DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
Dies ist das OPERNFREUND-Archiv
Alle neuen Kritiken erscheinen ab sofort auf unserer neuen Website
Startseite
Unser Team
Impressum/Copyright
---
Alle Premieren 22/23
Kontrapunkt
Die OF-Schnuppe :-(
Der OF-Stern * :-)
OF Filmseite
Silberscheiben
CDs DVDs
OF-Bücherecke
Oper DVDs Vergleich
Musical
Genderschwachsinn
Oper im TV
Nachruf R.i.P.
Et Cetera
-----
Aachen
Aarhus
Abu Dhabi
Bad Aibling
Altenburg Thüringen
Altenburg Österreich
Amsterdam DNO
Amsterdam Th. Carré
Amst. Concertgebouw
Andechs
Annaberg Buchholz
Ansbach
Antwerpen
Arnheim
Aschaffenburg
Athen
Athen Onassis Cultur
Augsburg
Avignon
Bad Hersfeld
Bad Ischl
Bad Kissingen
Bad Lauchstädt
Bad Reichenhall
Bad Staffelstein
Baden bei Wien
Baden-Baden
Badenweiler
Baku
Bamberg
Barcelona
Basel Musiktheater
Basel Sprechtheater
Basel Ballett
Bayreuth Festspiele
Bayreuth Markgräfl.
Pionteks Bayreuth
Belogradchik
Bergamo
Berlin Livestreams
Berlin Deutsche Oper
Berlin DO WA
Berlin Staatsoper
Berlin Staatsoper WA
Berlin Kom. Oper
Berlin Kom. Oper WA
Berlin Neuköllner Op
Berlin Konzerte
Berlin Sonstiges
Berlin Ballett
Bern
Bern Sprechtheater
Biel
Bielefeld
Bochum Ruhrtriennale
Bochum Konzerte
Bochum Sonstiges
Bologna
Bonn
Ära Weise 2003-2013
Bonn Sonstiges
Bordeaux
Bozen
Brasilien
Bratislava
Braunschweig
Braunschweig Konzert
Braunschweig openair
Bregenz Festspiele
Bregenz Sonstiges
Bremen
Bremen Musikfest
Bremerhaven
Breslau
Briosco
Britz Sommeroper
Brixen
Brühl
Brünn Janacek Theate
Brünn Mahen -Theater
Brüssel
Brüssel Sonstige
Budapest
Budap. Erkel Theater
Budapest Sonstiges
Buenos Aires
Bukarest
Burgsteinfurt
Bytom Katovice
Caen
Cagliari
Casciana
Chemnitz
Chicago Lyric Opera
Chicago CIBC Theatre
Coburg
Coburg Joh. Strauss
Coesfeld
Colmar
La Coruna
Cottbus
Crevoladossola
Daegu Südkorea
Darmstadt
Dehnberg
Den Haag
Dessau
Dessau Weill Fest
Detmold
Dijon
Döbeln
Dornach
Dortmund Ballett
Dortm. Konzerthaus
Dortmund Sonstiges
Dresden Semperoper
Dresden Operette
Dresden Sonstiges
Dresden Konzert
Duisburg
Duisburg Sonstiges
MusicalhausMarientor
Düsseldorf Oper
Rheinoper Ballett
Düsseldorf Tonhalle
Düsseldorf Sonstiges
Schumann Hochschule
Ebenthal
Eggenfelden
Ehrenbreitstein
Eisenach
Ekaterinburg
Enschede
Erfurt
Erl
Erlangen
Essen Aalto Oper
Essen Aalto Ballett
Essen Aalto WA
Essen Phil 2
Essen Phil 1
Essen Folkwang
Essen Sonstiges
Eutin
Fano
Fermo
Flensburg
Florenz
Frankfurt
Frankfurt WA
Bockenheimer Depot
Frankfurt Sonstiges
Frankfurt Alte Oper
Frankfurt Oder
Freiberg
Freiburg
Füssen
Fürth
Fulda
Sankt Gallen
Gelsenkirchen MiR
Genova
MiR Ballett
Genf
Gent
Gera
Gießen
Glyndebourne
Görlitz
Göteborg
Gohrisch
Gotha Ekhof-Festsp.
Graz
Graz Styriarte
Graz Konzerte NEU
Graz Sonstiges
Gstaad
Gütersloh
Hagen
Halberstadt
Halle
Halle Händelfestsp.
Hamburg StOp
Hamburg StOp Wa
Hamburg Konzert
Hamburg Sonstige
Hamm
Hanau Congress Park
Hannover
Hannover Sonstiges
Heidelberg
Heidenheim Festsp.
Heilbronn
Heldritt
Helgoland
Helsinki
Hildesheim TfN
Hof
Hohenems
Gut Immling
Ingolstadt
Innsbruck Landesth.
Innsbruck Festwochen
Jekaterinburg
Jennersdorf
Kaiserslautern
Karlsruhe
Karlsruhe Händel
Opera Europa Bericht
Kassel
Kawasaki (Japan)
Kiel
Kiew
Klagenfurt
Klosterneuburg
Koblenz
Köln OperStaatenhaus
Wa Oper Köln
Köln Konzerte
Köln Musical Dome
Köln Sonstiges
Konstanz Kammeroper
Kopenhagen
Kosice
Krummau a.d. Moldau
Krefeld
Krefelder Star Wars
Kriebstein
Landshut
Langenlois
Bad Lauchstädt
Lech
Leipzig Oper
Leipzig Mus. Komödie
Leipzig Ballett
Leipzig Konzert
Leipzig Sonstiges
Lemberg (Ukraine)
Leoben
Leverkusen
Lille
Linz/Donau
Linz Sonstiges
Ljubljana/Laibach
Loeben
London ENO
London ROH
London Holland Park
Lucca
Ludwigshafen
Luisenburg
Lübeck
Lübeck Konzerte
Lübecker Sommer
Lüneburg
Lüttich/Liège
Liege Philharmonie
Luxemburg
Luzern
Luzern Sprechtheater
Luzern Sonstiges
Lyon
Maastricht
Macerata
Madrid
Magdeburg
Mahon (Menorca)
Mailand
Mainz
Malmö
Malta
Mannheim
Mannheim WA
Mannheim Konzert
Maribor/Marburg
Marseille
Martina Franca
Massa Marittima
Meiningen
Melbourne
Meran
Metz
Minden
Mikulov
Minsk
Miskolc
Modena
Mönchengladbach
Mörbisch
Monte Carlo
Montevideo
Montpellier
Montréal
Moritzburg
Moskau Bolschoi N St
Moskau Sonstige
München NT
München Cuvilliés
MünchenPrinzregenten
München Gärtnerplatz
München Ballett
München Sonstige
Münster
Münster Konzerte
Muscat (Oman)
Nancy
Nantes
Neapel
Neapel Sonstiges
Neuburger Kammeroper
Neuburg/Donau
Neustrelitz
Neuss RLT
New York MET
Nizhny Novgorod
Nordhausen
Novara
Nürnberg
Nürnberg Konzerte
Oberammergau
Oberhausen
Odense Dänemark
Oesede
Oldenburg
Ölbronn
Oesede (Kloster)
OperKlosterNeuburg
Oslo
Osnabrück
Ostrau
Palermo
Palma de Mallorca
Paraguay
Paris Bastille
Paris Comique
Paris Garnier
P. Champs-Elysées
Théâtre du Châtelet
Paris Ballett
Paris Philharmonie
Paris Versailles
Paris Sonstiges
Paris Streaming
Parma
Passau
Pesaro
Pfäffikon
Piacenza
Pisa
Pforzheim
Plauen
Posen
Potsdam
Prag Staatsoper
Prag Nationaltheater
Prag Ständetheater
Radebeul
Raiding
Rathen Felsenbühne
Recklinghausen
Regensburg
Reggio Emila
Reichenau
Remscheid
Rendsburg
Rheinsberg
Rheinberg
Riga
Riehen
Rosenheim
Rouen
Rudolstadt
Ruhrtriennale
Saarbrücken
Saint Etienne
Salzburg Festspiele
Salzburg LT
Salzburg Osterfestsp
Salzburg Sonstiges
San Francisco
San Marino
Sankt Margarethen
Sankt Petersburg
Sarzana
Sassari
Savonlinna
Oper Schenkenberg
Schloss Greinberg
Schwarzenberg
Schweinfurt
Schwerin
Schwetzingen
Sevilla
Singapur
Sofia
Solingen
Spielberg
Spoleto
Staatz
Stockholm
Stralsund
Straßburg
Stuttgart
Stuttgart Ballett
Sydney
Szeged (Ungarn)
Tampere (Finnland)
Tecklenburg
Tel Aviv
Teneriffa
Toggenburg
Tokyo
Toulon
Toulouse
Tours
Trapani
Trier
Triest
Tulln
Turin
Ulm
Utting
Valencia
Valle d´Itria
Venedig Malibran
Venedig La Fenice
Verona Arena
teatro filarmonico
Versailles
Waidhofen
Weimar
Wels
Wernigeröder Festsp.
Wexford
Wien Staatsoper
Wien TadW
Wien Volksoper
Wien Kammeroper
Wien Konzerte
Wien Ballett
Wien Sonstiges
Wiesbaden
Wiesbaden Wa
Wiesbaden Konzert
Bad Wildbad
Winterthur
Wolfenbüttel
Wolfsburg
Wunsiedel
Wuppertal
Würzburg
Zürich
Zürich WA
Zürich Ballett
Zürich Konzert
Zwickau
---
INTERVIEWS A - F
INTERVIEWS G - K
INTERVIEWS L - P
INTERVIEWS Q - Y
---
DIVERSITA:
YOUTUBE Schatzkiste
HUMOR & Musikerwitze
Opernschlaf
Facebook
Havergal Brian
Korngold
Verbrannte Noten
Walter Felsenstein
Unbekannte Oper
Nationalhymnen
Unsere Nationalhymne
Essays diverse
P. Bilsing Diverse
Bil´s Memoiren
Bilsing in Gefahr

 

am Dreiländereck Burgenland/Ungarn/Slowenien

www.jopera.at/

 

 

 

2019

 

3. August 2019

EIN MUSIKALISCHER LECKERBISSEN

Ganz im Süden des Burgenlandes haben musik- und kulturbegeisterte Menschen vor vielen Jahren einen neuen Mittelpunkt für Festspiele gesucht und gefunden: hoch über dem Tal der Raab steht Schloss Tabor, das wegen seiner Architektonik und einer außergewöhnlichen natürlichen Akustik dazu einlädt, dass Künstler aus der ganzen Welt musikalisches Theater inszenieren und zu Gehör bringen. In den letzten Jahren konnte man „Carmen“ und „Der Barbier von Sevilla“ erleben, in diesem Sommer wird mit „Martha“ von Friedrich von Flotow eine etwas in Vergessenheit geratene Oper aufgeführt.

