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Badenweiler Musiktage 28.04 – 1.05.2016

Klänge der Nacht

 

Künstlerische Leitung: Klaus Lauer

Plädoyer für nächtliche Gedanken

In diesem Jahr gehen die sich nach dem Abschied vom Festival Alpen Klassik in Badenweiler neu formierten Musiktage in die dritte Runde. Wie einst bei den traditionellen Römerbad Musiktagen gibt Klaus Lauer den Programmen Profil - gewohnt entdeckungsfreudig, mit viel dramaturgischen Witz, angereichert mit diversen kammermusikalischen Trouvaillen, die im Konzertleben höchstens ein Outsider-Dasein fristen. So mischen sich Werke der Klassik, Romantik und Moderne unter das Themen umspannende Motto: „Klänge der Nacht“. Von Richard Wagner, Béla Bartók und George Crumb (Pianoduo GrauSchumacher) spannen sich die Fäden über den Auftritt des für provokante Programmwahl bekanntee Minguet-Quartetts, greifen auch ins Feld des bunt gemischten Recitals des Pianisten Dénes Várjon bis hin zu weiteren Streichquartett-Meistern, dem Zemlinksy-Quartett, das sich mit Mitgliedern des Prazák-Quartetts zu einer schlüssigen Reihung von stachligen Werken vereint. Alles wirkt stilistisch sinnreich integriert und fesseln mit einer Vergleiche und Perspektiven öffnenden Programmwahl.

Wer Ungewöhnliches riskiert, braucht eine besondere Spezies von Interpreten, bei denen die Neugierde auf musikalische Abenteuer wach geblieben ist. Eingeladen wurde das bereits bei den Römerbad Musiktagen in Badenweiler immer gerne gesehene Minguet-Quartett. Die intime Kunst, musikalische Gespräche zu Viert zu führen, komplizierte Gedanken zu ordnen und sie gegenseitig einander zuzuspielen, beherrscht diese Formation souverän. Dass die Mitglieder des Teams über jenen Grad an musikalischen Scharfsinn und Intelligenz gebieten, die avancierte Musik zum rechten Erlebnis macht, wird im siebenteiligen Streichquartett „Ainsi la nuit“ des Franzosen Henri Dutileux deutlich. Die filigran gearbeitete Musik entfaltet sich mit poetischer Klarheit. Das virtuos verschlankte Spiel gewährt auf mustergültige Weise Durchblick auf die kompositorischen Verläufe. Klanglicher Zucker wird nur sparsam verstreut.  Die Interpretation ruft Ludwig van Beethovens „Variationen-Techniken“ ins Gedächtnis, auch die elegante Lockerheit, Feinfühligkeit und Spiritualität französischer Musikästhetik.  Ein Team, dem die musikalische Innovation im Nacken sitzt. Ulrich Isfort, Annette Reisinger, Aroa Sorin und Matthias Diener liefern den klangschönen Beweis, wie schlüssig sich zeitgenössische Vorstellungen aus traditionellen Klangräumen fortentwickeln lassen. Für den spritzigen mit Pizzicati angereicherten Duktus haben die Quartett-Leute genau die rechte Ader: es wurde straff musiziert, dennoch gelöst und alles klangfarblich sensibel durchgeformt.

Mit Joseph Haydns spätem B-Dur Quartett op. 76,4 mit „Sonnenaufgang“ benannt, beginnt der Abend im Kursaal in Badenweiler. Da breitet sich eine subtil ausgeformte Kontrastspannung aus zwischen dem fast romantisch sich aufschwingenden Beginn und dem eigentlichen con spirito im Kopfsatz. Dass die Dynamik-Vorschriften ernst genommen werden, beweisen auch die launigen Überraschungen im trefflich durch artikulierten Finalsatz.

Viel zu wenig begegnen einem die fünf Sätze für Streichquartett und eine Singstimme von Othmar Schoeck Notturno op. 47. Neun Gedichte von Nikolaus Lenau nebst Fragment von Gottfried Keller fließen in Schoecks Texturen. Die werden im ersten und letzten Satz zu Gruppen koordiniert, während die Mittelsätze jeweils individuell ein Gedicht tragen. Meisterlich wie es dem Komponisten hier gelingt, die vokalen und instrumentalen Konstellationen mit einander zu verzahnen. Das einem „Monodram in Liedern“ gleichende, l933 kurz nach „Penthesilea“ entstandene Werk weist eigentümliche dramaturgische Disproportionalitäten auf: während im ersten Satz, in den verwendeten Texten von Nikolaus Lenau, ganz auf nachtschwarze Romantik gestimmt, Gefühle von Einsamkeit, Angst, Trauer und Abschied geweckt werden, imaginiert der zweite Teil im Sinne eines Scherzos einen Toten-Tanz im Presto-Tempo, der mit „Traumgewalten“ überschrieben ist. Kontemplativ geht es zunächst im dritten Satz zu ehe Verzweiflungsrhythmen und Tremoli in einen stillen Gesang münden und sich nach kurzem Zwischenspiel im Finalsatz choralartig entrückt im wohlgefälligen C-Dur himmlische Sphären öffnen. Freilich: omnipräsent bleibt da immer die Erfahrung der Einsamkeit – eine depressive Grunstimmung, die allenfalls durch naturhaft mystische Einblendung Trost spendet.

