DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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NEUSTREHLITZ

 

Humperdinck

DORNRÖSCHEN

Besuchte Premiere am 25.09.21

Knüller für dir Vorweihnachtszeit

Wie aufmerksam eine Dramaturgie sein kann und wie man aus der (Corona-)Not eine Tugend macht zeigt sich am Theater Neubrandenburg/Neustrelitz. Während in Berlin die Auslastungszahlen der Opernhäuser unter 3-G-Regeln schon wieder auf 100 Prozent gefahren werden, wie bei "Figaros Hochzeit" (dreieinhalb Stunden!) an der Staatsoper, sind andere Bundesländer noch wesentlich vorsichtiger. So hatte jetzt Engelbert Humperdincks " Dornröschen" als erste Musiktheaterpremiere der Spielzeit 21/22 Premiere, mit eineinhalb Stunden Spieldauer "für Kinder jeden Alters", also als Familienoper, bewußt konzipiert.

 

 

Ebenso wie sein Erfolg "Hänsel und Gretel" entstand erst einmal ein Lieder-oder Singspiel (1888), bevor die eigentliche Oper auf ein gereimtes Libretto von Elisabeth Ebeling 1902 in Frankfurt uraufgeführt wurde. Das eigentlich Märchen wurde dabei zu einem Märchenspektakel a la "Peterchens Mondfahrt" aufgepeppt: Prinz Reinholt muß aus der Welt der Zwerge noch Verlobungsringe unter Mithilfe des Elemantargeistes Quecksilber holen, vorher noch im Himmelsreich Morgenstern, Mond und Sonne um Hilfe bitten, dann verliebt sich die böse Fee (Dämonia) in den feschen Jüngling. Also eine einzige Möglichkeit für ordentlich Bühnenzauber in relativ kurzer Zeit. Die Musik ist anmutig, erinnert natürlich an den Märchenton von Humperdincks Welterfolg, aber auch an die jugendstilhaft ornamentalen Klangfloskeln der "Königskinder". Die Form gerät recht hybrid: Opernhaftes wechselt mit reinen Sprechpassagen, aus orchestralen Zwischenspielen führen Melodramen ins Gesungene oder Gesprochene, es nur erinnert, daß die erste Fassung der "Königskinder" ein reines Melodram, also gesprochenes Wort zur Musik, war.

 

 

Herausgekommen ist vielleicht kein Meisterwerk, aber sehr hübsche Musik. Das Problem bleibt der selten glücklich gereimte Text, wenn Humor ins Spiel kommt, wie beim ehelichen Gespräch zwischen Mond und Sonne, gerät er am erträglichsten, doch Jasmin Solfaghari, die Regisseurin, beläßt es bei der Ebeling-Fassung, vielleicht würde eine freiere Textbehandlung (wie auf der CPO-Aufnahme des Werkes) geschmeidiger wirken. Auch wenn ein Sängerensemble mit verschiedenen Muttersprachen sich des ohnehin skurilen Textes annimmt, gerät es in manchem Falle leidlich. Ansonsten kann man an Solfagharis Regie wenig aussetzen, denn sie erzählt das Ganze als eine Art Weihnachtsmärchen mit zeitgenössischen Anklängen, die Ausstattung (samt Projektionen) von Walter Schütze unterstützen dabei in jedem Sinne: ein düsterer Schlossaufbau, der ein bisschen an die Villa der Addams-Familie erinnert, wird durch die Drehbühne und immer wieder anderen Perspektiven mittels der Projektionen in die vielen Schauplätze verwandelt. Die Kostüme mit ihren ironischen Anspielungen sind in bester Tradition Kinderoper und erfreuen das Auge. Sehr schön der erkämpfte Weg ins Dornenschloss, der an Computerspiele erinnert.