 

Die Geschichte kann rasch erzählt werden. Eine englische Lady namens Harriet wird von ihrer Freundin Nancy zu einem Besuch des Marktes in Richmond überredet, um ihre Langeweile zu bekämpfen, die auch ein adeliger Verehrer (Sir Tristan) nicht beseitigen kann. Auf diesem Markt werden weibliche Arbeitskräfte an interessierte Arbeitgeber vermittelt. Ungewollt werden die beiden Damen von zwei Gasthauspächtern (Plumkett und Lionell) mittels Handgeld angestellt. Doch die Ladies erweisen sich als arbeitsresistent und fliehen trotz angebrachten Elektrozauns. Zuvor aber hat schon Amor zugeschlagen, weshalb die verlassenen Herren außer sich vor Enttäuschung und Liebeskummer sind. Doch das Schicksal will es, dass sich alle wieder treffen und nach diversen Irrungen und Wirrungen zu zwei glücklichen Paaren werden.

Nachdem sich Brigitte Fassbaender dieses Stoffes annimmt entsteht eine abwechslungsreiche, witzige und humorvolle feine und leichte Spieloper. Die hochdekorierte Kammersängerin, soeben erst 80 Jahre alt geworden, hat nach Beendigung ihrer Gesangskarriere 1994 über 75 Inszenierungen erarbeitet. In musikalisch-schauspielerischer Harmonie kreiert sie in stimmiger Atmosphäre eine Handlung in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, ohne dem Flotow-schen Stück sein ureigenes Flair zu nehmen. Künstler und Publikum werden zum Glück nicht durch moderne Sinnsuche oder politische Anliegen überfordert oder gelangweilt.

Hier schon ein großes Lob der Bühnenausstattung (Julia Scheeler ) und den bunten und phantasievollen Kostümen (Anna-Sophie Lienbacher). Die musikalische Leitung liegt in den Händen des vielfach ausgezeichneten Kieler Generalmusikdirektors Professor Georg Fritzsch. Er empfindet eine besondere Affinität zu den Komponisten der deutschen Klassik und Romantik. Auf Schloss Tabor formt er die Junge Philharmonie Brandenburg zu einem engagierten, temperamentvollen Klangkörper. Er wird dabei mit besonderem Engagement von seiner musikalischen Assistentin Yura Yang unterstützt, die selbst auch zwei Aufführungen dirigiert.

Martha beeindruckt wie später in vielen romantischen Opern durch den Einbau vieler Chorszenen. Kinder-und Jugendchor unter Alexandra Rieger und der Philharmonia Chor Wien unter Chorleiter Walter Zeh gliedern sich sowohl musikalisch als auch schauspielerisch exakt und nahtlos in das Stück ein. Der Opernbesucher wird aber nicht zuletzt durch Auswahl und Qualität der Sängerinnen und Sänger einen unvergesslichen Abend erleben. Dies ist auf Schloss Tabor der Fall.

Die weibliche Hauptrolle wird von der erfahrenen österreichischen Sopranistin Renate Pitscheider mit jugendlich und hell klingender Stimme und mit feinem schauspielerischem Gespür ausgefüllt. Die französische Mezzosopranistin Sarah Laulan singt und spielt die Nancy mit viel Temperament, Körpersprache und Spielfreude. Vor allem die schwierigen tiefen Töne meistert sie mit ihrer wandelbaren Stimme. Der Wiener Bassbariton Andreas Jankowitsch überzeugt als Lady Harrietts Cousin und Verehrer mit schauspielerischem Können, Witz, Spielfreude und gesanglicher Erfahrung. Er hat die Lacher auf seiner Seite, als er seine karierte Mütze abnimmt und sich das Karo auf seinem kahlen Schädel wiederfindet. Der Tiroler Bass Andreas Mattersberger ist das perfekte Pendant zur skurrilen Nancy. Er überzeugt das Publikum mit wohlklingendem Bass und Bühnenpräsenz.

Stimmlich gefühlvoll und immer höhensicher erweist sich der junge türkische Tenor İbrahim Yesilay von der Deutschen Oper am Rhein. Eine weiche, ausdrucksvoll leise Stimme (Szenenapplaus bei „Ach so fromm“) wechselt mit kräftig temperamentvoller Interpretation glaubhafter Gefühlsausbrüche („diese Hand, ich will sie – nicht“). Seine Stimme hat heute schon einen hohen Wiedererkennungswert und macht Lust auf mehr.

Ein wunderbarer Abend auf Schloss Tabor unter einem großen Sternenhimmel. Zu bedauern sind die Kunstfreunde, die „Martha“ (noch) nicht besuchen konnten. Bis zum 11. August haben sie allerdings noch 5 Mal die Gelegenheit dazu.

 

Karlotta Engl ,7.8.2019

Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN

Fotos © Valentin Blüm

 

 

 

 

CARMEN

13. August 2017 (letzte Vorstellung nach der Premiere vom 3. 8. 2017)

Zu viel gewollt - zu wenig erreicht!

2017 feiert das ambitionierte Festival ein Jubiläum: seit 15 Jahren gibt es im stimmungsvollen Innenhof des Schlosses Tabor eine sommerliche Opernproduktion. Gründer und Intendant des internationalen Festivals „jOPERA jennersdorf festivalsommer“ (inzwischen mit jährlich 50 Veranstaltungen in den Bereichen Oper, Kinderoper, Konzert und Bildender Kunst) war und ist nach wie vor Dietmar Kerschbaum. Und ihm ist eine beachtliche kulturpolitische und damit auch touristische Aufbauarbeit zu danken. Das Schloss Tabor in Österreichs jüngstem (und an Einwohnern kleinstem) Bundesland liegt in unmittelbarer Nähe des Dreiländerecks. Das Burgenland grenzt dort unmittelbar an Ungarn und Slowenien. Auf Grund der Ergebnisse des Friedensvertrags von St. Germain wurde im Jahre 1922 der Grenzverlauf fixiert - geschichtlich Interessierte können hier den interessanten und schwierigen Verhandlungsverlauf nachlesen. Rund 75 Jahre später fiel der Eiserne Vorhang, der mehr als vierzig Jahre den Ostblock hermetisch von der westlichen Welt getrennt hatte - die Metapher des „Eisernen Vorhangs“ stammt übrigens aus einer Rede von Winston Churchill des Jahres 1946!

In diesem lange kaum beachteten und ein wenig verschlafenen Dreiländereck hatte Dietmar Kerschbaum im Jahre 2003 sein Festival gegründet - durchaus europäisch vorausblickend, denn ein Jahr später wurden Ungarn und Slowenien EU-Mitglieder und der Bezirk lag damit nicht mehr im letzten Eck Europas. Heute kann der zuständige Landeskulturpolitiker im Programmheft schreiben: „jOPERA, ein überaus gefragtes Festival …, das jährlich zahlreiche Besucher in die Region bringt,….….besticht durch erstklassige musikalische Bühnendarbietungen und ist als fixer Bestandteil des burgenländischen Kulturlebens weit über die Grenzen bekannt.“

Und in einem Punkt stimmt das Politiker-Lob jedenfalls: auch in der letzten Vorstellung der diesjährigen Produktion füllte das Publikum aus nah und entfernt die über 800 Plätze auf der im Schlosshof aufgebauten Tribüne!

Aber:

Eine erstklassige musikalische Bühnendarbietung war es diesmal wohl nicht! Man wollte wohl alles zugleich: eines der beliebtesten Werke der Opernwelt, ein international stimmgewaltiges Ensemble (wie der Intendant etwas holprig schreibt) und eine Regie „mit verschiedenen Ebenen“, die das Kunststück schafft, gewohnte Opernerwartungen mit neuen Interpretationsideen zu verbinden. Von den hohen Ansprüchen wurde nur wenig erreicht.

Beginnen wir mit den beiden uneingeschränkten Positiva der Produktion:

-         Es war klug, für eine Freiluftaufführung, die ein breites, auch nicht immer opern-erfahrenes Publikum anspricht, die ursprüngliche Dialog-Fassung in deutscher Übersetzung zu wählen. Die kurzen Dialoge wurden gut gesprochen, wie überhaupt die Wortdeutlichkeit des gesamten Ensembles zu den Positiva zählt. (Von wem die deutsche Übersetzung stammt, war dem Programmheft nicht zu entnehmen)

-         Exzellent waren die drei Tänzer - sie seien ausdrücklich namentlich genannt: Lucie Horná und Dominik Vaida (beide vom Ballett der Wiener Staatsoper) sowie Christoph Schaller (Bayrische Staatsoper). Sie gestalteten in der klugen Choreographie von Zaida Ballesteros Parejo die Vorspiele, belebten die Szene und waren die einzigen Protagonisten des Abends, die Musik- und Stück-adäquates, mitreißendes Temperament auf die Bühne brachten.

 

Intendant Dietmar Kerschbaum führte selbst Regie - zum zweiten Male nach Mozarts Entführung im Jahre 2011. Er hat Chor, Statisten und Solisten geschickt auf der breiten und wenig tiefen Bühne mit optisch gewohnten Bildern arrangiert.Leieder war diesmal die charmante Arkaden-Fassade des Schlosses ganz zugebaut- der Ausstatter Ludwig Haas brauchte die Flächen für seine durchaus prägnanten Projektionen. Aber der intime Charakter des Schlosshofes ging dadurch verloren Das Stück spielt bei Kerschbaum in der Franco-Zeit - die Soldaten sind in Faschisten-Schwarz gekleidet, Micaela kommt mit dem Fahrrad, Escamillo wird mit einem Beiwagenmotorad hereingeführt - aber es wird aus dieser Idee keinerlei gesellschaftskritisches Kapital geschlagen. Im Pressegespräch hatte der Regisseur angekündigt, mit verschiedenen Ebenen zu arbeiten. Er wolle zeigen, warum Carmen zu jener Frau wurde, die sie ist. Nicht sie habe den Weg der Lebefrau gewählt, sondern die Gesellschaft habe sie zu dieser gemacht. Das konnte ganz und gar nicht vermittelt werden, es gab außer gefälligen und seit Jahrzehnten üblichen Figuren-Arrangements keinerlei individuelle Personenführung. Die Protagonisten waren in der Gestaltung sich selbst überlassen und lieferten ein stereotypes Gesten-Repertoire. Wenn Bewegungsregie eingesetzt wurde - wie etwa beim Chor der Zigarettenarbeiterinnen im 1. Akt oder beim Schmuggler-Quintett im 2.Akt - dann bestand die Gefahr der Überdrehtheit, ja der Lächerlichkeit.

Aber es wurde auch - unnötig - in die musikalische Substanz eingegriffen: so wurde in der Ouvertüre nach dem „prachtvollen Circuslärm“ (Nietzsche) abgebrochen, Kirchenglocken läuten, in einer Prozession werden zwei Särge über die Bühne getragen, dahinter ein Kind (die junge Carmen???) und der Offizier Zuniga. Nachdem der Spuk vorbei ist, setzt das Orchester mit dem mahnend-bedrohlichen Carmen-Leitmotiv fort. Man fragt sich befremdet: Was soll das?? Noch befremdlicher ist allerdings der Eingriff im Finale des Stücks: da tritt zwar Escamillo kurz auf, aber er trifft nicht mit Carmen zusammen und es wird sein Andantino-Duett mit Carmen („si tu m’aimes, Carmen“) völlig gestrichen. Die Eifersucht von Don José bleibt also nicht nachvollziehbar. Aber es geht noch kurioser weiter: nach Don Josés Ausbruch Nun denn, so stirb fallen sich Carmen und Don José in die Arme, es erklingt neuerlich das Carmen-Motiv aus dem Vorspiel, in einer verklärenden Video-Projektion schwebt das „Carmen-Kind“ in den Himmel - erst dann geht es so wie in der Partitur vorgesehen weiter und Don José darf seine letzten Takte singen. Durch derartige Eingriffe werden keinerlei neue Einsichten in Musik und/oder Stück gewonnen - sie sind daher absolut überflüssig, ja störend.

