DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Freilichtspiele Tecklenburg - Musiktheater open air

http://www.buehne-tecklenburg.de/

 

Sister Act

Premiere: 24.06.2022, besuchte Vorstellung: 13.08.2022

Perfekte Unterhaltung an warmen Sommerabenden

Derzeit befinden sich die meisten Theater noch in der Sommerpause und die Temperaturen klettern fast täglich über die 30-Grad-Marke. Beste Voraussetzungen für einen schönen Musical-Abend unter freiem Himmel. Gerade in Zeiten in denen schlechte Nachrichten die allgemeinen News-Themen beherrschen, kommt dieses Musical wahrlich zur rechten Zeit. Tecklenburg zeigt mit Sister Act ein sehr ansehnliches Unterhaltungsmusical, welches auf dem bekannten Film aus dem Jahr 1992 basiert. Alan Menken schuf für dieses Musical großartige Songs, die die Ohrwürmer aus dem Film, die aus lizenzrechtlichen Gründen für das Musical nicht genutzt werden, zu keinem Zeitpunkt vermissen lassen. Im Gegenteil, der mehrfache Oscar-Gewinner schuf mit einer Mischung aus Disco-Sound, Gospel und moderner Popmusik ein sehr stimmiges Gesamtwerk. Giorgio Radoja leitet das Orchester der Freilichtspiele schwungvoll durch den rund dreistündigen Abend.

Kurz zum Inhalt, für alle Leser, die den Film bislang nicht gesehen haben. Deloris van Cartier schlägt sich als Nachtclub-Sängerin durchs Leben und träumt von der großen Karriere. Da sie beobachtet wir ihr Liebhaber Curtis Jackson einen seiner Gefolgsmänner erschießt, gerät auch ihr Leben in Gefahr. Lieutenant Eddie Fritzinger, den Deloris noch aus der gemeinsamen Schulzeit kennt, bringt sie daraufhin bis zum geplanten Prozess in einem Kloster unter. Zwei komplett verschiedene Welten treffen aufeinander. In der Betreuung des Nonnenchores findet Deloris eine neue Aufgabe, doch mit dem zunehmenden medialen Erfolg der singenden Nonnen erfährt auch Curtis vom Versteck der Tatzeugin. Regisseur Werner Bauer bringt diese Geschichte temporeich und voller großartigem Humor auf die große Bühne der Festspiele. Auch auf einige kleinere Aktualisierungen dürfen sich die Zuschauer freuen, die das Werk bereits kennen.

Mit Peti van der Velde wurde eine ganz wunderbare Deloris van Cartier gefunden, die Whoopi Goldberg aus der Filmvorlage in Sachen Humor in nichts nachsteht. Gleichzeitig singt sie ganz hervorragend und auch die Wandlung von der selbstbezogenen Gangsterbraut zu einer echten Freundin für die verschiedenen Ordensschwestern gelingt ihr überzeugend. Sehens- und hörenswert auch Masha Karell als Mutter Oberin, die oft gute Mine zum bösen Spiel macht. In weiteren Rollen überzeugen u. a. Martin Pasching als Gangsterboss Curtis Jackson, Fabio Diso als Eddie Fritzinger und Andreas Goebel als Priester. Von den Nonnen ist rollen bedingt Schwester Mary Robert hervorzuheben, da sie als noch etwas unsichere und neugierige Novizin, die größte Wandlung vollzieht. Katia Bischoff macht hier nachhaltig auf sich aufmerksam. Aber auch alle weiteren Rollen sind ganz hervorragend besetzt, was das zahlreich anwesende Publikum auch immer wieder mit großem Applaus bestätigt.

Bei der besuchten Vorstellung war der Zuschauerraum bis auf den letzten Platz belegt, was bei einem Fassungsvermögen von mehr als 2.300 Zuschauern eine sehr beachtliche Leistung ist. Auch die verbleibenden Vorstellungen bis zum 11. September 2022 sind bereits sehr gut gebucht, so dass man hier nicht all zulange überlegen sollte, wenn man sich diesen Theaterabend anschauen möchte. In Verbindung mit der ganz besonderen Atmosphäre in Tecklenburg, kann ein Besuch wärmstens empfohlen werden. Doch Achtung: Sitzkissen sind unbedingt mitzunehmen. Für den Notfall bietet der Förderverein vor der Vorstellung auch Kissen zu fairen 4 Euro pro Stück an. Spätestens hier sollte man zuschlagen, denn sonst wird der Abend auf den eher unbequemen Holzbänken wirklich lang.

Markus Lamers, 16.08.2022,
Fotos: Freilichtspiele Tecklenburg

 

 

Der Besuch der alten Dame

Premiere: 22.07.2022, besuchte Vorstellung: 12.08.2022

Literatur-Klassiker als Musical

Lange musste man in Tecklenburg auf die Deutschlandpremiere des Musicals „Der Besuch der alten Dame“ warten. Nachdem das Werk, welches auf dem gleichnamigen Theaterstück von Friedrich Dürrenmatt basiert, in den Spielzeiten 2020 und 2021 noch abgesagt bzw. korrekter ausgedrückt jeweils um ein Jahr verschoben werden musste, fand am 22. Juli diesen Jahres endlich die Premiere statt. Zuvor war dieses Musical lediglich bei den Thunerseespielen (Uraufführung: 2013), bei den Vereinigten Bühnen Wien (2014) und in Japan (2015) zu sehen.

Damals durch einen Meineid ihrer großen Liebe gedemütigt und verleumdet musste Kläri ihren Heimatort Güllen verlassen. Als Milliardärin Claire Zachanassian kehrt sie nun viele Jahre später zurück. Die Bürger Güllens setzen große Hoffnung in diesen Besuch, um der maroden finanziellen Situation der Stadt zu entkommen. Dennoch echauffieren sie sich gleichzeitig über das seltsame Verhalten der Milliardärin. Bei einem Empfang verspricht Claire eine Zahlung von zwei Milliarden, aufgeteilt auf jeden einzelnen Bürger Güllens. Allerdings gibt es eine Bedingung: Das Geld wird erst ausgezahlt wenn Ihre Jugendliebe Alfred Ill stirbt. Das moralische Entsetzen ist zunächst groß, doch im Verlaufe des Abends zeigt sich, wie die Moral plötzlich ganz neu interpretiert werden kann, wenn Geld und persönliche Vorteile im Raum stehen. Dürrenmatt schuf seinerzeit eine wahrlich spannende Geschichte um Moral, Rache, Schuld und Korruption der Menschheit, die Christian Struppeck, Musical-Intendant der Vereinigten Bühnen Wien, zu einem Musical umschrieb. Hierbei kürzte er einige Personen, insbesondere bei den Begleitungen der Milliardärin, was folglich auch die Streichung der dort bereits vorhandenen Rachehandlungen Claires aus dem Stück nimmt. So sind die drei Begleiter Loby, Toby und Roby im Musical lediglich drei Ganoven, die im zweiten Akt mit „Trio Infernal“ das anwesende Publikum zwar stark begeistern, was der laute Szenenapplaus beweist, ansonsten aber keinen Bezug zu den Geschehnissen vor einigen Jahrzehnten haben.

