DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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Zum Zweiten

I CAPULETI E I MONTECCHI

Besuchte Aufführung am 16.08.19

Belcanto mit starkem Erklärungsbedarf

Durchaus mutig sind die Wernigeröder Schlossfestspiele dieses Jahr eine im Allgemeinen nicht so bekannte Oper anzusetzen, nämlich Vincenzo Bellinis "ICapuleti e i Montecchi". Pfiffig dagegen sie in der Öffentlichkeit unter dem Titel "Romeo und Julia" zu kommunizieren, denn so kann gleich jeder etwas damit anfangen; und es hat funktioniert, denn die Vorstellungen waren im Nu ausverkauft. Dazu trägt natürlich die gute Vorarbeit des vergangenen Jahre bei, weil die Zuschauer wissen, das sie musikalisch hochwertig gespielte Oper in wunderschönem Ambiente präsentiert bekommen, wenn das Wetter mitspielt, wie am 16.August, erlebt man einen wirklich wundervollen Abend.
Na,ja, wenn da nicht diese überambitionierte Regie gewesen wäre: Birgit Kronshage springt als Regisseurin auf den aktuellen "Gender-Zug" auf und läßt den Romeo, der bei Bellini ein Mezzospran in einer Hosenrolle ist ganz Frau, was Julias Zögern sich offen zu ihrer Liebe zu bekennen erklären soll. Das Frauen in der Renaissance, wie auch zu Bellinis Zeiten, es schwer hatten, sich überhaupt in einer Männergesellschaft zu behaupten, scheint sie gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Gut, man könnte daraus sicherlich eine spannende Inszenierung gerieren, wenn man es denn könnte!  Doch die Inszenierung gerinnt zu einer sehr biederen Nummer mit den typischen Floskeln, ein "rauschendes Fest" erstickt in konventionellem Geschunkel, was selbst einen Dorfjahrmarkt zu einem Ausbund an Ausschweifung werden ließe. Da Kronshage anscheinend selbst kein Vertrauen in ihre Szene hat, gibt es eine zusätzliche Sprechrolle, die dem staunenden Publikum alles erklären soll: Romeos Mutter, der man ihre Tochter schon als Kind weggenommen hat, um es als ausbleibenden Familienerben zu erziehen, als ob eine Erziehung als Mann eine Frau zur gleichgeschlechtlichen Liebe bringen könnte, schon alles sehr blauäugig gedacht. Das Schreckliche dabei sind die wahnsinnig langen, schlecht geschriebenen Texte, die sich nicht zwischen mütterlicher Betroffenheit und besserwisserischen Opernführer entscheiden können, stilistisch keine Ebene gewinnen und immer wieder den Fluß von Bellinis Musik unterbrechen. Völlig unmusikalisch eingesetzt, zerreissen sie die komponierten Zusammenhänge in der Ouvertüre, im ersten Finale und sogar im Duett des Liebespaares. So nervt der Text immer wieder als altkluges Dramaturgengebrabbel. Die Schauspielerin Emanuela von Frankenberg scheint mal frei von der Leber weg zu erzählen, mal liest sie den Text ab, eine absolut nicht überzeugende, ja sogar unprofessionelle Leistung.
Dabei legt die dezente Ausstattung von Katharina Rode eigentlich einen sehr schönen Rahmen für die Szene, denn sie nutzt den Zauber der Sclossinnenhofes und schafft mit nur wenigen Versatzstücken eine passende Atmospäre, ihre Kostüme des "Steampunk-Genres", viktorianische Zeit trifft frühe Technik, sind apart , sehenswert und kleiden die Sänger hervorragend. Auch das musikalische Niveau erfreut:
Christian Fitzner wählt, im Gegensatz zu seinem vorjährigen "Rigoletto", viel weniger knallige Tempi, sondern lässt Bellinis "melodie lunghe" ganz in ihrer melancholischen Verschattung erklingen, das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode stets an seiner Seite. Die Chorsolisten und die Singakademie Wernigerode dabei stets auf Augenhöhe.
Mit der Besetzung des Liebespaares gelingt ein ganz großer Wurf, denn Liudmila Lokaichuk als Julia ist eine Belcantistin von hohen Gnaden, mit fein gesponnenem Sopran füllt sie den Schlosshof, ergreift besonders in ihren lieblich ausgesungenen Piani, ein echter Traum! Dazu Wioletta Hebrowska als Romeo mit samtigem Mezzosopran, lediglich in den äußeresten Höhen spreizt sich die Stimme ein wenig. Das schönste aber ist die Mischung beider Stimmen, schöner kann das nicht klingen, das ergreifende Finale wird zum gesungenen Höhepunkt der Oper und hinterlässt erst einmal Stille im Auditorium. Alexander Lius Tenor beeindruckt als Tebaldo vor allem mit seinen strahlenden Höhen, am Sitz in der Tiefe muß der junge Sänger noch arbeiten, auf jeden Fall ein interessantes Potential. Sebastian Campione ist als Julias Vater Capellio sehr präsent, doch vom Spielerischen sehe ich ihn eher als Bassbuffo, das allzu ernste Augenrollen hat etwas entschieden Schelmisches. Mit sonorem Bassbariton eine sichere Bank Hinrich Horn als (Pater) Lorenzo.
Insgesamt doch ein sehr schöner Abend durch die musikalisch großartige Darbietung und das wundervolle Ambiente, und natürlich durch Bellinis tolle Musik. Die Inszenierung bringt in ihrem dramaturgischen Ansatz keinen Mehrwert für das Stück und ist in ihrer Umsetzung doch sehr ungeschickt, aber so etwas kann eben auch einmal passieren.
 