Die musikalische Leitung des Abends hatte der junge israelische Dirigent Yoel Gamzou. Er wurde eben als Nachwuchskünstler mit dem ECHO Klassik-Preis 2017 ausgezeichnet. Ihm geht ein ausgezeichneter Ruf voran und er wird ab Herbst Musikdirektor in Bremen. Er hat merklich intensiv mit der Jungen Philharmonie Brandenburg an vielen Details gearbeitet. Mich hat allerdings seine Interpretation nicht überzeugt. Gamzou wählt immer wieder extreme Tempi und wechselte abrupt von überhitztem Vorwärtspreschen zu geradezu schleppend langsamen Phrasen. Das mag zwar durchaus ausgeklügelt und durchdacht sein, geht aber bei einer Freiluftaufführung mit einem Jugendorchester und diesen Gesangssolisten nicht auf. Das Orchester kann die betont langsamen Phrasen nicht mit entsprechenden üppigen Farben und Klangfinessen ausfüllen und z. B. auch Don José kann die breiten Phrasen in der Blumenarie nicht mit der nötigen Substanz ausstatten. Durch die viele Detailarbeit ging allzu oft der große Gesamtzusammenhang verloren. Es fehlte ganz einfach an zügiger Spannung

Und damit kommen wir zu den Sängern:

Die Rumänin Cristina Damian hat die Partie bereits an der Hamburgischen Staatoper gesungen ( hier in einer Live-Aufnahme zu erleben). Sie singt mit einer in allen Lagen ausgeglichenen und technisch sicheren Stimme - mangels einer entsprechenden Regieführung bleibt sie allerdings trotz blendender Bühnenerscheinung merkwürdig ausstrahlungslos. Den José hat der Salzburger Tenor Peter Sonn übernommen, der etwa als Tamino oder als David (Salzburger Festspiele und Mailänder Scala) schon sehr schöne Erfolge aufzuweisen hat. Wie zu erwarten, sang er die lyrischen Phrasen des Don José sehr schön, aber es fehlen ihm ganz einfach (noch) das darstellerische und stimmliche Gewicht, die Fähigkeit zum großen dramatischen Gesangsbogen und die heldische Klangfarbe, um den Verzweifelt-Eifersüchtigen glaubhaft zu machen. Er sollte bei seinem lyrischen Fach bleiben - mit dem Wechsel ins dramatische Fach sollte er unbedingt noch zuwarten. Die Ehefrau des Intendanten, die beliebte und sympathische Sopranistin Renate Pitscheider war an diesem Abend mit der Micaela-Partie hörbar überfordert - schade. Der amerikanische Heldenbariton und Wahlburgenländer Derrick Ballard, der gerade in Wiesbaden als Scarpia triumphiert hatte und in Detmold den Sachs und den Holländer singt, war ein sicherer Escamillo - am schönsten und rundesten klang sein warmes Organ, wenn er hinter der Bühne ins Mikrophon sang.

In diesem Zusammenhang ein Wort zur Tonanlage:

In den ersten Jahren kam man bei jOPERA ohne Verstärkung aus - vor 8 Jahren lobte Kerschbaum sogar in einem ausführlichen Merker- Interview noch ausdrücklich die Naturakustik des Schlosshofes. Seit der Vergrößerung des Publikumspodiums (ich glaube mich zu erinnern, dass dadurch auch eine Mauer abgetragen werden musste) hat sich die Akustik verändert, man hat nun fix montierte Mikrophone und verstärkt damit Orchester und Solisten. Bei der Aussteuerung der Anlage gibt es allerdings nach wie vor Verbesserungspotential. War in den letzten Jahren meist das Orchester zu leise, so hörte ich diesmal auf meinem Platz in der 9. Reihe wiederholt gewisse Orchestergruppen zu laut - und Chor, Solisten und Orchester fügten sich nur selten zu einem ausgewogenen Gesamtklang.

Zum Schluss - nach so vielen negativen Anmerkungen - noch Positives:

Die Einsatzfreude des Kinder- und Jugendchors (Leitung: Alexandra Rieger) war groß und wurde zu Recht mit viel Beifall bedacht. In den Nebenrollen boten Marian Müller (als Moralès und als Dancairo) sowie Christa Ratzenböck als Mercédès erfreuliche Leistungen.

Und eines sei auch nicht verschwiegen:

Die kulinarischen Angebote der lokalen Gastronomie sind eigenständig und ausgezeichnet - schon deshalb ist der Besuch der Aufführungen in Schloss Tabor zu empfehlen!

Hermann Becke, 14. 8. 2017

Aufführungsfotos: Jennersdorf Festivalsommer jOPERA, © Soswinski

 

Hinweis:

Im Jahre 2018 wird vom 2. bis zum 12. August Rossinis Barbier von Sevilla auf Schloss Tabor zu erleben sein

 

 

 

DIE FLEDERMAUS

Premiere auf Schloss Tabor, 4. August 2016

Albtraumhaft-Groteskes statt Wiener Charme

Festivalintendant und Sänger Dietmar Kerschbaum  ist einer, der nie bei Erreichtem und Bewährtem stehen bleiben will und der geradezu ruhelos-unermüdlich das Festival vorantreibt - auch im 14. Festivalsommer gibt es so manch Neues:

Anstelle des seit Jahren gewohnten einfachen Empfangszelts vor dem Schloss für den Karten- und Programmverkauf gibt es heuer eine wesentlich größere stabile Zelthalle (die eventuell bei Regenwetter sogar für eine konzertante Aufführung und nach den Opernaufführungen im Schlosshof für ganzjährig mögliche „Events“ genutzt werden soll), es gibt erstmals vor der Eröffnungspremiere nicht die lokale Blasmusik-Kapelle, sondern ein Hornquartett des Brandenburger Jugendorchesters, das zwar nett Volksliedadaptionen spielt, sich aber akustisch nicht gegen das munter tafelnde und parlierende Publikum durchsetzen kann. In den der Kulinarik gewidmeten Zelten fehlt diesmal ein beliebter lokaler Schmankerl-Wirt und es gibt kulinarisch nicht nur das Bodenständig-Einfache, sondern z.B. auch zeitgeistige Allerwelt-Scampi-Gerichte. Der frühere ländlich-einfache Charme des Ambientes vor dem Schloss geht damit ein wenig verloren - alles ist zwar nun vielleicht professioneller, aber auch ein bisschen glatter, kommerzieller und unpersönlicher.

Nach diesem gesellschaftlich-kulinarischen Entrée - das Publikum kommt aus nah und fern schon 2 Stunden vor Vorstellungsbeginn -  betritt man den Schlosshof, in dem die Publikumstribüne mit ihren knapp 900 Plätzen aufgebaut ist und man sieht erstmals ein dominantes Bühnenbild, das sich fast ein wenig aufdringlich-grell vor die Schlossfassade drängt - erstmals wurde nämlich in diesem Jahre mit Manfred Waba ein renommierter Ausstatter eingeladen, der durch seine Installationen im (Opern)Steinbruch St. Margarethen bekannt wurde und über den auf seiner Homepage zu lesen ist: Man kann heute schon sagen, das Manfred Waba im Bereich des Open Air-Theaters einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt hat, der durchaus gleichberechtigt neben den anderen großen Freilichtbühnen wie Verona, Bregenz oder Mörbisch bestehen kann.

Aber Schloss Tabor ist halt keine derartige „große Freilichtbühne“, sondern der Schlosshof bot in den letzten Jahren bisher sehr erfolgreich das eher kammerspielhafte und intime Ambiente. Diesmal dominieren hingegen die Ausstattung raumfüllende Portraits im Stile des belgischen Surrealisten René Margritte und dazwischen Uhren nach dem Muster der Zerrinnenden Zeit von Salvadore Dalí. Schauen Sie sich dieses Bild von Dalí und die Bilder von Margritte an, dann wissen Sie, wovon sich der Ausstatter inspirieren ließ.

Der kritische Beobachter hatte den medialen Vorbericht aufmerksam gelesen, in dem der Bühnenbildner zu seinem Entwurf zitiert wird: „Es ist einem surrealistischen Gemälde nachempfunden, das dennoch Raum für Verwandlungen bietet, weil heuer erstmals eine Drehbühne mit Spielpodesten zur Verfügung steht. Immer wiederkehrendes hochaktuelles Motiv ist das der Uhr als Symbol für das Verrinnen der Zeit, die Getriebenheit der Menschen zum Mehrscheinen als Sein in einer überbordenden Welt.“ Also man versteht die Absicht: die „Fledermaus“ von Johann Strauss (uraufgeführt 1874) ist diesmal in die Dreißiger-Jahre des 20.Jahrhunderts in die surreale Welt von Dalí und Margritte verlegt, liest man doch im zitierten Vorbericht auch: „Von Regisseur Wilgenbus in den 1925er Jahren angesiedelt, hat Kostümchefin Susanne Özpinar burlesk-groteske Gewänder erdacht, die „kein freundliches Vorgaukeln lustiger Träume, sondern eher Albträume entstehen lassen“.

Diese albtraumhaft-grotesken Gewänder und das Bühnenbild bieten den Rahmen für die revuehaft-grelle Inszenierung von Dominik Wilgenbus, dessen zwiespältige Arbeit man schon 2012 hier beim „Wildschütz“ erleben konnte. Damals schrieb ich: “Einerseits ist sein Konzept dem herkömmlichen Spielopern-Stil verhaftet, andererseits schwenkt er dann plötzlich in Slapstick-Szenen um, denen natürlicher Humor, aber auch kritische Distanzierung und die im Stück zweifellos vorhandene Gesellschaftskritik fehlt.“  Leider fällt mein Urteil diesmal nicht freundlicher aus - im Gegenteil: diese Fledermaus-Inszenierung ist für mich ein glatter Fehlgriff und vermittelt nichts von dem, was der Kulturlandesrat im Programmheft diesem Stück - völlig zu Recht! - zuordnet: „Inbegriff von Wiener Lebensfreude und Walzertaumel“. Das vom Leading-Team angestrebte Groteske und Albtraumhafte war eher grell-peinlich und krampfhaft-lustig ohne jeglichen Charme - und wenn man das Stück nicht kennt, hätte man ob der Überfülle der szenischen Einfälle wohl nur schwer dem Handlungsfaden folgen können. Dazu kam noch, dass die Personenführung im Detail recht unprofiliert war. Glaubhafte Persönlichkeiten entstanden so nicht - eher entweder karikierende Übertreibungen oder konventionelle Routinefiguren. Schade - denn mit dem aufgebotenen Ensemble hätte man durchaus eine gültige Fledermaus-Interpretation zustande bringen können. Beginnen wir mit den Damen:

Claudia Goebl von der Wiener Volksoper war eine stimmsichere Adele - die grotesk-hässliche Kostümierung im 1.Akt verdeckte den merklich vorhandenen Wiener Charme, den sie dann ab dem 2.Akt in einem zwar grotesken, aber wenigstens nicht hässlichen Kostüm mit Erfolg versprühen konnte. Sie erntete am Ende deutlich den meisten Applaus. Ihre Schwester Ida musste ganz kurz vor der Premiere ersetzt werden, da die vorgesehene Sängerin durch eine Meniskus-Verletzung ausfiel. Die Musical-und bühnenerfahrene Tina Schöltzke sprang ein und machte ihre Sache hervorragend - diese Ida war eine pralle und überzeugende Bühnenfigur.

