen (sie erinnerten mich an die Nuba in Leni Riefenstahls Film) als die „Späher zur Nacht“ von Melot erkennen. Dieser ist ebenfalls weitgehend unbeweglich, es gibt auch keinen Kampf zwischen ihm und Tristan. Eine leichte Regung von Melots Speer reicht und Tristan verzieht sich unten in die Koralle, während Isolde oben meditiert und von dem ganzen Geschehen unten nichts mitbekommen hat. Auch König Marke kommt über einen statistenartigen Gesangsvortrag kaum hinaus. Also, so wenig Bewegung wie nötig und so wenig Mimik wie möglich. Sonderbar, aber es hatte eine Ästhetik, die einen gewissen attraktiven Reiz ausstrahlte, nicht zuletzt auch durch die immer wieder gezielt eingesetzten Schattenspiele.

Den 3. Aufzug erleben wir vor einer Bühnenwand mit vielen Löchern unterschiedlicher Größe, durch die in bestimmter Folge Licht flutet. Auch das ist optisch reizvoll, ebenso wie das stoische Wandern des Hirten in seinem sonderbaren Kostüm über die Bühne. Tristan kann unter diesen Umständen natürlich nicht wirklich sterben. Er legt sich in seiner roten Toga mit goldverziertem Antlitz unter gleich aussehenden Männern erst mal zu Boden, steht aber später wieder auf. Nun ja, das haben auch andere Regisseure schon so gezeigt - die unsterbliche Liebe zwischen Tristan und Isolde. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber es könnte sein, dass Tristan und Isolde sich erst vor dem Schlussvorhang beim Applaus berührt haben…

Der bewährte Christopher Ventris, nach Bryan Register die Zweitbesetzung, bekanntlich kein Heldentenor, passte perfekt in dieses filigrane Konzept und sang den Tristan mit seinem gewohnt schönen Timbre und sichtlich unterdrückter Emotion. Ricarda Merbeth sang als Drittbesetzung nach Ann Petersen und Kelly God in dieser Dernière die Isolde, wenn man von einem „Singen“ überhaupt reden will. Denn was zu hören war, war vor allem das Konzentrieren auf das Stemmen aller hohen Töne, deren Noten zwar stets erreicht wurden, die aber, zumal mit einer unzureichenden Mittellage und einer quasi nicht vorhandenen Tiefe wenig über den Text aussagten, den Wagner dazu geschrieben hatte. Denn es war fast nichts zu verstehen. Von Phrasierung „schon gar keine Spur“. Mir fiel sofort des Meisters berühmte Bitte an seine Sänger ein: „Text, Text und wieder Text… Bleibt mir gewogen, Ihr Lieben“ oder so ähnlich. Darstellerisch kam Merbeth möglicherweise der restriktive Stil der Personenführung entgegen.

Mit einem ebenso klangvollen wie ausdrucksstarken und wortdeutlichen Mezzo glänzte Ève-Maud Hubeaux als Brangäne. Sie konnte trotz aller Bewegungsarmut eine gewisse Emotionalität nicht verbergen, was ihrer Rolleninterpretation gut tat. Franz-Josef Selig sang mit tiefem Bass den König Marke und ließ erkennen, welches Potential er für diese Rolle hat, wenn er sie auch darstellen dürfte. Andrew Foster-Willams debutierte in dieser „Tristan“-Serie mit dem Kurwenal und ließ einen prägnanten Bariton hören. Der von Martino Faggiani geleitete Männerchor des Monnaie beeindruckte durch außerordentliche stimmliche Potenz und sang zunächst hinter dem Spiegel im Bühnenhintergrund und am Schluss von den Proszeniumslogen. Er war wirklich ein echter Pluspunkt.

Wie schon zu Anfang gesagt, lieferte Alain Altinoglu ein leidenschaftliches musikalisches Plädoyer für eine werkgerechte Interpretation von „Tristan und Isolde“. Möglicherweise hätte der Sänger der UA länger leben können, wenn ihm eine so sparsame Darstellung des Tristan wie in Brüssel abverlangt werden wäre. Es ist zu vermuten, dass es zu Wagners Zeiten auf der Bühne ähnlich zugegangen sein muss wie im Orchester - also etwa so, wie Isolde es in ihrem herrlichen Liebestod schildert. Aber das geht wohl heute nicht mehr. Oder handelte es sich bereits um die ersten Folgen der #mee too-Bewegung auf der Wagner-Bühne…?!