 Eine ausgesprochen farbenreiche Interpretation widmet das Minguet-Quartett und der Bariton  Thomas E. Bauer den nächtlichen Stücken von Othmar Schoeck. Es macht schon Eindruck wie Bauer, Gründer der „Kulturwaldfestspiele Bayerischer Wald“, kontrastreich dem nicht gerade einfachen Stück vielfarbig musikalische wie textliche Facetten zu entlocken versteht – vom geisterhaft grotesken zweiten Satz, über rhythmisierten Sprechgesang bis hin zu fahlen Klängen im Flageolett und jazzigen Anspielungen. Wie Bauer mit dem Minguet-Team zu artikulieren, wie expressiv zu kommunizieren und mitunter fast tonlos dem Ausdruck jegliche Farbe zu entziehen versteht – dieser variable Erzählton verrät supreme interpretatorische Kunst.

Das Minguet-Quartett formt die wechselnden Klangcharaktere akkurat – all die Motive, die sinnstrukturiert angstvolle Stimmung reflektieren. Permanente Modulation, untereinander sich schiebende Rhythmen und reibende Halbtonintervalle, halten dieses tiefdunkle Nachtstück in nervöser Bewegung. All das laden die Quartett-Leute samt Interpret Bauer mit viel Innenspannung auf, mit einem dunkelgetönten Pathos, wie es auch den Quartett-Sätzen von Max Reger eigen ist. Bei Schoeck regiert der musikalische Ernst mit aller Konsequenz. Die grüblerischen Monologe deklamierte Thomas E. Bauer mit seiner wohlklingenden Baritonstimme. Keine Frage: dieses romantische Stimmungsbild lässt bereits den Aufbruch in die Moderne wetterleuchten.

Musik zum Mit-Denken, zum Mit-Fühlen und Mit-Leiden, präsentiert von Interpreten der ersten Garde: mit dieser Mischung aus Vertrautem, seltener zu Hörendem und zeitgenössisch Provokantem hat sich Klaus Lauer in Fachkreisen nicht nur im legendären Römerbad, sondern auch im frühjährigen Intermezzo  „AlpenKlassik“ in Bad Reichenhall einen Namen gemacht. Seine spannungsgeladenen programmatischen Konzepte tragen auch die bisher sehr gut besuchten Badenweiler Musiktage. Am zweiten Abend lässt Dénes Várjon zum Entrée das Feuer „Robert Schumann“ so richtig auf Dauerflamme brennen. Seine Affinität zur lyrischen Emphase enthüllten die fabelhaft gemeisterten „Fantasiestücke“ op. 12. Nicht das einschmeichelnde Melos und das Kolorieren von Flächen sind nach den Vorstellungen des Pianisten das Herz aller Dinge. Vielmehr bedeutet Robert Schumann aus den Händen von Várjon die Herzlichkeit mit leuchtendem klarem, doch nie forciertem Klavierausdruck zu offenbaren. So entsteht mit schönen Klangfarben ein musikalischer Spannungsbogen, dessen Pole betont im Rhythmischen und Strukturellen liegen. Da bleibt nichts im Ungefähren hängen. So sorgt der Pianist für eine überzeugende Selbstreflexion der romantischen Musik – frisch dargeboten, getragen von einer liebenswürdigen Eleganz.