Martin Freitag 26.8.2019
Bilder siehe unten!

 

 

 

Bellinis

I Capuleti e i Montecchi 

Premiere: 09.08.2019
besuchte Vorstellung: 10.08.2019

Toller Gesang und ein absurder Regieeinfall…

Lieber Opernfreund-Freund,

wenn man derzeit durch das pittoreske Städtchen Wernigerode schlendert, wird man allenthalben auf die gerade stattfindenden Schlossfestspiele aufmerksam gemacht, die vom Philharmonischen Kammerorchester Wernigerode veranstaltet werden. In großen, die belebte Einkaufsstraße überspannenden Transparenten wird auf Romeo und Julia aufmerksam gemacht. „Ballett“, denke ich, Prokofjew im Sinn, und erblicke in kleinen Lettern, dass es sich um eine Oper von Bellini handeln soll. „Ein Marketing-Coup“ denk ich nun, denn der Originaltitel I Capuleti e i Montecchi hätte dem geneigten Festspiel-Besucher vielleicht nicht unmittelbar die Assoziation zum weltberühmten Shakespearestoff ermöglicht – und deshalb am Ende den Ticketerwerb verhindert; Kunst muss ja auch verkauft werden… (Dass allerdings das Programmheft den richtigen Titel der Oper nicht einmal erwähnt, ist dann doch bedenklich). Also mach ich mich gerne auf den Weg den Schlossberg hinauf, vorbei an malerischen Fachwerkhäusern, um mir die Produktion für Sie anzuschauen.

Der kleine Innenhof des Wernigeröder Schlosses ist wie gemacht für eine Open-Air-Produktion, gerade, wenn sie Romeo und Julia zum Thema hat und Bellinis selten gespieltes Werk einem größeren Publikum näherbringen will. Dass die Handlung dieser Geschichte noch erzählt werden muss, halte ich für nicht unbedingt notwendig, Regisseurin Birgit Kronshage allerdings schon. Deshalb etabliert sie eine zusätzliche Figur – Romeos Mutter, die zwischen den einzelnen Szenen das gerade in italienischer Originalsprache Präsentierte zusammenfasst; so weit so gut, soll doch jeder auch verstehen, was er da auf der Bühne zu sehen bekommt. Doch dann beginnt Emanuela von Frankenberg in der Rolle der Mutter im schlichten roten Kleid und mit im wie auf Bestellung aufkommenden Wind wehenden Haar, eine abstruse Geschichte zu erzählen: Ein Mädchen hat sie zur Welt gebracht, das doch ein Junge hätte werden sollen; entrissen hat man es ihr und als Jungen erzogen; Romeo wird ihre Tochter nun genannt und hat sich in Julia von den Montecchis verliebt – und die sich in sie. Ich reiße ungläubig die Augen auf: Will man aufgrund der Tatsache, dass Bellinis Romeo eine Hosenrolle für Mezzosopran ist, den Regieansatz herleiten, dass es sich um eine lesbische Liebe zwischen den beiden handelt? Dass Julia nur deshalb nicht mit Romeo geht, weil gesellschaftliche Konvention nicht offen gegenüber Homosexualität ist? Dass Romeo sich als Mann verkleidet oder eine Transvestitin ist? Mir fällt die Kinnlade herunter, doch da beginnt schon Bellinis wundervolle Musik…

