DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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15. Mai 2022

Finale des Capell-Virtuosi in der Semper Oper

Antoine Tamestit beschließt seine Staatskapellpartnerschaft mit einem Rezitativ

Im Orchester sitzen die Bratscher üblicherweise eingeengt zwischen den virtuosen Geigen und den klangsatten Celli. Recht oft sind ihnen in der Partitur wenig interessante Füllstimmen zugedacht. Dabei verfügt die Bratsche mit ihrer tieferen und besonders proportionierten Tonfarbe über exzellente Klangpotentiale.

Mit seinen Interpretationen von „Konzerten für Viola und Orchester“ von Béla Bartók (1881-1945) und William Walton (1902-1983) im Rahmen der Symphoniekonzerte in Dresden und Salzburg sowie der Kammermusik von György Kurtág (* 1926) bzw. Johannes Brahms (1833-1897) beim Kammerkonzert der Osterfestspiele 2022 hatte uns Antoine Tamestit bereits überzeugende Argumente für die Eigenständigkeit und Leistungsfähigkeit seines Instrumentes geboten. Mit seinen Zugaben, jeweils mit Orchestermusikern gespielt, hatte er sogar manchen verblüfft.

Neben dem rauchigen Sound der Viola hatten uns auch ihre jazzigen bis hin zu schlagzeugartigen Effekten reichenden Möglichkeiten der Bratsche überrascht.

 

 

Die „Gustav Mahler“ der Stiftung Habisreutinger 1672 von Antonio Stradivari (um 1648-1737), noch während seiner Lehre bei Nicolo Amati (1596-1684) gebaut, dürfte die älteste erhaltene Viola des Cremonaer Meisters sein. Bis 1872 befand sich das Instrument, als eine von mehr als zehn Stradivaris in der Sammlung des Birminghamer Stifte Herstellers Joseph Gillott (1799-1872). Nach dessen Tod gelangte die Bratsche, nachdem die gesamte Gillott-Sammlung für 51 £ verkauft worden war, über einige Zwischenbesitzer zum Freiburger Geigenbauer Hans Schicker (1924-2001). Anlässlich des einhundertsten Geburtstags Gustav Mahlers (1860-1911) erwarb der Schweizer Textil-Produzent und Hobby-Cellist Rolf Habisreutinger die Viola und überführte sie 1990 in die „Stradivari Stiftung Habisreutinger“.

Seit dem Februar 2008 stellt die Stiftung die Viola Antoine Tamestit zur Verfügung, der sich als dem Instrument dienender Spieler versteht.

Der französische Pianist Cédric Tiberghien (*1975) hatte für die Matinee den Klavier-Part übernommen.

Die „Sonate für Viola da gamba und Cembalo Nr.2 D-Dur (BWV 1028)“ hat Johann Sebastian Bach (1685-1750) als er als Kapellmeister und Kammermusikdirektor am Köthener Hof wirkte. Für viele gilt Bachs Köthener Zeit von 1717 bis 1723 als die kreativste seines Schaffens.

Das Adagio der Sonate ist ein ausdrucksvoller Zwiegesang zwischen der Viola und der Oberstimme des Klaviers. Mit seiner Kürze wirkt es wie eine Einleitung zum fröhlich-tänzerischen Allegro, dem ein weit gespanntes wehmütiges Andante folgt. Das Allegro brachte einen lebendigen Schluss, der wie ein munteres Bächlein daherkam.

Antoine Tamestit und Cédrik Tiberghien erwiesen sich als ein absolut stilsicher harmonisiertes Duo. Beide Musiker bewegten sich stets in die gleiche Richtung, vermieden jedes Drängeln. Bei den Trillern absolut synchron, arbeitete der Pianist die Echoeffekte exakt heraus, während die Bratsche im tiefen Bereich kraftvoll summen und im Hohen tenoral jubeln konnte.

Die Entstehungsgeschichte der „Sonate für Viola und Klavier f-Moll op. 120 Nr.1“ von Johannes Brahms (1833-1897) hat, wie so oft in der Bratschen-Literatur, ihre Besonderheit. Brahms, der sich eigentlich 1890 vom Komponieren zurückziehen wollte, hatte 1894 für den Meininger Solo-Klarinettisten Richard Mühlfeld (1856-1907), mit dem Brahms eine innige persönliche und musikalische Freundschaft verband, die Klarinettensonaten op. 120 geschrieben. Für den Fall, dass der Klarinettist Mühlfeld für die Frankfurter Erstaufführung aus irgend einem Grunde verhindert sein könnte, hatte Brahms der „Guten Vorsicht Halber“ den Geiger Joseph Joachim (1831-1907), als Partner für des Komponisten Klavierspiel eingeladen und vorsorglich eine Bratschen-Stimme der Sonate vorbereitet.

Mühlfeld spielte zwar, aber Brahms schickte beide Fassungen zu seinem Verleger Fritz Simrock (1837-1901), der mit der Herausgabe jener Verlegenheits-Variante die Bratschen-Musikliteratur bereicherte.