Weiter geht es mit Klängen des unermüdlich komponierenden, an der Hochschule für Musik in Freiburg in professoraler Würde lehrenden, im Konzertsaal mit Klarinette interpretierenden und als Chefdirigent des Irish Chamber Orchestra agierenden Jörg Widmann. Nein, Schonkost verabreicht er auf vielen Hochzeiten tanzende Musikmeister wohl kaum. Umso mehr kommen entdeckungsfreudige Naturen auf ihre Rechnung. Da gilt es für Interpreten viel spieltechnische Perfektion, auch Identifikationskraft aufzubringen, um im Labyrinth von komplexen Strukturen rhythmisch auf dem rechten Weg zu bleiben. Den Klavierzyklus „Elf Humoresken“, 2008 von Yefim Bronfman in der New Yorker Carnegie Hall aus der Taufe gehoben, präsentiert Dénes Várjon in Badenweiler. Jörg Widmann, ein Geistesbruder des Romantikers, schrieb die im Ausdruck changierenden, unterschiedlich konzipierten Charakterstücke im Grundton zwischen romantischer und zeitgenössischer Tonsprache. Dabei reflektiert eine Vielfalt von musikalischen Ausprägungen den Humor - angefangen von der Miniatur bis hin zum ausgewachsen komplexen Klavierstück. Dénes Várjon entdeckt einen ganz spezifischen Tonfall – der mal ironisch timbriert, mal trocken ausgeformt, mal melancholisch eingetrübt wirkt. Humor erscheint als hintersinnig subtil ausgebreitetes Phänomen. Die Informationsdichte macht Staunen.

Ganz dem Motto „Klänge der Nacht“ folgend, hört man das wohl bedeutendste Stück aus Béla Bartóks Gruppe „Im Freien“ – die Nummer 4 „Klänge der Nacht“. Auf einem Clusterband (12-tönig timbriert) werden einzelne Töne herausgefiltert, in die pointillistisch quasi naturhaft „Geräusche der Nacht“ hinein tönen: Vogelrufe, Knistern, Knacksen, Quaken – auch menschliche Stimmen sowie instrumentale melodische Einsprengsel. Der viersätzige Zyklus „Im Freien“ – retrospektiv die abendländische Kunstmusik auf „modern“ wiedergebend – beginnt mit einer schlagzeugmässig ausgeprägten klavieristischen Anwendung: „Mit Trommeln und Pfeifen“. Im ruhigen Duktus folgt der zweite Satz kreisend im Sinn einer „Balcarolla“, während Nr. 3 „Musette“ neobarock geprägt ist. Hier assoziieren Trillerketten ein Cembalo mit dudelsackartig verfremdeten Quint-Bordun-Klängen. Mit „Hetzjagd“ Nr. 5 schließt sich der Kreis – ein äußerst schnelles, virtuos hoch gezüchtetes Stück mit Triolen und Quintolenfiguren, die einen rhythmisierten Kontrapunkt kontrastieren. Auf erregende Weise wird der Aufbruch in neue Klanglandschaften vorgeführt.

Sehr achtsam geht Dénes Várjon mit einer Auswahl aus dem kompositorischen Material von Frédéric Chopins Nocturnes um. Agogische Maßlosigkeiten gibt es bei ihm nicht, ebenso wenig wohlklingende Unverbindlichkeiten. Die Türen bleiben zum Salon fest geschlossen. Umso mehr vertieft sich der Pianist in die Verästelungen dieser Musik, zaubert wundervolle lyrische Stimmungen und findet Kraft für den rhythmischen Aufbruch. Ein Chopin, der atmet, der Poesie und Analyse gleichermaßen vereint.

Schlussendlich verlangt der Klavierzyklus „Gaspard de la nuit“ von Maurice Ravel dem Interpreten pianistisch das Allerschwerste ab – ein Olymp pianistischer Gipfelkunst, aberwitzig virtuos, angereichert mit risikoreichen klanglichen Überraschungen. In „Ondine“ lockt der Gesang der Sirene. Der wird immer verführerischer, begleitet von wirbelnden nassen Elementen, bis nach dem Geständnis, dass eine Sterbliche geliebt wird, die Gestalt in spritzenden Schaumwellen verschwindet. Tumultuöses ereignet sich in „Scarbo“ – nach Betrand der „groteske Zwerg“. Der fällt um Mitternacht, wenn der Mond am Sternenhimmel glänzt, von der Zimmerdecke, wirbelt wie eine Hexenspindel herum, wächst zur Größe eines gotischen Kirchturms, um schlussendlich zu einer erlöschenden Kerze zusammenzuschrumpfen. Mit hoher Anschlagskunst meistert Várjon auch „le Gibet“ (der Galgen). Dazu erläutert der französische Dichter Aloysius Bertrand: „Die Glocke läutet an den Mauern einer ferner Stadt, während der Leichnam eines Gehängten vor der untergehenden Sonne gerötet wird“. Durch das Klangbild läutet beklemmend die Totenglocke. Auch in diesen pianistischen Exzessen demonstriert Várjon souverän seine spieltechnischen Fertigkeiten und formt alle drei „Gaspard-Teile zur Charakterstücken mit elegantem klangbewusstem Spiel, das die Konturen prägnant mit großer Klarheit formt.