                                                                                                                            

Klaus Billand  26.6.2019

Pressefotos von: van Rompay / La Monnaie / De Munt

            

 

 

Hector Berlioz

BÉATRICE ET BÉNÉDIKT

am 6.4.2016

Als Folge des völligen Versagens der belgischen Kulturpolitiker spielt die Staatsoper nun im Zelt !

Wenn Franz Kafka sich für Oper interessiert hätte, hätte er in der belgischen Kulturpolitik den Stoff für gleich mehrere sarkastische Romane gefunden. Denn was sich zurzeit in der belgischen Kulturszene abspielt, kann man nur noch „kafkaesk“ nennen. Die internationale Presse übte in letzter Zeit sehr scharfe Kritik an dem belgischen Staat, dem „failed state“, der völlig versagt hat in der Bekämpfung von Kinderschändung, Islamismus und Terrorismus. Was weniger in den Zeitungen steht, ist das diese folgenschweren Pannen sich auch seit Jahren in der Kulturpolitik abspielen und alle die gleiche Ursache haben: die absolut einzigartige belgische Bürokratie.

Das heimatlose Publikum der Brüsseler Oper am Eingang des neuen Zeltes hinter dem verfallenen Güterbahnhof des ehemaligen Hafens  Foto: Camille Cooken

Das heimatlose Publikum der Brüsseler Oper am Eingang des neuen Zeltes hinter dem verfallenen Güterbahnhof des ehemaligen Hafens (Foto: Camille Cooken)

Denn Belgien hat die weltweit größte Anzahl an Ministern und Staatssekretären (im Vergleich zur Einwohnerzahl), die den ganzen Tag anscheinend nichts anderes zu tun zu haben als sich gegenseitig zu bekämpfen. In Folge der Radikalisierung der politischen Parteien – im Gegensatz zu dem eher ruhigen und friedlichen Volkscharakter – wurde der Belgische Staat immer mehr zersplittert und völlig entkernt. So hat das kleine Land – weniger als halb so groß wie Österreich – inzwischen schon fünf Regierungen (Belgien, Flandern, Wallonien, Ostbelgien und Brüssel), also fünf vollständige Parlamente & Regierungsapparate. Doch ein zentrales Bildungs- oder Kulturministerium sucht man dort vergebens, denn Bildung und Kultur sind in Belgien heute entweder flämisch, wallonisch, deutschsprachig oder „brüsselerisch“ – aber eben nicht mehr belgisch. Mit der Folge, dass die nationalen Kulturinstitutionen in einem bürokratischen Vakuum gelandet sind, in dem sich niemand mehr für sie verantwortlich fühlt. Mit verheerenden Folgen: Vor drei Jahren musste eine international angelegte Rogier Van der Weyden-Retrospektive kurz nach der Eröffnung geschlossen werden, weil Regenwasser durch die Decken des Museums sickerte und die Sicherheit der kostbaren Bilder aus dem XV. Jahrhundert nicht mehr gewährleistet werden konnte. Andere Räume standen leer, sowie das damals gerade geschlossene Museum für Moderne Kunst, das in ein neues Gebäude umziehen sollte. Doch aus dem Umzug ist nie etwas geworden und die wertvolle Sammlung vergammelt seit Jahren in einem Keller.

Ein ähnliches Vergammeln droht nun der staatlichen Oper in Brüssel: seit zehn Jahren wird über eine „dringende Sanierung“ des Gebäudes diskutiert. Vor sechs Jahren war es endlich soweit. Doch im letzten Moment fehlten anscheinend einige Baugenehmigungen, und die Sanierung wurde um ein Jahr verschoben. Danach wieder um ein Jahr, danach noch ein Jahr etc. Nach fünf Jahren erfolgt nun die Sanierung unter denkbar schlechten Umständen. Denn die ursprünglich vorgesehenen Ausweichstätten für die „extra-muros-Spielzeit“ verweigerten beim fünften Anlauf ihre Mitarbeit, und der Oper blieb nichts anderes übrig als in einem alten Kino zu spielen oder im „Cirque Royal“. Der „königliche Zirkus“ ist ein schlechter Ort für Musik & Oper, aber zumindest ein guter Ort fürs Ballett. Doch dann musste fast das ganze Ballettprogramm annulliert werden, weil der Oper im laufenden Kalenderjahr fast ein Drittel der Subventionen gestrichen wurde. Seit Jahren klagt der IntendantPeter de Caluwe öffentlich darüber, dass er einerseits in der Planung Jahre im Voraus Verträge mit Künstlern unterzeichnen muss, aber andererseits nicht weiß, wie am Jahresende die Subvention der Oper aussehen wird. Über die wird nämlich recht spontan und salopp im Auswärtigen Amt entschieden, im Büro des Ministers Didier Reynders, der mit seinen Mitarbeitern in Sachen Kultur vollkommen inkompetent zu sein scheint. Reynders ernannte vor kurzem einen neuen Direktor des Nationalen Orchesters, mit der Auflage, dieses mit dem Opernorchester zu fusionieren. Doch der Mann musste schon nach wenigen Monaten wieder gehen, da er noch nie in einem Musikbetrieb gearbeitet hatte und durch alle Beteiligten als „völlig inkompetent“ abgestempelt wurde. – Eine Figur für einen Roman von Franz Kafka.