 

 

Die Titelpartie ist relativ klein, doch Marina Medvedeva weiß sie mit lieblichem Sopran und gleicher Ausstrahlung zu füllen, dabei darf sie die ungeschickten Reime sogar einmal "rappen", die kindliche Attitüde der Regie steht der finalen Hochzeit etwas im Wege. Mein Favorit des Abends ist Andres Felipe Orozco als Prinz Reinholt, hervorragende Textgestaltung und -verständlichkeit, treffen auf eine nuancierte Prägung der Gesangspartie, wobei der geschickte Einsatz der Kopfstimme die fehlende Fülle des Tenors raffiniert kaschiert. Ein Künstler, der genau weiß, wie man auf der Bühne wirkt.  Bei Syrinx Jessen als Fee Rosa /Sonne ist es genau umgekehrt; ihr fraulich-üppiger Sopran ist wohl die beste Stimme des Abends, doch vom Wort habe ich fast nichts verstanden. Laura Scherwitzl singt mit feinem Sopran die liebenswerte Fee Morphina. Julia Tarasova mit praller Bühnenwirkung die fiese Dämonia, das ihr Mezzosopran etwas verhangen, liegt vielleicht daran, daß sie in ihren Gesangspassagen auf der Bühne unglücklich positioniert wird. Sehr expressiv in Sprache und Gestaltung und luzidem Sopran Misun Kim als Elementargeist Quecksilber, hier hätte ich mir statt des "Pokemon"-Kostüms etwas wirklich Silbriges gewünscht. Die übrigen Beteiligten waren passend besetzt: der präpotente Vaterkönig von Markus Kopp, die larmoyante Königinmutter von Grit Kopatzik, die lustige Schar der Bedienten mit Ramin Varzandeh, Bernd Richert und Krzysztof Napierala, der spukige Schlossvogt von Ryszard Kalus und der komödiantische Mond von Lothar Dreyer.

 

 
Daniel Klein am Pult der Neubrandenburger Philharmonie gelang es weitgehend den spätromantischen Duktus Humperdincks mit guter Durchhörbarkeit für Gesang und Sprache zu verbinden. Der Opernchor der TOG Neubrandenburg/Neustrelitz nahm präsent die kleinen Soloaufgaben, wobei vor allem die charmant skurilen Feen des Damenchors im Gedächtnis bleiben. Ein schöner Abend für die ganze Familie, der dem Publikum bis über die Weihnachtszeit Freude bereiten dürfte. Die Premiere fand übrigens zum 100. Todestag von Engelbert Humperdinck statt, der am 27.09.1921, man glaubt es kaum, in Neustrelitz verstarb !
 

Martin Freitag, 29.9.2021

Dank für die schönen Bilder an (c) Jörg Metzner

 

 

 

 

Puccini

Il TRITTICO

Besuchte Aufführung am 08.02.20 (Premiere am 25.01.20)

Lob der Kleinen Häuser

Es ist selten genug, das sich die großen Häuser an Puccinis drei Einakter heranwagen, an den kleineren Theatern werden sie oft in Kombinationen mit einzelnen anderen Einaktern gegeben. Am Theater Neustrelitz hatte sich der neue Intendant, Sven Müller, seiner auch gleich als seine erste Opernregie am eigenen Haus angenommen.

Am Samstagabend vertraute das Publikum auf den bekannten Komponisten auch bei dem unbekannten Titel und sorgte für ein ausverkauftes Haus. Müller versuchte als Regisseur die doch recht unterschiedlichen Werke, dramatisch, lyrisch und komisch, durch Inhaltsparallelen miteinander zu verbinden. So lässt er, zum Beispiel, das "Kind" immer wieder auftauchen; im "Mantel" die Vision des verstorbenen Kindes, in "Schwester Angelika" wird das Kind von der Fürstin lediglich als tot angegeben, was zum verschärften Konflikt der gefallenen Nonne gegen ihren Vormund führt, in "Gianni Schicchi" gehört der kleine Gherardino sowieso zur familiären Personage. Manche dieser Ideen finde ich sehr gelungen, andere läßlich. Trotzdem gelingt insgesamt ein sehr eindringlicher Theaterabend, was auch an dem verbindenden Einheitsbühnenbild von Madeleine Boyd liegt, die auf der Drehbühne aus verschiedenen Zivilisationsresten stets eine passende Atmosphäre gewinnt, ihre Kostüme sorgen ebenfalls sehr exakt für das rechte soziale Umfeld. Von Sven Müllers Personenregie wünschte man sich einen weniger plakativen Zugriff und weniger portalorientiertes Positionieren der Solisten. Leider mißlingt gerade der Schluß der "Schwester Angelika" durch ein Übermaß an Aktionismus, hier wäre ein "weniger", aber "konzentrierter" angebracht gewesen.