Spannungsvolle musikalische Ereignisse erwarten Musikfreunde bei den nächsten Badenweiler Musiktagen, die unter dem Motto „An die Freundschaft“ in der Zeit vom 3. Bis 6. November 2016 stattfinden. Angekündigt hat sich das jetzt sein vierzigjähriges Jubiläum feiernde Emerson String Quartett mit der Sopranistin Barbara Hannigan.

Egon Bezold 3.5.16

 

 

 

  

 

Herbstlied

Die Luft geht ihm noch lange nicht aus, Klaus Lauer, dem rührigen Musikmanager aus Badenweiler, der vierunddreißig Jahre im Hotel Römerbad ein Musikfestival profilierte, das auch international Furore machte. Ein erfreuliches Signal, dass nach dem betriebswirtschaftlich bedingten Aus und anschließender fünfjährigen Interimszeit in Bad Reichenhall nun seit zwei Jahren die legendären Konzertzyklen im akustisch verbesserten Kursaal von Badenweiler wieder zur Durchführung kommen. Wie in früheren Zeiten gehen die jetzt im Mai und im November stattfindenden Zyklen jeglicher programmatischen Beliebigkeit aus dem Weg gehen.

Hier wird nichts zufällig dramaturgisch aneinander gereiht. Nach legendärer „Römerbad Tradition“ wird Rares, unschuldig Vergessenes, aufführungspraktisch sonst schwer zu Realisierendes mit klassisch-romantischen und Werken der Avantgarde zu fesselnden Programmpaketen geschnürt. Die Programme sollen auch Querverbindungen zwischen den Komponisten herstellen. Der Erfolg von Klaus Lauers innovativer Dramaturgie straft wohl all jene Lügen, die behaupten, die vermeintliche Dickfelligkeit des Publikums lasse nur „Programme auf Nummer sicher“ zu.

Als Singulär erweist sich die auf vier Tage konzipierte Dramaturgie vor allem durch den Auftritt der Trio Formation „Catch“. Hier begegnet man dem Trio für Klavier, Klarinette und Violoncello a-Moll op. 114 von Johannes Brahms, das die Klarinettistin Bogluarka Pecze , das Cello von Eva Boesch und Sun-Young Nam (Klavier) als Kronschatz der kammermusikalischen Literatur adeln. Wie schwärmte doch einst der Brahms-Freund Eusebius Mandyczewski? „Es ist als liebten sich die Instrumente“. Man gewinnt den Eindruck, dass das im bruchlosen Zusammenspiel funktionierende Team auch stilistisch im besten Einvernehmen sich der Anliegen des Komponisten annimmt. Auch in puncto Temperamentslage macht die Harmonie Eindruck. Erwärmend gibt sich der Klang der Klarinette vor allem in den tieferen Registern, während die Cellistin weniger expressiv als zurückhaltend ihre melodischen Partien auslotet und Sun Young Nam den Klavierpart ausgewogen betreut. Im Adagio beweisen die dialogisierende Klarinette und das Cello bei der rhythmischen Ausformung die wünschenswerte Stabilität. So was kommt dem Hörer wahrlich entgegen.

Eine eher ruppige Spielweise, getragen durch eine zugespitzt  kaum klangrund die hohen Töne zeichnende Klarinette, widmen die Interpreten dem Trio B-Dur für Klavier, Klarinette und Cello op. 11 von Ludwig van Beethoven. Im Variationen-Finale wird ein „Gassenhauer“ aus Joseph Weigls Oper „Der Korsar“ von 1797 neunmal eigenwillig, fantasievoll verwandelt.

Chiffre IV aus der kompositorischen Feder von Wolfgang Rihm reflektiert starke musikalische Persönlichkeit, handwerkliche Souveränität und bezwingende Intensität. Leuchtkräftig, melodisch suggestiv, wartet das Stück in der Besetzung mit Bassklarinette, Violoncello und Klavier mit einem faszinierenden Spiel von Linien und Farben auf, immer wieder unterbrochen von halsbrecherischen Sprüngen über die Klippen.