 So könnte man einige Bücher über die Oper in Brüssel schreiben. Ein Kapitel ist schon gedruckt: die Saisonbroschüre der laufenden Spielzeit. Im Vorwort schreibt der Intendant: „Schönheit entsteht oft am Rande des Unmöglichen, des Misslingens und der Verzweiflung“. Danach entschuldigt er sich für alles, was folgt mit der Aussage, dass es „sowieso ein kleines Wunder ist, dass wir überhaupt noch spielen“. Die Broschüre sieht äußerlich so aus wie die der anderen Spielzeiten, nur dass viele Seiten grau und nicht schwarz gedruckt sind. Erst nach einer Weile wird einem deutlich, dass alle Veranstaltungen in grau geplant waren, aber in letzter Minute annulliert wurden. Wegen der kurzfristigen Etatkürzung musste die halbe Spielzeit abgesagt werden – das haben wir in dreißig Jahren Opernjournalismus noch nirgendwo auf der ganzen Welt gesehen! Was danach folgte auch nicht: da die Sanierung des Hauses nicht, wie geplant, im März fertig wurde, wurde die Eröffnungsproduktion in ein dafür vorgesehenes Notzelt verlegt. Doch dieses war verschimmelt und da man aus bürokratischen Gründen nicht mehr das Zelt der Oper in Lüttich ausleihen konnte, musste in letzter Minute ein großes, neues Zelt gebaut werden – in dem die Oper nun bis zum Jahresende spielt.

Statt dem Lustspiel von Shakespeare & Berlioz eine neue Fassung, die „die tiefe Auswirkung von Gewalt auf menschliche Beziehungen untersuchen will“ Foto: Jean-Louis Fernandez

Statt dem Lustspiel von Shakespeare & Berlioz eine neue Fassung, die „die tiefe Auswirkung von Gewalt auf menschliche Beziehungen untersuchen will“

 „Hereinspaziert in die Ménagerie!“ – der neue Weg zur belgischen Staatsoper ähnelt dem zu einem Zirkus auf dem Lande. Im ehemaligen Hafengelände steht hinter dem verfallenen Güterbahnhof ein Zelt auf einer matschigen Wiese, auf der vor kurzem noch syrische Migranten hausten und nun bewaffnete Soldaten mit Hunden patrouillieren. Die Atmosphäre ist gespannt, denn die „feierliche Eröffnung des Zeltpalastes“ (Marketingstrategen können jeder Hundehütte noch einen großklingenden Namen geben) fand nur zwei Tage nach dem großen Attentat in Brüssel statt, bei dem viele Verwundete – für die in den staatlichen Krankenhäusern kein Platz mehr war – in ein in sichtweite liegendes Hotel gebracht wurden. Wegen der Sicherheitskontrollen und dem umständlichen Umtauschen der Platzkarten (die ursprünglich für das alte Haus verkauft worden waren) beginnt die Vorstellung mit beachtlicher Verspätung an in einem ungenügend geheizten Zelt. Auf einem Zettel werden wir gewarnt, dass auf der Bühne bewaffnete Soldaten erscheinen werden, weil der Regisseur in seiner Inszenierung „die tiefe Auswirkung von Gewalt auf menschliche Beziehungen untersuchen will“. Das kommt recht unerwartet, denn die Opéra Comique „Béatrice et Bénédict“, nach dem Lustspiel von Shakespeare „Much Ado about Nothing“ („Viel Lärm um Nichts“), ist von Berlioz dramaturgisch und musikalisch deutlich als ein „Liebeskomödie“ angelegt, mit viel Humor und einem „Happy End“. Der Regisseur Richard Brunel hat mit seiner Dramaturgin die gesprochenen Texte umgeschrieben, manche Arien und Szenen vercshoben und eine eigene Fassung aufgestellt, die „weder Shakespeare noch Berlioz folgt“ und wo die „dunklen, tragischen, melancholischen Aspekte des Werkes im Mittelpunkt stehen“. Auch wenn wir mit diesem Regiekonzept absolut nicht einverstanden sind, auch nicht mit dem selbsterfundenen „bad ending“ (das völlig gegen die Musik geht) und wir die hässliche Ausstattung auch nicht weiter beschreiben wollen, muss man dem Regisseur doch Eines lassen: er kann Noten lesen und mit Sängern umgehen. Im Gegensatz zum Vorabend in Antwerpen (siehe Rezension) lief das in unseren Augen unnötige Waffengerassel zumindest zusammen mit der Musik und konnte man dieser ohne all zu große Schwierigkeiten folgen.