Das zentrale Paar Rosalinde - Eisenstein ist mit dem Intendantenehepaar besetzt - das ist alljährlich eine speziell für das regionale Publikum besonders reizvolle Sache.

Renate Pitscheider - auch sie im 1. und 3. Akt nicht gerade vorteilhaft kostümiert, dafür aber als ungarische Gräfin bildschön - war eine warmtimbrierte, sauber singende Rosalinde, der ein wenig die große Diva-Geste fehlte. Dietmar Kerschbaum ist der Intendant, der alles macht - fast ein wenig wie Peter Squenz im Sommernachtstraum: Laßt mich den Löwen auch spielen.  Zuerst begrüßt er die Ehrengäste vor dem Schloss, kümmert sich um die Sponsoren, dann hält er die charmante Begrüßungsrede, um anschließend gleichsam nahtlos in die Rolle des Lebemanns Eisenstein zu schlüpfen - das ist eine große Beanspruchung, die er an diesem Abend mit einer nicht gerade blendenden stimmlichen Leistung „bezahlen“ musste. Als Darsteller lebte er von der jahrelangen Routine in dieser Rolle - mehr ließ die Inszenierung nicht zu.

Der Prinz Orlofsky war mit dem burgenländischen Countertenor Thomas Lichtenecker besetzt, der trotz seiner Jugend schon beachtliche internationasle Erfolge aufzuweisen hat. Ihm gelang bei seinem szenischen Debut in dieser Rolle eine ordentliche stimmliche Leistung, die sicher noch differenzierter werden wird - allerdings war auch er durch Kostüm und Regie in eine krampfhafte Schablone gepresst, die durch seinen Diener Ivan ins Groteske übersteigert wurde. Die beiden erinnerten ein wenig an die Rocky-Horror-Picture-Show - noch dazu mit unnötigen elektroakustischen Gags. Diesen Ivan gab der Schauspieler Florian Stohr - als Doppelrolle war er auch der Dr. Blind. Stohr macht dies alles handwerklich sehr gekonnt. Den Drahtzieher Falke sang der junge Kroate Miljenko Turk mit gut geführtem, aber etwas schmalem Bariton. Erfreulich ist seine ausgezeichnete Wortdeutlichkeit.

Alfred ist in dieser Inszenierung keine skurril-überspannte Tenor-Karikatur, sondern ein sehr jugendlicher Latin-Lover, den der Brasilianer Gustavo Quaresma Ramos überzeugend mit schlankem Tenor gibt. Den Gefängnisdirektor Frank verkörperte der erfahrene Bassist Michael Eder als prägnante Figur - stimmlich liegt ihm diese Bariton-Partie doch merklich zu hoch.  Der Philharmonia-Chor Wien (Leitung: Walter Ceh) ließ sich mit beachtlicher Selbstverleugnung in die grauslichen Kostüme stecken und ist ein solides Rückgrat in den Ensembles. Der Chor wird - pädagogisch sinnvoll, aber dramaturgisch unnötig - durch den „jOPERA Kinder- und Jugendchor“ (mit den beiden Intendantenkindern) - Leitung: Alexandra Rieger - verstärkt. Die musikalische Gesamtleitung hatte diesmal der renommierte deutsch-englische Dirigent Alexander JoelEr wird in der nächsten Saison in Wiesbaden eine Ring-Neuproduktion leiten und ist an vielen großen internationalen Häusern tätig. Intendant Kerschbaum und er kennen sich seit der gemeinsamen Anfängerzeit in Düsseldorf und so gelang es, Alexander Joel für Jennersdorf zu gewinnen. Er leitete die ambitioniert spielende Junge Philharmonie Brandenburg mit der nötigen Autorität und hielt die musikalischen Fäden routiniert zusammen - eine ganz wichtige Qualität bei einer Freilichtaufführung!

Eine völlige eigenständige Leistung - die geradezu als eigener, nicht so recht zum Ganzen gehörender Beitrag zu erleben und genießen war - bot der Kabarettist Christof Spörk als Frosch. Das war eine exzellente Einlage mit vielen aktuellen und auch lokalen Anspielungen, die nichts mit dem Gesamtkonzept der Aufführung zu tun hatte - köstlich seine Kommunikation in breitestem steirischem Dialekt mit den jungen Orchestermusikern aus Brandenburg und seine virtuose Klarinetteneinlage. Das Publikum war begeistert.

Am Ende gegen 23h30 spendete das Publikum reichen, aber kurzen Beifall. Mag sein, dass ein Teil des Publikums das empfunden hat, was einige in der Pause aussprachen: die Fledermaus ist kein Stück, das in diesen Schlosshof-Rahmen passt - schon gar nicht in dieser überdrehten Inszenierung.

Für den Sommer 2017 ist Carmen angekündigt - in der Regie des Intendanten Dietmar Kerschbaum. Möge er - der Ruhelos-Unermüdliche - das Motto, das er seinem diesjährigen Programm vorangestellt hat und das von der  (seiner?) spirituellen Lehrerin Bahar Yilmaz stammt, ernst nehmen, soweit es den Mut anlangt - und möge er die Verrücktheit in jenen Grenzen halten, die diesmal der szenischen Umsetzung fehlten!
„Mut und Verrücktheit sind die Zutaten für Unaufhaltsamkeit. Mut lässt dich weiter machen, auch wenn du Angst hast. Verrücktheit lässt dich Wege gehen, an die noch keiner vorher gewagt hat, zu denken.

Hermann Becke, 5. 8.2016

Aufführungsfotos: Jennersdorf Festivalsommer jOPERA

 

Hinweise:

-         Wiederholungsaufführungen: 6., 7., 10., 12., 13. und 14. August 2016

-         jOPERA leistet exzellente PR-Arbeit: Dem Intendanten Dieter Kerschbaum ist es gelungen, dass am Tag nach der Premiere in Österreichs Kultursender Ö1 eine fast einstündige Reportage über die Fledermaus-Produktion gesendet wurde - mit vielen Interviews und Musikbeispielen - 7 Tage lang ist diese Sendung nachzuhören (Minuten 0 bis 22:40 und 55:30 bis 1:28:50 )

-         Und am Tag nach der Premiere gab es hier schon einen schriftlichen Premierenbericht samt einem 5-Minuten-Video


 

DER FREISCHÜTZ

Premiere auf Schloss Tabor, 6. August 2015

Bei Fassbaender siegt das Böse

Festivalintendant Dietmar Kerschbaum legt die Latte hoch, wenn er auf der  Website - sprachlich wohl ein wenig holprig - schreibt:

„jOPERA jennersdorf festivalsommer als Aushängeschild wirtschaftlicher und politischer Prosperität blickt innerhalb weniger Jahre auf eine bemerkenswerte Entwicklung zurück. Als Ort glanzvoller Repräsentation und Symbol für das Ansehen einer kultivierten Gesellschaft hat jOPERA damit auch die Verpflichtung übernommen, Oper auf höchstem Niveau zu realisieren und sich seinen theatralischen und visuellen Kräften zu stellen.“

Nach der gestrigen Freischütz-Premiere kann attestiert werden, dass auch im 13.Jahr des Bestehens des Festivals im österreichisch-slowenisch-ungarischen Ländereck eine respektable Aufführung gelungen ist, die die lokale Prominenz aus Politik und Wirtschaft auf Schloss Tabor versammelt hat. Bei herrlichem Sommerwetter genoss man nicht nur die Opernaufführung, sondern in der Pause, vor und nach der Vorstellung natürlich auch  die regionalen kulinarischen Köstlichkeiten. Also es stimmt schon: „wirtschaftliche und politische Prosperität“, „Ort glanzvoller Repräsentation“ und „kultivierte Gesellschaft“ (wie auch immer man das verstehen will….)!

Und war es auch „Oper auf höchstem Niveau“?

Da meine ich, dass es so manch Interessantes, klug Durchdachtes und Gelungenes gab, dass es aber auch noch genügend Steigerungspotential gibt!

Vor der alljährlichen Premiere war in den letzten Jahren immer der Intendant, Hauptdarsteller und Hausherr Dietmar Kerschbaum allgegenwärtig - er begrüßte im legeren Sommeranzug die eintreffenden Gäste persönlich, sprach dann auf der Bühne Begrüßungs- und Dankesworte, warf sich zuletzt in sein Bühnenkostüm und trat meistens in einer Hauptrolle vor das Publikum - gleichsam ein Theaterprinzipal alter Tradition. Diesmal war alles anders: die charmante PR-Verantwortliche kümmerte sich um die Ehrengäste und „steuerte“ die Fotos der Prominenz - und vor allem: die große Bühnenkünstlerin und Regisseurin der Produktion Kammersängerin Brigitte Fassbaender hatte ein Machtwort gesprochen („eine schwere Partie wie der Max braucht Konzentration vor dem Auftritt“), kam selbst auf die Bühne, begrüßte charmant-souverän die Prominenz und dankte den Sponsoren.