Das große Gelingen des Abends liegt besonders in der musikalischen Umsetzung: zum einen die charismatische Leitung durch GMD Sebastian Tewinkel am Pult der Neubrandenburger Philharmonie, die sich bis auf kleine Hornpatzer sehr gut schlägt. Tewinkels Puccini kommt sehr direkt und vielleicht etwas großkörnig daher, überzeugt jedoch durch sehr starken emotionalen Sog, der den Sängern auch einen mitreißenden Impuls für die Szene mitgibt. Der Opernchor hält da ganz mit und überzeugt auch, gerade bei den Solononnen in der "Angelika", in den solistischen Auftritten.

Die junge Sopranistin Syrinx Jessen ist neu im Ensemble und gibt gleich mit zwei Partien (ohne Pause!) ein enormes Debut. Zum einen bezwingt ihre mädchenhafte Erscheinung als Giorgetta und Angelika und erklärt sehr glaughaft die Vorgeschichte, dann, vor allem, ihr sehr besonderes Timbre mit einer herrlich "cremigen" Mittellage, zudem wirkt ihre Interpretation mit wunderbaren Farbvaleurs erstaunlich reif für eine so junge Sängerin, da bleibt man gleich gespannt auf andere Partien. Julia Grote mit üppigem Alt darf sogar in allen drei Opern reussieren: als skurrile Frugola, als herrische, attraktive Fürstin und als komödiantisch gierige Zita. Laura Scherwitzl gefällt mit Andrès Felipe Orozco im Mantel als singendes Liebespaar im "Mantel" und finden sich als Namenbase Lauretta und als Rinuccio wieder. Scherwitzl erfreut mit einem lieblichen "O mio babbino caro"; Orozco kommt in der Firenze-Arie doch an stimmliche Grenzen.

Juliia Tarasova erfreut sowohl als Äbtissin, wie als Ciesca im "Schicchi" an der Seite der ebenfalls sehr spielfreudigen Luise Hansen als Nella. Hausbariton Robert Merwald gestaltet einen ergreifenden Michele im "Mantel", wie er als Schicchi vom komödiantischen Leder ziehen darf. Bernd Könnes dagegen singt als Luigi den veristischen Tenorliebhaber zwar mit viel Emphase, doch auch im Dauerforte am Limit, sein Gherardo bleibt laut aufgestellt, er kann das besser, was er schon in anderen Partien bewiesen hat. Edward Mout und Sebastian Naglatzki geben als Tinca und Talpa zwei sehr realistische Studien ab, letzterer setzt als Betto von Signa in der Buffa noch einen drauf. Ryszard Kalus als Simone und Andrew Finden als Marco komplettieren aif gute Art die intriganten Verwandten. Ein Kabinettstück ist Dorin Moscalciuc als toter Buoso Donati und natürlich Friedrich Bernhardt der in allen drei Opern als "KInd" von starker Präsenz ist. Die Nebenrollen bleiben auf Augenhöhe aus dem Chor besetzt.

Wieder einmal zeigt die "Provinz", selbst bei einem mit so vielen Rollen schwer zu besetzendem Werk, das auch an den kleinen Häusern immer mit einem guten Opernabend zu rechnen ist. Für das Berliner Hauptstadtpublikum, die schon lange kein "Trittico" erleben durften, vielleicht wieder einmal ein guter Grund zu einem Ausflug in die gar nicht so ferne Umgebung.

 

Martin Freitag, 24.2.2020

Fotos(c) Jörg Metzner

 

 

 

 

DIE BAJADERE

Besuchte Aufführung am 05.07.19 (Premiere am 28.06.19)