Anstatt einer fröhlichen Hochzeit ein schwarze "Soldatenbraut" (ein Chorist) Foto: Jean-Louis Fernandez

Anstatt einer fröhlichen Hochzeit ein schwarze „Soldatenbraut“ (ein Chorist)

Das Opernorchester unter der Leitung von Jérémie Rhorer war die große Überraschung des Abends. Trotz widriger Umstände wurde hier auf hohem Niveau musiziert. Rhorer – in Brüssel kein Unbekannter und schon öfters im Merker lobend erwähnt – dirigierte mit einer großen Frische, Leichtigkeit und Raffinesse und gestaltete liebevoll die vielen musikalischen Besonderheiten der Orchesterpartitur. Denn Berlioz war ein überaus origineller und begabter Instrumentator & Orchestrierer, für den viele neue Blasinstrumente entworfen wurden und der gewagte Kombinationen nicht scheute. So spielen in der Ouvertüre die Posaunen zusammen mit den Geigen, und die große Liebesarie wird nicht durch eine Harfe, sondern durch eine Gitarre begleitet (ein Extralob für den Gitaristen Jona Kesteleyn). Die Sänger (wir hörten die Zweitbesetzung) sangen auf einem durchweg hohen Niveau ihre vielen Ensembles – denn ähnlich wie bei Verdis „Falstaff“ hat Berlioz in seiner letzten Oper kaum Arien komponiert. Aber leider konnte man die Sänger schon in der achten Reihe nicht gut hören (bei der Première hatte man sie mit Mikrophon verstärkt). Michèle Loisier sang sehr schön die (einzige) große Arie der Béatrice, „Il m’en souvient“ und Sophie Karthäuser flogen alle Herzen zu als Héro in ihren Duos „nuit paisible et sereine“ und „vous pleurez, Madame“ zusammen mit der Ursule von Eve-Maud Hubeaux. Doch öfters verhallten die Stimmen in dem großen Zelt, wurden wir abgelenkt durch Geräusche von außen, und wenn ein Flugzeug vorüberflog, hörte man gar nichts mehr. Das Théâtre Royal de la Monnaie war lange ein Wahrzeichen Belgiens, denn hier brach 1830 während einer Vorstellung von Aubers Oper „La Muette de Portici“ die Revolution aus, die zur Unabhängigkeit des Landes führte. Mehr als 150 Jahre hing das Wappen des Königs über dem Bühnenportal und wurden wichtige Staatsempfänge in der Oper gehalten. Das ist lange vorbei. Das Wappen wurde weggehängt, die Königsloge an Sponsoren vermietet und das Haus so lange vernachlässigt, dass man nun in einem Zelt hinter einem verfallenen Güterbahnhof spielen muss. Die für Juni angesetzte Uraufführung von „Frankenstein“, ein Auftragswerk an den Komponisten Mark Grey, wurde nun „auf unbestimmte Zeit verschoben“. Offiziell soll das Opernhaus zum Jahresende wieder öffnen. Doch bis dahin muss der bürokratische Apparat noch einige Baugenehmigungen erteilen, auf die man schon seit Jahren wartet. Einst das Symbol eines reichen Landes – das erste industrialisierte auf dem europäischen Kontinent – ist die Oper in Brüssel nun das Symbol eines „Versagenden Staates“ geworden, der Bildung, Kultur und Symbole im Matsch vergammeln lässt.