Mit ihrer Interpretation betonten Antoine Tamestit und Cédrik Tiberghien den musikalischen Reichtum der Komposition. Die Viola mit einer schier endlosen Palette von Klangfarben, die mit der betonten Intensität sich von der Zurückhaltung des Klaviers doch etwas absetzte.

Die Miniatur „Berceuse op. 16“, zu Deutsch: ein Wiegenlied, 1879 von Gabriel Fauré (1845-1924) für Violine und Klavier eigentlich beiläufig geschrieben, brachte, ob seiner Popularität und der Vielzahl der Bearbeitungen seinem Schöpfer vorübergehend den Ruf des „Salonkomponisten“ ein. Neben Faurés Original- und einer Orchesterfassung gibt es Arrangements für Oboe und Klavier, Panflöte und Klavier, Saxophon und Klavier, Oboe und Harfe, Gitarre und Hackbrett; Solo-Gitarre, Vokalise und Klavier und eben auch für Bratsche und Klavier.

Auch von Fauré s „Sicilienne op. 78“ gibt es mehrere Bearbeitungen und Verwendungsmöglichkeiten. Entstanden im Jahre 1893 als Bühnenmusik für Molières Komödie „Der Bürger als Edelmann“ wurde es wenig später in London in Maeterlincks symbolistisches Drama „Pelléas und Mélisande“ eingefügt.

Im Konzert war zu erkennen, wie beide Instrumente und vor allem ihre Spieler hervorragend aufeinander abgestimmt waren. Das Klavier ließ dem Singen der Viola den Vortritt, so dass ein unaufgeregtes romantisches Klangbild entstehen konnte. Der Verzicht auf exaltierte Dynamik verhalf den Melodien in ihren Zusammenklängen zu einer faszinierenden Transparenz.

Das ursprünglich als Klavierlied nach einem Text von Romain Bussine (1830-1899) geschriebene „Après un rěve op. 7 Nr. 1“ beinhaltet alle Sehnsüchte und Erinnerungen eines aus einem Liebestraum erwachenden Träumers. Ekstatisch hatte der Dichter, Bariton und Gesangslehrer Bussine mit allen Freud’schen Implikationen die nostalgischen Gefühle nach einer vergangenen Liebe erleben lassen.

Die Bratschistin, Komponistin und Musikpädagogin Rebecca Clarke (1886-1979) wurde als Tochter einer Deutschen und eine Amerikaners in einer Musik-affinen Familie bei London geboren. Früh begann sie mit der Vertonung von Gedichten. Familiäre Streitigkeiten, unter anderem wegen ihrer Kompositions-Versuche brachten sie frühzeitig zu selbstständiger Konzerttätigkeit.

Die „Sonate für Viola und Klavier“ hatte Rebecca Clarke 1919 anonym zu einem Wettbewerb eingeschickt. Die Juroren vermuteten, dass Maurice Ravel (1875-1937) der Anonymus sei und waren verblüfft, dass eine Frau die Komposition eingereicht habe. Es wurde sogar bestritten, dass es die Person „Rebecca Clarke“ gäbe und das ihr Name ein Pseudonym für Ernest Bloch (1885-1977) sei.

Heute zählt die Viola-Sonate der Rebecca Clarke zum Standardwerk aller Musiker dieses Instruments.

Die Sonate beginnt mit einem eindringlich-intensiven Impetuoso, dass von den beiden Interpreten spannend und farbenfroh gespielt wurde. Das Scherzo folgte als gleichsam packender Übergang zu einem schillernden schwärmerisch brillant-fließendem Finalspiel der Viola, das vom Klavier mit raffinierten Phrasierungen unterstützt wurde.

Antoine Tamestit ließ es sich nicht nehmen, Rebecca Clarke mit ihrer Bedeutung für die Bratschen-Musikliteratur zu würdigen, und als Zugabe ein späteres Werk der Komponistin  mit seinem Klavier-Partner zu spielen.

Das doch ziemlich gemischte Publikum spendete reichlich und begeisterten Beifall.

 

Thomas Thielemann, 16.5.22

© Matthias Creutziger

 

 

11. Mai 2022                                     

Verabschiedung mit einer Uraufführung

Reinhard Krauß mit der Widmung eines Konzertes verabschiedet

Im Mittelpunkt des 4. Aufführungsabends der Sächsischen Staatskapelle stand ein Musiker, der seit 44 Jahren ein Pult des Orchesters stets zuverlässig, immer freundlich-lächelnd und mit hoher Qualität spielend besetzte: der Kammervirtuose und Konzertmeister der 2. Violinen Reinhard Krauß.

Seit dem Jahre 1978 zunächst achtzehn Jahre bei den ersten Violinen, war er seit 1995 als der Konzertmeister der zweiten Geigen im Orchester präsent.

Vom legendären Herbert Blomstedt engagiert, hat er unter Guiseppe Sinopoli, Bernard Haitink, Colin Davis, Fabio Luisi, Christian Thielemann sowie vielen Gastdirigenten unzählige Sternstunden der Staatskapelle mitgestalten dürfen und manchen Skandal mit erleben müssen.