Operettenzauber auch bei Regen

Mittlerweile sind die "Festspiele im Schlossgarten" in Neustrelitz so arriviert, das sich an ein relativ unbekanntes Werk wie Emmerich Kalmans "Die Bajadere" gewagt werden kann. Eine Operette, die es absolut verdient hat, öfters in den Spielplänen aufzutauchen. Zum einen wegen der absolut hinreißenden Musik, für den Komponisten soll es sich sogar um sein Leiblingswerk gehandelt haben. Große schmachtende Melodiebögen, wechseln mit schmissigen Buffoduetten und Tanznummern. Es geht schon ein bißchen in die opernhafte Dramatik Lehàrs, sogar , na, man möchte es vielleicht nicht direkt Leitmotive nennen, doch wiederkehrende Melodien werden effektvoll in den Situation benutzt. Orientalismus trifft Wiener Operette und natürlich auch den ungarischen Csardas. Man geht unbedingt mit Ohrwürmern aus dem Abend. Das Libretto von Julius Brammer und Alfred Grünwald ist allerdings auch gekonnt verfasst: das Theater selbst wird zur Bühne und die Dialektik der Operettenhandlung in sich selbst gebrochen, ist es echt- ist es Kitsch. Ist es eine Handlung oder erleben wir das geschickte "Machen" einer Operette?

Pascale-Sabine Chevroton geht als Regisseurin geschickt mit diesem "Zwitter" um, läßt Genre und Augenzwinkern zu und erfreut Auge, ohr und Herz. Schon die geschmackvolle Ausstattung, für das Theater elegantes Schwarz- Weiß in Art Decò, für den indischen Prinzen kommt dann ein riesiger Ganesha (indischer Elefantengott) und leuchtende Sari-Stoffe dazu, die Bar im dritten dann in cocktailbunten Beleuchtungsvariationen alles garniert mit Balletteinlagen, dazu die wirklich wunderschönen und kleidsamen Kostüme. Die Ausstatterin Monika Biegler hat exzellente Arbeit geleistet.

Die Handlung geht natürlich um Liebe und Willen, der exotische Prinz mit Macho-Allüren trifft auf die schnippisch emanzipierte Operettendiva. Prinz Radjami von Lahore und Odette Darimonde, eine Augenweide zum Niederknien in der Verkörperung von Laura Scherwitzl und Andrès Felipe Orozco, zwei schöne Menschen in grandiosen Roben. Beide auch hervorragende Darsteller. Orozcos Tenor könnte manchmal etwas "voller" klingen, aber die leichten Höhenprobleme gleicht er geschickt mit einem Schlenker über die Kopfstimme aus, eigentlich eine alte Operettentradition (Rudolf Schock konnte das noch sehr gut). Scherwitzls sehr klarer Sopran mit gut fokussierter Höhe passt hervorragend zum etwas kühlen Charakter der Diva. Das Buffo-Paar wird hier gleich zu einem Terzett, denn die kapriziöse Marietta schwankt jeweils zwischen dem gerade anstehenden Gatten und dem Verehrer hin und her, das Gras auf der anderem Seite...

Viola Zimmermann gibt mit kernigem Mezzo eine sehr robuste Soubrette. Dazu Robert Merwald als Louis Philipp La Tourette mit angenehmem Bariton und distingierter Erscheinung und Bernd Könnes als Napoleon St.Cloche mit perfektem Tenorbuffo, letzterer ist ein echter Meister des Operettendialogs- und spiels, schon eine Klasse für sich. Man möchte einfach sagen Bernd Könnes, der kann es! Auch Volker Bleck als steppender Pimprinette, Chef der Claque, hinterläßt einen bleibenden Eindruck. Eine sehr schöne Idee die geheimnisvoll exotische Aura des Prinzen durch ein goldenes "Wesen" begleiten zu lassen, Nina Burri als goldene Schlangenakrobatin gibt auch in der großen Ballettszene noch einmal ein "Sahnehäubchen" oben drauf. Viele kleine Rollen sind aus dem wirklich hervorragenden Chor und Ballett besetzt und runden das Bild noch weiter ab. Panagiotis Papadopoulos weiß, wie man den üppigen Kalman-Klang zaubert, Rausch und Flottheit schön austariert. Das Orchester Neubrandenburg klingt einfach famos und die Sänger sind immer auf Linie.

Ein Beweis für die wirkliche Qualität der Aufführung ist, das nach Einsatz von leichtem , aber im ersten Teil dauerhaften Regen, ja wir saßen alle ganz brav in unseren Regenponchos, trotz kühler Witterung gefühlt niemand die Vorstellung verließ. Die Darsteller trotz großer Rutschgefahr mit Spiel, Tanz und Gesang durchweg gute Laune versprühten. Vielleicht hätte man noch etwas im Dialog kürzen können, doch nach drei Stunden gab es erst einmal langen, kräftigen Applaus, auch da wurden die Künstler gefeiert und keiner zischte schnell ab, außer natürlich das finale Feuerwerk.