Waldemar Kamer 9.4.16

Mit besonderen Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)

Fotos: Jean-Louis Fernandez

 

 

ADRIANA LECOUVREUR

Premiere: 17.02.2016
besuchte Aufführung: 21.02.2016


Cileas Schmachtfetzen im BOZAR in Brüssel

Das Opernhaus in Brüssel wird gerade einer Renovierung unterzogen, weshalb der Spielplan der aktuellen Spielzeit unter dem Motto „Extra Muros“ steht und die einzelnen Produktionen an verschiedenen Ausweichspielstätten, die in der ganzen Stadt verteilt liegen, gezeigt werden – als Kölner kommt einem das bekannt vor… Für die konzertante Produktion von Francesco Cileas trotz ihres Melodienreichtums nördlich der Alpen extrem selten gezeigter Oper „Adriana Lecouvreur“ hat man sich für den imposanten Konzertsaal des BOZAR entschieden. Das BOZAR ist der „Palast der schönen Künste“ und in einem imposanten Art-Decó-Bauwerk des belgischen Jugenstil-Architekten Victor Horta untergebracht. Hier werden Konzerte, Ausstellungen, Theater, Tanz, Literatur, Konferenzen und Filmvorführungen unter einem Dach gezeigt, der große Konzertsaal „Henry Le Boeuf Hall“ mit seiner eindrucksvollen Orgel bietet rund 2.100 Zuschauern Platz.

 

Die Handlung der Oper orientiert sich an einer historischen Vorlage: Die französische Schauspielerin  Adrienne Lecouvreur war mit Voltaire befreundet und ein Star auf den französischen Bühnen des frühen 18. Jahrhunderts. Sie lebte von 1692 bis 1730 und hatte tatsächlich eine Affäre mit Moritz von Sachsen. Auch dessen Verhältnis mit der Herzogin von Bouillon ist belegt. Nach Lecouvreurs Tod mit nur 37 Jahren erzählte man sich, sie sei vergiftet worden. Diese Gerüchte verarbeite Eugène Scribe 1849 zu einem Theaterstück, das wiederum dem Librettisten Arturo Colautti als Vorlage diente, der die Titelheldin – opernhafter geht es kaum – an einem vergifteten Veilchenstrauß sterben läßt. Francesco Cilea ersann dazu einen unvergleichlichen Melodienreigen, der allerdings bei seiner Uraufführung 1902 mit Enrico Caruso in der Rolle des Moritz von Sachsen, der in der Oper Maurizio heißt, schon nicht mehr ganz den Zeitgeschmack traf. Nichtsdestotrotz hat diese Oper eigentlich alles, was ein toller Opernabend erfordert, enthält wunderbare Arien, von denen einige immer wieder gerne bei Operngalas zum Besten gegeben werden, Duette voller Leidenschaft und Inbrunst, Ballettmusik (die glücklicherweise in Brüssel einmal nicht gestrichen wurde), zeigt spannende Dramatik und ganz viel Gefühl. Allerdings kämpft das Werk offensichtlich mit seiner abstrusen Handlung, anders ist kaum zu erklären, warum man „Adriana Lecouvreur“ nicht häufiger auf deutschen Bühnen sieht (Ausnahme in dieser Spielzeit macht das Opernhaus in Halle).

 

„La Monnaie“ hat hochkarätige Sänger damit beauftragt, der Schauspielerin und ihrem Maurizio, der Herzogin samt Mann und schmierigen Abt sowie dem Chef der Comédie-Française, Michonnet, der Adriana heimlich liebt, Leben einzuhauchen: Die italienische Mezzosopranistin Daniela Barcellona (Bild oben) gibt die Fürstin von Bouillon, die zwischen Verzweiflung und Rachedurst schwankt, mit vollem Mezzo, der durchaus zu Lyrischem fähig ist. Zwar scheint sie ihre Auftrittsarie „Acerba volutta, dolce tortura“ noch mit angezogener Handbremse zu singen, entfaltet aber im anschließenden Duett mit Maurizio und vor allem in der Sängerinnenschlacht mit Adriana am Ende des zweiten Aktes ihr volles Potenzial, so dass zur Pause nicht auszumachen war, welche Sängerin da die Nase vorn hat. Der Mann zwischen den Frauen, Maurizio, wird von Leonardo Caimi (Bild unten) gesungen, der dem einen oder anderen Besucher der Deutschen Oper Berlin als Don Carlos oder Alfredo in Erinnerung sein könnte und ebenda in der kommenden Spielzeit den Don José und in Leipzig den Calaf singen wird.