Für seinen Abschied aus der Staatskapelle hat ihm der Dresdner Komponist Jörg Herchet das „Konzert für Violine, Alt-Stimme und Orchester“ gewidmet, dass am Konzertabend seine Uraufführung mit dem Solisten Kammervirtuosen Reinhard Krauß und der Solistin Kammersängerin Christa Mayer erlebte.

Die Sächsische Staatskapelle dirigierte Gaetano d´Espinosa.

Das Gleichnis vom Sämann aus dem Matthäus-Evangelium war die Grundidee der Komposition: als der Sämann die Samenkörner ausbrachte fielen einige auf den Weg, einige fraßen die Vögel, andere fielen auf Felsiges, wo wenig Erde war, so dass kaum Wurzeln entstanden und das Gekeimte vertrocknete. Auch fielen einige in die Dornen, die aufkeimende Frucht erstickten. Aber viele fielen auf die gute Erde und gaben Frucht. Wachsend, aufsteigend trug eines dreißig, eines sechzig und eines hundert aus einem Korn.

Aus dem Keimen, dem Wachsen des ausgebrachten Saatgutes, dem Grundthema des Werkes, dem Solo-Violinenpart Reinhard Krauß entwickelten sich drei von der warmen Altstimme Christa Mayers kraftvoll vorgetragene, vom Solo und dem Schlagzeug kommentiert, Textsegmente des Berliner Lyrikers Jörg Milbradt.

 

 

Das anspruchsvolle Violinsolo des Widmungsträgers begleitete fast beziehungslos die Klangentwicklung der Orchesterinstrumente, teils scheinbar chaotisch, teils trügerisch geordnet. Die Vielfältigkeit von Entwicklungen, die Zufälligkeiten von Wachstum und die begrenzten Planungsmöglichkeiten wurden bildhaft verdeutlicht.

Die Instrumentengruppen des Orchesters folgten den von der Solo-Violine vorgegebenen Strukturen in individuellen Entfaltungen und Ausformungen, was zunehmend zur Auflösung der Gliederung führte, teils scheinbar chaotisch, teils trügerisch geordnet. Die Vielfältigkeit von Entwicklungen, die Zufälligkeiten von Wachstum und die begrenzten Planungsmöglichkeiten wurden bildhaft verdeutlicht.

Zum Ausklang des Werkes übernahm der Solist, unterstützt von Oboe und Schlagzeug wieder die Führung, um sich über einen Klagegesang der Altstimme den Klängen den Anfängen des Werkes erneut zu nähern.

 

 

Lang anhaltende Ovationen, deren Intensität vor allem der Beliebtheit der beiden Solisten zu verdanken sein dürfte, folgten der Uraufführung

Wünschenswert bleiben weitere Aufführungen der Komposition des 1943 in Dresden geborenen Jörg Herchets., um den doch dichten Höreindruck der Erstaufführung zu festigen und das Dirigat von Gaetano d´Espinosa würdigen zu können.

Eingerahmt war das Violinkonzert von Edward ElgarsStreicherserenade e-Moll op. 20“ und Georges BizetsSymphonie Nr. 2 C-Dur-´Roma´“.

Für Gaetano d´Espinosa war es sein Debüt als Konzertdirigent der Staatskapelle, obwohl er seit längerem mit dem Haus verbunden ist. Denn er war über Jahre der stellvertretende Konzertmeister der 1. Violinen des Orchesters und hatte bereits im vergangen Jahr Bellinis „Norma“ aus dem Graben heraus geleitet.

 

 

Zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung:

Uns verbindet mit Reinhard Krauß eine intensive Begegnung bei einem Abendessen der Freunde der Sächsischen Staatskapelle während der Osterfestspiele in Salzburg mit Musikern des Orchesters.

In Erinnerung ist uns ein fröhlicher, kommunikativer und bescheidener Musiker. Er plauderte ungezwungen und herzlich. Man konnte ihm auch diffizile Fragen stellen und man hat nie den Eindruck, ihn zu belästigen.

Dies konnten wir auch feststellen, als wir danach in Dresden mit ihm einen Informationsaustausch über ein beiderseits interessiertes Thema per Mail hatten.

Sein künstlerisches Können, sein unkompliziert bescheidene s Wesen werden uns unvergesslich bleiben.

Das Abschiedskonzert hat uns sehr berührt, so dass nur noch der Wunsch bleibt, ihn immer wieder bei Kammerkonzerten zu erleben. Der Staatskapelle wird er fehlen.

 

Wir wünschen ihm von Herzen Gesundheit und einen kreativen, unruhigen Ruhestand.

 

Marianne und Thomas Thielemann

© Oliver Killig

 

 

 

 

16. Januar 2022 Premiere

Besucht: 18. Januar 2022               

„Semper zwei“ der Sächsischen Staatsoper

 

Die kahle Sängerin

Deutsche Erstaufführung der Kammeroper Luciano Chaillys nach Eugène Ionesco

 

Als der aus Rumänien stammende Dramatiker Eugène Ionesco (1909-1994), in den 1950-er Jahren in Paris lebend, bemüht war, mit Hilfe der Assimil-Methode die englische Sprache zu erlernen, fand er im Lehrbuch „L´anglais sans peine“ (Englisch ohne Mühe) groteske Unterhaltungen eines Mr. Smith mit einer Mrs. Smith. Gegenseitig belehrten sich die Ehepartner, dass die Woche sieben Tage habe, der Fußboden unten und die Raumdecke oben seien. Irgendwann informierte sich gegenseitig, wie lange sie miteinander verheiratet seien, wo sie wohnten und wieviel Kinder sie haben.