Gut gelöst ist die Darstellung der jungen Claire und des jungen Alfreds - später auch noch des heutigen Polizisten und damaligen Jungendfreundes Alfreds - durch separate Darsteller, die immer wieder die Erinnerungen an alte Zeiten bildlich und stimmlich auf die Bühne bringen. Ulrich Wiggers liefert zudem eine sehr stringente und logische Inszenierung, so dass man der Geschichte als Zuschauer gut folgen kann. Optisch etwas herausstehend sind im zweiten Akt die Güllener Passionsspiele, die man der anwesenden Presse präsentiert um sich als einen „Tempel der Moral“ darzustellen. Die hierbei gefundenen Widersprüche zwischen Wort und Tat sind gelungen, auch wenn diese eher Revue-artige Darstellung doch etwas mit dem ansonsten eher tragischen Verlauf des Abends bricht. Die Musik von Moritz Schneider und Michael Reed weiß zu gefallen und kommt ohne große Ohrwürmer aus. Sehr gelungen ist das große Duett „Liebe endet nie“ zwischen Alfred und Claire kurz vor dem Finale. Die Liedtexte von Wolfgang Hofer bringen die Handlung in passende Worte.

Das sich bei den Freilichtspielen Tecklenburg die Besetzungen jedes Jahr aufs neue sehen und hören lassen können hat sich inzwischen überregional herumgesprochen. Als „alte Dame“ weiß Masha Karell zu überzeugen, die - nette Randnotiz - in Wien noch als Alfreds Ehefrau Mathilde Ill auf er Bühne stand. Thomas Borchert verkörpert einen glaubhaften Alfred Ill, stimmlich gewohnt stark und schauspielerisch vor allem überzeugend, wenn er sich durch die Güllener Bürger massiv bedroht fühlt. Allgemein in diesem Zusammenhang sehr gelungen, die Darstellung der Frage was ist in dem Fall (schon) Realität und was ist (noch) Einbildung. In den weiteren Rollen gefallen Navina Heyne (Mathilde Ill), Martin Pasching (Bürgermeister), Alexander Di Capri (Lehrer), Benjamin Eberling (Pfarrer) und Andreas Goebel (Polizist). Stark auch das weitere Ensemble sowie der Chor und die Statisterie der Freilichtspiele, die die große Bühne und den Ortskern der Gemeinde Güllen mit Leben füllen. Jens Janke schuf auf der große Naturbühne einen passenden Rahmen mit Bahnhof und Polizeistation auf der rechten Seite, dem Hotel „Zum Goldenen Apostel“ in der Mitte und dem kleinen Laden von Alfred und Mathilde Ill auf der linken Seite. Angedeutet wurde zudem der Weg hinauf zur Kirche.

Verlassen kann man sich in Tecklenburg auch immer auf ein gut eingespieltes Orchesters, welches in diesem Fall unter der musikalischen Leitung von Tjaard Kirsch mit über 20 Musikern stark aufspielt. Auch das stets passende Kostümbild von Karin Alberti hat inzwischen eine Tradition, die dennoch nicht unerwähnt bleiben sollte. Zu sehen ist diese Inszenierung noch bis zum 09. September 2022, die Eintrittspreise liegen mit 35 bis 45 Euro auf einem erfreulich günstigen Niveau, so dass man den Tecklenburger Festspielen auch dieses Jahr erneut eine Medaille für eines der besten Preis-Leistungsverhältnisse verleihen darf.

Markus Lamers, 13.08.2022
Fotos: Stephan Drewianka / Freilichtspiele Tecklenburg


 

Doktor Schiwago

Premiere: 26.07.2019, besuchte Vorstellung: 27.07.2019

Filmklassiker auf der Musicalbühne

 

Zu Beginn gleich ein kleines Geständnis, ich habe den Filmklassiker aus dem Jahr 1965 mit Omar Sharif in der Hauptrolle nie gesehen, obwohl er noch heute mit fünf Oskar-Auszeichnungen zu einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten zählt. Anders dagegen wohl Lucy Simon, die kurz nach der Jahrtausendwende die Musik zu einem Musical schuf, welches sich dem Leben des Doktors und Dichters in einer sich ändernden russischen Gesellschaft zwischen 1903 und 1930 annimmt. Die Gesangstexte steuerten Michael Korie und Amy Powers bei, das Buch stammt von Michael Weller. Die Premiere feierte „Zhivago“ 2006 am La Jolla Playhouse in San Diego, nach ein paar mehr oder minder großen Überarbeitungen fand eine weitere Premiere als „Doctor Zhivago – A new Musical“ im Jahr 2001 in Sydney statt. Die deutsche Bearbeitung übernahmen Sabine Ruflair (Texte) und Jürgen Hartmann (Buch).

Als Vollwaise wächst Jurij Schiwago im Hause seines Onkels Alexander Gromeko auf, dessen Tochter Tonia er auch nach seinem erfolgreichen Medizinstudium heiratet. Doch immer wieder kreuzen sich seine Wege mit der hübschen Lara, in die er sich wider Willen gleich verliebt. Diese heiratet aber kurz vor dem bevorstehenden Krieg den marxistischen Studenten Pascha Antipov. In der Hochzeitsnacht versprechen sich beide immer aufrichtig zueinander zu sein, daher erzählt sie ihm von ihrer unglücklichen Vergangenheit, in der ihr der reiche Rechtsanwalt Viktor Komarovskij übel mitspielte. Dieses Geständnis prägt Paschas Sicht auf die Bourgeoisie und lässt ihn im Verlauf des Stückes immer radikaler gegen das wohlhabende Bürgertum vorgehen. An der Kriegsfront treffen sich Jurij und Lara, die dort als Krankenschwester arbeitet, wieder. Noch immer versuchen beide ihre Liebe zueinander zu ignorieren. Nach Kriegsende ist der Zerfall des ehemaligen Zarenreiches nicht mehr aufzuhalten, die Revolution macht alle zum Spielball konkurrierender Kräfte. Auch hier kreuzen sich wieder die Wege aller Beteiligten und es müssen einige nicht immer leichte Entscheidungen gefällt werden. Eine Story die sich rund um die sich liebenden Personen regelrecht für ein Musiktheaterstück aufdrängt, daher ist das Werk auch sehr baladenlastig angelegt mit zwei sehr eindrucksvollen Chorstücken zum Ende der beiden Akte.

Die Inszenierung Ulrich Wiggers konzentriert sich sehr auf die Verflechtungen der Protagonisten und überzeugt durch eine gute Personenregie. Dazu gelingen ihm einige ins Mark gehende Bilder von der Kriegsfront, weswegen das Stück auch ausdrücklich mit einer Besuchsempfehlung ab 12 Jahren versehen wurde. Weitere größere Anspielungen sind aber nicht ersichtlich, so bleibt das Werk hier vor allem eine große und tragische Liebesgeschichte. Beim Bühnenbild setzen Ulrich Wiggers (Konzeption) und Jens Janke (Realisation) vor allem auf eine angedeutete verschneite Winterlandschaft, nicht ganz einfach bei solchen sommerlichen Temperaturen wie derzeit. Dazu wird ein großer Steg immer wieder geschickt eingesetzt. Die Seitenbereiche der Freilichtbühne werden bei dieser Produktion mit Ausnahme eines Feldlazaretts gar nicht eingesetzt, dafür wird der Brunnen oft bespielt. Die Kostüme stammen wie in Tecklenburg üblich von Karin Alberti und sind erneut abwechslungsreich und sehr detailliert ausgearbeitet. Bei den großen Massenszenen kann auch die Choreografie von Zoltán Fekete gefallen. Das Orchester spielt unter der musikalischen Leitung von Tjaard Kirsch gewohnt souverän.