Liudmilla lokaichuk singt im Ensemble der Oper Halle und gestaltet die Giulietta mit einer unvergleichlichen Zartheit. Ihr geschmeidiger Sopran spinnt feinste Pianofäden, die auch in höchster Höhe noch glasklar funkeln und auch optisch verkörpert sie die zerbrechliche junge Frau in idealem Masse, formt sie ihre Rolle doch mit viel Seele. Der Romeo von Wioletta Hebrowska, die ansonsten in Lübeck singt, ist nicht allzu dunkel timbriert und doch singt die gebürtige Polin glutvoll und spielt intensiv und gerät so zum idealen Partner der Julia. Die Duette der beiden werden so zum Hochgenuss. Alexander Liu ist ein höchensicherer Tebaldo mit kraftvollen Spitzentönen und nicht enden wollendem Atem, während Sebastian Campione Julias Vater Capellio eher eindimensional anlegt und die komplette Partie im Dauerforte präsentiert. Sicher, es handelt sich um ein tyrannisches Familienoberhaupt – und doch hätte das Ensemblemitglied der Wuppertaler Bühnen, das über einen eindrucksvollen, düster klingenden Bass verfügt, der Figur noch eine weitere Facette gönnen wollen. Nuanciert und mit weich-schmelzendem Bariton hingegen zeigt Hinrich Horn einen wunderbar mitfühlenden Lorenzo, den einzigen Vertrauten des Liebespaares, den in Wernigerode ein großes Kruzifix um den Hals als Geistlichen lediglich andeutet.

Die Bühne von Katharina Rode kommt mit wenigen Requisiten aus – allerdings wirkt die Spielstätte ja auch allein schon durch ihre Atmosphäre. Rodes Kostüme unterteilen die Capulets und die Montagues klar: während letztere sich vorzugsweise in schwarzes Leder hüllen, kommt Julias Familie wie eine Clique Steampunks daher, liebevoll und detailverliebt ausstaffiert mit allerhand Schweißerbrillen, Anlehnungen an technische Apparaturen, Zylindern und Taschenuhren in allen Variationen. Birgit Kronshage lässt den Innenhof in seiner kompletten Breite bespielen und nutzt die besonderen Möglichkeiten der außergewöhnlichen Spielstätte voll aus. Ihre Personenführung ist vorzüglich, das Licht von Ronny Kirlum perfekt – da ist der eingangs geschilderte, aufgesetzt wirkende Regieeinfall, der eher wie eine fixe Idee erscheint, um so ärgerlicher. Schade ist obendrein, dass Emanuela von Frankenberg, die Ihnen vielleicht aus der ARD-Serie Um Himmels Willen als Schwester Agnes bekannt ist, die ersten und letzten zehn Minuten ihre Beiträge frei rezitiert und so glaubhaft als gebrochene, von Selbstvorwürfen geplagte Mutter erscheint, während sie ansonsten den Text über weite Stellen ablesen muss – und dabei eher zur distanziert wirkenden Vorleserin wird.

Die Singakademie Wernigerode ist ein Projektchor, der seit Jahren an den Wernigeröder Schlossfestspielen mitwirkt und dabei von einigen professionellen Chorsolisten ergänzt wird. Alena Isabel Figueroa hat die Damen und Herren, die überdies engagiert spielen, genau auf ihre sängerische Aufgabe vorbereitet. Im seitlich positionierten Graben hält MD Christian Fitzner die Fäden zusammen und präsentiert zusammen mit den Musikerinnen und Musikerinnen des Philharmonischen Kammerorchesters Wernigerode Bellini at his best. Er entfaltet die wunderbaren Melodien der Partitur behutsam und glänzt mit einem frischen Dirigat, bereitet den Sängern einen farbenfrohen Klangeppich, der so einen perfekten Belcantoabend erst möglich macht. Das Publikum ist zu Recht begeistert von der Darbietung und spendet frenetisch Beifall. Und auch ich empfehle ihnen durchaus den Besuch dieses wunderbaren Werkes, das in der einzigartigen Kulisse des Wernigeröder Schlosses musikalisch tadellos und auf höchstem Niveau präsentiert wird, durchaus. Die überflüssige Geschichte mit dem als Jungen aufgezogenen, lesbischen Mädchen, deren Mehrwert für das Werk sich mir trotz intensiven Nachdenkens nicht erschlossen hat, kann man sich zur Not ja wegdenken…

 

Ihr Jochen Rüth 11.08.2019

Die Fotos stammen von Lysann Weber

 

 

 

 

Besuchte Aufführung am 18.08.18 (Premiere am 10.08.18)

Belcanto Pur

Fast alle Festivals an der freien Luft finden aus trefflichen Gründen mit akustischer Verstärkung statt, der Klang im Wernigeröder Schlosshof kommt ohne Technik aus und lässt uns an unverstellten Stimmfreuden teilhaben, allein das ist schon eine Besonderheit. Diesen Sommer gab es nach "Falstaff" und "La Traviata" eine dritte Verdi-Oper, nämlich "Rigoletto". Musikalisch kommt die Aufführung mit einer wirklich tollen Besetzung daher, obwohl man schon merkt, das sich ein "kleines" Festival wie die Wernigeröder Schlossfestspiele über ihren Zeitraum von Proben und Aufführungen nur mit einer Besetzung auskommen müssen. Was man den beiden männlichen Hauptpartien, Rigoletto und Herzog von Mantua, durchaus anmerkt; ein "Rigoletto" ist eben kein Spaziergang.