Der Tenor verfügt über eine dunkel, fast baritonal gefärbte Stimme und eine durchschlagende Höhe. Er singt technisch einwandfrei, ist mir allerdings vor allem im ersten Akt zu wenig lyrisch („La dolcissima effigie“ erwarte ich dann doch dolcissima gesungen). Zwar findet er berückende Töne im zweiten wie im Schlussakt, doch seiner Stimme scheint irgendwie der Glanz zu fehlen. Den hat der Sopran von Lianna Haroutounian, die die Titelrolle singt, allemal – und noch viel mehr. Die Armenierin singt an großen Häusern wie der MET oder Covent Garden, überzeugt auf ganzer Linie, zeigt Lyrik und Gefühl, Kraft und Furor und beherrscht die Rolle überdies so gut, dass sie sich kaum mit der Partitur befassen muss, sondern frei singt.

Das bietet ihr die Möglichkeit, intensiv Mimik einzusetzen, trotz der Konzertform zu agieren, so dass nahezu etwas Halbszenisches entsteht, was den Zuschauer in seinen Bann zieht. Angefangen von der Auftrittsarie „Io son l’umile ancella“ über die Duette mit Maurizio und der Fürstin, einen Fedra-Monolog am Ende des dritten Aktes, der Gänsehaut erzeugt, bis hin zum „Poveri fiori“ mit anschließender Sterbeszene, die einen zu Tränen rührt, ist sie am gestrigen Sonntag die ideale Adriana. Roberto Frontali ist ebenfalls ein Michonnet wie aus dem Bilderbuch, zeigt die richtige Mischung aus väterlichem Freund und unglücklich Verliebtem. Sein facettenreicher Bariton hat ein beeindruckendes, zu Herzen gehendes Timbre, doch gelingen ihm auch die Ausbrüche vorzüglich. Sein komödiantisches Talent kann er sogar in einer konzertanten Aufführung gekonnt entfalten und vermittelt überdies viel Gefühl. Der Abbé von Chazeuil, sollte meiner Ansicht nach einen stimmlichen Gegenpol zum Fürsten darstellen. Die Figur ist intrigant, biedert sich an, ist frech und komisch. Da ist Raúl Giménez leider nicht der richtige Interpret. Der argentinische Tenor singt zu gradlinig, seine Stimmfarbe ist recht dunkel. Zwar gelingt ihm eine respektable Arie im dritten Akt, doch geht durch seinen Singstil der Witz und Pep der Figur nahezu völlig verloren. Der Bass Carlo Cigni ist verona- und pariserprobt und singt den Fürsten von Bouillon tadellos und überzeugend. Maria Celeng, Maria Fiselier, Alessandro Spina und Carlos Cardoso komplettieren das Ensemble als Mitglieder der Comédie-Française mit gewitztem Gesang mehr als solide.

Der Chor, von Martino Faggiani einstudiert, hat in diesem Werk nahezu nur untermalende Funktion. Vor allem die Damen machen ihr Solo im dritten Akt sehr fein, aber auch die Herren zeigen eine respektable Leistung. Weit mehr als respektabel ist das Dirigat von Evelino Pidò.

 

Er kitzelt aus den Musikerinnen und Musikern des Orchestre symphonique de la Monnaie auch noch den letzten Farbklecks heraus, den Francesco Cilea in seiner Musik untergebracht hat. Mit großer Begeisterung bereitet er den Sängerinnen und Sängern so einen bunten Teppich, leitet sie souverän durch den Abend. Seine Tempi sind anspruchsvoll und variantenreich, die lyrischen Passagen gestaltet er schwelgerisch-betörend, doch schreckt er im richtigen Moment auch nicht vor purer Klanggewalt zurück und kostet so die Möglichkeiten der Partitur voll aus.

 

Am Ende der Vorstellung gibt es begeisterten und lang anhaltenden Applaus vom Publikum in der nicht ganz ausverkaufte „Le Boeuf Hall“, wenn auch hier der eine oder andere nach dem letzten Ton direkt aufspringt und zur Garderobe eilt (vorzugsweise aus der Mitte einer Parkettreihe). Sitzt in der Oper auch die Fürstin am längeren Hebel, heißt die Siegerin nach dem bewegenden Schlussakt für mich Lianna Haroutounian – und mit ihr die Musik Francesco Cileas! Nach dieser musikalisch außergewöhnlich überzeugenden Aufführung freue ich mich noch mehr darauf, Ihnen am kommenden Wochenende von der szenischen Aufführung in Halle berichten zu dürfen.


Jochen Rüth / 22.02.2016

Bilder (c) BOZAR Brüssel

                         

 

 

 

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