Und Fassbaender war zweifellos bei dieser Produktion die zentrale Figur: von ihr stammt nicht nur „Bearbeitung und Regie“, liest man die Lebensläufe der Gesangssolisten, dann weiß man, dass sie zweifellos auch bei der Auswahl des Sängerteams entscheidend beteiligt war - und ich meine, dass es wohl auch sie gewesen sein wird, die dafür sorgte, dass es diesmal an der Bühnenrampe fünf Mikrofone gab, die die Sänger verstärkten. Damit ging zwar das verloren, was Dietmar Kerschbaum ursprünglich an diesem Schlosshof fasziniert hatte: die gute natürliche Akustik ohne jegliche elektronische Verstärkung - siehe dazu das über sechs Jahre zurückliegende  Interview -, aber es half natürlich gerade den beiden Hauptfiguren Agathe und Max, sich gegenüber dem Orchester zu behaupten. Bei der Tontechnik gibt allerdings durchaus noch Verbesserungspotential: das elektronisch verstärkte Klappern der Stöckelschuhe des Ännchen stört und die Aussteuerung der Verstärkeranlage war nicht immer optimal - z.B., wenn die Akteure auf der linken oder rechten Seitenbühne positioniert waren. Außerdem geriet durch die Verstärkung der Sänger das Orchester akustisch ein wenig in den Hintergrund. Aber zurück zu Brigitte Fassbaender und ihrem Konzept des omnipräsenten Bösen:

Ihre Begrüßungsworte werden abrupt abgeschnitten - Samiel tritt auf und spricht den Text von Maxens erster großer Szene in der 3.Person: „Was weiht dem falschen Glück sein Haupt?“ und endet mit „lebt kein Gott?“. Erst dann setzt das Orchester mit der Ouvertüre ein - wahrhaft ein wirkungsvoller Effekt: die ersten acht Adagio-Takte haben nach diesem Gotteszweifel plötzlich eine ganz andere, eine eindrucksvolle Farbe! Die gesamte Ouvertüre wird szenisch belebt - und minutiöser Beachtung der einzelnen musikalischen Themen erscheinen die bösen Geister und die Hauptfiguren des Stücks. Das ist handwerklich gekonnt und klug gestaltet, ohne dadurch den Geist und Duktus der Musik zu beeinträchtigen. Der erste Akt ist mit präziser und stets stimmiger Führung von Solisten und Chor ausgezeichnet gestaltet. Anhand der Kostüme (Susanne Özpinar)  nimmt man wahr, dass das Stück in die Jahre nach dem 2.Weltkrieg verlegt ist - die Handlung wird konsequent und spannungsvoll erzählt. Die von Fassbaender geschickt gestrafften Dialoge werden plastisch gesprochen - es entstehen keinerlei Längen oder Peinlichkeiten, die stete Präsenz von Samiel als Drahtzieher des Geschehens ist überzeugend - man erlebt blutvolles Theater. Und auch musikalisch gibt es Erfreuliches zu vermelden: der junge Matthias Wölbitsch ist ein rollendeckender und stimmlich prägnanter Kilian, der erfahrene Senior KS Rolf Haunstein ist ein gütig-eindrucksvoller Erbförster Kuno mit dem nötigen Gewicht, der Philharmonia-Chor Wien (Leitung: Walter Zeh) und der jOPERA Kinder-und Jugendchor (Leitung: Alexandra Rieger) singen frisch und agieren animiert.

Und vor allem ist Derrick Ballard ein exzellenter, stets die Bühne beherrschender Kasper mit einer Prachtstimme und makelloser deutscher Diktion. Man versteht, dass er eben in Mainz als Hans Sachs, aber auch als Scarpia gefeiert wurde. Er hat für den Kaspar das nötige dunkel-timbrierte Organ, das er technisch makellos von den Basstiefen bis in die die heldenbaritonalen Höhen führt. Er bot die beste Gesamtleistung des Abends und wurde beim Schlussbeifall zu Recht gefeiert. Ein zweiter gewichtiger Pluspunkt der Besetzung war der Schauspieler Gerhard Kasal als Samiel - mit schneidend-scharfer Stimme und elegant-teuflischer Gelenkigkeit verkörpert er beklemmend das Böse und treibt effektvoll die Handlung voran. Ich gestehe, mir war es etwas bange, als ich erfuhr, dass sich Dietmar Kerschbaum an den Max wagt, ist das doch eine Rolle, die üblicher Weise dem jugendlich-dramatischen Tenorfach zugerechnet wird - Kerschbaum hingegen kommt aus dem Buffo- und Charakterfach, das er derzeit an ersten Häusern z.B. in Paris und Berlin singt, wie man seinem Terminplan entnehmen kann. Ich wurde durchaus positiv überrascht: Kerschbaum gestaltete den Max nicht als Heldenfigur, sondern als einen unter Leistungsdruck stehenden und von Zweifeln zerfressenen Schwächling überzeugend. Für diese Interpretation reichte sein Stimmmaterial, das er mit ausgezeichneter Textartikulation intelligent einsetzte. Die einheitliche Kostümierung von Max und Kasper konnte man in dieser Inszenierung auch so deuten, dass Max und Kasper die beiden Seiten einer Persönlichkeit sind - das Zusammenspiel der beiden mit Samiel war jedenfalls eindrucksvoll.

Neben den profilierten Herren hatten es die beiden Damen nicht ganz einfach. Simona Eisinger war - schon durch die Kostümierung mit Latzhose - eher ein burschikos-ruppiges als ein mädchenhaft-charmantes Ännchen. Die sicher geführte Stimme wirkt eher spröd und ist in der Höhe nicht immer ganz zentriert. Aber das Duett mit Agathe und die darauffolgende Ariette „Kommt ein schlanker Bursch gegangen“ gelangen mit erfreulicher Wortdeutlichkeit sehr ordentlich. Für Renate Pitscheider gilt das, was ich für ihren Max (und Ehemann im wirklichen Leben) Dietmar Kerschbaum befürchtete: die Agathe ist wohl nicht ihr Stimmfach. Es fehlt ihr für diese Partie einfach die breit ausschwingende Mittellage und die jubelnde Höhe eines lyrischen deutschen Soprans. Aber auch hier sei gerne bestätigt, dass sie mit ihrer Erfahrung und stimmlichen Intelligenz und ihrem warm-timbrierten Organ die große Szene „Wie nahte mir der Schlummer“ respektabel gestaltete. Und eines sei noch gesagt: es ist seit Jahren eine charmante Facette der Freilichtaufführungen auf Schloss Tabor, dass das Stammpublikum hier immer das Ehepaar Pitscheider/Kerschbaum in zentralen Rollen erleben kann - das gehört gleichsam zum Lokalkolorit dieses Festivals - und man freut sich auch, im Kinderchor die Namen ihrer beiden Kinder zu entdecken!

Nach dem Terzett Agathe, Ännchen und Max wurde das Publikum etwas abrupt - und entgegen Webers Intentionen - in die Pause entlassen. Man versteht: die Wolfsschlucht brauchte Zeit für den Umbau, aber unbefriedigend war der Pauseneinschnitt an dieser Stelle dennoch. Die Wolfsschlucht-Szene war klug gelöst - anstelle von altbackenem romantischen Geisterwald waren Max, Kasper und Samiel von allen anderen Figuren des Stückes umgeben, die mit Masken regungslos an Tischen saßen und wohl die Komplexe, Ängste und Träume von Max verkörperten. Samiel fegte mit seinen fünf Gespenstern (virtuos tänzerisch gestaltet in der Choreographie von Florian Hurler) durch den Raum, der so wie in allen Akten durch jenen überdimensionalen Baum beherrscht war, der im Libretto als „vom Blitz zerschmettert, ganz verdorrt“ bezeichnet wird (Bühnenbild: Franz Cserni). Dazu gab es Feuerkessel, Nebelschwaden - also alle Elemente des Unheimlichen. Gerne ließ man sich in das Grauen hineinziehen, das Fassbaender da durch Samiel und seinen Gehilfen Kasper effektvoll und bühnenwirksam in Szene setzte.

In den letzten beiden Bildern gab es dann leider einen deutlichen  Bruch in der Qualität des Abends - musikalisch wie szenisch: da enttäuschte zunächst Renate Pitscheider mit der Cavatine der Agathe “Und ob die Wolke sie verhülle“. Eigentlich dachte ich, diese einfach-liedhafte Szene müsse ihr gut liegen - aber da gab es merkliche Intonationstrübungen und unruhige Phrasen. Vielleicht war es auch bloß Premierennervosität, vielleicht war es aber auch mitbeeinflusst durch den unsäglichen szenischen Einfall, diese innige Gebetsszene mit einem Frühstückstablett samt Frühstücksei zu banalisieren - wie auch immer: das war nicht gelungen. Dann folgte die große Ännchen-Szene mit einem verwackelten Bratschen-Solo und mit einem kompletten Ausstieg der Sopranistin am Ende - der Dirigent hatte alle Hände voll zu tun, die Szene zu einem gemeinsamen Ende zu bringen…… Die Brautjungfern-Szene - alle ganz in Rot gekleidet (?) - hatte zumindest den Charme des sich unter die Brautjungfern mischenden Samiel, der auch eine neu getextete Strophe solistisch „singen“ und die Kranz-Schachtel überreichen durfte. Der Jägerchor litt darunter, dass er mit den 14 Männer-Stimmen einfach zu klein besetzt war. Und dem Finale fehlte das stimmliche Gewicht: Max schien stimmlich müde und glanzlos, der Eremit von Marc Kugel war stimmlich untergewichtig und eher kurios anzusehen in seinem weißen Fantasiegewand und seiner eigentümlichen Maske. Nur der Ottokar des 23-jährigen Vincenzo Neri  mit seiner markanten und gut sitzenden Baritonstimme ließ aufhorchen - da scheint eine interessante Stimme heranzuwachsen! Vor allem aber war das Finale so inszeniert, dass einfach kein freudiger Schlussapplaus aufkommen konnte: Ottokar geht mit den beiden Damen (Agathe und Ännchen) am Arm ab, Max bleibt allein an einem Biertisch sitzend zurück. Der abgehende Chor singt in strahlendem C-Dur „lasst uns fest der Milde des Vaters vertrau’n“ - dazu treten Kilian und Samiel mit seinen Geistern auf, Samiel reicht Max einen gefüllten Bierkrug, alle heben den  Bierkrug zum Mund und Max schreit „Samiel“. Was soll uns damit vermittelt werden? Hat das Böse gesiegt? Wenn schon Brigitte Fassbaender nicht der göttlichen Erlösung vertrauen will, dann wäre ihr vielleicht jene Lösung zu empfehlen gewesen, die bei der Wiener Erstaufführung des „Freischütz“ am 3. November 1821 gewählt wurde: damals musste der Eremit gestrichen werden - Metternichs Spitzel witterten josephinischen Reformgeist….

Schade! Der misslungene Schlussakt überlagerte die vielen Positiva und die guten Leistungen der ersten beiden Akte - und das mag wohl eine wesentliche Ursache dafür sein, dass der Schlussbeifall nur zögerlich in Gang kam und insgesamt eher reserviert ausfiel. In meinem Bericht soll allerdings nicht das Negative am Ende stehen, daher ein ausdrückliches Lob für die Musikerinnen und Musiker der Jungen Philharmonie Brandenburg, die wie jedes Jahr bei diesem Festival im Orchestergraben sitzen - diesmal unter der Leitung des erfahrenen GMD Georg Fritzsch aus Kiel. Da wurde herzhaft und ambitioniert musiziert - der Freischütz fordert ja vom Orchester viele exponierte Soli. Und da gelang vieles sehr schön (z.B. der Flöte im Schlussbild oder den Hörnern in der Ouvertüre). Die Zusammenarbeit mit der Jungen Philharmonie Brandenburg ist ein wichtiger Mosaikstein in der verdienstvollen und vielfältigen Arbeit des Festivals auf dem Gebiet der Kulturvermittlung für Kinder und Jugendliche - auf die Festivalprogrammpunkte Kinder-Camp (Kreativcamp für Kinder rund um die Oper DER FREISCHÜTZ für Kinder von 5 bis 8 Jahren) und Kinderoper (Hänsel und Gretel) sei ausdrücklich hingewiesen. Das sind wichtige Aktivitäten um junge Opernfreunde zu gewinnen!