Extrem Exaltiertes, in den instrumentalen Äußerungen stachlich bis zum Geht-Nicht-Mehr in wilden Ausbrüchen geschärft als Ausdruck seelischen Zitterns, so teilt sich das Psychogramm II „Rettegös“ (2015) für Klarinette solo des Wolfgang Rihm Schülers, des in Budapest geborenen Márton Illés (40) mit. Über  dessen kompositorisches Profil befindet sein ehemaliger Lehrer Wolfgang Rihm: „Die Emotionalität ist stets in ein verbindliches Struktur-Ganzes eingelassen; die Rationalität ist konfrontiert mit geschärfter Klangkraft und Ausbruchsenergie. So gelingt es ihm in jungen Jahren zu einer verbindlichen Aussage zu gelangen, die gelassen aus sich selbst zu wirken in der Lage ist, ohne sich irgendeiner Tagesmode versichern zu müssen“. So entsteht der Eindruck, dass Márton Illés (er lehrt Musiktheorie an der Musikhochschule Karlsruhe) eine Kreation prägt, in der sich Kalkül und Risiko präzise ausbalanciert die Waage halten. Boglárka Pecze, Klarinette, gewinnt dieser vertrackten Textur spieltechnisch eine provakant aufgezogene Virtuosität ab. Hut ab vor dieser bravourösen Tour de force.

Wie der in Karlsruhe lebende Slowene Vito Zuraj (36) sich als spektakulärer

Klangkünstler profiliert, dafür spricht „Chrisanthenum“ in memoriam Achim Köhler, Musikredakteur des SWR. In seiner Klangsprache lässt der Komponist folkloristische Einflüsse seiner Heimat Slowenien wetterleuchten. Darin offenbart sich ein kompositorisches Bewusstsein, das trotz strenger Konstruktionsprinzipien den fragilen tonlichen Gespinsten klangsinnliche Qualitäten zubilligt.

Auch wer es nicht wahr haben will: der Liedgesang gerät zunehmend ins Aschenbrödeldasein des Konzertlebens. Das darf man nicht alleine den Konzertveranstaltern zur Last legen, wenn sie in ihren defizitären Abonnementsreihen Liederabende in Frieden entschlafen lassen. Es fragt sich freilich, ob ein reiner Liedsänger heute noch eine echte Liedkarriere aufbauen kann? Für viele Vokalisten ist der Liedgesang lediglich eine Nebenbei-Beschäftigung, die ohne ökonomisches Fundament der Bühne und Lehrtätigkeit kaum denkbar wäre. Auch hat sich der Hörerkreis nicht gerade verjüngt. Hat die nachfolgende jüngere Generation überhaupt noch jenes Verhältnis zur romantischen Dichtung, die ja Voraussetzung wäre für die Rezeption des Klavierliedes.

Umso erfreulicher, dass die Badenweiler Musiktage eine Schneise schlagen in dieser für die musikalische Gattung nun nicht gerade erfreulichen Situation. Nun stellte sich der Tenor Maximilian Schmitt den immensen Anforderungen, die Franz Schuberts schauerliche Lieder, Winterreise, den Interpreten auferlegen. Da gilt es, jenen Zwiespalt von fahlen Farben des Ausgestoßenseins und scheinbar heiteren Töne zur Einheit zu formen. Es macht Eindruck, wie Schmitt mit seiner ausdruckskräftigen, geschmeidig geführten Stimme artikuliert, um die Liedtexte emotional auszuloten. Stimmkräftig, unmaniriert im Ausdruck, frei von jeglicher überpointierender Lehrhaftigkeit, teilen sich in diesen „letzten Liedern“ die Erschütterungen der Seele mit. Mit Gerold Huber ist ein fabelhaft begleitender Pianist am Werk. Ein Aussteiger ist der Wanderer bei Schmitt wohl kaum, eher einer, der heftig aufbegehrt. Auch als resignierenden Weltabschied legt Schmitt die Geschichte nicht an, sondern eher als ein mit aggressiven Untertönen aufbegehrendes Protestieren. Seine Diktion wirkt durchwegs plastisch formuliert, emotional sensibel schattiert. An Präzision und Zeichnung der Konturen bleibt der Interpret den Gesängen nichts schuldig. Umso mehr spiegelt sich in Franz Schuberts seelischen Befindlichkeiten der existentielle Schmerz des Menschen.

Der Auftakt 2016 wird vom 28.4. – 1.5.2016 unter dem Motto „Klänge der Nacht“ eingeläutet. Zu den Interpreten zählen das Klavierduo GrauSchumacher, Experimentalstudio des SWR sowie Mitglieder der Berliner Philharmoniker,  Minguet-Quartett und Thomas E. Bauer (Bariton), Dénes Várjon (Klavier), Zemlinsky-Quartett und Mitglieder des Prazák-Quartetts.