 

 

Als noch ein Dienstmädchen Mary, ein befreundetes Ehepaar und ein Feuerwehrmann in den wiedersinnigen Dialogen auftauchten, war er von der Absurdität der Umstände derart fasziniert, dass er unter Nutzung der Personen des Lehrbuchs eine Folge von Gemeinplätzen und Klischees parodistisch zu einem „Anti-Theaterstück“ gestaltete.

Den Buchtitel als Namensgeber des Stückes zu nutzen, hätte möglicherweise zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt, so dass Ionesco dankbar den Proben-Versprecher des Feuerwehrmannes aufnahm, als dieser statt institutrice blonde (blonde Dozentin) versehentlich cantatrice chauve (kahle Sängerin) deklamiert hatte.

Der Komponist Luciano Chailly (1920-2002), hatte bereits zahlreiche literarische Vorlagen unter anderem von Tschechow, Stevenson, Dostojewski vertont, als ihn seine im internationalem Kulturbetrieb bestens bekannten Kinder, die Harfenistin Cecilia, der Dirigent Riccardo und die Regisseurin Floriana, aufgefordert hätten, wieder eine komische Oper zu schreiben. Dabei wäre er auch auf Ionescos Einakter aufmerksam gemacht worden und sei von den Dialogen derart begeistert gewesen, dass er den Vorschlag aufgegriffen habe. So zumindest hat es der Komponist berichtet.

Am Text des großartigen Autors habe er bei der Erarbeitung des Opernlibrettos nicht ein einziges Wort geändert, aber nur das unbedingt für den Opernzweck Notwendige übernommen.

 

 

Jeder Figur hatte der Komponist ein rhythmisches und melodisches Muster zugeordnet, so dass jeder Agierende auf eigene Art und Weise dem Gesang und der Sprache Ausdruck verleihen konnte. Mit der Orchestrierung erreichte Chailly besondere Wechselbeziehungen zwischen den Klangfarben der Instrumente und den Charakteren der Personen.

Die Inszenierung der deutschen Erstaufführung in „Semper zwei“ der Sächsischen Staatsoper in Dresden hatte die mit ihrer Arbeit „der himmlische Drache“ von Peter Eötvös im Haus bestens eingeführte Barbora Horáková übernommen. Befreit von den Regeln des realistischen „gut gemachten Stückes“, füllte sie die Bühne mit grotesken und monströsen Charakteren und Symbolen.

Auf den Auftritt der Titelheldin wartet das Publikum vergebens, während sich die agierenden Personen mit hohlen Textschablonen attackieren, die Handlung und Wirklichkeit in einem schwindelerregenden Tempo zerfasern. Die Darsteller agierten entweder vollkommen aneinander vorbei oder vervollständigten ihre sinnlosen Aktionen gegenseitig.

 

 

Unterstützt vom Zupfinstrumenten-Quintett konnten die türkische Mezzo-Sopranistin Dilara Bastar als Mrs. Smith und der amerikanische Tenor Peter Tantsits als Mr. Smith ihrer Spielfreude ordentlichem Lauf lassen. Um ihre symbolische Bedeutung zu betonen, verzichteten beide auf eine Charakterisierung ihrer Personen und konzentrierten sich auf die Bewältigung des exzentrischen Tonmaterials. Zum Gegensatz zu ihrem eintönig-stereotypen Leben wurde mit dem Gesang das von den Widersprüchlichkeiten geprägte Gefühlsleben des Paares betont.

Das Benehmen des Ehepaares Martin, von den Ensemble-Mitgliedern Anna Kudriashova-Stepanets und Doğukan Kuran betont dröge und grotesk verkörpert, wurde von den Streichern des Ensembles unterstützt. Ohne Individualität, verstrickt in Konventionen vertuschte das Paar seine Langweile mit Freundlichkeiten sowie Höflichkeit, und versuchte vergeblich das Bild traditionellen Glücks zu bieten.

Wie Martin-Jan Nijhof an den Schwierigkeiten eines kommunikativen Verhaltens in einer komplexen Welt zu scheitern drohte, konnte er als Feuerwehrmann nicht zuletzt dank seiner prachtvollen Bassbaritonstimme darstellen. Sein Job ist sein Leben und er treibt seine berufliche Tätigkeit bis ins Absurde: ohne Feuer kann er nicht existieren.

Dabei war für die Darsteller nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, die einfallsreichen Bühnenbauten von Annett Hunger sowie die Requisiten mitspielen zu lassen und durchaus mit Symbolen die Nicht-Handlung voranzutreiben zu lassen. Als passend erwiesen sich auch die fantasievollen Kostüme von Benjamin Burgunder. Das komplexe Geschehen auf der zum Greifen nahen Szene lässt die ausdrucksvollen Video-Installationen von Sergio Verde leider fast unbeachtet.