Hermann Becke, 7.8.2015

Aufführungsfotos: Jennersdorf Festivalsommer jOPERA

PS: Dass selbst am Abend nach der Premiere auf der Festival-Website  der Freischütz noch immer mit Figaro-Fotos des Vorjahres angekündigt wurde, ist betrüblich - umso dankbarer bin ich, dass mich das PR-Büro schon vor der Premiere direkt mit Fotomaterial versorgt hatte - so kann ich dem Opernfreund-Leser auch einen optischen Eindruck der - trotz einiger Einwände - empfehlenswerten Produktion vermitteln!

 

Hinweise:

-         TV-Probenbericht

-         Wiederholungsaufführungen:
08., 09., 12., 14., 15 und 16. August 2015

         Kartenservice: https://shop.jetticket.net/jopera/Events.aspx

-         Für das nächste Jahr ist „Die Fledermaus“ angekündigt

 

 


 

DIE HOCHZEIT DES FIGARO

Premiere auf Schloss Tabor am 7. August 2014

Niveauvoller sommerlicher Opernabend

In diesem Jahr hat der „festivalsommer jOPERA“ im burgenländischen Dreiländereck Österreich/Ungarn/Slowenien in seinem Programmheft ein alle Kritiker entwaffnendes Wort aus einem Brief  von Rainer Maria Rilke als Motto vorangestellt: „Kunst-Werke sind von einer unendlichen Einsamkeit und mit nichts so wenig erreichbar als mit Kritik. Nur Liebe kann sie erfassen und halten und kann gerecht sein gegen sie.“

Mozarts Dramma giocoso ist zweifellos ein einsamer Höhepunkt der musikalischen Opernkomödie  - und eines kann allen Ausführenden in diesem  Premierenbericht vorweg bestätigt werden: die Produktion begegnet dem Meisterwerk mit spürbarer und kenntnisreicher Liebe. Fast ist man geneigt zu sagen, dass diesmal vielleicht die schönste Gesamtleistung seit Jahren gelungen ist – und die Latte ist für diese Sommeroperproduktionen wahrlich hoch, wie der interessierte Opernfreund in den Berichten über die letzten Jahren nachlesen kann.

Die einer Freilichtaufführung immanenten Gesetzmäßigkeiten wurden geschickt berücksichtigt, ohne dass dadurch Mozarts unvergleichliche Musik beeinträchtigt wird. Der Abend begann nach den Begrüßungsworten des Festivalintendanten Dietmar Kerschbaum und nach dem Auftrittsapplaus für Orchester und Dirigenten völlig überraschend: alle Figuren des Stücks betreten die Bühne und singen das strahlende D-Dur Allegro assai des Finales. Dann sagt Basilio ( = Intendant Kerschbaum), vor diesem freudigen Finale liegt ein toller Tag, den wir nun erleben werden.

Erst jetzt beginnt das D-Dur Presto der einleitenden Sinfonia, während der alle handelnden Personen auf der Bühne des Schlosshofes pantomimisch vorgestellt werden. Das zentrale Requisit des Stückes - das große Doppelbett – wird auf die Bühne geschoben – der tolle Tag kann beginnen und es ist ganz klar: die Fäden aller Aktionen zieht der allgegenwärtige Basilio. Das ist eine durchaus charmante Idee, ist doch der Festspielintendant Dietmar Kerschbaum dieser Fädenzieher. Er ist übrigens nicht nur Basilio, sondern er hat auch im 3. Akt die Rolle des Richters Don Curzio übernommen und gibt vor jedem Akt immer in einem kurzen Satz an, was nun geschehen wird. Ich gebe gerne zu, dass ich szenischen Belebungen von Opernvorspielen grundsätzlich durchaus kritisch gegenüberstehe, aber diesmal habe ich die Idee sehr überzeugend gefunden – zum Spiel im Freien passt einfach Aktion. Und turbulente Aktion gibt es in dieser Inszenierung wahrlich in großem Maße. Bei den ersten fünf Nummern der Oper ist stets zusätzlich eine weitere Person anwesend: beim einleitenden Duettino Figaro/Susanna begutachtet zunächst der Graf die Qualität des Bettes, bei Figaros Kavatine demonstriert Susanna, dass eigentlich sie die aktive Handlungsträgerin ist, in das Duettino Susanna/ Marcellina mischt sich Bartolo ein. Das alles hat der Regisseur Robert Herzl mit seiner immensen Bühnenerfahrung sehr geschickt in Szene gesetzt. Von ihm stammt aber nicht nur die Regie, sondern auch die Bearbeitung des deutschen Textes. Ja – es wird in deutscher Sprache gesungen und das mit einer wirklich vorbildlichen Wortdeutlichkeit des gesamten Ensembles. Auch das ist eine gescheite Entscheidung für eine Aufführung, die zweifellos auch von vielen Menschen besucht wird, die kaum Opernerfahrung haben und die sich hörbar freuen, den Text bis ins Detail zu verstehen. Übrigens wurde ja der Figaro schon zu Mozarts Zeiten deutsch aufgeführt: z.B. bereits im Jahre 1787 in einer Privataufführung in Donaueschingen und 1788 in Leipzig und dann am 9.8.1788 in der ersten österreichischen Aufführung in Graz (nach der nicht allzu erfolgreichen italienischen Uraufführung in Wien im Jahre 1786).

Renate Pitscheider ist eine erfahrene Susanna. Sie spielt und singt sie noch immer entzückend. Ihr dunkel-timbrierter Sopran bezaubert vor allem in den lyrischen Phrasen und so gelingt ihr eine besonders schöne Rosenarie im letzten Akt. Aber auch in den Ensembles und in den Rezitativen ist sie immer präzis und präsent. Sie kann stets vermitteln, dass es in der ganzen Geschichte ja um sie geht. Sehr schade ist, dass ihre Arie im 2. Akt gestrichen war – eigentlich eine unverständliche Entscheidung, ist doch gerade diese Szene mit der Verkleidung des Cherubino ein besonderes Beispiel für eine handlungstragenden Arie und ein musikalisches Kabinettstück. Ihr Figaro ist der Amerikaner Derrick Ballard , der über ein breites Rollenspektrum verfügt. Im vorigen Jahr war er zum Beispiel hier ein profilierter Vater in „Hänsel und Gretel“ oder in Graz ein prächtiger König Heinrich im „Lohengrin“. In der nächsten Saison wird er in Mainz seinen ersten Sachs singen. Sein Bassbariton hat die ideale Klangfarbe für den Figaro. Er überzeugt mit gesunder Spielfreude und (als einziges nicht deutschsprachiges Ensemblemitglied!) durch makellose Textgestaltung.

Mathias Hausmann ist ein viril-aufbrausender Graf mit markantem, ausgezeichnet sitzendem Bariton. Man glaubt ihm, dass er und der umtriebige Kleinstadtbarbier Figaro, mit dessen Hilfe er seine Frau Rosina gewann, einst Freunde waren. (Insofern ist sogar plausibel, dass Figaro in seiner ersten Kavatine etwas ungewohnt singt: „Willst du, mein Freund, den Tanz mit mir wagen“). Dietmar Kerschbaum ist diesmal als Basilio (und Curzio)

in dem ihm adäquaten Stimmfach sehr gut besetzt. Er spielt und singt den intriganten Musiklehrer diszipliniert-präzis. Selbst die oft gestrichene „Eselshaut“-Arie im letzten Akt wurde ihm zugestanden – wohl um seine schon eingangs geschilderte dominierende Stellung in dieser Inszenierung zu unterstreichen.

Eine ungewohnte Besetzung war der Countertenor Thomas Lichtenecker als Cherubino. Immerhin hatte schon Beaumarchais gefordert, diese Rolle könne nur von einer jungen, sehr hübschen Frau gespielt werden – siehe dazu seine  Werkausgabe . Aber die Zeiten haben sich geändert und so hat beispielsweise erst unlängst „Countertenorlegende“ Jochen Kowalski in einem Interview  gesagt: „ Dass da noch keiner auf die Idee gekommen ist, den Octavian nun endlich mal mit einem Mann zu besetzen - weiß ich nicht. Oder den Cherubin in "Figaros Hochzeit", Mozart - da würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn ich das noch erleben dürfte“ Thomas Lichtenecker hat jedenfalls eindrucksvoll bestätigt, dass diese Variante durchaus möglich und vertretbar ist. Vor allem dann, wenn ein Countertenor so ausgezeichnet die Mozartkantilenen singt, wie dies an diesem Abend der Fall war. Lichteneckers Stimme ist im gesamten Umfang ausgeglichen und vor allem auch im Volumen völlig ausreichend, um auch in den Ensembles zu bestehen. Dazu kam eine ungekünstelte Darstellung des pubertierenden jungen Menschen. Schade, dass die Verkleidungsszene auf ein Minimum gekürzt war und damit auch jene Szene aus dem 2.Akt nicht zu sehen war, die das im Programmheft abgedruckte und auch hier wiedergegebene Foto zeigt. Da ich kein anderes Foto des Cherubino bekam, verwende ich es, um dem Leser zumindest einen kleinen optischen Eindruck zu vermitteln.

Die Gräfin der erst 29-jährigen Anna Schoeck war eine gute Wahl – eine attraktive Bühnenerscheinung mit sehr schönen stimmlichen Anlagen, die sich mit der Erfahrung in diesem Fach noch festigen und runden werden. Auch für sie gilt das, was schon bei allen anderen gesagt wurde: man freut sich über die klare Artikulation und über sehr gute Textverständlichkeit. Sie war ihrem Alter gemäß mehr das verwöhnte junge Mädchen, als die resignierende Grafengattin. Auch in den Ensembles vermittelte sie Stilempfinden und Geschmack. Wunderbar gelang ihr gemeinsam mit Renate Pitscheider das Briefduett. Mit den erfahrenen Routiniers Regina Schörg (Marcellina), Michael Eder (Bartolo) und KS Rolf Haunstein (Antonio) sowie der jungen Elisabeth Pratscher (Barbarina) war die Besetzung ausgezeichnet abgerundet – alle stellten stimmlich und darstellerisch präsente Charaktere auf die Bühne. Sehr klug war auch die Chorfrage gelöst: der Chor im ersten Akt war überhaupt gestrichen, für die Chorpasssagen im 3.Akt wurde der sauber einstudierte Jugend- und Kinderchor eingesetzt, der bereits im Juli in einem eigenen Kinderworkshop mit dem Werk vertraut gemacht wurde – darüber gab es einen informativen Bericht im ORF mit netten Fotos und kleinen Videoausschnitten. Das Bemühen, die Jugend für die Kunstform Oper zu gewinnen, ist nicht hoch genug zu loben. Im diesjährigen Festival wird es auch noch die Kinderoper Aschenputtel nach Massenets Cendrillon geben sowie Hans Werner Henzes Märchen für Musik „Pollicino“ geben – und natürlich ist es für die lokalen Insider reizvoll, wenn im Kinderchor Sohn und Tochter des Ehepaars Pitscheider/Kerschbaum (= Susanna/Basilio) mitwirken…..

Die Chorsolostimmen im Finale des 3.Akts wurden von Barbarina und Cherubino übernommen.