Egon Bezold 16.11.15

Bilder vom Veranstalter

 

 

 

 

Kammermusikalische Preziosen

Eine Mischung aus klassisch-romantischer

mit zeitgenössischer Auswahl

Um originelle Programmideen war er ja noch nie verlegen, der Musikimpresario Klaus Lauer (Bild). Nach vierunddreißig Jahren „Musiktage im Hotel Römerbad“ und nach folgender fünfjähriger Interimszeit in Bad Reichenhall lädt er seit dem vergangenen Jahr die Musikfreunde zu edlen kammermusikalischen Sitzungen ins Kurhaus Badenweiler. Klaus Lauer resümiert: „Im Römerbad hatten wir mit 250 Plätzen eine begrenzte Kapazität. Der neue Saal im Kurhaus bietet erheblich mehr Platz und wurde akustisch mit Schallwänden wesentlich verbessert. Was sich geändert hat, ist die Beteiligung des ganzen Ortes. Wir haben Hotel-Sponsoren. Es herrscht jetzt eine andere Atmosphäre. Das erste Festival 2014 ging über Erwarten sehr gut. Dann habe ich vorgeschlagen, nicht nur im Mai, sondern auch im Herbst ein Festival auszurichten. Jetzt haben wir ein sehr schönes Programm konzipiert. Es gibt es zwei Mal im Jahr ein kammermusikalisches Festival, einmal im Mai ein frühlingshafter Auftakt und zu eine spätherbstliche Einkehr im November. Damit wird auch zeitlich ein sinnvoller Zusammenhang zwischen den Veranstaltungen hergestellt.“

Klaus Lauer weiß, was er seinen wissbegierigen Besuchern schuldig ist. Wie zu früheren Zeiten liegt die Messlatte für das Anspruchsniveau hoch: die Programme favorisieren selten zu hörende Kammermusik, mitunter Mauerblümchen am Rande der Traumstraßen jesweils in abwechslungsreichen Besetzungen. Und Klaus Lauer mischt auch jene Trouvaillen ins Programm, die in normalen Konzerten wohl kaum unter die Haube kämen. Es gastieren – das gehört eben zum Lauerschen Ritual – Künstler der ersten Wahl. Klaus Lauer achtet bei seinen programmatischen Vorstellungen stets darauf, dass eine übergeordnete Leitlinie durch die Konzerte führt. Für die zweite Folge der neu konzipierten Badenweiler Musiktage sollen Werke französischer Komponist aus klassisch-romantischen wie auch zeitgenössischen Gefilden den kontrapunktischen Kontrast definieren.

Als Konfrontation von besonderem Reiz erweist sich im ersten Eröffnungskonzert der Auftritt von Jean Efflam Bavouzet. Der hat den untrüglichen Instinkt für die vielschichtige Klavierwelt von Maurice Ravel. Klarheit dominiert auf der ganzen Linie. Keinesfalls sind durch dynamisch-artikulatorische Überzeichnungen die „Vallée des cloches“ gefährdet. Auch im Leisen waltet eine unaufdringliche Eleganz in „Une barque sur l’ocean“ von Maurice Ravel. Virtuos gestaltet Bavouzet die Fortissimo-Attacken und pathetischen Aufwallungen in Claude Debussys „Images Premiere série“. Freilich: ein auf Effekt erpichter Tastenakrobat ist der Pianist sicher nicht. Seine Identität prägt mehr oder weniger ein elegantes, klangbewusstes, mit souveräner Ruhe die Konturen prägnant zeichnendes Spiel wie in Debussys „L’isle Joyeuse“ dargeboten. Eine glückliche Hand beweist der Pianist mit seiner Transkription von Claude Debussys Ballettdichtung „Jeux“. Keine leichte Aufgabe, wer bedenkt, wie differenziert Debussy die Motive hier verzahnt, um die nächtliche geheimnisvolle Landschaft zu belichten, die sich magisch in die Stille verflüchtigt. Was der französische an der Hochschule für Musik in Detmold lehrende Pianist in seiner Version eingefangen hat, erfährt eine sensible Wiedergabe, die auch die rhythmischen Strukturen und die Eleganz des Ausdrucks deutlich hervorheben. Schussendlich scheinen Emotion und Klarheit hier trefflich ausbalanciert. Sicher hatte Claude Debussy mit „Jeux“ weniger die Beziehung von Tennis und Musik im Sinn, weniger den Schlagabtausch samt Matchball-Erregungen. Ihn fesselte eher das sportliche Umfeld, wo sich eine hauchzarte erotische Dreierepisode, das eifersüchtige Geplänkel zwischen einem jungen Mann und zwei Mädchen am Rande des Tenniscourts anbahnt. Im Mittelpunkt stehen ein schillerndes Spiel der Farben, kühne harmonische Reibungen und ein bezauberndes Oszillieren der Klänge.