Mit schrillen Koloraturen bewältigte Jennifer Riedel die Charakterisierung der Mary als eifrig-höhnisch dienendeZofe, oder als selbstbewusst, auftrumpfende Persönlichkeit. Sie klärte Missverständnisse auf, markierte, wie sich das Schicksal über die Menschen lustig macht, und scheint beauftragt, eine, nämlich ihre Wahrheit zu enthüllen.

 

 

Mary übernahm gleichermaßen die Aufgabe des Chores der antiken Tragödie als auch die Rolle der Ermittlerin.

Im Verlaufe der Aufführung schien eine gewisse Ratlosigkeit der Zuschauer deutlich. Aber spätestens Marys „Wahrheiten“ sollten in den Zuschauern eine gewisse Nachdenklichkeit wecken, inwieweit in den Absurditäten des Bühnengeschehens Reflexionen des eigenen „Ichs“ und Elemente unseres gesellschaftlichen Umfelds enthalten sind.

Die Musikalische Leitung der Aufführung war dem Leiter des Jungen Ensembles der Semperoper Thomas Leo Cadenbach übertragen worden, der für sein Kammerorchester überwiegend freischaffende Musiker und Musikerinnen verpflichtete.

Zum guten Schluss ließ sich dann doch noch die kahle Sängerin mit der Stimme von Mariya Taniguchi aus dem Olymp mit einer bezaubernden Wortmeldung vernehmen.

Mit einem kraftvollen Beifall bringt das stark ausgedünnte Publikum der allgemeinen Begeisterung Ausdruck.

 

Autor der Bilder(c) Quast / Olah

Thomas Thielemann 20.1.2022

 

 

 

 

04.06.2021 - Konzertsaal des Kulturpalastes Dresden

Arcadi Volodos eröffnete die LIVE-Konzerte der Dresdner Musikfestspiele 2021

Nach langer Konzertsaalabstinenz hatten die Dresdner Musikfestspiele in den Kulturpalast zum Livekonzert geladen. Und das gleich mit der Wucht eines Arcadi Volodos. Im Jahre 1996 war beim 11. Kissinger Sommer als Gastland Russland ausgeschrieben und die umtriebige Gründungs-Intendantin Kari Kahl-Wolfsschläger hatte neben gestandenen Künstlern auch eine Reihe junger russischer Musiker nach Franken geholt. Nach meiner Erinnerung war auch Arcadi Volodos zum ersten Mal nach Bad Kissingen gekommen und hatte auf Anhieb begeistert.

Seit konnten wir den inzwischen 49-Jährigen Ausnahmepianisten häufiger in Bad Kissingen, aber auch in Leipzig und Dresden als Solisten in Orchesterkonzerten und mit Rezitals erleben und seinen Weg zur inzwischen erlangten Meisterschaft verfolgen.

Volodos verdankt seine Karriere nicht dem Preis eines internationalen Wettbewerbs, sondern einem glücklichen Zufall. Der Leiter einer internationalen Schallplattengesellschaft hatte sein Spiel in einem privaten Rahmen gehört, sein überragendes Talent erkannt und ihm den Weg auf die internationalen Podien geebnet. Heute spielt er einfach das, was er spielen möchte. Die Komponisten, deren Musik er spielt, muss er bedingungslos lieben und ihr Schaffen in seiner Gesamtheit erfassen.

 

Beim Dresdner Klavierabend stand zunächst Franz Schuberts Sonate für Klavier G-Dur 834 op. 78 aus dem Jahre 1826 auf dem Programm. Obwohl insbesondere der Sommer 1826 für den 29-jährigen Komponisten eine Zeit der Enttäuschungen war, gilt das Werk als seine heiterste späte Sonate. Mit dem breitesten Dynamikspektrum aller Schubert Sonaten betont er ausdrücklich, dass dieses Werk für ein für seine Zeit modernes Instrument „fürs Pianoforte allein“ komponiert worden ist. Ganz unprätentiös, ohne große Gesten betrat der Pianist das Konzertpodium des abgedunkelten Saales und nahm, nach sparsamer Begrüßung des ausgedünnten Publikums auf einem gewöhnlichen Kantinenstuhl am Steinway-Konzertflügel Platz.

Den oft als „Fantasie“ bezeichneten Kopfsatz begann Volodos tänzerisch heiter, recht frei im Tempo und ungemein plastisch. Dem folgenden Andante verlieh er mehr Tiefe, innere Beteiligung und schöne Farbschattierungen, während der dritte Satz wieder betont liedhaft-tänzerisch angelegt war. Den Schluss-Satz habe ich dann als konfliktarm und gelöst empfunden.