Im Orchestergraben saß wieder die Junge Philharmonie Brandenburg – diesmal unter der Leitung des routinierten Dirigenten Manfred Mayerhofer, der für straffe, aber nie gehetzte Tempi und eine sehr gute rhythmische Koordination zwischen Bühne und Orchester sorgte. In diesem Jahr war allerdings – zumindest von meinem Platz in der 13.Reihe aus – die dynamische Balance zwischen Bühne und Orchester überraschend unausgewogen. Während die – unverstärkten(!) - Stimmen der Solisten sehr transparent und auch im Piano stets klangvoll-tragend zu hören waren, klang das Orchester etwas matt und speziell im Blech auch so manches Mal ein wenig unpräzis. Vielleicht sollte man einmal versuchen, das Orchester etwas höher zu setzen, damit es gegenüber den international erfahrenen Gesangssolisten gleichberechtigt zur Geltung kommen kann.

Das zweckmäßig-sparsame Bühnenbild stammt von Franz Cserni. Es ließ den (nunmehr in elegantem Grau und nicht mehr wie in den vergangenen Jahren in Kaisergelb gehaltenen) Arkadenhof des Schlosses zur gebührenden Wirkung kommen und trug durch einfache Stellwände sicher auch dazu bei, dass die Akustik für das Sängerteam ausgezeichnet ist. Die stilvoll-heiteren Kostüme stammen wie in den vergangenen Jahren von  Susanne Özpinar. Am Ende gab es verdienten und großen Beifall für alle Ausführenden und für einen niveauvollen sommerlichen Opernabend.

Hermann Becke, 8.8.2014

Fotos: Jennersdorf Festivalsommer jOPERA, Jean Van Luelik,

Wiederholungsaufführungen:
09., 10., 13., 15., 16. und 17. August 2014

Kartenservice und Information: http://www.jopera.at/kartenkaufen.html

 

 

Hinweise:

-         Erster Rundfunkbericht über die Premiere mit Kurzvideo

-         Ein hörenswerter halbstündiger Rundfunkbericht in der ORF Oe1 - Sendereihe „Intrada – Festivalmagazin“ (8.8.2014, 10h05) mit Dietmar Kerschbaum kann 7 Tage lang hier (ab 2:30) nachgehört werden.

-         Für das nächste Jahr ist Webers Freischütz in der Regie von Brigitte Fassbaender angekündigt

 

 


 

 

HÄNSEL UND GRETEL

Premiere auf Schloss Tabor, 1. August 2013

Opernfestival im Burgenland

„Auf Schloss Tabor präsentiert sich die Oper als Sinnbild wirtschaftlicher und politischer Prosperität und ist Symbol für das Ansehen einer kultivierten Gesellschaft“ schreibt der Intendant Dietmar Kerschbaum im Programmheft. Um diesen Satz und damit auch den Stellenwert dieser Opernproduktion verstehen und einschätzen zu können, ist es vorweg wichtig, unseren deutschen Leserinnen und Lesern einen kleinen historischen Überblick über die lokale Situation zu geben:

Das Burgenland ist mit seinen knapp 280.000 Einwohnern das jüngste und kleinste österreichische Bundesland. Bis 1918 gehörte das Gebiet des heutigen Burgenlandes zur ungarischen Reichshälfte Österreich-Ungarns. Als zu Ende des Ersten Weltkrieges die Habsburgermonarchie zerfiel und zwischen den neuen Republiken Österreich und Ungarn eine Grenze gezogen wurde, entstand eine breite Bewegung, die unter Berufung auf das damals propagierte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ den Anschluss „Deutsch-Westungarns“ an Österreich forderte. Dieser Forderung wurde bei den Friedensverhandlungen in Paris auch entsprochen: im Friedensvertrag von St. Germain vom 10. September 1919 wurde die Übergabe des inoffiziell bereits als „Burgenland“ bezeichneten Gebietsstreifens an Österreich für einen Zeitpunkt nach der Unterzeichnung und Ratifizierung des Friedensvertrags mit Ungarn in Aussicht gestellt. Ungarn beabsichtigte freilich diesen Verlust mit allen diplomatischen und politischen Mitteln zu verhindern. Als diese Mittel versagten, versuchten Freischärler mit Waffengewalt die Übergabe des Burgenlandes, die offiziell für den 28. August 1921 angesetzt war, zu verhindern. Erst im Herbst entspannte sich die Lage: Nach italienischer Vermittlung verpflichtete sich Ungarn am 13. Oktober 1921 im „Venediger Protokoll“ zur Übergabe des Burgenlandes. Um die Jahreswende 1921/22 kam das Burgenland als „selbständiges, gleichberechtigtes Bundesland“ zur Republik Österreich. 

Heute ist das Burgenland ein beliebtes Urlaubsland geworden mit einem reichen kulturellen Angebot „als Sinnbild wirtschaftlicher und politischer Prosperität“, wie der Intendant zu Recht schreibt. Auf dem Gebiet des Musiktheaters reicht dieses Angebot  von Massen-veranstaltungsorten wie dem Römersteinbruch in St. Margarethen (heuer die Dornhelm-Bohème) und der Seebühne Mörbisch (heuer Bettelstudent) mit 5000 bis 6000 Besuchern pro Abend bis zu dem seit zehn Jahren bestehenden Festivalsommer Jennersdorf jOPERA. Der Hof des Schlosses Tabor im burgenländisch-ungarisch-slowenischen Grenzraum bietet zwar nur knapp 900 Plätze, aber dafür gibt es hier keinerlei elektronisch unterstützte Akustik. Man hört Orchester und alle Stimmen völlig unverfälscht – und das genießt man als Opernfreund sehr!  Aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums konnte der Intendant eine große Schar von Ehrengästen begrüßen – darunter einen aus dem Burgenland stammenden Bundesminister, den Landeshauptmann (entspricht einem deutschen Ministerpräsidenten) samt einer Reihe von Landesregierungsmitgliedern, aber auch die Vertreter der umliegenden Gemeinden und  der zahlreichen Sponsoren. Mit berechtigtem Stolz verwies der Intendant darauf, dass jOPERA in 10 Jahren rund 100.000 Gäste besucht haben - die Politiker stellten sich mit lobenden Glückwunschadressen ein.  

Die Oper: Genussvoller Sommeropernabend! 

Bevor noch das Orchester mit dem Vorspiel beginnt, betreten Hänsel und Gretel die Bühne und begeben sich in das dort stehende Wohnmobil – die Eltern sind offenbar fahrende Schrottsammler. Der Fernseher wird hervorgeholt – in den Nachrichten hört man nicht nur den Wetterbericht für das Südburgenland, sondern auch die Warnung vor dem sich im Bezirk Jennersdorf herumtreibenden „kannibalischen Transvestiten“ Dietmar K., der es auf Kinder abgesehen habe.(Das Publikum lacht ob dieses Gags mit Lokalkolorit!) Dann legen sich Hänsel und Gretel zur Ruhe und das Orchester beginnt das Vorspiel mit dem Motiv des Abendsegens.

 Wie in den letzten Jahren spielt im Orchestergraben die Junge Philharmonie Brandenburg unter dem Frankfurter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, der das junge Ensemble sehr konzentriert durch die gar nicht so einfache Partitur von Engelbert Humperdinck geleitet. Viele Passagen gelingen sehr schön, vor allem ist das Orchester sehr gut auf die trockene Akustik des Hofes eingestellt und es wird auch sehr einfühlsam auf die Singstimmen eingegangen. Der Hänsel von Adrineh Simonian, einer in Wien ausgebildeten und an der Wiener Volksoper engagierten Armenierin, ist schauspielerisch hervorragend gestaltet und stimmschön gesungen. Für sie gilt das, was durchwegs für alle Solisten erfreut festgestellt werden kann: die Wortdeutlichkeit ist vorbildlich! Renate Pitscheider ist eine erfahrene Gretel mit dunkel-timbrierter Stimme und ebenso überzeugendem Spiel. Die Eltern sind ebenfalls sehr gut besetzt: Christa Ratzenböck schafft auch die heiklen Höhen dieser Partie ohne Schärfen und Derrick Ballard überzeugt mit seinem dunklen Bassbariton als Peter ( Man darf gespannt sein, wie ihm im Herbst bei der Saisoneröffnung in Graz der König Heinrich im Lohengrin gelingen wird). Das Wohnmobil wird am Ende des 1.Bilds zum Gaudium des Publikums effektvoll von der Bühne geschafft. 

 Der Wald im 2.Bild besteht zwar nur aus einem einzigen Baum und rebenbewachsenen Schlosswänden, aber es gelingt, durch geschickte Lichttechnik stimmungsvolle Waldatmosphäre zu vermitteln, in der zunächst Pitscheider sehr ruhig und lyrisch „Ein Männlein steht im Walde“ singt. Dann werden Hänsel und Gretel durch den (in den Schlossarkaden postierten) Kuckucksruf zu ausgelassenem Spiel verlockt, bis plötzlich in der hereinbrechenden Dämmerung Hänsel den Weg aus dem Wald nicht mehr findet. Das alles wird in überzeugender Personenführung durch den Regisseur Josef E.Köpplinger konventionell, aber nie platt vermittelt. Das Sandmännchen – ebenso wie später das Taumännchen klar durch Birgitta Wetzl gesungen – geleitet Hänsel und Gretel nach einem sehr ausgewogen vorgetragenem Abendgebet in den Schlaf. Im Originallibretto heißt es dann:

„Vierzehn Engel, in lichten, lang herabwallenden Gewändern, schreiten paarweise, während das Licht an Heiligkeit zunimmt, in Zwischenräumen die Wolkentreppe hinab und stellen sich, der Reihenfolge des "Abendsegens" entsprechend, um die schlafenden Kinder auf. Das erste Paar zu den Häuptern, das zweite zu den Füssen, das dritte rechts, das vierte links; dann verteilen sich das fünfte und das sechste Paar zwischen die andern Paare, so dass der Kreis der Engel vollständig geschlossen wird. Zuletzt tritt das siebente Paar in den Kreis und nimmt als "Schutzengel" zu beiden Seiten der Kinder Platz. Die übrigen Engel reichen sich nunmehr die Hand und führen einen feierlichen Reigen um die Gruppe auf. Die ganze Szene ist von intensivem Lichte erfüllt. Während die Engel sich zu einem malerischen Schlussbilde ordnen, schließt sich langsam der Vorhang.“

In unserer rationalistisch orientierten Zeit vertraut kaum ein Regisseur mehr dem religiös intendierten Motiv des Behütetseins durch die eigenen Gedanken und Taten in Gestalt der Schutzengel - und so hat Köpplinger ein Bild aufgegriffen, das vor ihm schon wiederholt bemüht wurde - z.B. von Brigitte Fassbaender in ihren Inszenierungen in Augsburg (1992) und Graz (2012): es steigen nicht die Engel von der Himmelstreppe herab, sondern es erscheinen 14 weißgekleidete „Ahnen“, die über die schlafenden Kinder einen Schleier breiten. Meiner Meinung nach ist das eine Verlegenheitslösung – aber sie war diesmal vor allem durch eine sehr gelungene Beleuchtung zumindest sehr stimmungsvoll umgesetzt.  