Wie inzwischen schon zur lieben Gewohnheit geworden, versammelt die Besetzung in Tecklenburg das „Who-is-Who“ der Musicalbranche in diesem wunderschönen kleinen Örtchen. Als Doktor Schiwago zeigt Jan Ammann eine Glanzleistung, die beim Schlussapplaus nicht nur von seinen vielen angereisten Fans lautstark bejubelt wird. Die beiden weiblichen Hauptrollen sind mit Milica Jovanovic als Lara und Wietske van Tongeren als Tonja mit den derzeit vielleicht besten weiblichen Darstellerinnen besetzt, die mit ihrem großen Duett im zweiten Akt („It comes as new suprise“) für das Highlight des Abends sorgen. Pawel Antipov ist mit Dominik Hees ebenfalls passend besetzt, der seine Stärken vor allem bei den etwas rockigeren Stücken voll ausspielen kann. Über die gesanglichen Leistungen von Bernhard Bettermann hüllen wir hier dagegen besser das Tuch des Schweigens. Zum Glück ist die Rolle rücksichtslosen Rechtsanwalts Viktor Komarovskij abgesehen von zwei Ausnahmen auch eher auf gutes Schauspiel angelegt, so dass hier die namhafte Besetzung durchaus aufgeht.

Als Eheleute Gromeko stehen Bettina Meske und Kevin Tarte in zwei vergleichsweisen kleinen Rollen auf der Bühne, konzentriert sich die Handlung doch vor allem auf die Beziehungen der fünf Hauptrollen untereinander. Abgerundet wird die Cast von Florian Soyka als Liberius und Nicolai Schwab als Janko, der mit seinem Tod im Krieg für einen der emotionalsten Momente des Werkes sorgt. Auch das Ensemble sorgt wie üblich in Tecklenburg für einen gelungenen Musicalabend, der am Ende von den Zuschauern lautstark bejubelt wird. Dabei war die Freilichtbühne fast bis auf den letzten Platz besetzt, hier scheint man erneut einen echten Zuschauermagneten gefunden zu haben, der noch bis zum 14. September 2019 zu sehen sein wird.

Markus Lamers, 28.07.2019
Bilder: © Stefan Drewianka

 

 

Don Camillo & Peppone

Premiere: 21.06.2019

besuchte Vorstellung: 29.06.2019

 

Arbeit mit viel Herzblut

Im Vorwort des diesjährigen Programmheftes erwähnt Radulf Beuleke, stets sehr engagierter Intendant der Freilichtspiele Tecklenburg, dass man außerhalb der Saison nach wie vor mit nur 5 Festanstellungen und einem Ehrenamt arbeiten würde. In Anbetracht immer größerer Produktionen, wachsender Ansprüche und dem hohen Niveau, welches die Bühne in den letzten Jahren zu einer der Top-Adressen für Musicals in Deutschland werden ließ, ist dies eine sehr beachtliche Leistung. Jahr für Jahr stemmt man große und vor allem großartige Produktionen, bei denen auch immer wieder bekannte Namen im Bereich der Darsteller wie auch im Bereich der Inszenierung gerne ins Tecklenburger Land kommen.

So ist auch die diesjährige erste große Premiere (nach dem liebevoll gestalteten Kinderstück „Das Dschungelbuch“) ein großer Erfolg. Als erstes Theater in Deutschland konnte man sich von den Vereinigten Bühnen Wien die Aufführungsrechte für das Musical „Don Camillo & Peppone“ sichern. Basierend auf den Romanen von Giovannino Guareschi und vor allem bekannt durch die Filme der 50er-Jahre wird hier die Geschichte des kleinen italienischen Dorfes Boscaccio erzählt, in dem sich kurz nach dem 2. Weltkrieg der neu gewählte kommunistische Bürgermeister Peppone und der katholische Dorfpfarrer Don Camillo das ein oder andere Gefecht liefern. Erzählt wird uns diese Zeitreise durch die alte Gina, die den Zuschauer mitnimmt in Ihre Gedanken an früher. Dies setzt Regisseur Andreas Gergen, der bereits die Originalinszenierung in St. Gallen und Wien schuf, ganz bezaubernd für die große Freilichtbühne um. Dabei verzeiht man auch gerne, dass er an einer Stelle etwas bei sich selbst abgeschaut hat, erinnert die Suche mit den Taschenlampen nach dem vermissten Liebespaar doch sehr stark an Rebecca vor zwei Jahren. Allerdings ist dieser Effekt auf der großen Bühne auch nach wie vor sehr sehenswert. Fast schon genial zudem, wie es Herrn Gergen am Ende gelingt, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger deutlich zu machen, wie wichtig es ist, dass man Werte wie die europäische Union schätzt, was im Alltag oft untergeht. Großes Lob hier auch an die Lichtabteilung, die mit für dieses sehr eindrucksvolle Finale sorgt. Allgemein lassen sich viele kleine Botschaften aus diesem Werk gut in die heutige Zeit übertragen, hier hat man bei der Programmplanung für diese Spielzeit das richtige Werk zur richtigen Zeit ausgewählt.

Doch kommen wir zur musikalischen Seite, die Musik von Dario Farina zu der Michael Kunze Buch und Liedtexte schrieb, kommt sehr vielschichtig daher, mal geht es etwas in Richtung Schlager, dann wieder in Richtung Italo-Pop und italienische Folklore, dazwischen gibt es große musicaltypische Soli für die Hauptdarsteller, eine Ballade zweier Liebender und große Ensemblewerke. Doch alles fügt sich wunderbar in die Handlung ein und wirkt an keiner Stelle wie ein lose zusammengestelltes Gemischtwarenangebot. Im Gegenteil, „Don Camillo & Peppone“ kann auf musikalischer Ebene durchaus überzeugen. Großen Anteil hat hieran auch wieder das stark aufspielende Orchester unter der Leitung von Giorgio Radoja. Für die beiden Hauptrollen konnte man mit Thomas Borchert (Don Camillo) und Patrick Stanke (Peppone) zwei sehr bekannte Namen gewinnen, die diese Rollen nahezu perfekt verkörpern. Gesanglich tadellos und jeweils mit viel Spielfreude gehen beide zu Werke und bringen dabei den Humor, der für dieses Stück sehr wichtig ist, gut zur Geltung.

Thomas Borchert versucht sich hierbei immer wieder im Zwiegespräch mit Jesus (der in dieser Produktion durch Florian Albers sichtbar auf die Bühne gebracht wird) für seine Schwindeleien zu rechtfertigen und Patrick Stanke wächst als Peppone nach und nach in sein nicht einfaches Bürgermeisteramt hinein. Trotz diverser Differenzen, die auch schon mal in einer kleinen Prügelei im Glockenturm ausgetragen werden, wollen doch beide nur das Beste für das Dorf in dem sie leben. Im Laufe des Stückes erkennen sie, dass sie vielleicht gar nicht so verschieden sind, wie es zu Beginn scheint. Was die beiden Darsteller hier in Sachen Zusammenspiel und perfektem Timing zeigen sucht durchaus seines Gleichen. Die alte Gina wird von Barbara Tartaglia verkörpert, die diese Rolle auch bereits in der Schweiz und in Österreich besetzte. Gleich zu Beginn mit „Lang ist es her“ sorgt sie für den ersten kleinen Gänsehautmoment. Sehr stark auch immer wieder die Szenen, in denen sie voller Wehmut aber durchaus glücklich auf die junge Gina schaut. Auch die übrige Besetzung ist ebenso namhaft wie treffend besetzt: Milica Jovanovic als junge Gina, Dominik Hees als sie liebender Mariolino, Kevin Tarte als Ginas Vater, Jörg Neubauer als Mariolinos Vater, Femke Soetenga als Lehrerin Laura Castelli und Jan Altenbockum als Dorfarzt. Für besonders humorvolle Einlagen sorgt auch immer wieder Sebastian Brandmeir als Ginas Großvater Nonno, der sich in Laura verliebt hat und somit noch nicht bereit ist das Zeitliche zu segnen. Dazu gesellt sich ein großartiges Ensemble, so dass sich besonders die großen Gruppenszenen bei „Regen, Regen, Regen“ oder „Wunder geschehn“ trotz der großen Bühne wunderbar entfalten können. Hier sorgen auch die gelungenen Choreografien von Till Nau zum stimmigen Gesamtbild. Als Bühne schuf Jens Janke eine große Piazza, die durch die Häuserreihe des Dorfes abgeschlossen wird. Hinter einem Brunnen befindet sich zudem das Innere der Kirche, bei der das große Fenster im Laufe des Abends oft stimmig beleuchtet ist. Die Kostüme wurden von Karin Alberti passend der Zeit gestaltet.