Johannes Beck ist ein ganz ausgezeichneter Rigoletto mit ansprechendem Bariton, der genau weiß, wo er auf Volumen, wo auf Innigkeit achten muss, da verzeiht man leichte Anrauhungen in der Tongebung gern. Wie gesagt sieben mal diese anspruchsvolle Titelpartie in vierzehn Tagen, dabei dreimal täglich hintereinander, Respekt! Alle anderen Sänger sind deutlich jünger: Victor Campos Leal ist ein sehr attraktiver Herzog, optisch, wie gesanglich. Sein herrlich timbrierter Belcanto-Tenor punktet mit strahlenden Höhen und schönem Legato, das "La donne e mobile" kommt als echte Wunschkonzertnummer. Die Krone des Abends gilt allerdings der jungen Weissrussin Katharina Melnikova als Gilda, da bleibt wirklich kein Wunsch offen. Das jugendliche Aussehen korrespondiert mit einem feinem gesponnenem Sopranklang, die Koloraturfähigkeiten, wie die Höhen sind exquisit, dabei besonders die feinen Pianobögen, die tragend durch den nächtlichen Schlosshof tönen, verbunden mit einer ausgezeichnet gesungenen "mesa di voce", wenn nächstes Jahr Bellinis "Romeo und Julia" angesetzt wird , hätte man hier bereits eine perfekte Besetzung für die weibliche Titelpartie. Johanna Braults samtiger Mezzosopran schmückt eine gutaussehende Maddalena, Milcho Borovinov singt einen Sparafucile von wirklich rabenschwarzer Abgrundtiefe,ich habe lange nicht so einen tollen Basso profundo gehört. Alle anderen Partien waren mit großer Sorgfalt besetzt: Christina Campsall (Giovanna) und Camilla Francesca Bull (Contessa Ceprano und Page); Richard Hamrin (Marullo) , Sander de Jong (Borsa) und Juha-Pekka Mitjonen (Ceprano). Lediglich Nathanial Kondrat erschien mir für den schicksalsauslösenden Fluch des Monterone sowohl zu hellstimmig, wie leichtgewichtig. Die Chöre zeigten sich kompetent und spielfreudig und erhielten, berechtigterweise, auch Szenenapplaus.

Das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode hatte anscheinend mit dem neuen Regendach akustische Probleme, so klang gerade die Streichergruppe etwas mulmig. Christian Fitzner dirigierte einen sehr emotionalen Verdi und ließ den Pferden auch gerne mal die Zügel locker. Die manchmal sehr schnellen Tempi erhöhten die angesprochenen Probleme und ; ich könnte mit vorstellen, das sie den Sängern etwas zu wenig Atempausen gönnten.

Bei einer Freilichtaufführung bei romantischem Ambiente wird natürlich viel durch das Äußere aufgefangen, was der nicht so gelungenen szenischen Arbeit von Oliver Klöter (Regie) und Hannes Neumaier (Bühne und Kostüme) entgegenspielte. Schon die Idee mit den drei Bilderrahmen kann auf fast jede Oper angewendet werden und besitzt kein besonderes Profil, zumal die szenische Umsetzung die nicht allzu große Bühne noch zusätzlich verkleinert. Was wirklich gar nicht geht sind die offenen und sehr rumpeligen Umbauten, während der weiterlaufenden Szenen, das ist einfach störend. Die Kostüme könnte man als um 1900 einordnen, wobei wieder die Narrenkappe des hier kriegsversehrten Rigoletto völlig unpassend ist. Klöters Inszenierung erschöpft sich sehr in genrehafter Kleinteiligkeit und lässt eine tiefer greifende Personenregie oft vermissen. Tiefpunkte sind eine ziemlich vermasselte, unglaubwürdige Entführung Gildas und eine absolut unerotische Personenführung zwischen Maddalena und Herzog. Positiv bemerkt, eigentlich stört es nicht wirklich den Fortgang der Oper. Tut mir leid, das so drastisch zu schreiben, aber es geht dabei um wesentliches Handwerk.

Trotzdem war es ein schöner Opernabend, den ich sehr genossen habe: Verdi in schöner Umgebung mit guten Stimmen, das ist doch schon etwas. Nächstes Jahr dann also Vincenzo Bellinis "I Capuleti e i Montecchi" unter dem publikumswirksameren Namen "Romeo und Julia". Ich bin gerne wieder dabei.

Martin Freitag 26.8.2018

Leider keine Fotos

 

 

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