Als Gast in diesem französischen akzentuierten Programm stellt sich Bruno Mantovani vor – Komponist und Dirigent, Directeur du Conservatoire de Paris. Das kurzweilige Stück „Le Livre de Jeb“ des vielseitig komponierenden Franzosen gerät zum nachklingenden Musikerlebnis. Da wird die alte Mär von den klangfarblichen Schmeicheleien und impressionistischen Verschleierungen der französischen Klaviermusik wohl zu Grabe getragen, wenn Mantovani Ironisch-Groteskes und vibrierend Rhythmisiertes raffiniert so kombiniert, dass auch die heikle klangliche Balance trefflich gelöst scheint. (c) Bild: Hompege B. Mantovani

Von der Integrationsfigur Mantovani führen entdeckungswerte Spuren zu dem unlängst seinen Neunzigsten feiernden Pierre Boulez – immer noch eine Instanz im europäischen Musikleben, auch wenn es um den Star der neuen Musik im hohen Alter aus gesundheitlichen Gründen in der letzten Zeit still geworden ist. Mit fulminanter Treffsicherheit meistert Bavouzet Boulez‘ „Sonate pour piano Nr. 1“ (komponiert l946) und entwickelt souverän die typische Boulez-Rage.

Beim Rundumschlag durch französische Areale zeigt sich am zweiten Abend das belgische Danel-Quartett (Bild oben - Foto Homepage) in der Besetzung mit Marc Danel, Gilles Millet, Vlad Bogdanas und Yovan Markovitch auf dem Podium im Kurhaus zu Badenweiler. Dieses fabelhafte Team spielt mit gebotener spieltechnischer Bravour die typischen Merkmale der kompositorischen Identität von Bruno Mantovani im Streichquartett Nr. 2 in die Ohren der neugierigen Zuhörer: heftigst aufschäumende Körperlichkeit der Musik,wild auffahrende klangsplittrig auf und ab durch die Lagen rasende Tremoli – eine schroffe, messerscharf ausgestanzte Expressivität. Diese Konfrontation von abstrakten Strukturprinzipien mit konkret erfahrbaren musikalischen Formen formt Mantovani zu kompositorischen Idiomen von hypertropher Übertreibung und Pragmatismus. Mitunter assoziiert der motorische Drive quasi „lokomotivenhaft“ Honeggers „Pacific 231“. Diese stilistischen Spielformen spiegelt auch die 2005 entstandene Komposition „Blue girl with red wagon“ für Klavier und Streichquartett.

In Maurice Ravels 1903 vollendeten F-Dur Quartett gewährt das Danel-Team Durchblick auf die kompositorischen Verläufe – inspirierende Gespräche zu Viert. Musiziert wird mit elegantem Ton ein durchaus klassisch gebautes Werk. Nur manchmal entsteht der Eindruck, dass die Vierergruppe allzu freizügig Schmalz und Zucker in die Zutaten mengt. Maurice Ravels Quartett wie eine Nachspeise zubereitet? Eigentlich verträgt  diese zukunftweisende Partitur kein verweichlichtes Profil. So erfährt man „Süße“ eher als geschmackliche Nuance, weniger als Farbe von intellektuellem Zuschnitt.

Relativ spät wandte ich Gabriel Fauré der Kammermusik zu – für ihn eine Gattung von hohem Stellenwert. Sieht man von kleineren Piècen und Gelegenheitswerken ab, so dominiert im Werkkatalog vor allem die Kombination von Klavier mit einem oder mehreren Streichinstrumenten. Das erste Klavierquartett (komponiert 1879) signalisiert die für den dreißigjährigen Fauré typischen Merkmale: weit ausladende melodische Züge und kontrapunktisch zugespitzte, überraschende Rhythmen, die von spannungsvoll auskomponierten Bassstimmen getragen werden. Fauré erscheint in diesem frühen Werk als ein waschechter Klassizist. Im Spiel der Danels manifestieren sich spannungsvoll Perspektiven, die ein ausdrucksintensiv druckvolles Spiel und drängend rhythmisches Getriebe tragen. Mit klar konturiertem Ton findet Jean-Efflam Bavouzet zu einer geschmeidig den Klavierpart deklamierenden Sprache - alles perfekt dargeboten, mögen auch die ornamentalen Verzierungen noch ein wenig vordergründig im Tonfall wirken.