Dem Operettenpublikum aus der Umgegend und Berlin sei, bei hoffentlich besserer Witterung, eine Aufführung in Neustrelitz unbedingt ans Herz gelegt. Immerhin war es sogar für Kalman-Fans aus Norwegen eine Anfahrt wert !

 

Martin Freitag 7.7.2019

Fotos (c) TOG / Jörg Metzner

 

 

WIENER BLUT

Besuchte Aufführung am 27.01.19 (Premiere am 06.10.18)

Boulevardoperette in den Fünfzigern

Es ist sehr erfreulich, daß die Operette wieder größeres Interesse von den Theatermachern erfährt und , oh Wunder, durchaus geeignet ist die Häuser zu füllen, wie in der Nachmittagsvorstellung am Theater Neustrelitz. Wobei das Interesse sehr auf die Silberne Operette gefallen ist und selbst Raritäten wie Kalmans "Herzogin von Chicago" oder Abrahams "Ball im Savoy" wieder regelmäßiger in den Spielplänen zu finden sind. Das Nachsehen haben allerdings die Werke der Goldenen Ära ("Fledermaus" und "Witwe" mal ausgenommen), so sind grandiose Stücke, wie Suppès "Boccaccio" fast völlig verschwunden. In Brandenburg konnte man jetzt endlich wieder Johann Strauß`"Wiener Blut" erleben, ein wirklich wundervolles Konversationsstück, von Adolf Müller Jr. aus verschiedenen Tanzwerken Strauß` gleich einem Pasticcio auf ein witziges Libretto von Victor Leon und Leo Stein gesetzt, so gut wie es dem Komponisten selbst nicht oft mit seinen Bühnenwerken gelang. Text und Musik verschlingen sich zu einer wirklich witzigen Einheit in einer Handlung zur Zeit des Wiener Kongresses, um untreue Ehemänner, dumme Diplomaten, leichtlebige Tänzerinnen und Kammerdiener mit Probiermamsell, eine echte Wiener Melange.

Regisseur Wolf Widder setzt ganz richtig auf die Funktionen von französischen Boulevardkomödien a la Feydeau mit vielen Türen`, die Ausstattung von Roy Spahn nimmt verschiedene Türelemente, die immer wieder neu gruppiert werden, was sich im ersten Akt , so ohne Bühnenhintergrund, noch recht spartanisch ausnimmt. Der zweite Akt wirkt optisch lebendiger, was auch an der Chorbeteiligung mit den schönen Fünfziger Jahre Kostümen liegt, denn in diese Zeit wurde die Operette ganz schlüssig verlegt. Den Höhepunkt des Festes bildet sicher die wirklich lustige Choreographie (Kirsten Hocke) zur "Tritsch-Tratsch-Polka". Der dritte Akt spielt in den sehr zweideutigen Hietzinger Lauben und bietet viel für die Augen. Insgesamt: Operette pur!

Am Pult der schwungvoll aufspielenden Neubrandenburger Philharmonie steht Panagiotis Papadopoulos und dirigiert eine sehr flotte Operette mit reschen Tempi, musikalisch stets auf den Punkt, doch öfters auf Kosten der Textverständlichkeit. Also wäre manches "Anziehen der Bremse" vielleicht nicht falsch. Die Solisten und der Chor halten zwar locker mit, doch es geht hier wirklich nur um die Textverständlichkeit.