 

Den Sommer des Jahres 1893 verbrachte der 59-jährige Johannes Brahms wieder in Bad Ischl. Dort komponierte er die Zyklen op. 118 und op. 119 für Klavier solo. Dabei ragten besonders die sechs Klavierstücke op. 118 dank größerer stilistischer Vielfalt gegenüber früheren Zyklen heraus. Auch mit der Namensgebung der Stücke wählte der Komponist nach längeren Überlegungen individuellere Titel. Arcadi Volodos präsentierte sich bei der Interpretation der sechs Stücke op. 118 mit seinem vielschichtigem Spiel, das innigen Ausdruck mit brillanter Virtuosität vereinte, als reifen Künstler. Die technische Perfektion, kraftvoller Anschlag in den dramatischen Passagen, traumhaftes Pianissimo und Wille zum Innehalten prägten die Darbietung. Meditative Klänge wechselten mit Passagen, die an ein größeres Orchester glauben lassen.

 

Nach stürmischem Beginn entwickelte sich das a-Moll-Intermezzo fast wie eine Ballade. Das folgende etwas verträumte A-Dur-Intermezzo op. 118/2 spielte Volodos romantisch drängend. Immer wieder musste sich die Melodie gegen die sich auftürmende Begleitung behaupten. Mit seinem Gespür für den der Ballade in g-Moll innewohnendem Rhythmus lauschte man auch dem dritten Stück. Eher modulierend entwickelte sich auch das kleingliederige Thema des f-Moll- Intermezzos op. 118/4. Eine straffe Klangregie ließ die Rahmenteile der Romanze op. 118/5 den verspielten fast versonnenen Mittelteil regelrecht umklammern. Die Orientierung am Verständnis für den Menschen Johannes Brahms, seiner jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit seinem Werk, ließen die Hörer niemals in den Wohlklang der Musik eintauchen. Das abschließende Intermezzo in es-Moll mit den Anklängen an das Deutsche Requiem spielte Volodos dann deutlich zurückhaltender. Der langanhaltende Applaus des ausgehungerten Auditoriums war für Arcadi Volodos Anlass, sein Publikum mit fünf Zugaben zu verwöhnen. Gern hätten wir auch die im ausgeschriebenen „Vor-Corona-Programm“ enthaltene Sonate des italienischen, aber vorwiegend in England wirkenden Komponisten und Pianisten Muzio Clementi (1752-1832) gehört. Seine Musik ist mir bisher nur in „Konserven“ zugänglich gewesen. Clementi ist den Musikfreunden vor allem wegen des vom Kaiser Joseph II. am Weihnachtsabend 1781 eingefädelten Wettstreits mit Wolfgang Amadeus Mozart ein Begriff. Mozart habe sich zwar abfällig über die „Terzenpassagen ohne einen Kreuzer Gefühl oder Geschmack“ geäußert. Das hatte aber Mozart nicht gehindert, ein Thema aus einem Werk von Muzio Clementi in die ersten Takte seiner Ouvertüre zur „Zauberflöte“ einzubauen. Was den verbitterten Älteren zu einer Anmerkung am Kopftitel der Sonate op.47 veranlasste.

 

Thomas Thiemann, 05.06.2021

Bildautor: Marco Borggreve

 

 

 

Daniel Harding mit Gustav Mahler und der Sächsischen Staatskapelle beim MDR:

Datum der Konzertausstrahlung: 24. April 2021

 

Am 13. Februar 2020 wollte sich Daniel Harding im Festkonzert der sächsischen Staatskapelle eigentlich mit Gustav Mahlers zehnter Symphonie von den Dresdner Musikern zu einem Sabbatjahr verabschieden. Der mehrfach und gern erlebte Gastdirigent hatte keine Konzertverpflichtungen in der Saison 2020/21 übernommen und wollte sich einen Kindheitstraum erfüllen. Nachdem er eine Lizenz als Verkehrspilot erworben und bereits Erfahrungen als Co-Pilot gesammelt hatte, wollte er ein Jahr bei „Air France“ neue Erfahrungen und Eindrücke sammeln.

Wie so Viele, hat ihn aber auch Corona zur Notlandung gezwungen und ihn im Frühjahr 2021 zu seiner nächsten Mahlerinterpretation mit den Dresdner Musikern der Staatskapelle geführt. Hatte Daniel Harding vor der Zehnten im 4.Symphoniekonzert der Saison 2017/18 in Dresden bereits die 4. Symphonie Mahlers interpretiert, so dirigierte er im 9. Symphoniekonzert der Saison 2020/21 die MDR-Rundfunkproduktion Mahlers Fünfte. Die Komposition der 5. Symphonie Gustav Mahlers ist in den Urlaubs-Sommermonaten der Jahre 1901 und 1902 mit ihrem polyphonen Reichtum und innigen Wendungen entstanden. Die Flut an Ideen erforderte in den Folgejahren Schritte der Reduzierung. Noch wenige Monate vor seinem Tode habe Mahler Instrumentierungen der Fünften geändert.