 Das dritte und letzte Bild wird zunächst anstelle eines Lebkuchenhauses von einem mit kommerziellen Süßigkeiten übervollen Einkaufswagen dominiert. Das schaut zwar poppig aus, passt aber letztlich so gar nicht zum gesungenen Text. Und dann kommt der Intendant als aufgedonnerte Hexe. Dietmar Kerschbaum spielt mit großem Einsatz, artikuliert deutlich, aber zu wenig scharf und bleibt letztlich doch einiges im Stimmlichen schuldig. Aber im allgemeinen Klamauk mit einem auch durch den Zuschauerraum tobenden Hexenritt stört dies nicht. Der Lokalmatador wird heftig beklatscht. 

 Die Hexe entpuppt sich schließlich als Transvestit, ohne dass dies eine schlüssige Bereicherung des dramaturgischen Ablaufs des Stückes wäre. Es bleibt bloß eine Anknüpfung an den platten lokalen Gag der Einleitung, in der im Fernsehen vor dem „kannibalischen Transvestiten“ im Bezirk Jennersdorf gewarnt wurde – siehe oben. Und der Gag ermöglicht es, den Intendanten in einer weiteren Verkleidung zu zeigen. 

 Das Stück endet zwar mit der Erlösung der Kinder – sauber gesungen vom jOPERA Kinder- und Jugendchor (einstudiert von der Produktionsleiterin Alexandra Rieger) – aber die zuvor in den Ofen gestoßene Hexe bleibt verschwunden und erscheint nicht als Lebkuchenhexe, wie dies das Originallibretto vorsieht  - Zitat:  „Unterdessen haben zwei Knaben die Hexe als großen Lebkuchen aus den Trümmern des Zauberofens gezogen“ . Vater Peter singt dennoch unverdrossen „Kinder, schaut das Wunder an, wie die Hexe hexen kann, wie sie hart, knusperhart selber nun zum Kuchen ward!“  . Statt der Hexe erscheinen Polizisten und Amtspersonen, die den Ofen abriegeln und die offenbar mit der Untersuchung eines Gewaltverbrechens beginnen – wahrlich kein sehr zündender Einfall, der den Text des wunderschön musizierten Schlussensembles „wenn die Not aufs höchste steigt, Gott der Herr die Hand uns reicht!“  unnötig konterkariert.

Das Publikum spendet reichen Beifall, ist dankbar für einen musikalisch qualitätsvollen, optisch durchaus kulinarischen Opernabend (sehr schöne Kostüme wie in jedem Jahr von Susanne Özpinar !) , der durch seine Regie nicht beunruhigt und schreitet – à propos kulinarisch – wieder zu den lokalen Buffetköstlichkeiten, die auch schon vor der Vorstellung – natürlich auch vom Berichterstatter! - in reichem Maße genossen wurden. Das ist wohl das, was der Intendant in seinem eingangs zitierten Satz meint: „Oper als Symbol für das Ansehen einer kultivierten Gesellschaft“.

Es ist eine durchaus berechtigte Facette des heutigen Opernbetriebes abseits von beunruhigendem Regietheater. Hier wird man nicht zum Nachdenken gezwungen – man genießt ganz einfach einen wunderschönen Sommeropernabend.

Hermann Becke, 02.08.13

Fotos: Jennersdorf Festivalsommer jOPERA, www.jdf-events.at

 

Kartenservice und Information: http://www.jopera.at/kartenkaufen.html

 

 

 

 

 

DER WILDSCHÜTZ

Besuchte Vorstellung:  02.08.2012

Intendant Dietmar Kerschbaum schreibt stolz im diesjährigen Programmheft: „J:opera Jennersdorf/Festivalsommer“ hat sich innerhalb kurzer Zeit zu einem europäischen Opernfestival der Spitzenklasse etabliert.“ Und wirklich: Wie erfreulich hat sich diese ambitionierte Initiative in den vergangenen 10 Jahren entwickelt!

Ich erinnere mich gut an die durchaus gelungene Don-Giovanni-Produktion des Jahres 2005 in noch wesentlich kleinerem, ein wenig improvisiertem Rahmen mit vielleicht knapp 300 Plätzen und einem stimmungsvollen Baum mitten im Hof. Heute gibt es in diesem Hof des Batthyány-Schlosses Tabor eine professionelle Publikumstribüne mit 900 Plätzen und einem Orchestergraben (der Baum mußte weichen). Und diese Tribüne ist – bei herrlichem Sommerwetter mit nächtlichem Vollmond – bei der diesjährigen Premiere vollbesetzt.

Schon zwei Stunden (!) vor Vorstellungsbeginn sammelt sich das erwartungsfrohe Publikum vor dem Schloß – es gibt ein reiches Angebot an regionalen kulinarischen Köstlichkeiten, es spielt die örtliche Blasmusik und der Herr Intendant begrüßt respektvoll die zahlreichen Ehrengäste – an deren Spitze die österreichische Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur Claudia Schmied.

In seiner Begrüßungsrede kann Intendant Kerschbaum nicht nur Ehrengäste aus Politik und Wirtschaft sowie die Sponsoren, sondern auch so bedeutende Operngrößen wie Kammersängerin Dunja Vejzovic und Kammersänger Thomas Moser begrüßen, er fasst auch zusammen, was der heurige Festivalsommer alles bietet: sechs Wildschütz-Auführungen (samt Kreativcamp für Kinder und Jugendliche), eine internationale Sommerakademie mit Konzerten in Slowenien und im Burgenland, die Vergabe eines Giuseppe-Sinopoli-Preises als Abschluß des Meisterkurses für Gesang (Sinopoli liebte das Burgenland und hatte ein Haus bei Jennersdorf), eine Kinderoper (“Der gestiefelte Kater“ von César A.Gui), und, und ……

Dann endlich konnte die Premiere beginnen und Sebastian Weigle trat ans Pult der Jungen Philharmonie Brandenburg, deren Chefdirigent er ist. Die Junge Philharmonie Brandenburg ist hier im Dreiländereck seit 2006 das ständige Festspielorchester. Nach einem schwungvollen Einsatz in den ersten Takten geriet das Orchster im Vorspiel zunächst beträchtlich ins Wanken, sammelte sich aber dann rasch und bot unter der präzisen Leitung Weigles eine solide Leistung. Der Bayreuth-erfahrene Sebastian Weigle verstand es ausgezeichnet, Orchester, Chor und das Solistenensemble zusammenzuhalten und nach einer kurzen Eingewöhnungsphase hatte man sich „eingehört“:

Hier gibt es keine Mikrophonverstärkung – weder für das Orchester noch für die Bühne – und man freut sich an dem vom Intendanten zurecht gepriesenen „Naturklang“. Die Holzverkleidung des Orchestergrabens und die gute Hofakustik reichen aus, um bis in die hinteren Publikumsränge ein ausgewogenes Klangbild zu gewährleisten. Die Solisten forcieren nie und bieten durchwegs eine ausgezeichnete Wortdeutlichkeit, die wohl auch dem Umstand zu danken ist, dass ein ausschließlich österreichisches Ensemble auf der Bühne stand.

Dieses Ensemble wird stimmlich vom Geschwisterpaar Graf und Baronin angeführt. Paul Armin Edelmann ist nicht nur ein prächtig-stolzer Darsteller, sondern singt auch profiliert mit virilem Bariton. Renate Pitscheider singt mit ihrer zarten, dunkel gefärbten Stimme sehr sauber und souverän die Baronin. Das Publikum erfreut sich merklich daran, dass sie am Ende nach vielen Verwirrungen den Baron bekommt (der ihr angetrauter Ehemann ist)!

Der Wiener Bass Michael Eder, Ensemblemitglied der Dresdner Semperoper, ist ein sicherer Baculus. Trocken in Stimme und Spiel – das passt gut zur Rolle –, aber: menschliche Wärme und saftige Buffopräsenz gehen einem ab.

Christa Ratzenböck ist eine elegante Gräfin, der ein wenig die für diese Rolle gewohnte Alt-gefärbte Drastik fehlt.  Das Gretchen von Elisabeth Pratscher und die Nanette von Birgitta Wetzl sind charmante Begabungen am Anfang ihrer Karrieren. Und zuletzt noch ein Wort zu Dietmar Kerschbaum in der Tenorrolle des Barons: er ist ein genialer Impresario seines Festivals, ein charmanter Schauspieler – aber es kann nicht verschwiegen werden, dass er an diesem Abend stimmlich schwach und unausgewogen blieb. Einige (wenige) Stellen erinnerten an seinen hübschen Buffo-Tenor – mehr nicht. Vielleicht ist das Ganze auch das Resultat einer Überlastung am Premierentag – bis knapp vor den ersten Auftritt mußte er den freundlichen Hausherr geben, dann noch die Begrüßungsrede halten…….

Der Philharmonia-Chor Wien (Leitung; Walter Zeh) ist gegenüber dem vorjährigen Laienchor in der „Entführung“ eine deutliche Qualitätssteigerung. Auch der neugegründete „J:Opera Kinderchor“ (Leitung: Elfi Schweiger) machte seine Sache gut.

Hervorragend gelingt Johannes Leitgeb die Bühnengestaltung. Durch transportable Großformate von Biedermeierbildern (manchmal nahe dem englischen Regency-Flair) und eine Schultafel schafft er stets adäquate und stimmungsvolle Szenen, ohne die schöne Atmosphäre des Burghofs zuzudecken. Dazu passen gut die Kostüme von Susanne Özpinar.

Zwiespältig bleibt die Regie von Dominik Wilgenbus. Einerseits ist sein Konzept dem herkömmlichen Spielopern-Stil verhaftet, andererseits schwenkt er dann plötzlich in Slapstick-Szenen um, denen natürlicher Humor, aber auch kritische Distanzierung und die im Stück zweifellos vorhandene Gesellschaftskritik fehlt. Mit seinen Regieinfällen stört er den feinen musikalischen Humor der Billardszene, er lässt Baculus völlig deplazierte Turnübungen beim Einschlafen in seinem Lehnstuhl machen, er beeinträchtigt die berühmte 5000-Taler-Arie des Baculus durch ein eher hilfloses Kinderballett und er eröffnet die große Grafenarie „Heiterkeit und Fröhlichkeit“ mit einer – peinlich-unerotischen – Bettszene mit einer Statistin. Alles unnötig, ohne Charme und ohne Bereicherung und Verdeutlichung des Handlungsverlaufs.

Gerade bei einer sommerlichen Freiluftaufführung sollte man in der szenischen Umsetzung doch besser bei der gemütvollen Spielopertradition bleiben.

Am Schluß viel Beifall – trotz der Regie-Einwände war es niveauvoller Sommeropernabend und man freut sich schon auf das nächste Jahr. Da wird es Humperdincks „Hänsel und Gretel“ – wieder unter der musikalischen Gesamtleitung von Sebastian Weigle geben.

Hermann Becke                 Szenenfotos: Michael Schmidt, J:opera Jennerdorf

 

 

Die Besprechungen früherer Opernaufführungen befinden sich (ohne Bilder) unten auf der Seite Jennersdorf des ARCHIVs

 

 

 

 

DER OPERNFREUND  | opera@e.mail.de