Ein sehr fesches Grafenpaar Zedlau ist das Zentrum der Handlung: Andrès Felipe Orozco ist ein rechter, untreuer Hallodri von starkem "Timing" für die Komik, die fordernde Partie in den Höhen gelingt leider nicht ohne Anstrengung. Die überlegene Gräfin dazu findet in Tonje Haugland eine treffend charmante Vertreterin, die mit angenehm bronzenem Sopranklang aufwartet. Das titelgebende "Wiener Blut" beider gerät jedenfalls zu einem Höhepunkt. Dazu kommt der herrlich tolpatschige Fürst Ypsheim-Gindelbach, der mit trockenem Humor den Anstoß zu vielen komischen Situationen gibt, Robert Merwald (am Abend vorher noch ein wunderbarer Maskenball-Renato) macht daraus mit sattem Bariton eine echte Hauptrolle. Die Tänzerin Cagliari gefällt in der bezaubernden Peggy Steiner, lediglich die Höhe ist sehr laut und ausufernd, leiser wäre schöner. Dazu ihr Vater Kagler, der mit Ryszard Kalus doch recht sehr starkem slawischen Akzent, eher aus Böhmen stammen dürfte, was ja sehr schön passt. Bernd Könnes gibt mit etwas metallischem Tenor den gewieften Kammerdiener Josef. Publikumsliebling ist jedoch Laura Scherwitzl (der Maskenball-Oskar von Vorabend), die eine echt resche Probiermamsell Pepi spielt, da merkt man wirklich auf den Punkt gespielten Operetten-Übermut, Tanzbegabung, Textnuancen, vielleicht außerplanmäßige Fallsucht an diesem Nachmittag (?) wird witzig eingebunden, kurz eine waschechte Soubrette.

Fazit: ein schöner Sonntagnachmittag mit gut gemachter, gehobener Unterhaltung, in einem sehr gut gefüllten Theater, ein sehr erfreutes Publikum. Und vor allem ein wirklich tolles Stück, dem man gerne wieder öfter auf den Bühnen begegnen würde.

 

Martin Freitag 2.1.2019

 

 

 

 

 

EIN MASKENBALL

Besuchte Vorstellung am 26.01.19 (Premiere am 19.01.19)

Opernhafte Geschichtstunde

Einen sehr ortsgebundenen "Maskenball" gibt es derzeit am Theater Neubrandenburg/ Neustrelitz zu erleben, denn Regisseur Lothar Krause hat auf die übliche Handlung der Verdi-Oper eine andere, historische Schablone gesetzt: der Schwedenkönig Gustav wird zu Großherzog Adolf Friedrich VI. von Mecklenburg-Strelitz(1882-1918), der wahrscheinlich mit einem Suizid in Neustrelitz seinem Leben ein Ende setzte. Hier sei jedem Besucher der sehr interessante Einführungsvortrag empfohlen; ich selber werde die etwas verschlungene Aufschlüsselung nicht näher erläutern, doch funktioniert das Überstülpen dieser Folie im Wesentlichen recht gut. Das Ehepaar Renato/Amelia wird zum historischen Fürstenpaar von Pless, desweiteren treten noch andere Personen der Geschichte ohne gesangliche Solorollen auf, die aus den Choristen heraus sehr kompetent besetzt sind. Die Grundidee finde ich sehr faszinierend und gelungen, doch in der szenischen Umsetzung finde ich handwerkliche Mängel.

Lothar Krause und Ausstatter Pascal Seibicke stellen eine Art Endzeit-Bühnenbild auf die Drehbühne, zum einen das Grabmal des Monarchen, zum anderen ein angedeuteten Innen-/Außenraum von recht angegangener Zeitsymbolik. Leider steht gerade letzteres oft im Wege und verbirgt einem, nicht gerade kleinem Teil der Zuschauer, die Sicht auf die Solisten, was äußerst ungeschickt wirkt. Die Personenregie als solche zeigt sich tauglich mit Mängeln , so werden singende Protagonisten abgewendet gestellt, oder in Ensembles akustisch ins "Off" plaziert, wie zum Beispiel Amelia in der Lose-Szene. Die Chorregie fällt nicht so geschickt aus, Chorauftritt in der Galgenszene oder gar die ganze Finalszene des Maskenballes, der wichtig wie namensgebend ist. Ohne Tanz wirkt das einfach nicht und der dargestellte Albtraum Adolf Friedrichs überzeugt mich nicht.

Musikalisch hört man einen richtig guten Verdi, denn Sebastian Tewinkel hat mit der Neubrandenburger Philharmonie sehr sorgfältig gearbeitet, selbst Tempi , die zunächst etwas stutzen lassen, entwickeln eine nachvollziehbare szenische Bedeutung, die dem Komponisten sicher gefallen hätte, nur die Anschlüsse zwischen den einzelnen Nummern könnten etwas schlüssiger erfolgen. Was am meisten überzeugt, ist durchweg der kultivierte Legato-Gesang, den man an manchem größeren Opernhaus so nicht oft erlebt und zwar durch die Bank weg im gesamten Ensemble.