Für uns war es eine Freude, die Sächsische Staatskapelle endlich einmal „unkonserviert“ zu hören, auch wenn das Klangbild wegen der breiteren Staffelung der Musiker etwas zerfasert erschien. Den Kopfsatz dirigierte Harding betont lyrisch, klagend, fast schleppend und brillierte dabei mit gekonnter Präzision. Damit erlaubt er dem Hörer, detailliert die Schönheit des Orchesterspiels zu verfolgen. Harding und das Orchester erfassten in der Folge die Details mit faszinierender Klarheit: das dramatische Blech des zweiten Satzes, die entzückenden Pizzicato und Fagott-Stellen im zentralen Scherzo. Das Solo-Horn spielte großartig und das Scherzo profitierte von Hardings Fähigkeit, wunderbare Streicher-Texturen zu gestalten. Dem Adagietto des Konzertes kam die besondere Bedeutung einer Erinnerung an den 20. Todestag von Giuseppe Sinopoli. Der Italiener war von 1992 bis zum Jahre 2001 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle gewesen. Auch wollte das Orchester mit einem besonders lichten und warmen Adagietto den Verstorbenen der Corona-Pandemie gedenken. Damit entwickelte sich der vierte Satz der Symphonie zu einer zurückhaltenden vom Inneren nach außen transparenter Darbietung.

Der Finalsatz war lebendiger, rhythmischer und auf das Wunderbarste zu herrlichem Höhepunkt geführt. Möglicherweise war das dem Umstand geschuldet, dass Harding für die Rundfunkproduktion den Schluss-Satz am Beginn Arbeit einspielen ließ.

Das Konzert wurde am Freitag, den 23. April 2021 ab 20 Uhr 05 von MDR-Kultur und MDR-Klassik gesendet und kann in den Mediatheken von MDR-Kultur und MDR-Klassik abgerufen werden. Für die ferngehaltenen Konzertfreunde: einige Bilder vom Aufnahmeprozess der Konzertaufzeichnung.

 

Thomas Thielemann 24.04.2021

Bilder: (c) Matthias Creutziger

 

 

René Pape Konzert eröffnete eine neue open Air-Seebühne in Dresden

Mutige Konzertmanager realisieren mitten in der Corona-Pandemie eine besondere Kulturidee

 

Mit einem vier-Gänge-Menü und einigen Regenschauern eröffnete ein Konzert mit René Pape die neue Seebühne im Dresdner Event-Gebiet „Ostra-Gehege“.

Die mutige Event-Agentur „Golden Door“ hatte trotz einiger Querelen mitten in der Pandemie eine 170-Quadratmeter-Bühnenfläche aus dem See Boden gestampft, überdacht, illuminiert und zu einem beachtlichen Open-Air-Veranstaltungsort gestaltet

Alle Versuche die Eröffnung in den Sommer 2021 zu verschieben waren zum Scheitern gebracht worden.

Ein „Prague Royal Philharmonic“, das sich auf eine Gründung von Kaiser Rudolph II. (1552-1612) bezieht, spielte in einer Neuformation unter dem Generalmusikdirektor Heiko Mathias Förster mit viel Engagement populäre Klassik.

Die glanzvollen Höhepunkte des Abends schenkte uns aber mit der Sarastro-Arie aus der Zauberflöte, dem „Il lacerato spirito“ aus Simone Boccanegra, dem „Le veau d´op est toujour debout“ aus Faust und der Wassermann-Arie „Běda, běda“ aus Rusalka der in Pillnitz-Hosterwitz beheimatete Weltstar-Bassist René Pape. Mit seinem wunderbar fulminant strömendem Gesang, mal sanfter, mal mit edler Knorrigkeit, versöhnte er auch den von der Sächsischen Staatskapelle und der Philharmonie geschulten Teil der Besucher.

Dem breiten Publikum hat aber die gut vorbereitete Veranstaltung richtig gefallen und die Bürger sowie Besucher der Stadt haben einen weiteren Veranstaltungsort mit Niveau, in dem die Pandemie-Bedingungen für eine größere Menschengruppe eingehalten werden können.

 

Thomas Thielemann, 30.8.2020

Bilder-Copyright: Golden Door Eventagentur

 

 

DRESDEN/ Comödie im Schloss
 

THE ADDAMS FAMILY


31.7.2020

„Verrückt wird unterbewertet“, ist das Motto der Addams Family. Die morbide Sippschaft mit einer Vorliebe für Friedhöfe, Zugunglücke und andere Katastrophen trieb ihr Unwesen seit 1938 in den Cartoons, die Charles Addams für die Zeitschrift The New Yorker zeichnete. In den 1960er Jahren wurden sie in einer Fernsehserie von Schauspielern verkörpert, in den 1970ern und 1990ern gab es zwei Zeichentrickserien. In den 1990ern gab es nicht weniger als drei Spielfilme mit den Addams! Das Musical von Marshall Brickmann und Rick Elice (Buch) und Andrew Lippa (Songtexte und Musik) hatte 2009 in Chicago Première und lief 2010/11 am Broadway; 2014 fand die deutsche Erstaufführung statt.