Wer also für einen warmen Sommerabend noch nach der passenden Unterhaltung sucht, dem sei an dieser Stelle der Festspielsommer in Tecklenburg ans Herz gelegt. Hier bekommt man für sehr humane Eintrittspreise ganz hervorragende Musicalproduktionen zu sehen, dies gilt im Besonderen auch für „Don Camillo & Peppone“. Alle Erstbesuchern seien aber darauf hingewiesen, dass ein bequemes Sitzkissen und bei zu erwartenden kühleren Temperaturen eine kleine Decke absolute Pflichtausstattung sind. Am gestrigen Tage blieb die Decke allerdings vollkommen ungenutzt in der Tasche, dafür lieferte der Sonnenuntergang über dem linken Teil der Freilichtbühne noch einen zusätzlichen zauberhaften Effekt, den man so nur in der freien Natur erleben kann.

 

Markus Lamers, 30.06.2019
Bilder © Stephan Drewianka

 

 

 

Monty Python´s

Spamalot


Premiere: 20.07.2018, Besuchte Vorstellung: 16.08.2018

„Die Ritter der Kokosnuss“ auf der Suche nach dem heiligen Gral


Basierend auf dem Film „Die Ritter der Kokosnuss“ (Originaltitel: Monty Python and the Holy Grail) entstand im Jahre 2005 ein rund 2 1/2stündiges Musical, geschrieben von den Monty Python Mitgliedern Eric Idle und John Du Prez. Aus dem Film „Das Leben des Brian“ wurde zudem der populäre Song „Always Look an the bright side of Life“ entnommen. Der Titel „Spamalot“ sollte hierbei als Verbindung des Wortes Camelot mit einem recht bekannten Spam-Sketch der britischen Komikertruppe dienen.

Angelehnt ist die Geschichte sehr frei an der Sage von König Artus und seinen Rittern der Tafelrunde. Zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 932, König Artus ist erst gerade zum König der Britten gewählt worden und macht sich nun im Auftrage des Herrn auf die Suche nach dem heiligen Gral. Hierzu wirbt er einige lustige Gesellen an, die er zu seinen Rittern seiner runden, aber wirklich sehr runden Tafelrunde ernennt. Er kämpft sich vorbei am französischen Chateau, weicht erfolgreich den hier fliegenden Kühen aus, besiegt das gefährliche Killerkaninchen und den gefährlichen schwarzen Ritter, kämpft sich mit seinem Diener Patsy durch einen großen, aber sehr sehr teuren Wald, bringt den Rittern die nur „NI“ sagen ein ungeheuer hübsches Gebüsch und findet um es vorweg zu nehmen, am Ende nicht nur den Gral, sondern auch seine große Liebe. All dies strotz nur so von Blödeleien in typischer Monty Python Manier, allerdings ist das Musical auch eine wunderbare und augenzwinkernde Parodie auf das Genre Musical als solches.

In den letzten Jahren fand sich das Stück auf unzähligen Stadttheaterbühnen wieder, man könnte es fast als das Musical der Stunde bezeichnen. Warum nun also weit bis Tecklenburg reisen, könnte man sich fragen. Die Antwort ist einfach, denn man hat hier wie üblich ein wirklich hervorragendes Ensemble zusammengestellt, was bei diesem Werk äußerst wichtig ist und oftmals den Unterschied ausmacht, zwischen einfachem Nachspielen einiger Gags und einem wirklich hinreißenden Musicalabend mit allem was dazu gehört. Frank Winkels gibt den König Artus in all seiner Tollpatschigkeit und mit toller Stimme in den Gesangsparts. Seinen mit Kokosnüssen klappernden Diener Patsy übernimmt Robert Meyer, der u. a. zu Beginn des zweiten Aktes unter starkem Beifall das Lied „Nimm das Leben beschwingt, hab einfach Spaß!“ („Always Look an the bright side of Life“) vortragen darf. Im Übrigen wird das komplette Musical auch in Tecklenburg in der gelungen deutschen Übersetzung von Daniel Grosse Boymann aufgeführt. Als Fee aus dem See zeigt Femke Soetenga eine ebenso gute Leistung wie Thomas Hohler als etwas ängstlicher Sir Robin, Florian Soyka als Sir Galahad (wunderbar auch seine Wandlung vom autonomen Dennis zum Ritter Galahad) und Gerben Grimmius als Sir Bedevere. Mathias Meffert wagt als Sir Lancelot ein großes Coming Out, was in Kombination mit Nicolai Schwab als Prinz Herbert als eines der großen Highlights des Abends im Gedächtnis bleibt. Jan Altenbockum gibt einen souveränen Erzähler und darf gesanglich als „noch nicht toter“ Fred überzeugen. Lobenswert auch das große Ensemble, welches hervorragend integriert wurde.

Die Inszenierung von Werner Bauer weiß die Größe der Tecklenburger Freilichtbühne gut zu nutzen und überzeugt durch eine liebevolle Regie bis in kleinste Details. Insbesondere die Szenen in Camelot und im Wald nehmen die gesamte Bühne ein. Zudem beweist Herr Bauer, dass er das Stück gut verstanden hat, indem er den vorhandenen Humor vorsichtig einigen lokalen und aktuellen Anpassungen und Erweiterungen unterzieht. So antworten die Franzosen beispielsweise auf die Frage, wer sie seien mit dem Ausspruch: „Wir? Wir sind die Weltmeister.“ Auch seine Anspielungen auf andere Musicals treffen den Punkt. So treten in der Broadway-Szene viele bekannte Musicalfiguren auf, bei denen es für den Zuschauer eine Freude ist zu schauen, wer da alles auf der Bühne steht. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Bewohner des französischen Schlosses, auch hier gesellen sich Asterix und Obelix sowie der kleine Prinz zu vielen anderen bekannten Gesichtern. Highlight der Inszenierung ist aber wohl die Nummer „Such den Gral“, bei der rechts auf der Ruine ein riesiger Kelch erscheint, der auch entsprechend durch die Fee aus dem See eingesetzt wird.

Auf der musikalischen Seite leitet Giorgio Radoja ein für dieses Werk ungewöhnlich großes Orchester bestehend aus 17 Musikern, welches die schwungvollen Melodien stets treffend zu Gehör bringen. Mit „Monthy Python´s Spamalot“ gelingt den Freilichtspielen Tecklenburg erneut eine großartige Produktion, die humorvoll zu unterhalten vermag, wenngleich sicherlich ein ganz anderes Werk als das opulente „Les Misérables“. Die Mischung stimmt, bei der Programmauswahl wie bei der Besetzung, in Tecklenburg beweist man auch 2018 wieder aufs Neue, dass sich auch eine weitere Anfahrt zu dieser wunderbar gelegenen Naturbühne in aller Regel lohnt.