Im Mittelpunkt des dritten Abends stand kammermusikalisches Duospiel vom Feinsten. Isabelle Faust (Foto: Wikipedia) mit dem routiniert die pianistischen Stimmenbeiträge auslotenden Alexander Melnikov(Bild unten - Foto: Impresariat Simmenauer) zaubert aus der Schatztruhe die beiden Sonaten für Violine und Klavier

 A-Dur op. 13 und e-Moll op.108 von Gabriel Fauré. Man schätzt und lobt ihn. Doch weiß man von ihm außerhalb Frankeichs recht wenig. Freilich: wer sich von Fauré anhand der international weit verbreiteten Berceuse op. 16 für Violine und Klavier ein Bild zu machen glaubt, liegt ebenso schief wie jene Unverbesserlichen, die da glauben, mit dem Prädikat „französischer Schumann“ den Nagel auf den Kopf zu treffen. Ein Revolutionär war Fauré sicherlich nicht, schon eher eine stillere Natur, wenn man so will ein musikalischer Feinzeichner, der in späteren Schaffensjahren wegen eines beginnenden Gehörleidens sich zur Gänze auf das Terrain der Kammermusik konzentrierte. Während die Violinsonate op. 13 im Aufbau und in der thematischen Disposition am Vorbild der Klassik und Romantik, insbesondere an Camille Saint-Saens sich orientiert und ornamental verziert eine staunenswerter Klangfülle präsentiert (vor allem im vierten Satz), signalisiert die zweite Sonate op. 108 eine dichtere Verarbeitung der Materialien. Geradezu fiebrig tönt hier der Kontrapunkt. Mit forscher Dramatik rücken Isabelle Faust und Alexander Melnikov dem Werk zu Leibe. Sie befeuern das drängende rhythmische Getriebe bis hin zum Höhepunkt der Sonate, dem als Rondo angelegten Finale samt jubelnder Coda. Wie engagiert die energisch zupackenden Instrumentalisten hier kommunizieren, den rhythmischen Pfeffer wohl dosieren und die Kantilenen leuchten lassen, unterstreicht ihr perfekt organisiertes kammermusikalisches Können.

Der l923 von George Antheil komponierten Violinsonate Nr. 2 merkt man den im Zeitalter der „Maschinenästhetik“ gepflegten mechanistischen Tonfall an. Zu den Mustern der von den Interpreten gewitzt wiedergegeben Sonate zählen Schärfe, coole Ausdrucksweise, mechanisch hämmernde Rhythmen nebst polymetrischen Überlagerungen und einer Disposition in mechanischen Blöcken.

Wie Musik entsteht im Stil von kompositorischen Imaginationen Bruno Mantovanis, mündet in Anlehnung an Gabriel Fauré in einen improvisatorisch eher dezenten Tonfall, der von jeglichen Wutausbrüchen freibleibt. So trägt diese Poetik eher das doppelte Gesicht von klassischer Disziplin und unaufgeregt dargebotenen Einfällen. Wer ein Feuerwerk von Kaskaden erwartet, wird enttäuscht. Isabelle Faust gebührt großes Lob für die zweite Zugabe, ein Stück für Violine und Klavier von John Cage. Es beginnt nahezu mit einer für Cage typischen Stille, fast tonlos sensibel vorgeführt. Alles wird fein ziseliert, dynamisch bestrickend abgestuft in den kurz gefassten kleinen melodischen Einheiten. Alles in allem: der musikalische Drive des „neuen“ Musikfestivals in Badenweiler sorgte durch die kausalen Bezüge der eingeschlagenen Richtungen für spannungsgeladene Höreindrücke. Die Zuhörer applaudieren begeistert.    

Die nächste Runde des reformierten Musikfestivals von Klaus Lauer findet in der Zeit vom 12.-15. November 15 im Kurhaus statt. Im Auftritt des Pianisten Louis Lortie hört man Beethovens „Große Sonate für das Hammerklavier“ op. 106, ferner die Préludes von Alexander Scriabin und „Darkness Visible“ von Thomas Adès. Matthias Schmitt interpretiert Franz Schuberts „Winterreise“, das Trio Catch in der Besetzung mit Klarinette, Violoncello und Klavier mischt Beethoven und Brahms mit Vito Zuraj und Wolfgang Rihm. Mit Schostakowitsch Quartett Nr. 5 op. 92, Weberns „Langsamer Satz“ für Streichquartett und Es-Dur Quartett op. 127 von Beethoven hat sich das Cuarteto Casals angesagt.

Egon Bezold 4.5.15

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