Jenish Ysmanov ist der verzweifelte Riccardo/ Adolf Friedrich mit sehr stabilem Tenor von enormer Stamina, lediglich in einigen verhärteten Vokalen gäbe es Verbesserungsmöglichkeiten; aus dem etwas Mezzoforte-Beginn steigert sich der Sänger in eine immer nuanciertere Interpretation, seine Schlussarie bringt er dann auf den Punkt. Mit Sonja Maria Westermann durfte ich eine der besten Amelias( Daisy von Pless) meines Lebens hören, eine warm timbrierte Sopranstimme mit kostbaren Farben in Höhe wie Tiefe, einer wunderbaren Mesa di Voce, die Bühne stets mit der rechten Fülle versorgend, ohne dabei je unangenehm zu klingen. Perfekt! Ein Erlebnis! Robert Merwald als Renato/Fürst von Pless kann da vom Timbre nicht ganz mithalten, die Tiefe wirkt etwas fahl, manchmal wird auch eine Finalnote verschluckt, doch trotzdem erlebt man eine sehr kultivierte Umsetzung, seine emotionale Charakterisierung überzeugt. Einen richtig üppigen Mezzosopran/Alt kann man von Nana Dzidziguri als Ulrica hören, auch hier wird auf den Punkt gesungen, als "Das Schicksal" begleitet sie den gesamten Abend mit starker Präsenz.

Laura Scherwitzl singt einen sehr präzisen Soubretten-Oscar, dessen homophile Bedeutung erst in der Maskenball-Szene zu wirklich intensiver Bedeutung reift. Die Verschwörer Samuel und Tom werden von der Regie leider zu etwas dilettantischen "Schubs-Szenen" verleitet, doch Sebastian Naglatzki und Ryzard Kalus geben den Figuren eine ausgeprägte vokale Präsenz. Hyoung-Jun Kim als Oberster Richter sitzt da nicht so fest auf seinen Noten. Die Chöre singen tadellos, könnten szenisch sicherlich noch besser eingesetzt werden.

Insgesamt eine recht inspirierende Interpretation mit Mängeln, die aber musikalisch ganz hervorragend gelungen ist. Die Sänger allein lohnen eine Fahrt ins idyllische Neustrelitz. Die örtlich verankerte Dramaturgie stößt anscheinend auf großes Interesse, so ist das Haus auch ausverkauft, der Applaus stark und absolut berechtigt.

 

Martin Freitag 20.1.2019

Bilder (c) Metzner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

WIE EINST IM MAI

Besuchte Aufführung am 27.07.18

Operettenglück unter Sommerhimmel

Was vor etwa fünfzehn Jahren mit einem Operettenpasticcio über Königin Luise begonnen hatte, hat sich in Neustrelitz als "Festspiele im Schlossgarten" zu Deutschlands einzigem Freiluft-Operettenfestival ausgewachsen, da gäbe es lediglich den kleindimensionierteren Lübecker Operettensommer an die Seite zu stellen, der jedoch in einem Zelt stattfindet. Durchaus zur Belebung des Tourismus in der Mecklenburgischen Seenplatte und der kleinen Stadt Neustrelitz geplant, hat es sich schnell zu einem ernstzunehmenden Festival etabliert und zieht nicht nur die Touristen der Gegend, sondern auch Operettenfreunde aus dem Raum Berlin (circa 100 km. entfernt) an. Vielleicht liegt es auch an letzterer Bezugsgruppe, daß man sich nach den üblichen bekannten Werken für die Operette "Wie einst im Mai" von Walter Kollo in der von Sohn Willi Kollo überarbeiteten Fassung entschieden hatte, durchaus eine Rarität auf den Spielplänen. Wie fast alle Berliner Operetten seit Paul Lincke handelt es sich um eine revueartige Schlageroperette. Die Handlung um ein Liebespaar durch mehrere Generationen zieht sich durch etwa vier Jahrzehnte und erst die Enkelgeneration findet zueinander, nachdem Standesdünkel stets zwischen den jungen Menschen stand. Das Libretto kommt immer noch frisch daher und die Ohrwürmer der Kollos zünden, von den bekannten "Untern Linden, untern Linden" und "Es war in Schöneberg", bis zu den nicht mehr so geläufigen, eben richtige Schlager.