Markus Lamers, 17.08.2018
Fotos: © Stephan Drewianka / Holger Bulk / Heiner Schaeffer

 

 

 

LES MISÉRABLES

Premiere am 22.06.2018

Schicksale im Schatten der Barrikadenkämpfe

Längst haben sich die FreilichtSpiele Tecklenburg zu einer allerersten Adresse in Sachen Musical gemausert. Das bewiesen sie in den letzten Jahren mit hochrangigen Produktionen und guten Besetzungen. Die Musical-Elite Deutschlands gibt sich hier inzwischen regelmäßig die Ehre.

In diesem Jahr wurde mit dem ebenso anspruchsvollen wie aufwendigen Musical „Les Misérables“ in der deutschen Übersetzung von Heinz Rudolf Kunze ein besonders „dicker Brocken“ geschultert. Das ist 2006 auch schon gelungen, damals war es die erste deutsche Freilichtaufführung dieses Werkes.

„Les Misérables“ wurde 1980 uraufgeführt und 1985 überarbeitet. Es gehört zu den besten und anspruchsvollsten Werken des Genres. Das Libretto nach der literarischen Vorlage von Victor Hugo schuf Alain Boublil. Die Musik stammt von Claude-Michel Schönberg und kann mit ihrer Vielseitigkeit, Originalität und Melodienfülle höchsten Ansprüchen genügen. Breiten Raum nehmen die gewaltigen Chorszenen ein.

Im Mittelpunkt der Handlung, die zur Zeit der Pariser Barrikadenkämpfe um 1830 spielt, steht das Schicksal des ehemaligen Sträflings Jean Valjean, der wegen eine Bagatelle zu neunzehn Jahren Kerker verurteilt wurde. Aber auch nach seiner Freilassung wird er über Jahre von dem unnachgiebigen Inspektor Javert verfolgt.

Regisseur Ulrich Wiggers gelingt eine lebendige, packende Inszenierung, bei der sich die vielen Massenszenen organisch entwickeln und sich in den Aktschlüssen zu eindrucksvollen Tableaus steigern. Der hier besonders geforderte Chor bewährt sich bestens und zeigt einmal mehr seine bemerkenswerte Qualität. Die Möglichkeiten der Bühne werden optimal genutzt. Die Tecklenburger Burgruine bietet einen stimmigen Schauplatz, mit Häuserfronten der Elendsviertel im Hintergrund und an der Seite mit einem Kabinett für den Bischof und später für die revoltierenden Studenten. Eine eindrucksvolle Lösung fand Ausstatterin Susanna Buller für die hereingerollten Barrikaden, in denen später die Leichen der revoltierenden Studenten hängen. Mit Gefechtsdonner und Pulverdampf wird dabei nicht gespart. Die phantasievollen und stimmigen Kostüme stammen von Karin Alberti.

Patrick Stanke verdeutlicht die Entwicklung Valjeans vom entlassenen Sträfling bis zum alten Mann (die Handlung umfasst den Zeitraum von 1815 bis 1833) sehr nachdrücklich. Aufwühlend gelingt ihm sein Monolog „Wer bin ich?“, berührend das mit verhaltener Lyrik gestaltete Gebet. Stanke verfügt über sehr ansprechende gesangliche Mittel und begeistert mit viel Bühnenpräsenz Sein Gegenspieler Javert wird von Kevin Tarte mit Eiseskälte und gefährlicher Ausstrahlung verkörpert. Am Ende treibt ihn sein Scheitern in den Selbstmord. Die Rolle der unglücklichen Fantine, die ihre Tochter Cosette Valjean anvertraut, ist leider sehr kurz. Dabei hätte man von Milica Jovanovic, die über eine kraftvoll-farbige und ausgesprochen schöne Musical-Stimme mit vielen Nuancen verfügt, gern mehr gehört. Im letzten Jahr begeisterte sie schon in „Rebecca“.

Das jugendliche Liebespaar Cosette und Marius wird von Daniela Braun und Florian Peters, besonders mit ihrem melodischen Duett „Mein Herz ruft nach Dir“, stimmlich etwas in Operetten-Nähe gerückt. Jens Janke und Bettina Meske sind die schmierigen Wirtsleute, die sich später in der Pariser Kanalisation rattenähnlich als Leichenfledderer betätigen. Das witzige, mit der hinreißenden Choreographie von Kati Heidebrecht angereicherte Lied „Ich bin Herr im Haus“ ist ein rechter Show-Stopper und entfacht Begeisterungsstürme. In der Rolle des pfiffigen Jungen Gavroche zeigt der kleine Dean Clausmeyer selbstsicheres Bühnentalent. Aus dem ausgezeichneten Ensemble seinen stellvertretend Lasarah Sattler (Eponine), David Jakobs (Enjolras) und Florian Soyka (Bischof) genannt.

Die Aufführung verlangt mit fast dreieinhalb Stunden Dauer ordentlich viel Sitzfleisch. Aber es lohnt sich, nicht zuletzt auch Dank der schmissigen musikalischen Umsetzung unter der Leitung von Tjaard Kirsch.

Wolfgang Denker, 23..06.2018

Fotos von Holger Bulk und Stephan Drewianka

 

 

REBECCA

Premiere am 21.07.2017 / besuchte Aufführung: 28.7.2017

Manderley brennt lichterloh

 

 „Rebecca“ ist ein berühmter Roman (1938) von Daphne du Maurier und ein vielleicht noch berühmterer Film (1940) von Alfred Hitchcock. Sylvester Levay (Musik) und Michael Kunze (Libretto) haben daraus ein Musical gebastelt, das 2006 im Wiener Raimund Theater uraufgeführt wurde und dort in 339 Aufführungen Triumphe feierte. Nun haben die Freilichtspiele Tecklenburg das Musical als erste Open Air Produktion in Deutschland präsentiert und mit der dreistündigen Aufführung ihren Ruf als führende Musical-Bühne einmal mehr untermauert.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie gut die Möglichkeiten auf der Burgruine für die Anforderungen des jeweiligen Stücks genutzt werden. Regisseur Andreas Gergen und Bühnenausstatterin Susanna Buller haben mit Geschick und Phantasie faszinierende Spielräume geschaffen.

Eine Häuserfront im Hintergrund dient als Grandhotel in Monte Carlo, als Gerichtssaal und steht natürlich besonders für den Adelssitz Manderley von Maxim de Winter. Dort spuken schwarze Gestalten bedrohlich umher - die Schatten der Vergangenheit, die von Mrs. Danver, der hinterhältigen Haushälterin des Anwesens, beschworen werden und der neuen Mrs. de Winter („Ich“) ordentlich zu schaffen machen. Denn der Geist ihrer Vorgängerin Rebecca scheint allgegenwärtig. Erst als Maxim gesteht, dass er Rebecca nicht geliebt sondern gehasst hat („Kein Lächeln war je so kalt“) und sie durch einen Unfall ums Leben gekommen ist, wendet sich alles zum Guten, zumal auch eine drohende Mordanklage abgewendet werden kann. Mrs. Danver setzt Manderley am Ende schließlich in Brand - ein eindrucksvoller Moment, bei dem die Feuersbrunst mittels Projektionen furios in Szene gesetzt wird.