In der letzten Zeit haben sich zwei kleinere deutsche Bühnen der monströsen Familie angenommen: Am Theater für Niedersachsen in Hildesheim kam das Musical im November 2018 heraus (Regie: April Hailer, musikalische Leitung: Andreas Unsicker), an der Comödie im Schloss in Dresden im Juli 2020 (Regie: Kerstin Poleske, musikalische Leitung: Andreas Goldmann; 40 Aufführungen bis Ende August). Beide Produktionen sind vergnüglich anzuschauen und anzuhören: Die fetzigen Songs (wie die Introduktion des ganzen Ensembles „Bist Du ein Addams“), die lyrischen Momente und die vielen Tanzeinlagen werden ansprechend dargeboten. Während Hildesheim sich weitgehend an die Fassung der Autoren hält, wurde in Dresden stärker ins Stück eingegriffen: Die Addams wurden nach Dresden versetzt („Rom, Mailand kann jeder – Übigau [der Stadttteil, in dem das Elbschloß steht] ist für die ganz Harten!“). Die Geister der Ahnen (mit großen Pappmasken) sind hier Figuren der sächsischen Geschichte, u.a. August der Starke und Karl May. – Zwei Figuren sind gestrichen: Vater Beineke weigert sich, zum Familiendinner zu kommen, weil ihm Vater Gomez Addams das Grundstück weggeschnappt hat, auf dem er ein „Zentrum für erneuerbare Energie“ bauen wollte; die Großmutter sitzt im Keller „in Quarantäne“ und macht sich nur gelegentlich durch Kraftausdrücke bemerkbar.

In Hildesheim spielte man im Theater, das Bühnenbild ist eine verschiebbare Treppe, die schnelle Verwandlungen ermöglicht. Die Kulisse für die Freilichtaufführung in Übigau bildet die Fassade des barocken Elbschlosses, an der Seite ein Friedhof mit dem Familiengrab der Addams.

Die Darsteller benötigen nur wenige Requisiten, das Spiel ist körperbetont, meist mit hohem Tempo, die gefühlvollen Nummern sorgen für Ruhepunkte.


Dresden: Ensemble

In den Cartoons von Charles Addams war Raul Gomez ein wohlbeleibter Herr. Hildesheim orientiert sich an diesem Vorbild; Alexander Prosek und seine Morticia (Marysol Ximénez-Carrillo) verkörpern ihre Rollen eindrucksvoll.


TfN: Alexander Prosek (Gomez Addams), Gerald Michael (Mal Beineke)

In Dresden ist Gomez Addams (Bert Callenbach) schlank, Typ schmieriger Latin Lover; er brilliert in seinen Tanzeinlagen, besonders in dem Tango, der ihn am Ende mit Morticia (Carolin Masur) versöhnt. Morticia ist die interessanteste Figur im Stück: Sie und ihr Mann sind verliebt wie am ersten Tag, obwohl (oder weil) sie ihn dominiert. Wenn er ihr, zum ersten Mal, nicht die Wahrheit sagt, bricht für sie eine Welt zusammen, sie will sterben, weil sie nicht mehr mit ihm leben kann („Ja, der Tod tritt um die Ecke“). Wenn sie dann erkennen muß, daß sie geworden ist wie ihre Mutter, ist das ein Choc, der die Wiederannäherung des Paares ermöglicht. Carolin Masur zeichnet ein differenziertes Portrait dieser schwierigen Frau.


Dresden: Carolin Masur (Morticia)

Die Tochter Wednesday (sie heißt Wednesday, weil es in einem Kinderlied heißt: „Wednesday’s child is full of woe“, Das Kind vom Mittwoch ist voller Weh) ist eine recht energische Person, die ihren Vater und den Liebhaber Lucas gut im Griff hat. Sie ist böse, wie es sich für ein Addams-Kind gehört, und erlegt mit ihrer Armbrust Kaninchen im Streichelzoo, aber nachdem sie Lukas kennengelernt hat, will sie die Kaninchen plötzlich streicheln („Er zieht mich auf neue Wege“). Sandra Pangl in Hildesheim, in ihrem ziemlich unvorteilhaften Kostüm mit der strengen Zopffrisur, glaubt man das raffinierte Lueder nicht so recht. Die reizende Susanne Mucha in Dresden fasziniert durch den Kontrast zwischen ihrem unschuldigen Aussehen und den schrecklichen Dingen, die sie tut.


TfN: Sandra Pangl (Wendesday), Jens Krause (Onkel Fester)


Dresden: Susanne Mucha (Wednesday)

In Hildesheim ist Wednesdays Verlobter Lucas Beineke (Nicolo Soller) ein typisch amerikanischer Junge, blond und optimistisch. Benjamin Mahns-Mary in Dresden, mit Haarknoten und Rock, wirkt ein bißchen feminin, was zum Rollenbild nicht recht paßt.

Ein letzter Höhepunkt ist, wenn der Butler Lurch, der sich den ganzen Abend ruckartig bewegt und nur gurgelnde Laute ausgestoßen hat (Michael Günther in Hildesheim sieht ein bißchen wie Frankensteins Monster aus), mit sonorem Baß (Philipp Richter) zu singen beginnt „Taucht hinab ins Dunkel und lacht“ und alle einstimmen. In Hildesheim (wo das Musical bis Anfang Juni 2019 lief) wie auch in Dresden wurde / wird das Stück vom Publikum begeistert aufgenommen.

Bilder (c) Robert Jentsch

Albert Gier, 9.8.2020

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online Wien

 

 

 

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