Wie Puppenhäuschen (Ausstattung Annette Mahlendorf) stehen die Gebäude auf der Bühne, werden nach Innen-und Aussenszene je gedreht und wie eine Schachtel aufgeklappt, das ist probat, abwechslungsreich und trotzdem sparsam, eine schöne Idee! Die vielen liebevoll gearbeiteten Kostüme führen den Zeitenparcour von üppigen Krinolinen über Gründerzeit bis in die Zwanziger Jahre, echtes Augenfutter. Darin nimmt Regisseur Reinhardt Friese die Operette bei dem, was sie ist, das heißt, die Hauptfiguren werden in ihren Gefühlen ernst behandelt, die Buffonisten dürfen auch mal nur Typen sein und mit Chargieren "dem Affen Zucker geben", unterstrichen von vielen Choreographien Barbara Busers für Solisten , Chor und der Deutschen Tanzkompanie Neustrelitz, dabei gelingt es immer wieder den grossen Bühnenraum mit viel Aktion bei gar nicht mal so vielen Darstellern zu füllen. Die Szene erfüllt also alle Erwartungen für ein Operettenpublikum. Was aber nur gelingt, das die Spieler sehr punktgenau besetzt sind und die Zuschauer auf diese bunte Reise mitnehmen, durch Jahrzehnte hindurch als alte und junge Menschen. 

Besonders ansprechend das große Liebespaar Fritz Jüterbog und Ottilie von Henkeshofen: Lena Kutzner gefällt durch ihre direkte und natürliche Darstellung und wirklich charmantes Soprantimbre bei leichter Neigung zum "Schleppen", Bernd Könnes spielt den bodenständigen Ingenieur mit viel Berliner Witz und einem Operettentenor alten Stiles mit rollendem "R" und bombiger Höhe. Für das Herz ist also gesorgt. Publikumsliebling ist jedoch Andres Felipe Orozco als Stanislaus von Methusalem, einem adeligen Schwerenöter, der noch als Neunzigjähriger seine dritte Gattin aufbraucht, klasse Tenor, super "Spielastik". Viola Zimmermann spielt erst seine erste ältliche Gattin, Mechthilde von Kiefernspeck, bis sie als pseudospanische Revuetänzerin Angostura herrlich radebrecht und bei einem mitreißenden Can-Can singt "...wir tanzen bis das Strumpfband reißt...", herrlich komödiantisch. Laura Scherwitzl als Juliette/Mitzi/Kitty hat leider nur Nebenpartien, aber hakt sich stimmungsmäßig ein. Robert Merwald als Cicero von Henkeshofen, Sebastian Naglatzki als Justizrat Pergamenter und Ryszard Kalus als Vater Henkeshofen, alle drei auch in anderen Rollen, geben die historische Folie mit den recht preußischen Mannsbildern. Dazu kommen noch viele Einzeldarstellern in größeren wie kleineren Partien und der Chor und das Ballett alle sind damit beschäftigt auch beim Umbau mit anzupacken. Nirgendwo gibt es Abstriche zu machen.

Panagiotis Papadopoulos sorgt mit der Neubrandenburger Philharmonie für die schwungvolle Umsetzung der Kolloschen "Evergreens", manchmal könnte, an diesem Abend, der musikalische Anschluß an den Dialog schneller erfolgen. Die Tonanlage für die Freiluftaufführung klingt recht gut, so daß die hervorragend gesprochenen Dialoge und auch die Texte der Gesangsnummern sehr gut verständlich waren, keine Unwichtigkeit einer Operettenaufführung. Nächstes Jahr werden die Organisatoren sogar sehr mutig bei der Programmgestaltung und haben Emmerich Kalmans wundervolle , aber sehr unbekannte und selten gespielte Operette "Die Bajadere" auf das Programm gesetzt.

Noch eine kleine Anmerkung, immerhin haben die Festspiele etwa eintausend Sitzplätze, so sollte man sich rechtzeitig um eine Übernachtung kümmern, wenn man möchte. Es gibt allerdings, selbst unter der Woche, auch einige Nachmittagsvorstellungen, so daß man bequem mit der Bahn an- und abreisen kann.

Martin Freitag 29.7.2018

Produktionsbilder liegen uns leider keine vor.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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