Gergen inszeniert das Musical vor allem als Katz-und-Maus-Spiel zwischen der neuen Mrs. de Winter und Mrs. Danver. Beide Partien sind mit Milica Jovanovic und Pia Dowes hervorragend besetzt. Jovanovic kann mit ausdrucksvoller, kraftvoller Stimme ihre Balladen „Zeit in einer Flasche“ oder „Heut Nacht verzaubere ich die Welt“ überzeugend gestalten. Auch Pia Dowes ist als Mrs. Denver von großartiger Bühnenpräsenz. Allein ihre Erscheinung und ihre Körperhaltung sprechen Bände und erinnern an Judith Anderson im Hitchcock-Film. Ihr Song „Sie ergibt sich nicht“ geht unter die Haut. Jan Ammann gibt den Maxim de Winter als charmanten Liebhaber, aber auch als cholerischen Charakter, der im Innern tief verzweifelt ist. Seine Duette mit Jovanovic, insbesondere „Hilf mir durch die Nacht“, sind nicht frei von Pathos. Auch die kleineren Rollen sind hervorragend besetzt. Maxims Schwester wird von Roberta Valentini gespielt (sie sang einst die Titelrolle in der Bremer „Marie Antoinette“), Anne Welte gibt als Mrs. Van Hopper die komische Alte vom Dienst und weckt Erinnerungen an die amerikanische Klatschkolumnistin Elsa Maxwell. Christian Fröhlich sorgt als verrückter Ben für ein besonderes Kabinettstückchen und Robert Meyer ist der erpresserische Cousin Rebeccas.

Trotz kleiner Längen im zweiten Teil ist Andreas Gergen eine phantasievolle und temporeiche Inszenierung gelungen, mit schnellen Verwandlungen, einer augenzwinkernden Blitzhochzeit und dramatischen Zuspitzungen. Die Lichtgestaltung trägt dazu ihren Teil bei wie auch die Kostüme von Karin Alberti und die Choreographie von Danny Costello.

Und die Musik von Levay: Sie ist so, wie man sie auch aus seinen anderen Musicals kennt. Die einzelnen Stücke sind durchaus reizvoll, bieten aber insgesamt nicht viel Abwechslung. Aber der musikalische Leiter Tjaard Kirsch sorgt mit dem Chor und dem Orchester der Festspiele Tecklenburg denn doch für Schwung und Kurzweil

Wolfgang Denker, 29..07.2017

Fotos von Andre Havergo

 

 

ARTUS – EXCALIBUR

Besuchte Aufführung: 16.07.2016

(Premiere: 18.06.2016)

Nachdem sich die Freilichtspiele in den vergangenen Jahren einen hervorragenden Ruf im Bereich großartiger Musicalproduktionen erarbeitet haben und die Stadt Tecklenburg sich seit kurzem auch als einzige offizielle „Festspielstadt“ in Nordrhein-Westfalen präsentieren darf, stand in diesem Jahre als erste große Produktion die Deutschlandpremiere von „ARTUS – Excalibur“ mit der Musik von Frank Wildhorn auf dem Spielplan. Der Mythos um König Artus, die Burg Camelot, das Schwert Excalibur, die Ritter der Tafelrunde oder die Suche nach dem heiligen Gral diente nicht nur als Grundlage in unzähligen Verfilmungen, auch das Musiktheater nahm immer wieder Bezug auf diese Geschichten. Mal etwas ausführlicher wie in Henry Purcells Oper „King Arthur“ oder den beiden Musicals „Camelot“ von Frederick Loewe und Alan Jay Lerner sowie „Spamalot“ der Monthy-Phyton-Gruppe, mal aber auch nur mit Bezug auf einzelne Personen wie zum Beispiel in Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Auf Grund der recht bekannten Geschichte, sollen hier auch keine großen Worte zum Inhalt verloren werden, natürlich zieht Artus das Schwert aus dem Stein, natürlich spielt Merlin der Zauberer eine große Rolle und natürlich fehlt auch der Konflikt mit Artus von Hass erfüllter Halbschwester Morgana nicht. All dies verpackt Regisseur Ulrich Wiggers in eine schlüssige und rundum gelungene historisch angelegte Inszenierung um Liebe, Macht, Eifersucht, Hass, Verrat und schlussendlich um die Krone Englands.

Die musikalische Leitung liegt bei dieser Produktion erneut bei Tjaard Kirsch, einem alten Bekannten in Tecklenburg, der das über zwanzigköpfige Orchester bei der besuchten Vorstellung präzise durch den Abend leitete. Da leider im Bereich der Orchestergröße abseits der großen Opernhäuser in letzter Zeit oftmals deutliche Einschnitte vorgenommen wurden, soll an dieser Stelle das Tecklenburger Orchester noch einmal besonders positiv herausgehoben werden. Positiv herausheben sollte man auch die gelungenen Kampfszenen für die sich Klaus Figge verantwortlich zeichnet. Die Choreografie liegt in den Händen von Kati Heidebrecht, ein Unterfangen was auf der wunderbaren aber durchaus auch großen Naturbühne in der Burgruine von Tecklenburg nicht immer einfach ist. In diesem Fall wurde es aber mit Bravour gemeistert. Ein Highlight hierbei sicherlich die große Hochzeitsfeier von Artus und seiner Gemahlin Guinevere, bei der sich die Bühne in einen tanzenden Festsaal verwandelt. Ansonsten überwiegt im Bühnenbild von Susanna Buller die Burgruinie Camelot, die gut mit den vorhanden Bauten auf der Bühne harmoniert. Die teilweise sehr prachtvollen historischen Kostüme stammen von Karin Alberti, bereits seit 1996 leitende Kostümbildnerin für alle Produktionen in Tecklenburg.

Bei der Besetzung greift man Tecklenburg auch in diesem Jahr wieder auf das „Who is Who“ der deutschen Musicalszene zurück, dies aber wie bereits in den Vorjahren immer mit passenden Rollenbesetzungen. So übernimmt Armin Kahl nach seinem Auftritt als Zorro im Vorjahr auch in diesem Jahr die titelgebende Rolle des Artus. Dessen zwischenzeitlich aufkochenden Hassgefühle vermag er sowohl musikalisch wie auch schauspielerisch gekonnt umzusetzen. Auch das Hereinwachsen vom kleinen Mann in die Rolle des Königs und die hierdurch auftretenden Zweifel werden stimmlich gut interpretiert. Die Rolle seiner Geliebten und späteren Ehefrau Guinevere übernimmt Milica Jovanovic, die mit ihrer klaren Stimme den Zuschauer verzaubert.  Stichwort „verzaubern“, als Zauberer Merlin versprüht auch Kevin Tarte auf der Freilichtbühne eine enorme Bühnenpräsenz. Für die erkrankte Roberta Valentini übernahm in der besuchten Vorstellung Sabrina Weckerlin die Rolle der Morgana, eine Rolle die sie bereits bei der Welturaufführung des Musicals in St. Gallen im Jahr 2014 eindrucksvoll prägte. Dominik Hees als Ritter Lancelot überzeugt sowohl in den etwas rockigen Liedern wie „Die ruhmreiche Schlacht“ wie auch in den gefühlvollen Passagen wie zum Beispiel bei „Nur Sie allein“. Als hinterhältiger Bösewicht kann Christian Schöne als Loth von Orkney wiedermal zeigen, dass es in diesem Bereich kaum eine passendere Besetzung gibt. Auch der große Chor der Festspiele kommt bei diesem Musical wiederholt zum Einsatz und sorgt für echte Gänsehautmomente. Gleich zu Beginn ist das „Feld der Ehre“ eines der eindrucksvollsten Intros eines Musicals überhaupt und vielleicht kann man sogar sagen, dass Frank Wildhorn mit „ARTUS – Excalibur“ eines seiner besten Werke überhaupt komponiert hat. Ein in sich rundes und stimmiges Stück, bei dem die gewohnt rockigen Nummern genauso wenig fehlen wie die großen Wildhorn-Balladen. Diese sind aber nicht wie bei einer Nummernrevue einfach aneinander gereiht sondern ergeben mit allen anderen Stücken ein harmonisches Gesamtbild. In einem Interview zur Welturaufführung vor gut zwei Jahren, erwähnte Frank Wildhorn einmal, dass er die Musik zu den Kampfszenen komponiert hat, indem er sich große Hollywoodfilme mit historischen Schlachten ansah, den Ton hierbei abdrehte und sich parallel am Klavier eine eigene Begleitung schrieb. Das Ergebnis kann sich sehen und vor allem hören lassen.

Zu sehen ist „ARTUS – Excalibur“ noch bis zum 28. August 2016, als zweite Musicalproduktion feiert in dieser Spielzeit „Saturday Night Fever“ seine Premiere am 22. Juli 2016, ein Stück das erstmals in Deutschland als große Openair-Inszenierung zu sehen ist. Wichtig aber, ein Sitzkissen bei einem geplanten Besuch nicht vergessen.

Markus Lamers, 17.07.2016

Fotos: Freilichtspiele Tecklenburg 

  

CATS

Premiere am 18.07.2015

Katzen so quicklebendig wie selten

Der „Urknall“ der Musical-Begeisterung in Deutschland war „Cats“ sicher nicht - aber Andrew Lloyd Webbers Geniestreich war wohl das erste Musical, das in derartiger Perfektion generalstabsmäßig und multimedial weltweit vermarktet wurde. Immerhin war „Cats“ Wegbereiter eines ganzen Industriezweiges. Nun eroberten die Katzen 34 Jahre nach ihrer „Geburt“ in London erstmalig die Bühne der Freilichtspiele Tecklenburg. Und um es gleich vorwegzunehmen: So quicklebendig waren die Katzen selten zu erleben. Und das ist einem phänomenal einstudierten Ensemble (dem zahlreich größten, das in Tecklenburg jemals zu erleben war), der pfiffigen Regie von Andreas Gergen und vor allem der phantasievollen Choreographie von Kim Duddy zu danken. Die musikalische Leitung lag einmal mehr in den bewährten Händen von Tjaard Kirsch.

Tecklenburg ging etwas andere Wege als die hinlänglich bekannte Originalproduktion. Schauplatz ist hier nicht mehr ein Schrottplatz, sondern ein verlassener Zirkus. Bunte Lampions und rote, etwas angestaubte Samtstoffe in der ehemaligen Loge zeugen von vergangenem Glanz. Susanna Buller hat das Bühnenbild sehr stimmig entworfen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie die Tecklenburger Freilichtspiele trotz der technisch beschränkten Möglichkeiten auf der Burgruine es schaffen, einen individuellen und attraktiven Spielraum einzurichten.

„Cats“ hat ja keine eigentliche, fortlaufende Handlung, sondern stellt nur die verschiedenen Katzen-Charaktere vor. Das ist hier sehr prägnant gelungen. Zum einen hat Regisseur Gergen hier sehr sorgfältig gearbeitet und die diversen Schicksale feinsinnig und humorvoll, anrührend und burlesk gezeichnet. Zum anderen hat Karin Alberti einfach tolle Kostüme entworfen, die in ihrer phantasievollen Farbenpracht und Individualität eine Klasse für sich waren.

Eine der anrührendsten Szenen war die des gealterten Theaterkaters Gus, der mit zittriger Stimme an seine früheren Erfolge als Schauspieler zurückdenkt. Yngve Gasoy-Rømdal machte das ausgezeichnet. Für die Piratenszene hatte sich Regisseur Gergen tolle Schattenspiele ausgedacht. Anna Carina Buchegger und Nils Haberstroh sorgten als chaotisches Pärchen Rumpleteazer und Mungojerry für buffoneske Glanzlichter. Ihr revueartig servierter Ohrwurm machte beste Laune. Reinhard Brussmann als Old Deuteronomy profitierte von seiner langjährigen Erfahrung in dieser Rolle. Shane Dickson als „Sexprotz“ Rum Tum Tugger gab (mit leuchtend rotem Slip) eine veritable Parodie eines Pop-Idols. Beim Auftritt des gefährlichen Macavity (Zoltan Fékete), der als „Pate“ der Katzenmafia Angst und Schrecken verbreitete, wurde die Bühne effektvoll eingedunkelt. Die tänzerische  und artistische Präsenz von David Pereira als charismatischem Zauberer Mr. Mistoffelees übertraf beinahe alles - ein Meisterstück!

Die zentrale Figur aber ist Grizabella, die einst gefeierte, inzwischen aber reichlich abgetakelte Künstlerin, die vor allem von ihren Erinnerungen lebt. Angelika Milster hat mit dieser Rolle damals ihre Weltkarriere gestartet. Maya Hakvoort gab der Partie eigene Prägung, sang das musikalische Herzstück „Erinnerung“ (nach einem einleitenden, fast poetischen Pas de deux) mit ausdrucksvollem, dunklem Brustregister.

Getragen wird „Cats“ natürlich besonders von den tänzerischen Leistungen. Bewundernswert, was Kim Duddy da vollbracht hat. Furiose Ensemble-Szenen wechselten mit geradezu akrobatischen Soli. Bei der Eisenbahnsequenz wuselten die zahlreichen Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne und umrundeten einmal den gesamten Zuschauerraum. Eine Szene, die pure Lebensfreude vermittelte. Es war eine Premiere, die begeistert aufgenommen wurde und für die Freilichtspiele neue Maßstäbe setzte.

Seit einigen Monaten trägt Tecklenburg als erste und einzige Stadt in Nordrhein-Westfalen den offiziellen Titel „Die Festspielstadt“. Und das ist mehr als berechtigt.

Wolfgang Denker, 19..07.2015

Fotos von Ulrich Niedenzu, Stefan Grothus, Heiner Schäffer, Holger Bulk / Freilichtspiele Tecklenburg

 

SUNSET BOULEVARD

Premiere am 25.07.2014

Realitätsverlust einer alternden Diva

Wenn eine Sache abgeschlossen ist, sagt man oft „Klappe zu, Affe tot”. In der Karriere des einst großen Stummfilmstars Norma Desmond ist die letzte Klappe schon vor langer Zeit gefallen. Nur sie selbst will es nicht wahrhaben, auch wenn sie gerade ihren kleinen Hausschimpansen tränenreich begräbt. Andrew Lloyd Webbers Musical „Sunset Boulevard“ (nach dem berühmten Film mit Gloria Swanson) führt in das Hollywood der fünfziger Jahre, wo junge Talente auf Arbeits- und Glückssuche sind. Darunter befindet sich auch der total abgebrannte Drehbuchschreiber Joe Gillis, der auf der Flucht vor seinen Gläubigern in der Villa von Norma Desmond landet. Die alternde Diva zwingt ihn geradezu, ihren (grottenschlechten) Drehbuchentwurf zu einem „Salome“-Film zu überarbeiten und vereinnahmt ihn dabei immer mehr. Als sich Joe schließlich zugunsten seiner jungen Kollegin Betty aus Normas Fängen lösen will und ihr die ungeschminkte Wahrheit über ihr niemals stattfindendes Comeback ins Gesicht schleudert, wird er von ihr erschossen. In dem Musical erzählt Joe die Ereignisse im Rückblick als „Toter“. 

„Sunset Boulevard“ steht etwas im Schatten anderer Werke von Lloyd Webber, nicht zuletzt weil musikalisch wirklich zündende Songs eher sparsam eingestreut sind und die Eingangszenen mit dem retrospektiven Sprechgesang viel zu lang sind. Gleichwohl bietet es eine Story, die stimmig und berührend ist. Aber das Werk steht und fällt eben doch mit der Besetzung der Norma Desmond. Den Tecklenburger Freilichtspielen, die in diesem Jahr ihr 90jähriges Bestehen feiern können, ist da mit Maya Hakvoort ein fulminanter Glücksgriff gelungen. Sie beherrscht mit autoritärer Ausstrahlung jederzeit die Szene, ihre dunkel eingefärbte Stimme wird mit glutvoller Expressivität und sattem Volumen geführt. Die Arie „Nur ein Blick“ ist eine bejubelte Offenbarung. Und wenn sie mit „Träume aus Licht“ ihre glorreiche Vergangenheit beschwört, schleichen sich schon Anzeichen eines Realitätsverlusts ein. Den fortschreitenden Wahn der alternden Diva führt sie äußerst überzeugend vor. Und wenn sie sich nach dem Mord in ihr Salome-Kostüm stürzt und sich inmitten von Filmaufnahmen wähnt, kann die Szene schon wohlige Gruselschauer erzeugen. 

Neben Hakvoort haben es die anderen Sänger nicht leicht. Julian Looman singt und spielt den Joe mit burschikoser Leichtigkeit, mit wohldosierter Mischung aus Gefühl und Zynismus. Normas treu ergebener Diener Max (der sich als ihr erster Ehemann und Regisseur Max von Mayerling entpuppt) wird von Reinhard Brussmann persönlichkeitsstark und mit etwas steifem Bass gestaltet. Als Betty macht Elisabeth Hübert trotz etwas leichtgewichtiger Stimme eine sympathische Figur. Für schwungvollen musikalischen Fluss sorgt Tjaard Kirsch in bewährter Weise am Pult des Orchesters. 

Die Inszenierung von Andreas Gergen, dem Operndirektor am Landestheater Salzburg, schöpft die Möglichkeiten der Tecklenburger Bühne optimal aus. Bühnenbildnerin Susanna Buller hat die dunkle Front von Nora Desmonds Villa mit einer großen Freitreppe ausgestattet, die vom Glanz vergangener Zeiten zeugt. Im Kontrast dazu steht am Rand die bunte Kantine der Filmcrew. Für eine bewegte Choreografie zeichnet Danny Costello verantwortlich. Gergen sorgte in seiner Regie für sinnvolle Aktionen und spektakuläre Effekte - etwa wenn ein prachtvoller Oldtimer auf die Bühne rollt, plötzlich ein Silvesterfeuerwerk entzündet wird oder wenn nach Normas Selbstmordversuch das Blut sich „dekorativ“ auf einer weißen Tischdecke ausbreitet. 

Das hübsche Duett „Ein gutes Jahr“ wird bei ihm zu einem gespenstischen Tango. Und immer wieder geistert eine Komparsin schicksalsdräuend im Salome-Kostüm mit dem abgeschlagenen Haupt des Jochanaan durch die Szene. Ironische Tupfer wie die Neueinkleidung von Joe oder die Fitness-Torturen von Norma werden gekonnt gesetzt. Aber vor allem ist ihm eine feinsinnige Personenführung gelungen, die den Absturz von Norma Desmond beklemmend nachvollziehbar macht. Tecklenburg hat sich einmal mehr als führende Freilichtbühne in Sachen Musical bewiesen. 

Wolfgang Denker, 27.07.2014                           Fotos: Freilichtspiele Tecklenburg

 

 

 

Frank Wildhorn

DER GRAF VON MONTECRISTO 

Premiere: 26.7.2013    in dt. Sprache

Klassisches Abenteuer mit furiosen Fechtszenen

Die Anfänge der Freilichtspiele Tecklenburg gehen auf das Jahr 1911 zurück, regelmäßige Aufführungen gibt es seit 1924. In den ersten Jahrzehnten wurden vor allem Schauspiele und Operetten aufgeführt. Mitte der 90er Jahre erfolgte ein programmatischer Wechsel zum Schwerpunkt Musical. Das hat sich bewährt. Längst haben sich die Freilichtspiele Tecklenburg (übrigens die größte Freilichtbühne in Deutschland) zu einer allerersten Adresse in Sachen Musical gemausert. Das bewiesen sie in den letzten Jahren mit hochrangigen Produktionen und guten Besetzungen. Die Musical-Elite Deutschlands gibt sich hier inzwischen regelmäßig die Ehre. Spektakuläre Aufführungen von z.B. „Les Miserables“, „Crazy For You“, „West Side Story“ oder „Jesus Christ Superstar“ bestätigten den guten Ruf. Und das Ambiente - das reizvolle Tecklenburg mit seinen Gassen und Fachwerkhäusern sowie die stimmungsvolle Burgruine als Spielort – ist einfach zauberhaft.

An der Qualität der Musical-Aufführungen gibt es nichts zu bemängeln. Das gilt auch für die diesjährige Produktion Der Graf von Monte Christo (nach Alexandre Dumas) aus der Feder von Frank Wildhorn..

Aber Wildhorn ist kein Frederick Loewe, Leonard Bernstein oder Cole Porter, nicht einmal ein Lloyd Webber. Die musikalische Decke dieses Musicals ist vergleichsweise dünn, denn der Duktus der vielen Balladen ist immer ähnlich. Gleichwohl gibt es eine paar eindringliche Duette, einen hübschen Walzer und in den dramatischen Szenen durchaus Spannung.  

Das ist auch ein Verdienst von Regisseur Marc Clear, der die Geschichte des unschuldig verurteilten Edmond Dantès, seine Flucht und seine rächende Wiederkehr als Graf von Monte Christo temporeich inszeniert hat, wobei die Mischung aus Humor und Pathos gut ausgewogen war. Die Führung der Solisten und auch besonders die des Chors ist vorzüglich gelungen; die breite Bühne und die Galerie im Hintergrund wurden optimal genutzt. Und die Kampf- und Fechtszenen wurden von Doris Marlis furios choreographiert. Auch die Kostüme von Karin Alberti und die Bühnenausstattung von Susanna Buller waren stimmig und boten viel fürs Auge. 

Clear führte nicht nur Regie, er sang und spielte auch die Titelpartie mit ausdrucksvoller Stimme und viel Persönlichkeit. Als seine Geliebte Mercédès konnte Anna Theorén auf gleicher Höhe mit kraftvollem, energiegeladenem Gesang mithalten. Die Duette „Niemals allein“ und „Jeder Tag ein kleiner Tod“ waren sehr überzeugend. Das Schurkentrio war mit Carsten Lepper, Frank Winkels und Reinhard Brussmann „finster“ besetzt, wobei Letzterer für seine zusätzliche Rolle als Mitgefangener Abbé Faria zu Recht Sonderbeifall erhielt. Femke Soetenga sorgte als Anführerin der Piraten für Pep, Thomas Hohler und die stimmlich nicht ganz so souveräne Karoline Goebel präsentierten sich als jugendliches Liebespaar.

Mit seiner wie immer sehr engagierten musikalischen Leitung sorgte Tjaard Kirsch für den richtigen Musical-Klang. (26.7.2013) 

Wolfgang Denker, 26.07.13                      Fotos: Freilichtspiele Tecklenburg

 

 

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